Hakenkreuze, Nazi-Tattoos und weiße Vorherrschaft: Das Wikingerfest im polnischen Wolin
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Nazi-Wikinger

Hakenkreuze, Nazi-Tattoos und weiße Vorherrschaft: Das Wikingerfest im polnischen Wolin

Bereits zum 24. Mal verbrüdern sich Neonazi-Wikinger aus ganz Europa auf einem riesigen Festival. Historisch korrekt ist das selten. Aber ein guter Vorwand, mal wieder Hakenkreuze und SS-Totenköpfe zu zeigen.

Ein "Wikinger" macht sich zum Kampf bereit. Gleich geht es zur nächsten "Schlacht" vor dem johlenden Publikum. Nur eines stört die angeblich historisch korrekte Darstellung: Auf das Schild des angeblichen Wikinger-Kämpfers ist ein riesiges Hakenkreuz gemalt. Anderswo auf dem Festgelände im archäologischen Freiluftmuseum Wolin geht inzwischen eine junge Familie zwischen rekonstruierten Hütten spazieren. Die Mutter hat ein kleines Kind an der Hand, der Vater schiebt den Kinderwagen. Es wirkt alles ganz normal. Auf dem weißen T-Shirt des Vaters sind mehrere Hakenkreuze zu sehen.

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Vor einem Zelt wartet inzwischen eine junge Frau in mittelalterlicher Kleidung auf ihren Auftritt. Auf der liebevoll gestickten Standarte prangt ein weißer Adler auf rotem Untergrund. Auf der Brust des Adlers zeigt sich ebenfalls ein weiteres Hakenkreuz.

Die Sonne steigt höher, es ist Anfang August und sehr heiß in Wolin an der polnischen Ostsee. Immer mehr Männer ziehen ihre Shirts aus. Nun werden zahlreiche einschlägige Tätowierungen sichtbar. Darunter SS-Totenköpfe, NS-Runen, Sonnenräder, Aufschriften von "Blut und Ehre" und noch mehr Hakenkreuze. Auch auf offiziellen Bildern auf der Facebook-Seite der Veranstalter sind einschlägige Symbole erkennbar.

"Wolin ist für Neonazis aus ganz Europa eine zentrale Pilgerstätte."

Karl Banghard beobachtet die Situation in Wolin bereits seit Jahren. Er ist Leiter des Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen und hat 2016 die Informationsbroschüre "Nazis im Wolfspelz" über die rechte Wikinger-Szene herausgegeben (die Broschüre könnt ihr hier runterladen). Banghard berichtet, dass auf dem Festival unter anderem Neonazis aus Polen, Deutschland, Russland sowie verschiedenen – vor allem osteuropäischen – Ländern anwesend wären.

Der Aufmarsch der Nazis

In Wolin würden sich auch verschiedene Teile der Nazi-Szene treffen, erzählt der Archäologe. Darunter seien Blood & Honour, Hammerskins, Fans von National Socialist Black Metal (NSBM) oder auch rassenesoterische Gruppen. "Die Neonazis von Blood & Honour könnten in Deutschland ihre Symbole kaum so offen tragen. In Wolin ist das kein Problem", sagt Banghard "Wolin ist für Neonazis aus ganz Europa eine zentrale Pilgerstätte."

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Neben und zwischen den offen auftretenden Neonazis spazieren Massen von ganz normalen Besucherinnen und Besuchern. Rund 30.000 Menschen sollen 2018 gekommen sein, behauptet Agnieszka Gawron Kłosowska, eine der Organisatorinnen. Dazu kämen 2700 aktive TeilnehmerInnen aus 32 Ländern, wie sie auf Facebook schreibt. Viele normale Besucherinnen und Besucher wollen beim 24. "Festival der Slawen und Wikinger" zwischen 3. und 5. August 2018 vor allem etwas über die Geschichte des Mittelalters erfahren. Darunter sind viele Kinder. Vor allem für sie ist das gesamte Festival ein riesiges Abenteuer. Auch die Homepage der Veranstalter zielt auf Kinder als wichtige Zielgruppe.


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So werden etwa "Erlebnisbesichtigungen und Unterricht in Lebendiger Geschichte" angeboten. Das Festival hat dabei einen ganz offiziellen Charakter, es wird sogar auf der offiziellen Seite des polnischen Tourismusverbandes beworben. Dort heißt es, das Fest sei "eine der wichtigsten historisch-archäologischen Veranstaltungen in ganz Mitteleuropa." Für Archäologe Banghard zeigt das, dass dieser seriöse Schein für "Nazis eine gute Möglichkeit ist, um ihre Ideologie als trojanisches Pferd in die Mitte der Gesellschaft zu bringen".

Sogar Geld von öffentlichen Stellen gibt es. Die Ausstellungsstätte wird mit staatlichen Mitteln aus Polen sowie mit Geldern der EU gefördert. Angebote auf der Veranstaltungs-Homepage gibt es auf Polnisch, Deutsch und Englisch. Vor allem für Besucherinnen und Besucher aus Deutschland ist Wolin auch hervorragend gelegen. Bis zur Grenze sind es nur rund 25 Kilometer, bis nach Berlin gerade einmal 200 Kilometer. Kein Wunder also, dass im Publikum auch zahlreiche deutsche Nazis sind, wie an den Aufschriften auf verschiedenen T-Shirts gut erkennbar ist.

