Ich hatte eine illegale Abtreibung in Polen

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Ich hatte eine illegale Abtreibung in Polen

Polinnen demonstrieren beim "schwarzen Protest" wieder für ihr Menschenrecht auf Abtreibung, denn die Regierung will das drakonische Verbot noch verschärfen. Eine Polin berichtet anonym von ihren Erfahrungen.

Illustration: Izabela Szumen

Es gibt etwa 30 Frauen, mit denen ich mich offen über Sexualität unterhalten kann. Von ihnen schützen sich vier mit einer Kombination aus zwei Verhütungsmitteln: die Pille und eine Barriere-Methode. Andere verwenden nur ein Verhütungsmittel. Fast jede von ihnen hat auch schon mindestens einmal ungeschützten Geschlechtsverkehr riskiert und sich dabei auf das Glück und die Selbstbeherrschung des Partners verlassen. Ich weiß sehr gut, dass eine ungewollte Schwangerschaft jede Frau treffen kann.

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Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage des polnischen Meinungsforschungsinstituts CBOS hat jede Vierte Polin eine Abtreibung hinter sich. Doch Abtreibung ist in Polen illegal. Wie zuverlässig sind daher diese Daten? Die Autoren räumen ein, dass eine große Mehrheit der befragten Frauen ihre Abtreibung vor der Einführung des sogenannten "Abtreibungskompromisses" 1993 hatte, als der Eingriff noch legal war.

Die polnische Föderation für Frauen und Familienplanung schätzt die Dunkelziffer der jährlich durchgeführten Abtreibungen aktuell auf zwischen 80.000 und 100.000. Zu den Komplikationen und Toden, die diese Abtreibungen nach sich ziehen können, gibt es keinerlei Statistiken. Wie die CBOS-Soziologen anmerken: "Abtreibung ist in Polen ein Tabuthema." Denn die polnischen Abtreibungsgesetze gehören zu den strengsten in Europa—und wenn es nach der aktuellen Regierung geht, sollen Frauen sogar noch weniger Rechte haben.

Anfang Oktober gingen Zehntausende Frauen in den größten polnischen Städten auf die Straße, um für das Recht auf weibliche Selbstbestimmung und angemessene Gesundheitsversorgung zu demonstrieren. Eine Woche darauf sagte Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), seine Partei werde "sich dafür einsetzen, dass Frauen selbst todgeweihte und schwer deformierte Kinder austragen, damit diese getauft und begraben werden können und einen Namen erhalten". Die weitere Verschärfung des Gesetzes ist Anfang Oktober zwar im Parlament gescheitert und die massiven Proteste zwingen die Politiker zu etwas Kompromissbereitschaft, doch mächtige Stimmen wie Kaczyński gibt es noch zuhauf.

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Deswegen geht der "schwarze Protest" nun auch in die zweite Runde. Gestern, zum 41. Jubiläum des berühmten Frauenstreiks der Isländerinnen, gingen Frauen in Warschau und anderen Städten wieder auf die Straße.

Ich habe eine Frau interviewt, die vor ein paar Jahren eine illegale Abtreibung in einer polnischen Klinik hatte. Sie hat sich bereit erklärt, mir anonym zu erzählen, wie sie ihre Abtreibung erlebt hat.

VICE: Wie sah deine Lebenssituation damals aus?
Ich habe studiert und nebenbei in der Gastronomie gearbeitet. Ich habe weniger verdient, als ich zum Leben brauchte—meist bekam ich im Monat nicht mehr als 1.000 Złoty [ca. 230 Euro]. Um die Miete musste ich mir zumindest keine Gedanken machen, die hat meine Mutter gezahlt. Ich wohnte bei meinem damaligen Freund. Er war Musiker und häufig auf Tour. Ich würde die Beziehung nicht als gesund bezeichnen.

