Mensch gegen Maschine: Mit autonomen Fahrzeugen Mobilität neu denken

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Die Technologieausgabe

Mensch gegen Maschine: Mit autonomen Fahrzeugen Mobilität neu denken

Wie machen wir uns Technologie besser zunutze?

Fotos: Maria Gruzdeva

Aus der Technologieausgabe.

Karl Iagnemma ist Principal Research Scientist am MIT und CEO von nuTonomy.

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Technologie führt oft zu Veränderung, doch dem Fortschritt der Gesellschaft dient sie nur manchmal. Zum Beispiel im Fall einer der wichtigsten Erfindungen des letzten Jahrhunderts, des Automobils. Zweifellos haben Autos den Personenverkehr schneller, günstiger und bequemer gemacht. Doch das gesellschaftliche Erbe des Automobils ist durchwachsen. Autos haben Treibhausgase in die Erdatmosphäre gepumpt und das Klima erwärmt. Autobahnen schneiden durch Städte und ansonsten idyllische Landschaften. Niemand will wieder auf Pferdekutschen angewiesen sein, doch die Frage, ob wir diese Technologie nicht etwas schlauer hätten einsetzen können, ist durchaus angemessen.

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In den nächsten Jahren werden Fortschritte im Bereich der autonomen Fahrzeuge (AV, von engl. "autonomous vehicle") unsere Gesellschaft so drastisch verändern wie einst das Automobil. Selbst wenn wir nichts weiter unternehmen, als unsere alten Autos gegen selbstfahrende einzutauschen, werden wir besser leben. Menschliches Versagen spielt bei 94 Prozent aller Autokollisionen eine Rolle. Autonome Fahrzeuge werden dafür sorgen, dass der weltweite Autoverkehr nicht länger 1,2 Millionen Todesopfer pro Jahr fordert. Auch wird uns die Zeit, die wir bisher hinterm Steuer verbringen, zur freien Verfügung stehen. Menschen, die selbst nicht fahren können – wozu wir alle zählen, wenn wir ein entsprechend hohes Alter erreichen – werden neue Freiheiten genießen.

Wenn wir die gesellschaftlichen Vorteile der AV-Technologie richtig nutzen wollen, müssen wir allerdings auch unsere Vorstellung von Mobilität überdenken. Für die meisten bedeutet Mobilität, alleine in unseren eigenen benzingetriebenen Fahrzeugen zur Arbeit zu fahren und sie dort den Großteil des Tages stehen zu lassen – genau wie schon vor 50 Jahren. Dieses Mobilitätsmodell hat uns einiges gekostet, sowohl finanziell als auch in der Umweltbelastung. Deswegen schlage ich eine Transformation der Mobilität durch AV-Technologie vor.

Erstens sollten wir unsere Vorstellung vom Autobesitz überdenken. Wenn wir ein Fahrzeug kaufen, investieren wir in ein Gut mit rapidem Wertverlust, das die meiste Zeit einfach herumsteht. Bisher haben wir diese Ineffizienz aus Bequemlichkeit hingenommen. AVs werden hingegen effizient sein, ohne Bequemlichkeit zu opfern. Bestelle dir eine Mitfahrt per App und ein AV holt dich innerhalb von wenigen Minuten ab. Wenn die Passagiere nichts dagegen haben, mit anderen ein Auto zu teilen, kann die App die Fahrt für alle koordinieren und so günstiger werden. Nach eurer Ankunft am jeweiligen Zielort fährt das Fahrzeug weiter, um andere Passagiere und Lieferungen ans Ziel zu bringen.

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Gleichzeitig mit diesem Übergang vom Einzelbesitz auf kollektiv genutzte AV-Flotten sollten wir von benzingetriebenen Fahrzeugen auf elektrische umsteigen. Eines der letzten Hindernisse für die weitläufige Annahme von Elektrofahrzeugen ist die Sorge um mangelnde Reichweite. Wer ein Auto kauft, erwartet, dass er damit zu Weihnachten die 500 Kilometer zu den Großeltern fahren kann, ohne sich über eine Ladestation Gedanken machen zu müssen.

Wenn Firmen allerdings eine AV-Flotte kaufen, können sie für die meisten Fahrten ihrer Passagiere Elektrofahrzeuge einsetzen und für den jährlichen Besuch bei Oma und Opa auf ein benzingetriebenes Mietauto zurückgreifen. Elektrische AV-Flotten werden weniger Kohlenstoff freisetzen und der Umwelt weniger schaden.

Neben dieser neuen Sicht auf Mobilität sollten wir auch unsere Lebens- und Arbeitsumgebung überdenken. Im letzten Jahrzehnt sind viele Städte so teuer geworden, dass sich Normalverdiener die Mieten nicht mehr leisten können. AVs könnten helfen, Städte günstiger zu machen, indem sie Transportkosten und Grundstückskosten senken.

Je mehr Passagiere ein AV mitnimmt und je weniger Kilometer zwischen Passagierfahrten liegen, desto mehr Umsatz macht das AV und desto mehr Ersparnis kann die Firma an ihre Kunden weitergeben. Daher wird der Kilometer AV-Fahrt gerade in dicht besiedelten, urbanen Gebieten weniger kosten. Außerdem werden AVs den Bedarf an Parkplätzen reduzieren, sodass wertvolle Stadtgrundstücke für Wohn- und Geschäftsgebäude frei werden.

Ob AVs sich lediglich an unser bestehendes Mobilitätsmodell anpassen oder unsere Gesellschaft grundlegend verändern werden, liegt bei uns. Marktmechanismen werden eine Rolle spielen, denn Versicherungen für AV-Fahrer werden günstiger sein und Passagiere durch Fahrgemeinschaften sparen wollen.

Auch der Gesetzgeber wird eine Rolle spielen. Regierungen sollten die AV-Entwicklung fördern, indem sie Tests vor allem in Städten zulassen. Sie sollten in Infrastruktur wie Ladestationen investieren, die den Umstieg auf elektrische AVs beschleunigen. Auch Stadtplanungsregeln sollten sie reformieren, sodass Bauherren nicht länger gezwungen sind, Parkplätze zu bauen.

Die Entwicklung des selbstfahrenden Autos gibt uns die Chance, die gesellschaftlichen Institutionen und Praktiken zu verbessern, die wir rund ums Automobil aufgebaut haben. Lasst uns die AV-Technologie nutzen, um in Zukunft sicherer, sauberer und effizienter zu fahren.

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