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"Blut und Ehre" als Tattoo-Motiv. Bei dem Festival trafen sich auch Vertreter von "Blood & Honour".

Warum sich Nazis in Wolin so wohl fühlen? "Hier in Wolin fühlen wir den Geist unserer Vorfahren. Es ist der beste Platz für Treffen unserer Bewegung. Wir sind alle gegen das moderne System, speziell gegen die Demokratie und das Nigger-liebende System. Wir hassen das Christentum. Wir sehen [Demokratie] als Z.O.G. [Zionist Occupation Government] und jüdische Eroberung."

Die Aussage findet sich in einem Reisebericht des US-Nazi-Fanzines Resistance aus dem Jahr 2001. Laut dem Fanzine soll sie von Igor Górewicz stammen, der rund um das Festival bis heute eine zentrale Bedeutung hat. "Er ist eine Ikone der Szene", erklärt Karl Banghard. Offiziell soll sich Górewicz inzwischen vom Neonazismus distanziert haben, sagt der Wikinger-Experte.

Aus dem Fest kommen Kinder spielerisch mit Neonazi-Ideologie in Berührung.

Der Autor des Berichts im Neonazi-Fanzine zeigt sich in seinem Reisebericht auch von den Möglichkeiten am Festival begeistert: "Die Atmosphäre war ruhig, obwohl die vielen Skinheads sich mit den 'normalen' Menschen vermischten. Viele Leute trugen offen Abzeichen mit nationalsozialistischen Symbolen. Solche Abzeichen waren nicht auf jüngere Personen beschränkt, auch viele ältere Leute trugen sie."

In seinem Wikinger-Kostüm würde Górewicz aussehen, als wäre er "gerade aus einer Zeitmaschine aus einer Ära gestiegen, wo die Starken gedeihen und die Schwachen verenden", beschreibt der Autor seine NS-Ideologie. Als Verantwortlicher für den Bericht wird ein "Kurt Hubert" aufgeführt; vermutlich ein Pseudonym, das sich auf Kurt Hubert Franz beziehen könnte – dem letzten SS-Kommandanten des Konzentrationslagers Treblinka. Er gilt als einer der brutalsten Mörder im gesamten Holocaust.

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Im Nazi-Fanzine spricht "Kurt Hubert" auch mit einem polnischen Rechtsextremen, der die Bedeutung des Festivals für die Szene erklärt. Das Publikum würde das angeblich authentische "heidnische Leben" sehen und "den Geist der früheren Zeiten" fühlen. Worauf der Rechtsextreme hofft: "Vielleicht werden einige am Nachhauseweg darüber nachdenken und ihre eigene Kultur schätzen. Das ist das Ziel dieser Veranstaltungen – ihr Unterbewusstsein wecken, sodass sie über ihre europäischen Wurzeln nachdenken."

An der Situation auf dem Festival hat sich bis heute nichts geändert, wie Archäologe Karl Banghard erklärt: "Wir sehen überall auf dem Festgelände einschlägige neonazistische Symbole. Dabei wird so getan, als wäre das eben die historische Wirklichkeit. So wird Neonazi-Propaganda normalisiert." Die geschichtliche Realität würde das aber in keiner Weise wiedergeben: "Vielleicht gab es bei den Wikingern tatsächlich irgendwo mal ein Hakenkreuz oder ein Sonnenrad. Aber in der Dimension ist das völlig überproportioniert und kompletter Unsinn."

Probleme mit einschlägigen Symbolen gibt es auch auf anderen Wikinger-Festen. So tauchen zum Beispiel bei den Wikingertagen in Schleswig immer wieder einschlägige Symbole auf. 2014 war es beispielsweise ein mutmaßliches Hakenkreuz, 2016 ein Sonnenrad. Auf Mittelalter-Festen in Österreich habe ich auch selbst immer wieder solche Symbole gesehen. Wolin hat für die Szene aber eine ganz besondere Bedeutung: "Wolin steht nicht irgendwo auf der grünen Wiese. Es ist tatsächlich ein wichtiger archäologischer Fundplatz. Damit ist das Festival für die frühmittelalterliche Szene enorm wichtig. Es liefert starke Bilder, es schlägt medial unglaublich ein, es öffnet Emotionen."

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Eine Fahne zeigt einen stilisierten Adler mit Hakenkreuz auf der Brust.

Genau deshalb ist Wolin auch für Neonazis so interessant, meint Banghard. "Wenn etwas in dieser Ausgrabungsstätte präsentiert wird, glauben die Besucherinnen und Besucher, dass die Darstellung historisch korrekt ist. Damit gibt es dann auch für neonazistische Symbole eine breite Akzeptanz." Der Archäologe erklärt, dass über das Thema Wikinger auch ein wichtiger Schulterschluss zwischen den Nazi-Szenen verschiedener Länder geschaffen wird. "Die Rassen-Ideologie der Nazis war natürlich vor allem für Neonazis aus Osteuropa oft ein Hemmschuh. Immerhin wären sie selbst angebliche Untermenschen gewesen. Doch alle können sich darauf einigen, Wikinger zu sein."

