Dieser deutsche Pfarrer will alle Drogen legalisieren
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Drogen

Dieser deutsche Pfarrer will alle Drogen legalisieren

Und er glaubt, dass Gott das auch so sieht.

"Die Prohibition hat versagt und wir brauchen einen Wandel in der Drogenpolitik", sagt Michael Kleim. Der 60-Jährige sitzt an einem massiven Holzschreibtisch in seinem Büro. Statt einem weiten Talar trägt er Hemd und Cordhose. "Das wäre eine Zweckentfremdung außerhalb des Gottesdienst", sagt er: "Wir reden heute ja über Drogen." Kleim ist seit 1992 Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde im thüringischen Gera. Und fast doppelt so lange kämpft er schon für die Drogenfreiheit.

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Als junger Mann gehörte Kleim zur Tramperszene in der DDR. "Kokain, Heroin oder Cannabis gab es bei uns nicht", erzählt er, während er an seinem Früchtetee nippt. "Also wurde bei den ostdeutschen Subkulturen mit Psychopharmaka, Lösungsmitteln oder Naturdrogen wie Fliegenpilzen experimentiert."

Er suchte in der Religion nach Spiritualität, ließ sich mit 22 Jahren taufen und studierte Theologie in Naumburg. Die Prohibition und ihre Folgen ließen ihn aber bis heute nie los.

VICE: Herr Kleim, wie findet Gott Drogen?
Michael Kleim: Es gibt einen schönen Satz in der Bibel: "Gott schuf den Wein, dass er das Menschenherz erfreue." Gott schuf auf der Erde alles Leben in seiner Vielfalt und Schönheit – und eben auch viele Pflanzen, die die Wahrnehmung der Menschen verändern, wenn sie konsumiert werden. Er hat diese Substanzen erschaffen, damit wir sie nutzen können, und er hat uns Mündigkeit sowie Selbstverantwortung gegeben. Der Mensch entscheidet selbst, ob er diese Substanzen gebraucht oder missbraucht.

Sie – und Gott – würden also von Cannabis bis Kokain alle Drogen erlauben?
Ja, denn der Staat nimmt sich einfach das Recht heraus zu entscheiden, welche Drogen die Bürger nehmen dürfen und welche nicht. Das gilt für alle Drogen. Die Prohibition ist selektiv und eine willkürliche Auswahl. Hanf ist verboten, Alkohol ist erlaubt. Kokain ist verboten, Kaffee ist erlaubt. Vor 500 Jahren hat der Staat dasselbe bei Religion gemacht: Er hat vorgeschrieben, was die Untertanen zu glauben haben oder nicht – sonst wurden sie strafrechtlich verfolgt. Kann man ein Ende der Prohibition also mit der Errungenschaft der Religionsfreiheit vergleichen?
Die Religionsfreiheit ist eine Errungenschaft unserer modernen Zivilisation, die wir verteidigen müssen. Und genauso, wie sich der Staat bei der Religion heraushalten muss – sofern diese nicht demokratiegefährdend ist –, muss er es auch bei den Drogen tun. Die Drogenfreiheit ist eine moralische Frage, die man den mündigen Bürger selbst beantworten lassen kann. Bis 1968 war auch Homosexualität verboten und heute wissen wir, dass die sexuelle Selbstbestimmung ein elementares Grundrecht ist – und wir die Menschen eher schützen müssen, statt zu bestrafen. Der Staat hat nicht das Recht, eine moralische Norm mit dem Strafrecht durchzusetzen. Der Staat hat aber natürlich dafür zu sorgen, eine Verteilung zu regeln, wie auch den Jugend- und Gesundheitsschutz zu wahren. Das geschieht ja eben unter der Prohibition nicht – weil die Drogen nicht kontrolliert werden.

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Die einzigen Drogen, die er nimmt, seien Alkohol und Kaffee, sagt Michael Kleim

Wie soll so eine völlige Drogenfreiheit in der Praxis aussehen?
Wir können den ökonomisch attraktiven Schwarzmarkt nur mit einem regulierten staatlichen Markt brechen. Ich bin nicht dafür, dass die Drogen im Supermarkt verkauft werden. Es geht mir nicht um den freien Markt, wie Milton Friedman ihn auch bei Drogen wollte. Ich will nicht den unkontrollierten Schwarzmarkt durch einen unkontrollierten legalen Markt ersetzen.

