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Sex

Ich habe versucht, durch Hypnose einen Orgasmus zu bekommen

"Ich werde jetzt deinen Geist ficken", sagt sie, und ihre Stimme wird fordernder: "Ja, ich werde deinen Geist ficken."
Collage bestehend aus: Frau: imago | CHROMORANGE; Hintergrund: Alex Borland | CC0 1.0

Wenn Menschen im Fernsehen mit Hilfe von Hypnose ihre schlimmsten Ängste überwunden haben, fand ich das schon immer faszinierend. Leider wurde ich bisher nie zu einem Fernsehexperiment eingeladen und hatte auch sonst keine Gelegenheit dazu, mich hypnotisieren zu lassen. Als ich im Internet auf einen Shop für erotische Hypnose-Hörbücher stieß, die Zuhörer zu Hause in Trance fallen und zum Orgasmus führen sollen, schien es wie eine perfekte Chance, mich endlich in mein Unterbewusstsein zu stürzen und kostengünstig meine Hypnose-Jungfräulichkeit zu verlieren. Der Orgasmus ohne Anfassen war dabei quasi nur die (auf keinen Fall zu vernachlässigende) Kirsche on top. Und, glaubt man den begeisterten Bewertungen anderer Nutzer, sogar eine ziemlich gute Orgasmus-Erfahrung.

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Als ich mich an diesem Nachmittag in Jeans und T-Shirt und mit meinem Laptop auf mein Bett lege, bin ich deswegen ziemlich aufgeregt. Normalerweise kann ich mich im Bett ganz einfach fallen lassen – egal, ob ich den Typen gut kenne oder nie wiedersehe. Bei der Hypnose komplett die Kontrolle über meinen Körper abzugeben, fällt mir trotzdem schwer. Einen Orgasmus zu haben, nur weil die Stimme aus den Lautsprechern es mir befiehlt, erfüllt mich gleichermaßen mit Spannung und Unbehagen. Ich klemme mir ein zweites Kissen unter den Nacken und öffne die Audio-Datei, die man im Shop Erotische Hypnose für 30 Euro kaufen und dann runterladen kann. Die Stimme, die zu mir spricht, klingt dabei genauso, wie man sich die Stimme eines Orgasmus-Hörbuchs vorstellen würde: sanft, klischeehaft sexy und etwas säuselnd. "Hallo mein Engel", sagt sie, "ich möchte mich deinem Orgasmus widmen." Die Stimme ist beruhigend, aber ich stehe eigentlich weder auf Frauen noch darauf, dass man mich mit kitschigen Kosenamen anspricht. Allerdings verspricht das Hörbuch einen Orgasmus der Extraklasse – egal, welche sexuelle Neigung der Zuhörer hat – und ich beschließe, ihm eine Chance zu geben.

Die Frau hinter der Stimme nennt sich Lady Tara und setzt hauptberuflich Leute in Trance, damit sie weniger essen oder rauchen. 2012 hat sie den Online-Shop Erotische Hypnose mitgegründet, wo sie Hörbücher verkauft, die No More Porn oder Geil durch Hypnose heißen und die Zuhörer auf diverse mentale Sex-Reisen mitnehmen sollen. Eine der Sequenzen installiert in ihnen zum Beispiel das Gefühl, dass sich jedes Mal ein (fiktiver) Analplug in ihnen aufbläst, wenn sie eine bestimmte Trigger-Wortfolge hören. Eine andere lässt Penisse erschlaffen, sobald ihre Träger eine Vulva sehen. (Warum auch immer.)

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Mit dem Fahrstuhl fahren wir in mein Unterbewusstsein

Kann ein Hörbuch Menschen tatsächlich ein Codewort einpflanzen und sie dazu bringen, jedes Mal Lust auf Sex zu haben, wenn sie es hören? Ich bin skeptisch. Aber wenn das wirklich funktioniert: Muss ich dann jedes Mal unkontrolliert aufstöhnen, wenn im Redaktionsmeeting oder der U-Bahn jemand mein Codewort droppt? Ich versuche es erstmal mit Sex-Hypnose light. Sie dauert 40 Minuten und soll weder zu einer Vorliebe für monströse Anal-Dildos noch zu einem Verlust meiner Libido führen. Sie verspricht nichts Geringeres als den Orgasmus meines Lebens – ohne dass ich dafür selbst Hand anlegen muss.


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Lady Tara raunt mir zu, dass sie mich tief in mein Unterbewusstsein führen und in Trance legen wird, damit sie mich Schritt für Schritt zum Höhepunkt bringen kann. Dafür soll ich mich so weit ausziehen, wie es für mich bequem ist, mein Handy ausschalten und alle Lärmquellen aus meinem Umfeld entfernen. Ich ziehe mir mein Oberteil über den Kopf, streife meine Jeans von den Beinen und entscheide, dass meine Katze im Zimmer bleiben darf – eine Hypnose unter dem beleidigten Miauen einer ausgesperrten Katze würde niemals funktionieren.

