Marina Hoermanseder mit bunter Jeans um den Hals
Alle Fotos: Eva Luise Hoppe
10 Fragen

10 Fragen an eine Mode-Designerin, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Ist es dir egal, unter welchen Bedingungen deine Klamotten produziert werden? Sind Leute, die sich teure Klamotten kaufen, neureiche Deppen? Welche Drogen werden im Backstage genommen?

"Ich bin eine Bratze", entschuldigt sich Marina Hoermanseder für ihr unordentliches Atelier in einem Kreuzberger Hinterhof. Sie sei eben ein Mensch, der lieber in eine rustikale Burger-Bude geht, als in ein Sterne-Restaurant. Die 33-jährige Modedesignerin kommt ursprünglich aus Wien und gründete 2013 ihr eigenes Label, das so heißt wie sie selbst. Und obwohl hier zwischen Süßigkeitentüten von der Tankstelle, Schnittmustern und bis unter die Decke gestapelten Kartons wirklich das totale Chaos herrscht, läuft Marinas Karriere ziemlich geradlinig. Rihanna, Lady Gaga oder FKA Twigs tragen ihre Sachen und bei ihren Shows hängt die Influencer-Elite begeistert in der Front Row ab.

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Während ihr circa 15-köpfiges Team an einer neuen Kollektion arbeitet, beaufsichtigt von Marinas Hündin Peanut Pippilotta Viktualia, erzählt sie, dass sie eigentlich mal Zoodirektorin werden wollte, dann Schauspiel studierte, vorhatte, in die Meeresbiologie einzusteigen, und letztlich in Berlin und beim Modedesign landete. Bei einem Praktikum bei Alexander McQueen habe sie gelernt, "wie man richtig arbeitet", und ihr Faible für barocke Korsagen entdeckt. Glänzende Korsetts und Bustiers aus Leder sowie die Gürtelschnallen-Applikationen sind Marinas Markenzeichen, die nicht nur Anfang April am Körper von Digitalministerin Dorothee Bär beim Deutschen Computerspielpreis für Aufsehen sorgten. Dafür, sagt Marina, feiere sie sich selbst ziemlich ab, aber um eingebildet zu sein, sei noch genug Luft nach oben.

Wir haben Fragen.

VICE: Hassen sich in der Modebranche alle heimlich untereinander?
Marina Hoermanseder: Heimlich und öffentlich hasse ich Dawid Tomaszewski mit voller Leidenschaft, aber das darf man als Designer-Besties auch. Ansonsten kann ich mir vorstellen, dass sehr viele tratschen und lästern. Mir hat mal eine Kollegin aus Versehen auf meine Instagram-Story geantwortet, die sie eigentlich jemandem weiterleiten wollte: "Die Alte macht einfach alles". Ich habe ihr geantwortet, dass die Nachricht wohl nicht an mich gerichtet war, aber wenn es mein Konto füllt, dann mache ich so einiges.

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Mir ist wurscht, ob mir gefällt, was andere Designer machen. Denen muss auch nicht gefallen, was ich mache. Netzwerken ist einer der wichtigsten Skills, die man in einer Kleinstadt wie Wien von Kleinauf beigebracht bekommt. Die Modewelt ist klein, man sieht sich oft, da sollte man sich zurückhalten. Ich glaube, dass mich heimlich viele hassen – gerade auch weil ich Österreicherin bin und hier in Berlin einiges am Markt abgrase.

Sind Leute, die sich extrem teure Klamotten kaufen, neureiche Deppen?
Na ja, das sind immerhin Leute, die gut genug verdienen, um sich den Luxus, den sie brauchen, auch leisten zu können. Mode ist nicht nur was für Schöne und Reiche. Genau aus dem Grund habe ich meine Produktpalette breit gestaltet. Ich verkaufe teure Sachen, aber auch Kleidung, die ich mir als normales Mädchen leisten könnte. Ich müsste dafür sparen, aber das ist auch wichtig, weil alles, wofür man nicht sparen muss, nichts wert ist. Und ich will, dass die Leute den Wert meiner Mode spüren. Mir ist es wichtig, dass sich auch eine Studentin ein Armband, T-Shirt oder einen Pulli von mir zu Weihnachten wünschen kann.

