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Reisen

Fragen, die der Flug aufwirft, der statt in Düsseldorf in Edinburgh endete

Warum, zur Hölle, haben die Passagiere das nicht gefeiert? Wer will denn wirklich nach Düsseldorf?
Montage eines Flugzeugs, dass sich nicht zwischen Düsseldorf und Edinburgh entscheiden kann
Foto Flugzeug: imago | Sven Simon || Düsseldorf: Pixabay | Gemeinfrei || Edingburg: Pixabay | Gemeinfrei

Folgendes ist passiert: Ein Flugzeug, das am Montagmorgen eigentlich von London nach Düsseldorf fliegen sollte, ist stattdessen einfach in Edinburgh gelandet. Das berichtet die BBC. Die Passagiere ahnten während des gesamten Fluges nichts – sie erfuhren erst kurz vor der Landung, dass sie gleich in Schottland ankommen würden.

Zuerst dachten sie deshalb auch, dass es sich um einen Witz der Crew handelte. Danach wurde es noch skurriler: "Der Pilot bat die Passagiere dann, ihre Hände zu heben, falls sie nach Düsseldorf fliegen wollten", schreibt die BBC. "Alle hoben die Hände."

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Und dazu haben wir, wie der Titel schon sagt, einige Fragen:

Was verrät das über den Zustand der Luftfahrt 2019?

Laut dem Bericht wurde dieser Flug von einer deutschen Charterfluggesellschaft namens WDL Aviation verwaltet, die dafür ein Flugzeug samt Crew von British Airways geleast hatte. Weil diese BA-WDL-Kombi am Vortag offenbar nach Edinburgh flog, hat wohl irgendein Mitarbeiter irgendwo irgendwas falsch eingetippt oder gefaxt oder ausgefüllt – und so kam es, dass der Pilot und die Crew dachten, es ginge nach Schottland.

Und das ist irgendwie erschreckend. Es zeigt, wie komplex und entmenschlicht die Luftfahrt mittlerweile schon geworden ist: Offenbar laufen die Piloten da morgens einfach in den Flughafen rein und erfahren dann erst, wo sie an diesem Tag eigentlich hinfliegen sollen. Gibt es ein besseres Beispiel für die "entfremdete Arbeit", die schon Marx beklagt hat?

Womöglich wusste dieser BA-Pilot nicht mal, in wessen Auftrag er da eine tonnenschwere Flugmaschine durch die Luft befördert – ich meine, was soll "WDL Aviation" ihm schon sagen – und wahrscheinlich war es ihm auch total egal. "Alles klar", wird er sich gesagt haben, "dann flieg ich mal ein paar Dutzend Sardinen für WDL oder was auch immer nach Edinburgh oder wohin auch immer, mache ich ja jeden zweiten Tag. Na ja, noch knapp 19 Jahre von dem Mist, dann kann ich mich endlich nach Valencia absetzen. Meine Güte, hätte ich mir damals als junger Pilotenanwärter auch nicht träumen lassen, wie schnell das Fliegen zur langweiligen Routine werden würde! Hätte uns das einer damals gesagt, dass wir hier im Grunde zu besser bezahlten Busfahrern ausgebildet werden, dann hätte ich es vielleicht doch lieber mit der Band versucht! Na ja, auf geht's, Schalter hier, Schalter da, bli bla blubb, und hoch das Ding…"

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Wie haben wir es nur geschafft, den ältesten Traum der Menschheit, das Fliegen, so gründlich zu entzaubern?

Warum hat der Pilot die Leute abstimmen lassen?

Offenbar dauerte es eine ganze Weile, bis im Cockpit ankam, dass die Passagiere völlig anderer Meinung über den Zielflughafen ihrer Reise waren als die Crew. Und als es dann schließlich ankam, war der Pilot offenbar immer noch so skeptisch, dass er die Leute zur Sicherheit abstimmen ließ.

Das macht neugierig: Hat der Pilot hier eine Chance gesehen, zum ersten Mal in seiner Karriere aus dem Trott auszubrechen? Einfach mal spontan zu sein, einfach mal für sich und seine Passagier die Tür in eine andere, bessere Welt einen Spalt weit aufstoßen? Eine Welt, in der diese Gruppe Menschen einfach kollektiv ihre Verpflichtungen, ihre langweilige Routine (denn zum Spaß fliegt wirklich niemand Montagmorgens von London nach Düsseldorf), diese Routine über Bord werfen und mal tief in sich nachschauen, was sie wirklich mit ihrem Leben machen wollen? Edinburgh, Düsseldorf – warum hier stoppen? Warum entscheiden wir nicht einfach selbst, wo wir hinfliegen? Scheiß auf WDL, scheiß auf BA, wir haben genug Sprit, um bis nach Ibiza zu kommen! Weee-ha!