Er war Franzose und fühlte sich unter meinen Freunden nicht wohl. Bald hatte er mit dem Thema Integration komplett abgeschlossen. Stattdessen blieb er mit mir zu Hause, besessen von dem Gedanken, dass ihn aufgrund seiner Herkunft niemand akzeptierte. Er war extrem eifersüchtig und hasste es, wenn ich ausging. Heute habe ich keinen Schimmer, warum ich nachgegeben habe und diese Beziehung so lange weitergeführt habe.

Natürlich blieb das alles für mich auch nicht ohne psychische Folgen. Nach und nach wurde ich depressiv.

Wie hast du reagiert, als du erfahren hast, dass du schwanger warst?
Die ganzen Umstände, wie ich überhaupt schwanger wurde, waren auch schon verstörend. Ich hatte es nicht geschafft, mir die Anti-Baby-Pille zu kaufen, also bat ich ihn vor dem Sex, ein Kondom zu benutzen. Er war gerade von einer Tour zurück und warf mir vor, ich hätte ihn betrogen. Er dachte, ich würde ihn bitten, ein Kondom zu nehmen, damit ich ihn nicht mit einer Geschlechtskrankheit infizieren könne. Also forderte er mich auf, als Treuebeweis ohne Kondom mit ihm Sex zu haben. Ich war damals ziemlich apathisch und emotional abgestumpft, also gab ich auf und entschied, dass eine riskante Situation mehr auch keinen Unterschied machen würde.

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Nach ein paar Wochen machte ich einen Schwangerschaftstest und er war positiv. Als ich es ihm sagte, ließ es ihn völlig kalt. Er gab mir die Schuld und sagte, ich hätte es mit Absicht gemacht. Natürlich sollte ich mich jetzt also auch alleine darum kümmern. "Du hast mich in diese Scheiße reingeritten", waren seine Worte. Erst wollte er noch finanziell helfen, aber letzten Endes habe ich gesagt, dass ich es alleine schaffe. Und das habe ich.

Warum hast du dich dazu entschlossen, in eine Klinik zu gehen?
Durch Women on Web wusste ich von speziellen Pillen, aber ich kannte niemanden, die Erfahrungen mit einer solchen Lösung hatte. Deswegen war mir das zu riskant. Ich hatte schon viel über Beschlagnahmungen durch den Zoll und Komplikationen gehört … irgendwie schien es mir das als falscher Weg. Ein Jahr vorher war eine Freundin von mir in einer ähnlichen Situation gewesen. Sie war in eine Klinik gegangen und der Eingriff war gut verlaufen. Deswegen habe ich gemacht, was sie gemacht hat. Sie gab mir die Kontaktdaten und ich machte einen Termin aus.

Wie war der Kontakt mit der Ärztin?
Ich wollte nicht, dass in meiner Akte irgendwas über eine Schwangerschaft aufgezeichnet wird, also habe ich das erst offiziell beim Termin mit der Ärztin bestätigt. Angesichts meines damaligen Lohns war der Preis für mich enorm. Der ganze Eingriff kostete 3,650 Złoty [ca. 850 Euro], also das Vierfache meines monatlichen Budgets. Der erste Termin fand mitten am Tag in einer Privatklinik im Zentrum von Warschau statt. Ich war in der vierten Schwangerschaftswoche.

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Die Klinik war elegant und sauber, es gab keine Kleiderbügel oder dreckige Bandagen, wie man sich das vielleicht vorstellt. Eine nette Ärztin stellte mir alle möglichen Routinefragen. Erst am Ende stellte sie mir die Frage, ob ich es "so lassen will, wie es ist". Ich sagte Nein. Wir setzten den Eingriff für die nächste Woche an, in einer anderen Klinik. Ich weiß nicht, wo die Obergrenze liegt. Wahrscheinlich bei 12 Wochen.

