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Dieser Niederösterreicher hat ein Spiel im Point-and-Click-Adventure-Look gemacht

Wir haben Spieleentwickler Christian Haumer interviewt, der mit seiner interaktiven Kurzgeschichte 'A Fragment of Her' beweist, dass Österreich viel Liebe für Retro-Stilistik übrig hat.
Screenshot von Christian Haumer

Manchen von uns wird bei klassischer Pixelgrafik der Mund wässrig und die jungen Gaming-Jahre der 90er leben wieder auf. Mit der interaktiven Kurzgeschichte A Fragment of Her hat das junge Studio chronerion entertainment heimische Adventure-Fans aufhorchen lassen. Wie oft hört man schon von klassischen Point-and-Click-Produktionen aus Österreich?

Um genau zu sein, fallen uns spontan zwei Beispiele ein, beide übrigens auch im Bezug auf Story in Österreich angesiedelt und weltanschaulich herrlich entgegengesetzt: Das Bank-Austria-Werbespiel Arnie Goes 4 Gold aus dem Jahr 1994—ja, Anfang der 90er war es tatsächlich eine plausible und im deutschen Sprachraum durchaus verbreitete Geschäftsstrategie, junge Kunden mithilfe von Adventures zu ködern—und das satirisch-kritische Sowjet-Unterzögersdorf des Künstlerkollektivs monochrom aus dem Jahr 2005.

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Screenshot von A Fragment of Her (Foto von chronerion entertainment)

Es wird also höchste Zeit, dass wir unser eigenes, liebenswert-neurotisches Ösi-LucasArts bekommen—und dank Christian Haumer gibt es Hoffnung darauf. Vor drei Jahren hat der hauptberuflich beim Wiener Studio Sproing angestellte Adventure-Liebhaber chronerion entertainment gegründet. Wir haben mit dem Entwickler über den kleinen aber feinen Adventure-Appetitanreger A Fragment of Her und das Genre im Allgemeinen gesprochen.

VICE: Wie bist du überhaupt dazu gekommen, Videospiele zu machen?
Christian Haumer: Naja, ich habe Medientechnik studiert und war eigentlich schon immer auf der Suche nach kreativen Herausforderungen. Ich liebe es einfach, Dinge zu erschaffen. Seit meiner Kindheit, bin ich begeisterter Videospieler, und so musste es vermutlich früher oder später soweit kommen, dass ich selber Videospiele machen würde. Die Gründung von chronerion entertainment war eigentlich nur eine Frage der Zeit.

Du warst also schon immer Vollblut-Gamer. Was waren deine Lieblingsplatformen damals, die liebsten Spiele und vor allem welche Adventures hast du am meisten verherrlicht?
Eigentlich bin ich ein klassischer Konsolenspieler. Das erste Videospiel, mit dem ich in Verbindung gekommen bin, war tatsächlich das erste Zelda damals am NES. Wir hatten zuhause auch lange keinen PC und keinen Heimcomputer. Mit dieser Art der Computerspiele bin ich erst recht spät bei Verwandten in Berührung gekommen—aber das war dann gleich das erste Monkey Island. Quasi Liebe auf den ersten Blick. Lustigerweise habe ich von Maniac Mansion lange nur die NES-Version gekannt! Aber um auf deine Frage zurück zu kommen, als riesiger Nintendo-Fan liebe ich natürlich alle Zeldas, Marios, Metroids und so weiter. Konkret im Adventure Game-Genre würde ich dann definitiv die ersten drei Monkey Islands, Day of the Tentacle, Indiana Jones and the Fate of Atlantis und natürlich das erste Maniac Mansion meine Top-Lieblingstitel nennen.

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Foto von Christian Haumer (ganz rechts) und einem rauchenden Zelda-N64-Fanclub. Good Times!

Ist es schwierig in* Österreich ein Entwicklerstudio zu gründen?*
Die Gründung selbst ist vermutlich noch das geringste Problem. Das Erschaffen und Fertigstellen eines fertigen Videospiels, das sich auch noch gut verkauft und das Studio finanzieren kann, würde ich als die eigentliche Schwierigkeit bezeichnen. Im Moment sind wir mit chronerion entertainment davon relativ weit entfernt. Wir haben zwar eine klare Vision, Game-Prototypen, hunderte Ideen und ebenso viele Design-Dokumente, aber ein Produkt, mit dessen Verkauf wir unsere Brötchen verdienen können, das existiert leider noch nicht. Wir sind alle hauptberuflich bei anderen österreichischen Spielefirmen angestellt und arbeiten an den chronerion entertainment-Projekten rein in unserer Freizeit.

Kennst du noch andere Adventures aus Österreich, neben dem von der Bank Austria und das von monochrom?
Ja, da fallen mir schon welche ein. Allen voran The Lion's Song, das unser hauseigener Artist Stefan Srb im Alleingang gemacht hat. Dann wären da The Shopkeeper, Undercover – Operation Wintersonne, Undercover - Dual Motives und (T)Raumschiff Surprise. Die letzten drei sind von unseren Collegas von Sproing Entertainment, wo wir auch arbeiten.