Die Möglichkeiten des Wikinger-Themas erkannten die NS-Eliten bereits vor dem Zweiten Weltkrieg. Sie bauten die "Nordische Gesellschaft" auf, die große wissenschaftliche Konferenzen veranstaltete. Unter der ideologischen Klammer der Wikinger-Vergangenheit sollten alle Länder der Nordsee und der Ostsee an das Deutsche Reich gebunden werden. Später machte sich auch die SS das Thema zu nutzen.

Es gab sogar eine eigene SS-Division mit dem Namen Wiking. Sie bestand teilweise aus Freiwilligen aus den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden. Die Division ist für Morde, Kriegsverbrechen und Massenmorde an JüdInnen verantwortlich, auch der spätere KZ-Massenmörder Josef Mengele gehörte ihr an. Der erste Divisionskommandeur, Felix Steiner, soll die Truppe mit den Worten "Heil euch, Wikinger" gegrüßt haben. SS-Mann Steiner soll später auch namensgebend für die rechtsextreme Kleidermarke Thor Steinar geworden sein soll, wie ein deutsches Gericht feststellte.

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Hakenkreuz-Borte um die Hüften einer Besucherin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten ehemalige SS-Männer dann die "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit" (HIAG). Ihr Ziel war die öffentliche Rehabilitierung der Angehörigen der Waffen-SS. Auch Wiking-Kommandeur Steiner soll an der Gründung beteiligt gewesen sein. Mit der HIAG wurde die Wikinger-Ideologie dann sogar für alle ehemaligen SS-Mitglieder zum Bindeglied. Die Zeitung der HIAG bekam den Namen "Wiking-Ruf", als Logo diente ein Wikinger-Schiff mit einschlägigen Symbolen. Eines der Symbole war das Abzeichen der "Leibstandarte Adolf Hitler". Die neonazistische "Wiking Jugend" (WJ), die 1952 gegründet wurde, bezog sich ebenfalls auf die Tradition der Nordmänner.

Die WJ gilt als eine der wichtigsten neonazistischen Jugendorganisationen im Deutschland der Nachkriegszeit. Der Einfluss dieser Gruppe reichte über Deutschlands Grenzen hinaus. So hat etwa auch der heutige österreichische Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in seiner Jugend bei einer Aktion der neonazistischen Organisation mitgearbeitet. 1994 wurde die "Wiking Jugend" in Deutschland schließlich verboten.

Warum das Wikinger-Thema auch nach 1945 von Naziorganisationen genutzt wurde? "Das nordische Thema war anschlussfähig und scheinbar neutral", erklärt Karl Banghard. "Dazu kommt, dass es zu den Wikingern noch immer viele Forschungslücken gibt. Wenn aber vieles unbekannt ist, kann ich auch viel rein interpretieren oder erfinden." Aktuell würde das Thema vor allem in Osteuropa, aber auch in den USA, verstärkt benützt. "Im Zusammenhang mit autoritären Veränderungen entsteht in einigen Ländern eine neue Nationalesoterik", sagt Banghard.

Auch die Frauenbilder würden in dieses Schema passen: "Blonde, ungeschminkte und scheinbar natürliche Frauengestalten werden einerseits als erotisches Ideal gepriesen. Andererseits sind sie rollentypisch für das Kochen und den Haushalt zuständig." Sogenannte fremdrassige Frauen stehen allen Männern zur Verfügung. "Auf Festivals wird das oft mit Sklavenmärkten nachgespielt", so Banghard.

Gleichzeitig ist es dem Archäologen wichtig, nicht zu verallgemeinern: "90 Prozent der Leute in der Reenactment- und Living-History-Szene sind absolut OK. Viele engagieren sich vorbildlich gegen rechts und gegen Geschichtsfälschungen. Eine Schwierigkeit ist aber, dass es immer wieder Solidarisierungseffekte gibt, wenn Probleme aufgezeigt werden." Wichtig ist Banghard aber, dass die Wirklichkeit ganz anders aussieht als ein Festival. "Wenn es wirklich einen Krieg gäbe, würden die meisten Darsteller vermutlich kotzen. Sie spielen Krieg, aber Krieg kann nicht gespielt werden." Auch die Realität des Wikinger-Lebens war etwas anders, als es manchmal dargestellt wird. "Wenn wir heute Gräber untersuchen, sehen wir etwa, dass die Wikinger oft nicht Täter waren, sondern Opfer."

Für Neonazis ist das Wikinger-Thema extrem wichtig, weil es enorm anschlussfähig ist. Sehr viele Menschen kommen dort mit neonazistischer Agitation in Berührung, ohne dass sie es überhaupt bemerken. Das Wikinger-Thema ist Teil eines rechten Kulturkampfes und einer unterschwelligen Umdeutung der Geschichte. Wir sollten künftig genauer hinsehen.

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