Wie war der Eingriff an sich?
Ich habe eine Freundin mitgenommen. Die Klinik hatte geöffnet, aber es war ziemlich spät. Drei Personen waren dabei: ein Anästhesist, ein gynäkologischer Chirurg und die Ärztin, die mich beim ersten Termin untersucht hatte. Im Wartezimmer saß ich neben einer Hochschwangeren, die auf eine Routineuntersuchung wartete. Im Sprechzimmer zog ich mir ein Krankenhausgewand an und bekam das Betäubungsmittel verabreicht. Dann wurde ich bewusstlos. Ein oder zwei Stunden später wachte ich auf, und als es mir gut genug ging, fuhr ich nach Hause. Allein, mit dem Bus. Auf dem Heimweg fing ich an zu bluten. Als ich zu Hause ankam, war schon alles blutgetränkt, auch mein Rock.

Hat man dich über die möglichen Risiken des Eingriffs informiert?
Nein. Die Ärztin gab mir ihre Telefonnummer und sagte, ich soll sie anrufen, falls es Komplikationen gibt. Die Blutungen waren wirklich heftig und ließen auch über Nacht nicht nach. Es war eigentlich sogar sinnlos, immer neue Binden zu verwenden. Ich hätte mich genauso gut in die Wanne setzen und warten können. Letztendlich rief ich die Ärztin an und bekam eine kostenlose Nachuntersuchung. Sie gab mir eine Spritze, aber die nächsten drei Tage blutete ich weiter stark. Dass sowas passieren kann, wusste ich aber.

Hat deine Familie dich nach dem Eingriff unterstützt? Wie hat dein damaliger Freund reagiert?
Die Reaktion meines Freunds verdeutlichte mir nur noch mehr, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Als ich nach der Abtreibung heimkam, schaute er nicht einmal vom Computerbildschirm auf. Ich wusch mich und legte mich aufs Bett. Irgendwann drehte er sich endlich zu mir um und sagte: "Ich glaube nicht, dass du unsere Beziehung damit wieder in Ordnung bringen kannst." Klasse Typ, oder? Den Monat darauf ging er wieder auf Tournee und kam nur noch einmal wieder, um seine Sachen zu packen. Er hat mich finanziell in keiner Weise unterstützt. Ich musste mir das Geld für den Eingriff von meiner Freundin leihen und im Laufe der nächsten Monate abstottern.

Was meine Familie angeht, habe ich damals beschlossen, meiner Mutter alles zu sagen. Sie hörte sich alles an und sagte am Ende nur: "Warum musst du mir sowas antun?" Ich weiß nicht, ob sie wegen ihres Glaubens so reagiert hat. Sie ist religiös. Vielleicht dachte sie auch, sie müsse jetzt den teuren Eingriff bezahlen. Wir haben seitdem nie wieder darüber gesprochen. Die Unterstützung, die ich so dringend brauchte, kam von meinen Freundinnen. Mein Freund und meine Familie haben mich komplett im Stich gelassen.

Denkst du, deine Mutter hätte anders reagiert, wenn Abtreibung legal wäre? Glaubst du, eine Gesetzesänderung könnte solche Leute zum Umdenken bringen?
Die Kriminalisierung der Abtreibung wirkt sich eindeutig negativ auf die Reaktionen der Leute aus, die keine religiösen Fanatiker sind. Die Kombination aus Gesetz und Glaube macht dann daraus eine unüberwindbare Hürde.

Wie fühlst du dich heute? Spürst du irgendwelche langfristigen emotionalen oder körperlichen Folgen?
Der Eingriff an sich hat keinerlei Spuren bei mir hinterlassen. Klar, es wäre schon cool, keine Schulden zu haben. Die haben mich eine Zeit lang ernsthaft belastet. Aber was mich wirklich erschüttert und gezeichnet hat, war die Art, wie mein Freund mich behandelt hat, und die Reaktion meiner Mutter. Die Angst, dass es keinen sicheren Ausweg aus dieser Situation gibt, dass ich vielleicht keine Hilfe finde oder dass ich womöglich das Geld nicht zusammenkriege, war eindeutig die größere emotionale Belastung. Ich bin der Meinung, wenn die Pillen, die ein befruchtetes Ei davon abhalten, sich in der Gebärmutter einzunisten, ohne Rezept und mit Kostenrückerstattung erhältlich wären, würden viele Geschichten wie meine erst gar nicht passieren.