Leder Kleider und Leder Corsagen hängen von der Decke

Sieht aus wie Latex, ist aber Leder

Warum dürfen auf deinem Laufsteg keine dicken Models laufen?
Ich habe letzten Sommer darüber nachgedacht und habe dann Mädels angeboten bekommen. Aber deren Looks waren sich sehr ähnlich und nicht Fashion genug, fast schon zu normal. Models müssen hübsch sein, aber auch charakteristisch rüberkommen. XL-Models haben oft sehr kommerzielle Gesichter, die sehen dann mehr nach Otto-Katalog aus. Das passt nicht zu mir. Jemanden wie Ashley Graham würde ich sofort buchen, aber die können wir uns nicht leisten.

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Es ist nach wie vor mein Ziel, auch kurvigere Models auf dem Laufsteg zu haben. Je mehr Rundungen eine Frau hat, desto sexyer kommt auch meine Mode rüber. Gerade bei den Strap-Skirts. Bei einem größeren Booty kommt das ganz anders zur Geltung und der Rock sieht viel geiler aus, weil er den Körper zusammenschnürt. Wir haben für Amber Rose mal so einen Rock gemacht, das sah super aus. Busen und Booty sind einfach viel geiler für meine Mode.


Auch auf VICE: So habe ich mich an die Spitze der Paris Fashion Week gemogelt


Wie oft hast du dich aus Versagensangst fast eingenässt?
Achtmal, weil ich bis jetzt acht Kollektionen gemacht habe. Nach jeder Show komme ich vom Laufsteg runter, breche halb zusammen und sage: Ich kann nicht mehr, ich weiß nicht, was ich als Nächstes machen soll. Aber auch drei Wochen vor der Präsentation finde ich alles furchtbar und glaube, dass wir uns mit der Show richtig blamieren werden und schließen müssen. Immer wenn dieser Punkt erreicht ist, konzentriere ich mich auf einen anderen Berufswunsch, den ich ausüben möchte, wenn das hier alles zusammenbricht. Vorletztes Mal wollte ich unbedingt Verkäuferin bei dm werden, dann wäre ich immer die Erste, die die ganzen Produkte testen könnte. Ein anderes Mal wollte ich Tischlerin werden. Ich habe mich auch schon auf diversen Hochschulseiten beworben für einen Neuanfang.

Jeder Künstler nährt sich von Selbstzweifeln. Ich sage immer: Unter Druck entstehen Diamanten. Und ohne diesen Druck – alles zu hinterfragen oder mein Team zu terrorisieren – würde ich das hier alles nicht so erfolgreich machen. Vor der Show habe ich immer Alpträume, dass es eine Vollkatastrophe wird. Dann rufe ich meinen Vater weinend an, erzähle ihm davon und er sagt: "Marina, dann wird es mal wieder eine phänomenale Show."

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Marina Hoermanseder in Leder-Kleid lehnt sich an eine Schneiderpuppe

Brüste, Taille, Hüfte – bei Marinas Entwürfen ist die weibliche Silhouette im Fokus

Hast du mehr Tinder-Matches, weil in deinem Profil "Designerin" steht?
Was soll ich sonst hinschreiben? Das ist eben mein Beruf. Ich bin zwar seit August letzten Jahres nicht mehr auf Tinder, weil ich dort meinen Freund kennengelernt habe, aber davor fühlte ich mich wie alle anderen Single Ladys auch, die nach rechts oder eben nach links gewischt werden. Klar, manche erkennen einen und schreiben "Bist du es wirklich?" oder halten den Account für ein Fake. Aber wo soll ich sonst Leute kennenlernen? Ich gehe nicht aus, auf den Events hängen immer nur dieselben Menschen, wenn nicht sogar Kollegen ab, und als ich einmal beim Lollapalooza-Festival in Berlin jemanden kennengelernt habe, hat mich mein Team weggezogen.

Was hältst du von Influencern, die deine Shows nur besuchen, um Goodie Bags abzustauben?
Auf Fotos und Videos sehe ich nach den Shows oft irgendwelche Leute, bei denen ich mir denke: "Was ist hier eigentlich dein Auftrag?". Aber sogar ein Influencer, der kein Influencer ist, betreibt genug Aufwand, um eine Goodie Bag zu bekommen, und ist mir daher lieber als irgendwer, bei dem ich mich frage, wie derjenige reingekommen ist. Ich war damals auch eine von denen, die am Sponsor Counter übriggebliebene Tickets geschnorrt haben. Jemand, der unbedingt reinkommen will, schaut sich meine Modenschau mit viel mehr Passion an als irgendein Moderedakteur, der die 48. Show besucht und am Handy rumtippt.