Und die Passagiere? Stimmen einstimmig ab: Sie wollen nach Düsseldorf.

Warum? Warum Düsseldorf? WARUM?

Es geht jetzt nicht darum, Düsseldorf zu dissen. Erstens ist das ein zu einfaches Ziel, und zweitens disst sich Düsseldorf ja schon permanent selbst, einfach durch seine Existenz. Aber ernsthaft: Alle diese Geschäftsreisenden hätten sich mal einen schicken Tag in Edinburgh (wenn schon nicht Ibiza) machen können – auf Kosten der Airline! Einfach mal einen Tag lang durch die schottische Stadt wandeln, sich das Edinburgh Castle anschauen, den Holyrood Palace bestaunen, sich mit einem attraktiven Mitreisenden in einem charmanten Pub einen Haggis teilen? Was für ein perfektes Verbrechen, was für ein Geschenk der Götter!

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Aber nein. All diese grauen Männlein und Weiblein in ihren grauen, schlecht sitzenden Polyester-Anzügen, die Deutschen und die Engländer, die Crème de la Crème der Angestellten-Kohorte, sie haben einstimmig beschlossen: Wir müssen nach Düsseldorf! Wir werden erwartet! Das Meeting kann nicht ohne mich losgehen, die Präsentation muss heute gehalten werden, meinetwegen drei Stunden später, aber sie muss! Wo kommen wir denn da hin, wenn niemand meine Folien sieht? Wenn die Werksbegehung ohne mich begangen werden muss? Nein, nein, das geht nicht!

Bewundernswert, vielleicht. Aber vor allem: irgendwie traurig.

Die Frage aller Fragen: Seit wann sind Airlines eigentlich so menschenverachtend?

Am Ende flog das Flugzeug dann halt doch nach Düsseldorf. Aber erst, nachdem es zweieinhalb Stunden auf dem Rollfeld in Edinburgh herumgestanden hatte. In dieser Zeit durfte niemand aussteigen, und außerdem wurden die Klos abgeschlossen.

Warum? Ganz klar: Die Situation war offenbar noch nicht grauenhaft genug. Und da musste man natürlich handeln, denn es ist ja mittlerweile die offizielle Unternehmensphilosophie jeder Airline, dass die Passagiere gequält werden müssen, bis sie quieken.

Ernsthaft: Erinnert ihr euch noch an die Bilder von Flugreisen von früher? Die, in denen entspannte Herren und Damen in gut geschnittenen Klamotten in gemütlichen, sauberen Sitzen fläzen und von aufmerksamen Stewardessen Zigaretten angezündet bekommen?

Tja, das gibt es nicht mehr. Irgendwann in den letzten 30 Jahren haben Airlines beschlossen, dass das Fliegen nicht mehr glamourös, sondern ab sofort eine durch und durch erniedrigende Tortur sein soll. Und so auch in dieser Situation: Bevor durch die unfreiwillige Komik und die Absurdität der Situation so etwas wie Kameraderie, ja Wärme zwischen Passagieren und Crew entstehen kann, wird noch schnell irgendeine Vorschrift erfunden – auf dem Rollfeld müssen die Klos verschlossen werden, auch wenn das Flugzeug zweieinhalb Stunden da steht, Vorschrift ist Vorschrift! – und so jede Art von Menschlichkeit noch im Ansatz erstickt. Damit sich alle Menschen an Bord dieser fliegenden Elendsschleuder wieder gründlich hassen – denn das ist es, was die Airlines wollen: Hass, Missgunst und Ekel auf dieser Welt vermehren, bis sie aus den Nähten platzt.

Warum? Warum hassen sie uns so sehr? Das ist die große Frage. Aber um sie zu beantworten, müsste man einen Airline-Manager entführen, im Keller an einen Stuhl binden und so lange mit Tomatensaft befüllen, bis er endlich herauswürgt, wo sein animalischer Hass auf die Menschen herrührt. Aber das traut sich natürlich wieder keiner!

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