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Ich habe eine Woche auf Zusatzstoffe im Essen verzichtet und es war die Hölle

Durchfall, Kopfschmerzen, Kifferhunger – Clean-Eating ist härter als Hollywood uns glauben lassen will.
Foto: Peggy Greb

„Du bist, was du isst", behaupten Rammstein-Songs, Gesundheitsmagazine und Opa-Weisheiten. Nach diesem Motto wäre ich zu einem Drittel Kartoffel, etwa gleich viel gebratener Reis mit Gemüse, eine Prise Döner und ein Esslöffel Pizza—all das garniert mit einem Salatblatt und einer prächtigen Haube Mayonnaise. Mir war im Grunde schon immer bewusst, dass ich ganz schön viel Ungesundes in meinen Körper hineinstopfe aber diese Essgewohnheiten haben mir bis jetzt noch nie etwas ausgemacht. Solange sich erst nach meinem Tod die Bakterien mit dem ganzen Glutamat in meinem Körper abmühen müssen, ist ja alles gut.

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Die diplomierte Ernährungsberaterin Beatrice Conrad Frey bestätigt mich in meinem Denken. Sie sieht in Zusatzstoffen keine Gefahr für den menschlichen Körper: „Grundsätzlich kann man nicht sagen, dass künstliche Zusatzstoffe unserem Körper schaden. Panik vor diesen ist daher nicht angebracht. Zusatzstoffe werden regelmässig kontrolliert und für Lebensmittel zugelassen." Es gebe einzelne Leute, die Zusatzstoffe nicht vertragen. Bei diesen müsse selbstverständlich individuell interveniert werden. „Aber man kann einem Durchschnittsschweizer nicht sagen, dass Zusatzstoffe schlecht sind. Da gibt es wirklich grössere Ernährungsprobleme."

Wie wir uns ernähren, wird trotzdem immer mehr zu einem Statussymbol. Wer sich gesund ernährt, der scheint auf seinen Körper zu achten. Wer auf seinen Körper achtet, der scheint etwas von sich zu halten. Nicht umsonst werden Dinge wie vegane Ernährung oder „Clean-Eating" heute zu Trends.

Aber was ist an diesen Ernährungs-Trends dran? Hollywood-Stars wie Jessica Alba und Orlando Bloom schwören auf Clean-Eating und würden anscheinend nie wieder normal essen wollen. Um herauszufinden, was an dieser als gesund propagierten Ernährung dran ist—die für Kartoffel-Asia-Döner-Menschen wie mich der Vorstellung der kulinarischen Hölle erstaunlich nahe kommt—, habe ich mich eine Woche in den Schlund der Hollywood-Trends geworfen.

Nebenwirkungen soll es bei diesem Ernährungstrend laut Beatrice Conrad Frey keine geben: „Aus ernährungsphysiologischer Sicht ist dieser Trend unbedenklich. Das ist eine abwechslungsreiche, gesunde Ernährung." Die einzige Nebenwirkung sei wohl die Umstellung des sozialen Lebens. „Man muss sehr viel Zeit für die Essensvorbereitung aufwenden, was in unserer Leistungsgesellschaft wahrscheinlich das grösste Problem darstellen wird. Körperliche Folgen hat diese Ernährung aber keine."

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Aus teils selbstsüchtigen, teils präventiven Gründen (Samstag ist IKEA-Tag und am IKEA-Tag herrscht Köttbular- und Hot Dog-Pflicht) entschied ich mich, mein soziales Leben lediglich an den Arbeitstagen von Montag bis Freitag zu belasten.

Die erste Hürde: Ich muss herausfinden, wie Clean-Eating eigentlich geht. Trotz eines Blickes in das sonst allwissende Internet, ist mir nicht klar, was ich essen darf und was nicht. Auf der Clean-Eating-Webseite finde ich die sehr vage ausformulierte Definition „Erlaubt ist alles, was ‚clean', also möglichst natürlich, unverarbeitet und ohne Zusätze ist." Das hört sich erstmal ganz einfach an. Mache ich mir aber genauere Gedanken dazu, tauchen einige Fragen auf. Was genau bedeutet zum Beispiel „unverarbeitet"? Bei den Do's and Dont's wird genauer ausformuliert, was damit gemeint ist:

  • Auf Nahrungsmittel mit künstlichen Zusätzen (Geschmacksverstärker, Farbstoffe etc.) verzichten.
  • Leere Kalorien wie Weissmehl oder Zucker vermeiden. Das gilt auch für zuckerhaltige Getränke.
  • Ungesunde Fette wie gehärtete Öle und Transfette aus der Ernährung streichen (zum Beispiel in Chips, frittierten Lebensmitteln, Fertigsuppen und -saucen).
  • Auf Alkohol (soweit wie möglich) verzichten.