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Obwohl ich Handys eigentlich nicht verurteilen darf. Ich sehe hinten in der Regie der Show, wenn ein Look gut ankommt, weil dann alle ihr Smartphone hoch halten. Das Schlimmste ist aber immer, dass am Ende kaum noch einer applaudiert. Ich habe etwas gebraucht, um zu verstehen, dass das daher kommt, weil alle das Handy in der Hand haben, um das Finale zu filmen. Handy oben ist also der neue Applaus, daran muss ich mich heute noch gewöhnen.

Links eine Schneiderpuppe im Atelier Rechts Kartons mit Reißverschlüssen

Marinas Atelier ist der Inbegriff von kreativem Chaos

Welche Drogen nehmen Leute bei dir Backstage?
Ich hoffe: Keine! Allgemein werden auf der Fashion Week offensichtlich sehr viele Drogen konsumiert, aber wenn ich bei mir jemanden erwischen sollte, würde der rausfliegen. Vielleicht sind alle bei mir im Backstage druff, und ich sehe und merke es nicht. Ich bin bei Drogen sehr naiv und unerfahren. Ich habe in meinem Leben an vier Joints gezogen und sonst nichts gemacht, weil ich ein Schisshase bin.

Besteht dein Freundeskreis nur aus Models und Influencern?
Um Gottes willen, eher im Gegenteil. Ein Großteil meiner Freunde hat weder Instagram noch sind sie in der Modewelt unterwegs – was immer wahnsinnig anstrengend ist, wenn man mit ihnen Neuigkeiten teilen möchte. Letztens trug Kylie Jenner eines meiner Teile in einer Modestrecke und ich schrieb "Habt ihr das gesehen???" und zurück kam nur: "Hä, was?", "Hä, wer?". Viele meiner Freunde kenne ich über zwanzig Jahre. Sie sind stolz auf mich, aber bewundern mich nicht, für die bin ich immer noch der "Mario Hoermanseder", der mit super kurzen Haaren im Schülercup Fußball gespielt hat. Mir ist es wichtig von Menschen umringt zu sein, die einen nicht für das, was man macht, respektieren, sondern für den, der man ist. Das gilt sogar für den Tomaszewski, der Designer in meinem Freundeskreis.

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Links Leder-Korsett, Rechts Marina Hoermanseder mit bunter Jeans über den Schultern

Die Buckle Rainbow Jeans (rechts) befindet sich auch in Lady Gagas Kleiderschrank

Ist dir egal, unter welchen Bedingungen deine Klamotten produziert werden?
Ganz und gar nicht. Meine Mode wird unter guten Bedingungen hergestellt. Wir verwenden nur pflanzlich gegerbtes Leder, ohne Chromsalze und nur aus Gerbereien, bei denen ich weiß, dass die Haut aus der Fleischproduktion kommt. Das ist mir als tierliebe Person sehr wichtig. Aber Menschen sind mir natürlich auch wichtig. Bei kleinen Stückzahlen arbeite ich mit deutschen Unternehmen zusammen, zum Beispiel aus Berlin. Große Produktionen lagern wir nach Asien aus, weil unsere das nicht stemmen können. Die kenne ich nicht alle persönlich, aber wir haben auch nicht so viele. Bei unserer Produktion in China, die Metallteile macht, war ich schon vor Ort. Da ist es super schön und sauber. Dort arbeiten Leute wie du und ich und keine misshandelten Damen, die SOS-Zeichen in meine Schnallen einritzen. Unsere Sweat-Stoffe kommen aus der Türkei und das Management-Team kommt zu jeder meiner Shows.

Deine Designs sind von Fetisch-Mode inspiriert. Welchen Fetisch hast du?
Hello Kitty! Ich hab sehr viel Kram, von Spangen bis zu Taschen. Ich besitze sogar einen Toaster, der dir Hello Kitty auf das Brot toastet. Ich bin fast ausgerastet, als Hello Kitty mit einer Kooperation auf mich zukam. Die dachten, das wird ein professionelles Telefongespräch, aber ich habe denen nur in den Hörer gequiekt und geheult vor Freude.

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