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Rechtsexremismus

Rechte Rache für einen Kriegsverbrecher

In Kroatien versuchen "Identitäre" und andere Rechtsextreme, die Facebook-Seiten von Medien und antifaschistischen Organisationen sperren zu lassen. Der Grund: Sie berichten kritisch über einen Kriegsverbrecher.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Balkanstories.net.

Am 29. November nahm sich der bosnisch-kroatische Kriegsverbrecher Slobodan Praljak im Gerichtssaal vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vor laufenden Kameras das Leben. Für viele Kroaten ging er als Märtyrer und unterstütze mit seinem Suizid die Meinung vieler seiner Landsleute, das Gericht in Den Haag sei ein "politisches Gericht". Er akzeptiere sein Urteil nicht, sagte er noch, bevor er das Gift nahm, das wenig später zu seinem Tod führte.

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Sogar Regierungschef Andrej Plenković erklärte, das Urteil sei für Kroatien "inakzeptabel". Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović lobte Praljaks Rolle und dessen "Errungenschaften" im Krieg. Was die Rolle Praljaks während des Kriegs in Bosnien-Herzegowine war: Praljak soll gewusst haben, dass Mitglieder der muslimischen Bevölkerung in Mostar getötet wurden und diese Morde begünstigt haben.

In den vergangenen Tagen fuhren sogenannte "Identitäre" und andere rechtsextreme Gruppierungen eine für das Land beispiellose Social-Media-Kampagne gegen kroatische Medien und antifaschistische Organisationen.

Nun geraten antifaschistische Organisationen und unabhängige Medien on Kroatien immer mehr unter Druck. In den vergangenen Tagen fuhren sogenannte "Identitäre" und andere rechtsextreme Gruppierungen eine für das Land beispiellose Social-Media-Kampagne gegen sie: Es hagelte Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, Facebook-Seiten antifaschistischer Organisationen wurden wegen konzentrierter Aktionen der Rechtsextremen teils tagelang gesperrt.

Die klar antifaschistische Zeitung Novosti kam mit einem blauen Auge davon. Mit knapper Not verhinderte das Medium, das der serbischen Minderheit nahesteht, dass sein Facebook-Auftritt gesperrt wurde. "Identitäre" und Neofaschisten hatten in einer konzertierten Aktion bei Facebook gemeldet, Novosti verstoße gegen Gemeinschaftsstandards.

Die Zeitung entlarvte unter anderem im Vorjahr die Vergangenheit des damaligen Kulturministers Zlatko Hasanbegović in der Neo-Ustaša-Bewegung der 1990er. Regelmäßig berichtet sie über faschistische Umtriebe in Kroatien und dokumentiert diese mit Fotos von Ustaša-Symbolen und Hakenkreuzen, die bei Aufmärschen verwendet werden.

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Die Zeitung entlarvte unter anderem im Vorjahr die Vergangenheit des damaligen Kulturministers Zlatko Hasanbegović in der Neo-Ustaša-Bewegung der 1990er.

Damit bewerbe Novosti Extremismus, behauptete die Aktivisten von mindestens zwei neofaschistischen Gruppierungen: Der Urbana Desnica (Urbane Rechte, UD) und der kleinen Rechtsaußenpartei Generacija Obnove (GO).

Die Beschäftigten von Novosti hatten weniger Glück: Auch sie waren Opfer der offenbar konzertierten Aktion geworden. "Mein Facebook-Konto wurde drei Tage lang gesperrt“, sagt eine Redakteurin gegenüber VICE.

Weniger Glück hatte auch das renommierte unabhängige Nachrichtenportal Lupiga aus Zagreb. Lupigas Facebook-Auftritt war den ganzen Dienstag über gesperrt (siehe Bild). Der Sperre waren zahlreiche Beschwerden vorangegangen, dass Lupigas Facebook-Seite Ustaša-Symbole zeige, wie die Redaktion gegenüber VICE bestätigt.

Lupiga ist seit Jahren Ziel der Rechten. Das Portal berichtet kritisch über nationalistische Umtriebe in allen Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Es veröffentlichte auch einen Aufruf von Linguisten und Literaten, die die Existenz einer gemeinsamen Sprache für Serben, Kroaten, Bosnier und Montenegriner postulierte. Die Standardidiome der Nachfolgestaaten werden vor allem in Kroatien und Montenegro zu eigenständigen Sprachen erklärt. Die Sprachpolitik ist Teil einer revisionistischen Kulturpolitik, die ein scharf abgegrenztes nationales Erbe in geschlossenen Kulturräumen konstruieren will.

