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Heteronormativität

Wer immer noch glaubt, es gibt nur Vater, Mutter, Kind, hat keinen Plan

Warum es einfach falsch ist, sich in seiner Tupperwaren-Welt zu verschanzen.
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Vor einem halben Jahr saß ich bei einer alten Freundin in Berlin-Zehlendorf. Sie hat zwei Kinder und ist verheiratet. Es war ein Sonntag. Ein ziemlich kalter sogar. Meine Tochter spielte mit ihren Kindern im Wohnzimmer und wir tranken Tee am Küchentisch. Sie erzählte mir wie jedes Mal, wenn ich sie besuchte – und das seit mittlerweile sechs Jahren –, wie unglücklich sie sei.

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In dieser Ehe mit diesem irren Spinner, dem Idioten, der nicht mal ein Kinderbett zusammenbauen kann, der sie terrorisiert und mit hunderten Textnachrichten terrorisiert, wenn es Streit gibt. Ein Mann, den sie schon seit Jahren nicht mehr liebt. Ich fragte sie, wie jedes Mal, wenn ich sie sah – seit mittlerweile sechs Jahren –, warum sie ihn nicht einfach verlässt und sie antwortete wie immer: "Ich werde doch keine alleinerziehende Mutter. Auf keinen Fall! Und dann diese bemitleidenden Blicke der anderen. Ich bleibe!"

Das Gehen ginge auch gar nicht mehr so einfach, weil sie schon vor Jahren entschieden hat, sich in so einer Art 50er-Jahre-Tupperwaren-Fantasie zu verschanzen. Würde sie ihn verlassen, könnte sie ihren beiden Kindern nicht mal eine Banane kaufen, schließlich bringt ihr Mann das Geld nach Hause und sie, ja, sie, das ist eine gute Frage.


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Nach dem Besuch stieg ich mit meiner Tochter in mein Auto, das ich mir vor Jahren von meinem eigenen Geld gekauft hatte, und fuhr in meine 3-Zimmer-Altbauwohnung in Mitte, deren Miete ich selbstverständlich auch alleine zahlte.

Ich brachte alleine meine Tochter ins Bett, so wie ich es schon seit zwei Jahren tue, also seit ich ihren sehr unfähigen und ziemlich irren Vater verlassen habe. Und als ich irgendwann selbst im Bett lag – extrem erschöpft, wie man es mit Kindern nun mal ist –, schickte mir meine Tupperwaren-Freundin eine SMS: "Du musst auch mal wieder daten. Da kommt schon noch jemand, der endlich Ettas Vater sein kann. Ihr müsst doch eine richtige Familie werden." Und ich dachte nur, was ihr nicht seid, sind wir schon lange. Nämlich glücklich.

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Where is Daddy? versucht aufzuzeigen, dass es mehr gibt als das klassische Familienbild von Mutter-Vater-Kind

Ich dachte an all die anderen Familie, die glücklich waren

Ich dachte auch, wie schrecklich muss es sein, in ihrem Körper und ihrer Welt zu leben, und zu glauben, dass nur eine heteronormative Familie perfekt ist und alles andere falscher, moderner Unsinn. Ich dachte an all die anderen Familien, die ich kenne. Die glücklich sind, egal, in welcher Konstellation sie leben.

Ich dachte an eine queere Sexarbeiterin, die ihre Tochter in einem Co-Parenting-Umfeld großzieht und eine der klügsten Frauen ist, die mir je begegnet sind. Ich dachte an das schwule Pärchen aus Ettas Kita, das Zwillinge durch eine amerikanische Leihmutter bekam, ich dachte aber auch an meine gute Freundin Boussa, die in einer wunderschönen heteronormativen Familie lebt, in der man sich immer zu Hause fühlt und immer willkommen ist, weil sie sich nicht für die ultimative Perfektion halten und andere für miesen Dreck.

In Where is Daddy? findet sich etwa ein schwules Berggazellen-Paar

Ich dachte an all diese glücklichen Familien, die ich kenne, und dann wieder an meine zutiefst unglückliche Tupperwaren-Freundin, die für jeden guten Tag in ihrem Leben kämpfen, schreien und weinen muss, und wie wichtig es gewesen wäre, hätte man ihr schon als kleines Mädchen erklärt, dass Liebe und Glück mehr Wert sind als gesellschaftliche Normen und Vorstellungen. Und dann begann ich zu schreiben.

Von Samenspender-Wölfen und schwulen Gazellen

Ich schrieb dieses Kinderbuch, das von der Löwin Lena und ihrer Tochter Ella handelt, die sich auf die Suche nach Ellas Vater begeben, weil Ella das so wahnsinnig wichtig findet, und dabei die unterschiedlichsten Familienmodelle treffen. Eine Wölfin zum Beispiel, die mithilfe einer Samenspende Zwillinge bekam, Giraffengroßeltern, die sich um ihre Enkel kümmern, ein polyamoröses Vogel-Gespann, schwule Berggazellen, die eine Schildkröte adoptiert haben, lesbische Hyänen, die sich einen Hausmann halten, eine heteronormative Katzenfamilie und noch so viele andere mehr.

Die Löwin Lena und ihrer Tochter Ella begeben sich auf die Suche nach Ellas Vater

Wenn meine Tochter aus dem Kindergarten kommt, dann redet und singt sie von Mama, Papa, Kind. Warum? Weil sie dort natürlich nur Bücher lesen und Lieder singen, die heteronormativ sind. Dabei ist das schon ein sehr progressiver Kindergarten. Aber dennoch.

Ettas Lebenswelt und die vieler anderer Kinder, die in nicht-heteronormativen Familienmodellen leben, wird in den bisherigen Kinderbüchern nicht gespiegelt. Heißt, sie kommen sich anders vor. Vielleicht sogar falsch oder nicht perfekt. So wie meine Tupperwaren-Freundin findet, dass alles außer ihrem heteronormativen Traum schlecht ist.

Um Kinder schon in jungen Jahren für verschiedene Familienbilder zu sensibilisieren, setzt Mirna Funk mit der Illustratorin Maayan Weisstub aktuell das Kinderbuch "Where is Daddy?" per Kickstarter-Kampagne um.

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