10 Fragen an eine Hebamme, die du dich niemals trauen würdest zu stellen
Fotos: Eva L. Hoppe

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10 Fragen

10 Fragen an eine Hebamme, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Wie viele Mütter bieten dir ein Stück Plazenta an? Wie eklig ist ein Dammriss? Wie gehst du damit um, wenn du ein totes Kind zur Welt bringen musst?

Für Kinderlose sind Stoffwindeln, Abpumpmaschinen und fair gewebte Tragetücher Utensilien aus einer anderen Welt. Für engagierte Mütter sind sie ein ideologisches Schlachtfeld, sagt Anna Homann: "Manche Frauen trauen sich nicht, mir zu sagen, dass sie einen Kaiserschnitt wollen, weil andere Mütter sie dafür verurteilen." Als Hebamme sorgt sie dafür, dass Schwangerschaften und Geburten so angenehm wie möglich verlaufen – und dass die Frauen sich durch Geschichten von Dammrissen, Durchfallanfällen und 5-Kilo-Babys nicht zu sehr verunsichern lassen.

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Seit zehn Jahren betreut Anna Homann Frauen, Paare und ihre Neugeborenen. In der Anfangszeit, in der sie Geburten begleitet hat, brachte die Hebamme etwa 50 Kinder zur Welt. Heute arbeitet die Mutter einer Tochter freiberuflich in einer Neuköllner Hebammenpraxis und begleitet Mütter in der Geburtsvorbereitung und in den ersten acht Wochen nach der Geburt. Hebammen seien nicht nur Frauen, die besonders auf Babys stehen, sagt sie, sondern eine Kombination aus Sozialarbeiterinnen, Pflegekräften und Psychologinnen.

Im Interview haben wir gemerkt: Wenn es um Geburten geht, sind die Antworten angsteinflößender als die Fragen.

VICE: Was ist das Ekligste, das du bei einer Geburt je gesehen hast?
Anna Homann: Als Hebamme muss man sich darauf einstellen, dass es bei der Geburt oben und unten einfach rauskommt. Es gibt Frauen, die sich mehrfach übergeben, oder welche, die bei der Geburt Durchfall haben. Das passiert, weil die Gebärmutter- und die Darmmuskulatur zusammenhängen: Wenn sich die Gebärmutter zusammenzieht, passiert das Gleiche mit dem Darm – die Frau kriegt Durchfall. Das passiert meistens am Anfang der Geburt und nochmal gegen Ende, wenn das Kind durchs Becken rutscht und den Rest mit rausdrückt. Und wenn das Kind dann draußen ist, kommen auch noch das Fruchtwasser und der Mutterkuchen mit raus, dabei verliert die Frau bis zu 400 Milliliter Blut. Ich finde Geburten aber überhaupt nicht eklig, eher schön.

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Wie viele Mütter bieten dir ein Stück ihrer Plazenta an?
Gar keine, aber ich habe ein kleines Stück meines eigenen Mutterkuchens mit Tiefkühlbeeren und etwas Kokosmilch püriert und als Fruchtshake getrunken. Die Plazenta schmeckt man gar nicht heraus. Man sagt ihr eine gewisse Urkraft nach, sie soll zum Beispiel vor Wochenbettdepressionen und einem hohen Blutverlust schützen. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ein Versuch schadet ja nicht.

Wie eklig ist ein Dammriss?
Wenn der Kopf des Kindes rauskommt, wird der Damm ausgewalzt und so dünn wie Pergamentpapier. Da ist der Spannungsmoment am größten – man nennt das "The Ring of Fire". In dem Moment reißt bei den meisten Frauen die Haut, aber das merkt man genauso wenig wie den Dammschnitt. Erst nach der Geburt wird er medizinisch versorgt und genäht, meistens tut es auch erst dann weh. Dammrisse sind nicht eklig, aber wenn man davor sitzt und sich fragt, welches Teil wo hingehört, ist das schon eine schwierige Aufgabe.

Leiert eine Vagina nach der Geburt aus?
Die bleibt gedehnt – außer wenn du die Muskulatur trainierst, dann wird sie wieder enger. Eigentlich müsstest du so früh wie möglich Kinder kriegen. Je jünger du bist, desto schneller erholt sich dein Körper. Frauen, die fit sind, haben oft schnellere Geburten und generell weniger Schwangerschaftsbeschwerden.

