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Verbrechen

Fragen, die die Entführung eines vietnamesischen Geschäftsmanns in Berlin aufwirft

Wie schmuggelt man einen Menschen von Berlin nach Vietnam? Warum verschleppt die vietnamesische Regierung Spaziergänger aus dem Tiergarten? Und wer rettet ihn jetzt?
Foto: imago | Steinach

Stell dir vor, du chillst an einem Sonntag im Park und landest mitten in einem Politthriller. Was am 23. Juli im Berliner Tiergarten passiert ist, entwickelt sich gerade zu einer interkontinentalen Krise. Bewaffnete zerrten einen Mann und eine Frau um 10:40 Uhr in ihr Auto und fuhren mit ihnen davon, so berichteten Zeugen. Eine Entführung? Am hellichten Tag, in einer idyllischen Grünanlage voller Enten, Kinderwagen und kiffender Jugendliche?

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Die Staatsanwaltschaft ermittelte, und am Mittwoch bestätigte das Auswärtige Amt: Die vietnamesische Regierung hat tatsächlich zwei Menschen aus dem Tiergarten verschleppt. Es handelt sich um den in Ungnade gefallenen Geschäftsmann Trinh Xuan Thanh und seine Begleitung. "Die Entführung des vietnamesischen Staatsangehörigen Trinh Xuan Thanh auf deutschem Boden ist ein präzedenzloser und eklatanter Verstoß gegen deutsches Recht und gegen das Völkerrecht", so das Außenministerium in einer Stellungnahme.

Die vietnamesische Regierung will von einer Entführung nichts wissen. Der 51-Jährige habe sich in Hanoi selbst der Polizei gestellt, schrieb die vietnamesische Staatspresse am Montag. Die Umstände der Entführung sind verworren, die Täter unbekannt, die Route schwer nachvollziehbar: Wie schafft man zwei Menschen unbemerkt von Berlin nach Vietnam? Was wir wissen, und wo wir Fragen haben:


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Wer ist eigentlich dieser Typ?

Trinh Xuan Thanh ist ein vietnamesischer Geschäftsmann und Ex-Funktionär der Kommunistischen Partei, er saß außerdem im Parlament. Nach seinem Studium kam er Anfang der 90er Jahre nach Deutschland und beantragte Asyl. Aus bisher nicht bekannten Gründen ging er trotzdem zurück nach Vietnam. Dort machte er Karriere und viel Geld: als Vorstand der Tochterfirma eines vietnamesischen Gas- und Ölkonzerns.

Im September 2016 verlor er allerdings seine Posten im Parlament und im Unternehmensvorstand, musste Prämien zurückzahlen und wurde aus der Partei ausgeschlossen – laut vietnamesischen Medienberichten soll er korrupt gewesen sein. Die Regierung stellte einen Haftbefehl aus, aber Trinh Xuan Thanh war verschwunden. Nun kam heraus: Er war nach Deutschland geflüchtet und hatte erneut Asyl beantragt. Am 24. Juli sollte er sich eigentlich vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorstellen. Da hatten ihn seine Entführer aber schon eingesackt.

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Warum findet ihn die vietnamesische Regierung so scheiße?

Warum genau die Regierung so sauer auf Trinh ist, dass sie ihn auf diese Art zurückholte, ist nicht so einfach zu erklären. Der Ex-Politiker soll einigen Mist gebaut und sich mit den falschen Leuten angelegt haben. Wie die taz berichtet, wurden die Ermittlungen aufgenommen, als Trinh Xuan Thanh mit seinem Regierungswagen privat unterwegs war. Dann sei herausgekommen, dass er Gelder in Millionenhöhe unterschlagen habe. In Vietnam könnte er dafür die Todesstrafe erhalten.

Trinh selbst hatte eine andere Erklärung dafür, dass die Regierung ihn in Ungnade fallen ließ: Einem Blogger sagte er, dass er der Kopf einer regierungskritischen Gruppierung sei und in Kürze Insiderinfos über das vietnamesische Regierungssystem veröffentlichen wolle. In der Sozialistischen Republik Vietnam regiert seit 1976 die Kommunistische Partei. Gegenwärtig streiten sich wirtschaftliche Reformer und Marxisten allerdings um den Erhalt des Sozialismus. Trinh gehörte dabei zu den wirtschaftsorientierten Mitgliedern der Kommunistischen Partei.

Wie kam der Entführte unbemerkt aus dem Tiergarten nach Vietnam?

Das weiß bisher niemand. Weil der Wagen der Entführer ein tschechisches Kennzeichen hatte, wird vermutet, dass Thanh über Osteuropa nach Vietnam gebracht wurde. Mit seinem Diplomatenpass könne er außerdem überall legal ein- und ausreisen, erklärte seine Anwältin Petra Schlagenhauf der taz gegenüber.

Trinh Xuan Thanh befinde sich mit absoluter Sicherheit in Hanoi, so seine Verteidigerin weiter. Seine Begleitung liege dort mit gebrochenem Arm und unter polizeilicher Überwachung im Krankenhaus. Wer die Frau ist, konnte Schlagenhauf nicht sagen. Vietnamesischen Medien zufolge soll sie Trinh politisch nahestehen, andere sehen in ihr einen Lockvogel des Geheimdienstes.

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Ist die Bundesregierung cool damit?

Nein. Im Gegenteil: Das Auswärtige Amt ist sauer. So sauer, dass es auf Twitter eine offizielle Stellungnahme postete. Dort hieß es, die Entführung sei ein "extremer Vertrauensbruch". Dem geht eine kurze Episode am Rande des G20-Gipfels voran: Vertreter der vietnamesischen Regierung hatten sich erkundigt, ob Deutschland Trinh Xuan Thanh möglicherweise ausliefern würde. Es wurde diskutiert, ob Trinh "rechtsstaatlich" ausgeliefert werden könne. Am Ende hat Vietnam die Entscheidung offensichtlich selbst in die Hand genommen.

Die Bundesregierung zog drastische Konsequenzen: Nachdem das Auswärtige Amt ein Ultimatum gestellt hat und der Entführte auch am Mittwochmittag, zum Ende der Frist, noch nicht wieder in Deutschland aufgetaucht war, wurde der Vertreter des vietnamesischen Nachrichtendienstes ausgewiesen. Man erklärte ihn "in aller Klarheit und Deutlichkeit" zur Persona non grata und gab ihm 48 Stunden Zeit, die Bundesrepublik zu verlassen. In der Diplomatie ist das eine der drastischsten Formen, ein anderes Land zu kritisieren.

Wer rettet Trinh Xuan Thanh jetzt aus den Fängen der vietnamesischen Regierung?

Die Bundesregierung hält von den Kamikaze-Vorgängen der vietnamesischen Regierung offensichtlich wenig und setzt alles daran, die Sache rechtmäßig über die Bühne zu bringen. Trinh Xuan Thanh soll unverzüglich zurückgebracht werden, damit sein Asylantrag und eine mögliche Auslieferung ordentlich geprüft werden können. (Ob die Frau auch "gerettet" werden soll, ist nicht bekannt.)

"Wir behalten uns außerdem vor, gegebenenfalls weitere Konsequenzen auf politischer, wirtschaftlicher sowie entwicklungspolitischer Ebene zu ziehen", hieß es am Mittwoch in der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes. Der Fall habe das Potenzial, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nachhaltig zu stören.

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