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Was ist eigentlich am Brenner los?

Gibt es bald einen Grenzzaun zwischen Tirol und Südtirol? Wird der Brenner zum "neuen Idomeni"? Und warum ist die FPÖ gegen einen Zaun?

In den letzten Wochen kam es zu mehreren Demonstrationen am Brenner. Screenshot via YouTube

In diesen Tagen ist es nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten. Also der Reihe nach: Im Februar diesen Jahres wurden erste Gerüchte laut, Österreich plane am Brenner ähnlich wie im südsteirischen Spielfeld einen Grenzzaun, um Flüchtlinge vor dem unkontrollierten Überqueren der Grenze zu hindern. Das Landespolizeikommando wurde kurz darauf mit der Planung beauftragt und folgende Punkte wurden laut ORF für die österreichische Seite ausgearbeitet:

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  • Polizisten kontrollieren auf Sicht bei vier Kontrollpunkten auf der Autobahn und einer auf der Bundesstraße bei einer Tempobeschränkung von 30 km/h.
  • LKWs werden abgeleitet und auf einer eigenen Fläche durchsucht.
  • Ein 370 Meter langer Maschendrahtzaun soll die grüne Grenze sichern.
  • Der Zugverkehr soll rund 10 Kilometer nach der Grenze bei Steinach am Brenner angehalten und kontrolliert werden.
  • Asylwerber sollen durch ein "Leitsystem" in Containern registriert und danach nach Innsbruck gebracht werden. Unberechtigte und jene, die keinen Asylantrag stellen, werde die Einreise verweigert.

Grafik: Paul Donnerbauer, VICE Media | via Google Maps

Im April begann die Asfinag mit den baulichen Maßnahmen; Ende Mai soll alles fertig sein. "In einer Extremsituation muss man die Brenner-Grenze zumachen", kündigte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil bereits an. Österreich wurde für dieses Vorgehen internationalstark kritisiert.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte vor "nutzloser Propaganda" mit Grenzkontrollen: "Die Leute, die sich vor Assad in Sicherheit bringen, lassen sich auch am Brenner nicht aufhalten." Auch die EU-Kommission zeigte sich "sehr besorgt", und Ärzte ohne Grenzen warnte vor einem "neuen Idomeni" am Brenner.

Besonders verärgert sind aber die Italiener. "Offenbar geht es darum, ein innenpolitisches Zeichen in Österreich zu setzen", kommentiert Italiens Staatssekretär die Pläne. Die Brenner-Schließung verstoße für Premier Matteo Renzi "auf unverschämte Weise gegen die europäischen Regeln, die Geschichte, die Logik und die Zukunft." Die diplomatischen Beziehungen waren verstimmt, der Zaun umstritten.

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Innenminister Wolfgang Sobokta ließ Steher und Fundamente für einen Zaun errichten: "Wenn Italien keine Maßnahmen setzt, dann wird der Zaun eingehängt." Nach einem Arbeitstreffen mit seinem italienischen Amtskollegen, bei dem die Beziehungen angeblich normalisiert wurden, scheint ein Grenzzaun aus derzeitiger Sicht nicht geplant—unklar ist jedoch, wie es weitergeht.

Zweites Idomeni, emotionale Grenze und ein Dilemma für die FPÖ

Auf politischer Ebene sorgt aber alleine die Diskussion über einen möglichen Zaun zwischen den beiden Tirols bereits für emotionale Situationen. Noch im November vergangenen Jahres wurde in Brüssel die Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino gefeiert. Jetzt könnte die in den letzten 20 Jahren kaum noch bemerkbare Grenze schon bald wieder sehr real und spürbar werden.

Das stößt nicht nur den italienischen und österreichischen No-Border-Aktivistinnen und Aktivisten sauer auf, die in den letzten Wochen mehrmals gegen die im bürokratischen Neusprech Österreichs "Grenzmanagement" genannten Grenzkontrollen am Brenner demonstriert haben und auch für Samstag erneut Aktionen planen.