Für mich heisst das konkret: Ade Cola, arrivederci Pizza, tschüss geliebter Döner und man sieht sich Reis und Pasta. Nicht einmal gewöhnliche Oliven, Hummus oder Brot mit Aufschnitt sind erlaubt—ausser man backt alles selbst aus Vollkornmehl. Somit sind die Spielregeln für meine Woche klar.

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Tag 1

Mein erster Tag als „saubere Esserin" fängt nicht so gut an, wie ich mir erhofft habe (und ich habe weiss Gott kein Feuerwerk der Gefühle erwartet). Als ich mir meinen üblichen Milchkaffee samt Gipfeli holen wollte, musste ich mit wenig Verwunderung feststellen, dass mein übliches Frühstück nicht clean ist. Weil ich auch nicht genau weiss, ob Vollkornbrötchen oder Orangensaft als clean durchgehen, begnüge ich mich mit einem Apfel und einer Flasche Wasser. Ach, was fühle ich mich gesund. Zur Krönung dieses schönen Montagmorgens fällt auch noch mein Zug aus und ich bin gezwungen, durch alle Dörfer nach Zürich bummeln.

Über Mittag muss ich zuerst einkaufen gehen, da ich es natürlich verpeilt habe, mir etwas Reines zu kochen. Ich sprinte also in die Migros und erbeute Couscous, viel Gemüse und ein Lachsfilet. Mozzarella-Kugeln gönne ich mir ebenfalls. Ich bin mir nicht sicher, ob diese wirklich clean sind, aber auf diversen Clean-Eating-Webseiten werden sie in der erlaubten Nahrungsmittel-Liste aufgeführt, also sollte das schon passen.

Der Salat stellt mich vor das nächste grosse Problem: Darf ich die langweiligen Blätter wenigstens mit Olivenöl und Balsamico würzen? Bei beiden steht unter den Zutaten zwar „Antioxidantien", aber es gibt auf dieser Welt wirklich kaum etwas Schlimmeres als trockenen Salat, also spiele ich heute mal die Rebellin. An sich ist Würzen bei diesem Ernährungstrend schliesslich nicht verboten. Die Gewürze dürfen einfach kein Glutamat enthalten—Salz, Pfeffer oder Paprika sind also erlaubt, nicht aber Aromat oder Maggi.

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Alle Fotos von der Autorin

Am Abend muss ich nach einem langen Arbeitstag noch in die Küche stehen, um mir das Lachsfilet auf Couscous für das heutige Abend- und das morgige Mittagessen zu kochen. Ich bin müde und habe Kopfschmerzen. Der Zuckerentzug macht sich langsam aber sicher bemerkbar.

Tag 2

Der Tag verlief eigentlich ganz gut. Abgesehen von Durchfall.

Regel Nummer 1 beim Clean-Eating: Das Auge isst immer mit

Tag 3

Zur Hälfte der Woche erreicht mich ein regelrechtes Tief. Ich esse aber ich werde nicht satt. Ich trinke aber mein Durst wird nicht gestillt. Ich fühle mich schwach. Egal was ich zu mir nehme, nach einem Löffel habe ich genug vom Geschmack und muss beinahe kotzen. Das bringt mich in einen Teufelskreis: Schliesslich muss ich meinen Magen füllen, weil ich einfach hungrig bin.

Aus Verzweiflung google ich nochmal, was man alles essen darf und was nicht. Vollkornbrötchen wären eigentlich OK, aber nur mit richtigem Vollkorn und ohne Weizen. Also schlage ich zur feierlichen Hälfte der Woche—wieder einmal—über die Stränge, gönne mir ein Vollkornbrötchen und einen Orangensaft (selbstverständlich aus 100 Prozent Orangen und ohne Konzentrat) und fühle mich zum ersten Mal in dieser Woche endlich satt.

Für den Abend habe ich Kartoffeln, Pilze und ganz viele Früchte gekauft. Meine geliebten Kartoffeln kommen schliesslich direkt von Mutter Natur. Wenigstens das macht mir Hoffnung für die verbleibenden zwei Tage.

Tag 4

Die Kartoffeln haben ihre Wirkung erfüllt, weswegen ich diesem Tag gesättigt gegenübertreten kann. Zum Frühstück esse ich eine Banane und einen Apfel und zu Mittag gibt es Kartoffel-Reste vom Vorabend. So weit, so gut.

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Langsam komme ich richtig in Fahrt und scheine mich an meine selbst auferlegte Zwangsdiät zu gewöhnen. Erst als der Tag sich dem Ende neigt, erreicht mich, wie so oft diese Woche, mein (fast) tägliches Tief. Die Höhepunkte meiner normalen, diätlosen Tage sind die Mahlzeiten. Mittagessen, Abendessen oder ein Mitternachts-Snack—all das lässt mein Herz höher schlagen. Und wenn ich daran denke, dass meine ganze Familie sich heute Abend die Bäuche mit selbstgemachter Lasagne vollschlagen darf und ich daneben sitzen und auf einem Salatblatt rumkauen muss, muss ich fast weinen. Wortwörtlich. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, werde ich immer noch von Durchfall verfolgt.