Auf eurer Webseite wird man mit* „Welcome to Adventure!" begrüßt. Ihr betont auch, dass ihr außerhalb der Genre-Vorgaben arbeiten wollt. Heißt das, dass ihr klassische Mechaniken von Adventure Games nutzt, um eine neue Spielerfahrung zu schaffen oder wollt ihr euch einfach im kreativen Prozess nicht einschränken lassen?*
Beides. Wir sind wie gesagt alle große Fans von den Point-&-Click-Adventures der LucasArts-Ära, aber im Jahr 2015 braucht es echt mehr Frische. Manche Elemente des Genres sind einfach ein alter Hut. Die große Herausforderung für uns ist es, das Grund-Feeling eines Maniac Mansion, Monkey Island oder Day of the Tentacle zu bewahren, aber das Gameplay in vielerlei Hinsicht zu modernisieren.

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Was wären denn solche Mechaniken, die veraltet oder überholt sind und frischen Wind gebrauchen könnten?
Was mich persönlich bei Adventure Games am meisten nervt, ist die immer extrem lineraren Storylines, die bei den meisten Titeln der Fall sind. Als Spieler hat man meistens überhaupt keine Entscheidungs- oder Ablenkungsmöglichkeiten abseits des strikt vom Designer durchgeplanten Lösungswegs. Es gibt nur ganz selten sowas wie optionale Side-Quests oder Gelegenheiten zu experimentieren. Ich will manchmal einfach nur herumprobieren. Genau das fasziniert mich heute noch an Maniac Mansion. Das hatte diesen ganz speziellen „Sandbox"-Charakter, den ich danach in Adventure Games immer etwas vermisst habe.

Klingt so, als könnte man vieles besser machen beim Game Design von Adventures? Hast du noch mehr Ideen?
Sicher gibt es da noch mehr Krankheiten des Genres, die seit Jahrzehnten die selben geblieben sind. Zum Beispiel die ewig gleichen Responses auf Interaktionen. Wenn ich 2015 in einem neuen Spiel zum hundertsten Male „Das geht so nicht", „Das klappt so nicht" oder „Das kann man so nicht benutzen" hören muss, würde ich das Ganze am liebsten an die Wand schmeißen. Es ist doch längst übefällig, dass man für Adventure Games vernünftige dynamische, intelligente und vor allem witzige Dialog-Systeme entwirft und implementiert—Sam and Max Hit the Road hatte da damals sehr lustige Ideen und echt gute Dialogautoren.

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Wir haben gehört, dass ein großer Teil von A Fragment of Her im Rahmen des Point & Click Jam2014 entstanden ist. Dort hat man 15 Tage Zeit, ein Spiel auf die Beine zu stellen. Warum habt ihr gerade unter solchen extremen Umständen entschlossen euer Debüt zu basteln?
Das hatte keinen besonderen Grund. Nach mehreren Jahren voller trockener Vorproduktionen, hat es uns in den Fingern gejuckt. Wir wollten endlich an einem richtigen Spiel arbeiten, das dann auch wirklich erscheint. Der Point & Click Jam 2014 hat sich da relativ spontan angeboten, den inneren Schweinehund zu überwinden. Wir haben einfach mitgemacht und so ist A Fragment of Her entstanden. Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis, müssen aber betonen, dass das Spiel nur wenig mit den ursprünglichen Plänen zu tun hat. Wir sehen es eher als eine Fingerübung.

Wer ist für die geile Old-School-Adventure-Optik des Spiels verantwortlich?
Das war der schon erwähnteArtistStefan Srb, ohne den mindestens 85% von A Fragment of Her und das super Art-Design in keinster Weise möglich gewesen wäre. Er hat letztes Jahr sogar einen Preis beim Austrian Content Award abgeräumt.

Aber trotzdem, warum gerade auf dem stressigen Game Design Jam los starten?
Wir mussten uns dort einfach voll auf das Projekt fokussieren, hatten klare Vorgaben und vor allem einen fixen Abgabetermin. Für die Arbeit, die wir in diesen zwei Wochen bei A Fragment of Her reingesteckt haben, hätten wir unter normalen Umständen wahrscheinlich zwei Monate gebraucht. Während dem Jam ist es wichtig, dass die Team-Mitglieder viel und gut miteinander kommunizieren können, vor allem wenn sie nicht gemeinsam an einem Ort sitzen. Wenn man sich gut organisiert und abspricht, dann stehen die Chancen echt hoch, dass man das Projekt auch wirklich fertig bekommt.