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Vor wenigen Tagen erschien auf Lupiga ein Bericht, dass Unbekannte Teilnehmer einer Gedenkkundgebung für gefallene Partisanen in Mostar bedroht hatten. Auch das brachte vermutlich keine Sympathiepunkte bei Neofaschisten.

Auch die Berichterstattung im Fall Praljak war ausgiebig. Das Internationale Strafgericht gegen Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien hatte seine Verurteilung zu 20 Jahren Haft unter anderem wegen Massenmordes an Zivilisten bestätigt.

Der Kriegsverbrecher Slobodan Praljak gilt innerhalb der kroatischen Rechten als nationaler Märtyrer.

Dieser Fall ist es auch, der die jüngste Kampagne gegen unabhängige Medien und antifaschistische Gruppierungen auslöste. Denn Praljak gilt innerhalb der kroatischen Rechten als nationaler Märtyrer. Medien wie Lupiga und Novosti hatten kritisch über ihn berichtet – und über die Kundgebungen und katholischen Messen der vergangenen Tage, die den Kriegsverbrecher zum Märtyrer stilisierten.

Mehrere Journalisten in Kroatien und Bosnien erhielten via Social Media auch Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Etwa Sanel Kajan (Al Jazeera) and Štefica Galić (tacno.net). Betroffen waren auch Mitarbeiter der Seite index.hr, berichtet der OSCE-Vertreter für Medienfreiheit, Harlem Désir. Désir fordert, dass kroatische und bosnische Behörden umgehend aktiv werden.

Unter Druck sind seit dem Wochenende auch antifaschistische Seiten wie die Antifa Šibenik aus Dalmatien und Antifašistički Vjesnik aus Zagreb. Die Facebook-Seiten beider Organisationen waren teils tagelang gesperrt, ebenso die Accounts mehrerer Mitglieder. Den Sperren waren wie im Fall der kritischen Medien Novosti und Lupiga massenweise Meldungen wegen angeblicher Verstöße gegen die Gemeinschaftsstandards vorausgegangen.

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Interne Diskussionen auf den Facebook-Seiten und Twitter-Accounts von Urbana Desnica und Generacija Obnove belegen, dass es eine konzertierte Aktion war, berichtet das Portal Balkanist.

Das zeigen auch Screenshots wie dieser, die VICE vorliegen.

"Die Rechnung (ist präsentiert)", schreibt Aktivistin Dubravka Guberac. "Antifa Zagreb wurde heute gelöscht". Sollte die Seite wieder online gehen, solle man Screenshots machen und sie wieder melden, heißt es weiter. Userin Anita Petrović, offenbar ebenfalls Aktivistin, fasst in der Antwort bereits das nächste Ziel ins Auge: "Ich bin nicht umsonst online, gehen wir (auf) die Radnička fronta (los)." Radnička fronta (Arbeiterfront) ist eine linke kroatische Partei. Userin Ksenija zeigt sich angetan: "Gott sei Dank, ich habe mein Bestes gegeben, wenn meine Freundinnen Facebook blockieren."

Laut Balkanist stellte die Partei die Seite inaktiv, bevor sie gesperrt werden konnte. Die gleiche Vorgangsweise habe die Organisation Mreža Antifašistkinja Zagreb gewählt. Angriffe auf weitere antifaschistische Seiten, die neofaschistische Aktivisten für Mittwoch geplant hatten, scheiterten. Screenshots belegen, dass UD und GO ihre Mitglieder zu weiteren Beschwerdeweillen aufgefordert hatten.

Offenbar hatte Facebook nach massiven Beschwerden gegen dieses Vorgehen erkannt, dass es sich um eine politisch motivierte Racheaktion handelte. Dennoch: Die Kampagne war eine der größten gegen freie Medien und Antifaschisten in Kroatien seit Jahren.

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Die Kampagne war eine der größten gegen freie Medien und Antifaschisten in Kroatien seit Jahren.

Seitdem die klerikalnationalistische Kroatische Demokratische Union (HDZ) zurück an die Macht gewählt wurde, hat sich das Klima in dem EU-Mitgliedsland deutlich verschlechtert: Neofaschistische und rechtsextreme Gruppierungen treten immer offener auf. Faschistische Symbole, in Kroatien verboten, werden kaum mehr versteckt.

Der "kroatische Gruß", der aussieht wie der Hitlergruß, wird von rechtsradikalen Fans bei Fußballspielen offen gezeigt. Konsequenzen gibt es meistens keine.


Mitarbeit: Ana Benačić und Una Hajdari

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