Denn beim Thema "Grenzzaun am Brenner" kommen die Kritik und der Protest nicht nur von linker Seite. So machte FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache noch im März bei einem Besuch in Bozen klar, wie die FPÖ zur Teilung Tirols stehe: "Südtirol ist und bleibt für die FPÖ eine Herzensangelegenheit", meinte Strache. "Es ist die historische Aufgabe Österreichs, den ethnischen und kulturellen Bestand der deutschen und ladinischen Volksgruppen in Südtirol und deren Autonomierechte bis zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts mit allen verfügbaren demokratischen Mitteln zu sichern. Dazu ist es notwendig, dass Österreich die Schutzmacht der deutschen und ladinischen Südtiroler bleibt und diese Funktion auch mit Leben erfüllt."

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Screenshot via YouTube

Erst 1998 öffnete sich der Schlagbaum, der Tirol seit 80 Jahren trennte, dauerhaft. Wie Österreich als "Schutzmacht" für die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol fungieren soll, wenn es an der Grenze zwischen Nord- und Südtirol nun nicht nur Schlagbäume, sondern womöglich gleich einen Maschendrahtzaun errichten will, ist fraglich. Die FPÖ befindet sich daher in einem Dilemma. Einerseits spricht sie vom "Schengen-Albtraum" und ruft nach mehr Grenzzäunen, andererseits will sie genau das am Brenner nicht, weil es für eine von ihr propagierte "Zusammenführung der drei Tiroler Landesteile" nicht nur propagandistisch negative Auswirkungen hätte.

Anders sieht das die Lega Nord, mit der die FPÖ noch im September 2015 eine "totale Zusammenarbeit" angekündigt hatte. Roberto Maroni, Vorsitzender der Lega Nord, erklärte kürzlich: "Österreich tut lediglich, was normale Länder tun: Es kontrolliert seine Grenzen."

Ob es, wie etwa die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (aber auch Silvio Berlusconi und Manfred Weber) warnen, am Brenner zu einem "zweiten Idomeni" kommen wird, ist ungewiss. Und es hängt, wie so oft, von mehreren Faktoren ab. So müsste dafür die Grenze für Schutzsuchende entweder komplett geschlossen werden, oder die Einreise einer derartig kleinen Zahl von Refugees genehmigt werden, sodass es zu einem massiven Rückstau auf italienischer Seite käme.

Derzeit sind es laut dem Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher, täglich aber nur etwa 20 bis 40 Schutzsuchende, die die Grenze von Italien nach Österreich passieren. Das sind seit Jahresbeginn kaum mehr als 500 Geflüchtete—und damit weit weniger Menschen, als Österreich in Richtung Italien wieder verlassen. "Laut Angaben des Innenministeriums in Rom sind seit Jahresbeginn 2.051 Flüchtlinge, vor allem Menschen aus Pakistan und Afghanistan, von Österreich nach Italien eingewandert", erklärt Kompatscher gegenüber VICE.

Kompatscher glaubt daher auch nicht, dass es am Brenner zu einem ähnlichen Szenario wie im griechischen Idomeni kommen wird. "Davon gehe ich nicht aus", so der Landeshauptmann. Die Europäische Union dürfe Griechenland und Italien aber nicht im Stich lassen und es brauche mehr Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten, sagt Kompatscher. Außerdem müsse man "dringend ein gemeinsames Vorgehen in der Libyen-Frage" finden.

Vorerst heißt es also abwarten bis Anfang Juni. Bis dahin soll die Infrastruktur des Grenzmanagements stehen. Und auch die ersten größeren Ankünfte von Mittelmeer-Flüchtlingen werden erwartet. Bleibt es dann bei der Sichtkontrolle oder wird kurzfristig ein Zaun hochgezogen, den Bundesheer-Soldaten bewachen? Zu welchen Maßnahmen die österreichische Regierung greift, wird wohl maßgeblich von der Situation in einem Monat abhängen. Vorerst behält sie sich alle Optionen offen.

Christoph und Paul sind beide auf Twitter: @Schattleitner und @gewitterland