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A Fragment of Her (Foto von chronerion entertainment)

Die Geschichte von A Fragment of Her handelt von einer Kunststudentin. Was hat dich da inspiriert? Warst du selber auf der Kunstuni beziehungsweise hast du Erfahrungen mit irgendwelchen Arschloch-Professoren?
Nein, gar nicht, und ich war nie auch nie auf einer Kunstuni. Die Hintergrundgeschichte von der Protagonistin Selina hat es schon länger gegeben und wir wussten bereits, dass sie eine junge Künstlerin sein würde. Dass wir eine „Fish out of water"-Geschichte daraus machen und ihren holprigen Einstieg in die Kunstszene als Thema für unser Spiel nehmen, das hat sich dann einfach so ergeben.

A Fragment of Her spricht ein paar sehr aktuelle Themen an, die gerade die Spiele-Community ziemlich beschäftigt. Euer Spiel stellt die Frage nach Sinn und Definition von Kunst. Auch die Schwierigkeiten als Frau in einem männerdominierten Umfeld voranzukommen werden thematisiert.
Man liest im Internet leider immer noch regelmäßig von idiotischen Vorfällen innerhalb und außerhalb der Spielebranche, wo Frauen systematisch stigmatisiert, ausgegrenzt oder gar mundtot gemacht werden sollen. Ich bin am konservativen Land aufgewachsen und hatte schon immer lange Haare, habe Heavy Metal gehört und Videospiele gespielt. Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon, wie es ist, wenn man aufgrund von Vorurteilen, Unwissenheit oder einfach nur der Angst vor dem Unbekannten anders behandelt oder gar ausgegrenzt wird. Die langen Haare, der Metal und die Videospiele sind aber immer bewusste Entscheidungen von mir gewesen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie schlimm es für jemanden sein muss, wenn er auf Grund von etwas, das er nicht selbst entscheiden konnte, wie zum Beispiel sein Geschlecht, seine Hautfarbe oder seine sexuelle Neigungen, von der Gesellschaft anders behandelt oder ausgegrenzt wird.

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Und euer Spiel spricht also Dinge wie Ausgrenzung und Gleichberechtigung an?
Mit der Geschichte rund um Selina, der Protagonistin von A Fragment of Her, wollten wir in diese Richtung gehen, ohne die Thematik dabei zu überstrapazieren. Ich hoffe es ist uns halbwegs gelungen. In den Recherchen für das Spiel sind uns übrigens einige Berichte untergekommen, die dem sehr nahe kommen, was Selina auf der Kunstuni alles passiert. Uns war es auch deshalb wichtig, Selina als starke und selbstsichere Figur darzustellen, die sich von diversen Ungerechtigkeiten und Rückschlägen nicht unterkriegen lässt.

Apropos Außenseitertum, warum bist du so ein Fan von Adventures, die ja mittlerweile zum Nischen-Genre geworden?
Ich verbinde gerade mit den LucasArts-Klassikern wunderschöne Kindheitserinnerungen, die vielleicht reine, irrationale Verklärung und Nostalgie sind. Ich habe damals beispielsweise MONATELANG nach dem Benzin für die Kettensänge in Maniac Mansion gesucht, das es ja bekanntlich im Spiel gar nicht gibt. Trotzdem hat die Suche enormen Spaß gemacht. Die offene Spielwelt von Maniac Mansion hat extrem zum Experimentieren und Erforschen eingeladen. Ein ähnliches Feeling hatte ich wie bereits erwähnt in späteren Adventure Games dann nie wieder.

Was ist dein liebstes Adventure nach 2000? Gibt es da* überhaupt eins?*
Na sicher. Die Blackwell-Serie zum Beispiel, und die meisten anderen Spiele von Wadjet Eye Games. Obwohl die Spiele wegen der Pixel-Optik auf den ersten Blick nach „Retro" aussehen, sind sie Gameplay- und Story-technisch unglaublich modern. Ich muss gestehen, dass mich die meisten anderen neuen Adventure Games aber irgendwie sehr schnell langweilen. Es war alles schon mal da, es wurde alles schon mal ausprobiert, es fehlt für mich meistens „das gewisse Etwas".

Was sind die kommenden Projekte von chronerion? Da ist ja was Top Secret in Arbeit, haben wir gehört.
Derzeit bereiten wir gerade die Fortsetzung zu A Fragment of Her vor, die wir erneut im Zuge eines Game Jams machen werden. Es wird wieder eine kurze und kostenlos spielbare Episode rund um Selina. Und es stimmt, wir arbeiten nach wie vor natürlich auch an unserem großen Hauptprojekt. Dazu kann ich leider noch nichts Genaueres sagen. Wir sind ein sehr kleines Team, aber verwenden jede freie Zeit und Ressource für das Game. Es wird alles noch ziemlich dauern, aber gute Games brauchen halt Zeit. Die Hauptsache ist, dass das Endprodukt passt. Ob es jetzt in einem, zwei oder zehn Jahren erscheint ist eigentlich Nebensache. Aber das ist ja eigentlich auch der große Vorteil am Indie-Dasein: Wir HABEN alle Zeit der Welt. Wir haben ein Firmenmotto, das eigentlich alles sagt: „It's time. For Adventure Games."

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