Als kleine Entschädigung für die verpasste Lasagne habe ich cleane Chips (!)—Kartoffeln, Sonnenblumenöl und Salz sind clean— gefunden und die ganze Packung gefressen. Die gesunde Ernährung ist gut zu mir.

Tag 5

Der fünfte und letzte Tag ist angebrochen und ich könnte kaum glücklicher darüber sein. Weil ich heute frei habe, überspringe ich aus Faulheitsgründen das Frühstück und krieche erst am Mittag aus dem Bett.

Zu Mittag brate ich eine Bio-Hühnerbrust, backe dazu Ofengemüse, streue haufenweise Rucola darüber und werde sogar satt davon. Leider hält dieser Zustand nur gefühlte fünf Minuten an, sodass ich mich den ganzen Tag durch mit Früchten vollstopfen muss, um keine Heisshungerattacke zu bekommen, die das vorzeitige Ende des Projekts einläuten würde.

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Zu Abend esse ich dann noch Rührei und mache mich auf den Weg zu einer Freundin, um dort die Woche genüsslich ausklingen zu lassen. Doch als ich ankomme, erwartet mich das Schlimmste, was in den letzten fünf Stunden meiner Clean-Eating-Phase hätte passieren können: Marihuana. Genau jenes Rauschmittel, das unvermeidlich zu Heisshungerattacken führt. Der Konsum von Drogen wird nirgends ausdrücklich verboten, also beuge ich mich dem Gruppenzwang.

Im Kiffer-Heisshunger schlagen sich all meine Freunde die Bäuche mit Knoppers und Chips voll, während ich unbefriedigt an meinem Wasser nippe. Schliesslich fällt mir ein, dass ich mir für solche Momente eine Mango aufgespart habe, welche ich sofort hervorhole und in die Völlerei einsteige.

Der Abend neigt sich schliesslich dem Ende zu und ich lege mich voller Vorfreude auf einen essensreichen nächsten Tag in mein gemütliches Bett.

Fazit

Ich dachte wirklich, dass es deutlich einfacher wäre, sich clean zu ernähren. Ich muss eingestehen, dass mein Leiden größtenteils meiner eigenen Faulheit zuzuschreiben war, aber auch ohne dieses Handicap wäre mir der Versuch wohl kaum leichter gefallen.

Neben den Nachteilen für Faule sieht die Ernährungsberaterin Beatrice Conrad Frey im Clean-Eating noch einen anderen Schwachpunkt: „Agavendicksaft und Honig als Zuckeralternative zu propagieren, ist eine Aussage, die wissenschaftlich nicht korrekt ist." Die Zuckeralternativen, die bei Clean-Eating üblich sind, seien keine Alternativen, weil sie genau denselben Effekt auf den Körper haben. Vor allem für Diabetiker sei das irreführend.

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Es ist verblüffend, wie schwierig es heutzutage ist, sich ohne Zusatzstoffe zu ernähren. Noch dazu macht das cleane Essen nicht wirklich satt. Zugegeben: Ich habe von Anfang an gewusst, dass ein ausgiebiges Frühstück—welches ich an keinem dieser Tage zu mir genommen habe—die Basis des Clean-Eatings bildet und dass kleine Zwischenmahlzeiten dafür sorgen sollen, die Heisshungerattacken gar nicht erst entstehen zu lassen.

Meine Nebenwirkungen kann sich Frau Conrad Frey trotzdem nur schwer erklären: „Die Verdauungsstörungen könnten damit zu tun haben, dass Sie bei Ihrer bisherigen Ernährung deutlich weniger Ballaststoffe zu sich genommen haben. Die Kopfschmerzen kann ich mir höchstens mit einem Energie- beziehungsweise Koffeinmangel erklären. Grundsätzlich sind diese Symptome bei Clean-Eating aber nicht üblich."

Trotzdem würde Frau Conrad Frey diesen Ernährungstrend nicht jedem empfehlen: „Grundsätzlich würde ich mich eher an einzelne Aspekte dieses Trends halten. Ich würde aber auch niemandem von Clean-Eating abraten, da das im Vergleich zu anderen einer der vernünftigsten Ernährungstrends ist." Ganz so glamourös, wie uns Orlando Bloom und Jessica Alba glauben lassen wollen, scheint der Hollywood-Trend also doch nicht zu sein.

Inzwischen hat Sascha keinen Durchfall mehr, ist aber noch auf Twitter: @saschulius

Vice Schweiz ist auch auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild: Peggy Greb | Wikimedia | CC BY-SA 3.0