Sollten Männer bei der Geburt hingucken?
Es gibt die unterschiedlichsten Väter: Männer, die alles infrage stellen, was du als Hebamme sagst. Jene, die überbeschützend sind. Aber auch das Gegenteil: In meiner Ausbildung hatte ich ein Paar, wo der Mann dauernd auf die Uhr geguckt hat, weil es ihm nicht schnell genug ging. Der hat seiner Frau nicht einmal die Hand auf die Schulter gelegt. Und es gab einen, der für die Geburt aus dem Raum ging und erst wieder reinkam, als das Kind da war. Manche Paare klären auch untereinander ab, dass der Mann nicht gucken darf. Im Schwall der Emotionen passiert es aber oft, dass Hebammen "Guck mal!" rufen und der Mann doch hinschaut. Hebammen sind ein bisschen wie die Stewardessen im Flugzeug. Wenn die Frauen richtig abgehen und rumschreien, gehen die ängstlichen Blicke der Männer meistens Richtung Hebamme. Und wenn der ängstliche Blick fragt, ob das so alles normal ist und die Hebamme ruhig nickt, sind die Kerle auch meistens beruhigt.

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Bereuen manche Eltern ihr Kind?
Das habe ich noch nicht erlebt, aber ich habe ein Paar betreut, wo die Frau bei der Geburt große Schmerzen hatte. Der Mann hat es kaum ausgehalten, dass es seiner Partnerin so schlecht ging und er ihr nicht helfen konnte. Als das Kind da war, wollte er es erstmal nicht halten, weil er das Gefühl hatte, dass es der Grund für die vielen Schmerzen seiner Frau war. Das hat sich danach aber geändert: In der Wochenbettbetreuung hat er mir gesagt, dass die Geburt den Wert eines Lebens für ihn unglaublich angehoben habe.

Welche Eltern sollten keine Kinder kriegen?
Ich habe schon mal mit dem Jugendamt zusammengearbeitet. Das Amt sucht teilweise Hebammen, die Familien nach der Geburt betreuen. Das ist manchmal schon krass und ganz anders, als ich es bei den meisten Klienten gewohnt bin: Die Wohnungen sind eher dreckig, der Fernseher läuft, ein Katzenklo stinkt und die Kinder bekommen mit sieben Monaten Fruchtzwerge statt Muttermilch. Einmal musste ich aber auch selbst das Jugendamt rufen: Bei der Familie war alles verdreckt, auf einer alten Matratze im Wohnzimmer lag ein älteres Kind, das eine Behinderung hatte und nicht richtig versorgt wurde. Ich weiß aber nicht, wie der Fall dann ausging.

Wie reagieren Paare, die wissen, dass ihr Kind eine Behinderung haben wird?
Wenn man nicht im Krankenhaus arbeitet, hat man als Hebamme eigentlich gar nichts mit betroffenen Familien zu tun: Kinder, die eine schwere Behinderung haben, werden eher im Krankenhaus und von Ärzten betreut als in der Hebammenpraxis. Und Eltern, die zum Beispiel ein Kind mit Down-Syndrom bekommen, suchen sich meist spezialisierte Netzwerke und Familiengruppen. Trotzdem haben sie natürlich genauso Anspruch auf eine Hebamme wie andere Eltern auch. In meiner Ausbildung gab es ein Paar, das herausgefunden hatte, dass das Kind das Down-Syndrom haben würde. Im fünften Monat wollten die Eltern es nicht mehr haben. Als es viel zu früh geboren wurde, wollten die Eltern es nicht sehen. Es ist dann im Vorraum gestorben.

Wie gehst du damit um, wenn du ein totes Kind zur Welt bringen musst?
Am schlimmsten ist es, wenn die Schwangerschaft schon sehr weit fortgeschritten ist und das Kind im Mutterleib verstirbt. Die Paare zu begleiten, ist sehr schwierig. Das ist der psychologische Aspekt meines Berufs. Ich betreue Paare auch, wenn ihr Baby gestorben ist, und muss im Wochenbett dann darauf achten, dass sich alles zurückbildet, mache Übungen und passe auf, dass die Frau keinen Milcheinschuss bekommt. Manchmal höre ich auch einfach nur zu.

Was ist der dümmste Fehler, den Paare nach der Geburt in der Beziehung machen?
Es sind immer die gleichen Themen: Wer hält am längsten durch, wer ist am wenigsten fertig? Es fällt vielen Paaren schwer, sich die Arbeit zu teilen. Im klassischen Rollenbild gehen die Männer nach der Geburt wieder arbeiten, und die Frau ist frustriert, dass alles an ihr hängen bleibt. Ich bin mittlerweile im Wochenbett etwas strenger und sage den Müttern, dass sie ruhig auch mal Milch abpumpen und sich Zeit für sich nehmen sollen. Eine Klientin wollte nach fünf Wochen unbedingt in eine Bar, um einen Gin Tonic zu trinken und eine Zigarette zu rauchen. Ich konnte das total verstehen, dass sie nach der Geburt und dem Wochenbett mal ihren Freiraum brauchte. Wir haben das dann genau organisiert und durchgeplant.

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