Sondern?
Es gibt Non-Profit-Club-Modelle, die ich sehr realistisch finde. Dort können Volljährige Mitglied werden und der Konsumentenschutz ist durch eine kompetente Begleitung von Fachleuten oder Medizinern gewährleistet. Diese Verkaufsstellen müssten auch einen engen Kontakt zu Hilfs- und Beratungsstellen haben. Manche Substanzen dürften etwa nur im medizinischen Setting vergeben werden, so wie rezeptpflichtige Medikamente. Der Dealer – ob im Laden oder auf dem Schwarzmarkt – hat nie ein Interesse daran, dass der Junkie aufhören will. Ein Arzt kann ihm immer helfen, wenn er aufhören will, denn der hat keinen Profitgedanken.

Für manche Drogen gäbe es also höhere Hürden als für andere. Wo machen Sie den Strich? Und würden Sie nicht mit jeder Beschränkung die von Ihnen geforderte "Drogenfreiheit" aushöhlen?
Sicherlich, die Hürden dürfen nicht so hoch sein, dass der Konsument wieder den Schwarzmarkt vorzieht. Ich bin da wie viele Politiker kein Experte – es bräuchte ein Fachgremium aus Suchtberatern, Chemikern, Psychologen und Ökonomen, die das analysieren und auch Modellversuche starten.

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Das klingt noch alles sehr vage und utopisch für Deutschland. Gäbe es Modelle, die schneller umzusetzen sind?
Die Entkriminalisierung aller Drogenkonsumenten wäre sofort umsetzbar – ob bei Cannabis oder Heroin. Diese Menschen sind nicht kriminell, im Höchstfall schaden sie sich selber. Es gibt zwei Arten von Drogenkonsumenten: Entweder man kommt mit Drogen klar, ist sozial stabil genug und kann die Substanz ins eigene Leben integrieren. Warum soll man dann bestraft werden? Oder man kommt nicht klar und hat Probleme. Diese Menschen brauchen aber keine Strafe sondern Hilfe.

Konsumenten, die den Rausch nicht kontrollieren können, können ebenso wie die Beschaffungskriminalität ein Problem für die Mitmenschen sein …
Natürlich: Wer aufgrund seines Drogenmissbrauchs andere Menschen schädigt, der muss für diese konkrete Schädigung dann auch bestraft werden. Aber das ist irre, dass Konsumenten alle bestraft werden, wenn einer was versaut. Um Spielsucht oder Alkoholsucht zu verhindern, bestrafen wir ja auch nicht alle, die spielen oder Alkohol trinken. Das wäre aber die Konsequenz in der Analogie.

"Mit Blick auf die Nächstenliebe würde Gott die Prohibition gar nicht gut finden", sagt Michael Kleim

Hilfe statt Bestrafung – haben Sie diese Erfahrung selbst als Jugendpfarrer gemacht?
Ja, denn Drogen dürfen nicht sofort in die Problem-Ecke geschoben werden. Dafür habe ich zu häufig mit Drogenkonsumenten gesprochen – die finden sich in alle sozialen Schichten wieder. Seelsorger zu sein, heißt zuzuhören und zu verstehen: Ich gebe keine moralischen Antworten, sondern helfe, Antworten zu finden, denn jeder Mensch kann sich nur selbst seine Fragen beantworten. Ich nehme mein Gegenüber ernst – so ernst, dass die Person über ihr eigenes Leben entscheiden kann. Bei diesem Modell setzt auch die kirchliche Suchtarbeit in der Schweiz an: Viele Suchtkranke – nicht jeder – haben eine beschädigte Autonomie, aber sie sind autonome Menschen, die Entscheidungen fällen und Verantwortung übernehmen können. Diese Selbstständigkeit muss gestärkt werden.

Wenn es also nach Gott und der Nächstenliebe geht, müsste die Kirche in Deutschland auch für eine Legalisierung kämpfen. Warum tut sie das nicht?
Das Thema ist in der Kirche hoch umstritten. Es gibt fanatische Prohibitionsbefürworter und Leute, die sich klar gegen die Prohibition stellen. Christen sind nur durch ihren Glauben vereint, aber da gibt es alles von Linken, Grünen und Liberalen bis zu sehr Konservativen. Und wer politisch konservativ ist, befürwortet Prohibition. Die Kirche muss sich nicht zu allen politischen Feldern äußern, aber ich erwarte eigentlich, dass sie sich zu den Menschenrechtsverletzungen und Demokratieverletzungen im Rahmen der Prohibition äußert. Dazu gehören der Drogenkrieg in Südamerika, die Säuberungen auf den Philippinen oder auch Telekommunikationsüberwachung bei deutschen BtMG-Verfahren. Die elementare Richtschnur der Theologie ist die Nächstenliebe, die politische Dimension davon sind die Menschenrechte. Deswegen sollte sich die Kirche gegen die Prohibition einsetzen.

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