Dann legt Lady Tara mich schrittweise in den Schlaf: Erst zählt sie von 25 bis 0 und lässt meinen Körper in seinen Einzelteilen "ganz, ganz schwer" werden, das wiederholt sie bei jeder Zahl und jedem Körperteil. Meine Beine werden tatsächlich schwer, meine Atmung leichter. Vielleicht fängt die Hypnose schon an zu wirken. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich in der Nacht davor knapp sechs Stunden geschlafen habe und die Lady so repetitiv und einschläfernd vorträgt. Wider Erwarten falle ich aber nicht – wie sonst bei jedem Hörbuch dieser Welt – nach fünf Minuten in einen tiefen Schlaf, sondern konzentriere mich darauf, wie Lady Tara mich in einem imaginären Fahrstuhl zehn Stockwerke tief in die untersten Schichten meines Bewusstseins führt. Das langsame Abzählen macht mich etwas ungeduldig, aber meine Erwartungen an Tara sind hoch, schon allein deshalb, weil ich am nächsten Tag über den Orgasmus schreiben will. Was, wenn es nicht funktioniert? Es muss funktionieren. Nicht die beste Voraussetzung, wenn du dich eigentlich gehen lassen willst.

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Langsam fängt Lady Tara an, ihren Monolog Richtung Sex zu lenken. Aus dem Fahrstuhl laufen wir in einen Raum, in dessen Mitte eine Tafel steht. Auf der Tafel sind Zeichen und Bilder, die meine letzten Gedanken repräsentieren (meinen Erwartungen zufolge sieht die Tafel aus wie ein Kamasutra-Buch), ich soll sie nun abwischen und mein Bewusstsein reinigen. Nun soll ich an eine sexuelle Fantasie denken oder etwas, das mir Lust auf Sex macht. Ich wische also erst die Gedanken an die Kamasutra-Figuren weg, dann die an meinen Arbeitsauftrag und denke stattdessen an meinen letzten Sex zurück.

An die genaue Abfolge der nächsten Schritte kann ich mich nicht mehr erinnern. Irgendwann befiehlt Lady Tara, dass ich für sie schlafen soll. Ich bleibe wach, versuche aber, mich auf die Hypnose einzulassen. Gleichzeitig bin ich mir nicht sicher, ob ich schon in Trance liege. Es fühlt sich ein bisschen an wie nach dem ersten Mal Kiffen: War's das jetzt? Ist das DAS Gefühl? Nach meiner Hörbuch-Hypnose erkundige ich mich darüber, wie Menschen den Trance-Zustand erfahren – und ob sie dabei wirklich in einen tiefen Schlaf fallen. "Der Trance-Zustand fühlt sich je nach Tiefe unterschiedlich an", schreibt Psychotherapeutin Dunja Voos in einem Artikel, "man kann mit offenen Augen träumen und dabei in einer leichten Trance sein." Es könne vorkommen, dass die Glieder schwer werden, aber in einen narkose-ähnlichen Zustand fallen Hypnotisierte nicht, so Voos: "Hypnose ist nicht Schlaf."

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Die Hypnose funktioniert und ich habe Lust auf Sex

Lady Tara will mich nun "geil werden lassen". Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich an Sex denken muss oder ob sie mich wirklich hypnotisiert hat, aber: Ich hebe mein Becken etwas an und habe tatsächlich Lust auf Sex. Die wird von Tara aber schnell wieder gesprengt: "Ich werde jetzt deinen Geist ficken", sagt sie, und ihre Stimme wird fordernder: "Ja, ich werde deinen Geist ficken." Ich muss an einen Bushido-Disstrack denken und lache laut los. Tara, du Schlingel, deine Direktheit treibt mir die Schamesröte ins Gesicht! Vor allem aber törnt sie mich komplett ab.

Sie versucht, meine Sexlust wiederzugewinnen ("Du genießt es, wie meine Stimme dich fickt"), aber es ist zu spät. Meine Gedanken drehen sich um meine Kollegen von der Arbeit, die unbeantworteten Nachrichten, die auf meinem Handy warten, und Bushido, wie er Mütter und meinen Geist ficken will. Als Lady Tara den Orgasmus einleitet und mantrisch "Komm für mich!" ruft, springt mir meine Katze auf die Brust und fängt an, sich mit kratzender Zunge die Pfoten zu lecken. Ich hätte auf Lady Tara hören sollen, als sie sagte, dass ich mögliche Störfaktoren aus dem Zimmer verbannen soll. Die Hypnose liege ich noch aus, aber den Orgasmus kann ich vergessen.

Als Lady Tara mir befiehlt, die Augen zu öffnen, freue mich fast ein bisschen, dass es vorbei ist. Ich bin etwas enttäuscht, dass der magische Trance-Orgasmus nicht eingetreten ist. Trotzdem fühle ich mich nach der Dreiviertelstunde Sex-Hörbuch entspannt und energiegeladen. Vielleicht sollte ich mich öfters aus dem Alltag zurückziehen, alle Nachrichten ignorieren und Atemübungen machen – auch wenn ich davon keinen Orgasmus bekomme. Mit Lady Tara werde ich es trotzdem nochmal versuchen – denn beim ersten Mal, nervös und mit hohen Erwartungen, klappt es mit dem Höhepunkt eh nicht immer sofort. Das habe ich schon damals in der Bravo gelernt.

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