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Das Vermächtnis der Krocha

In einer Zeit nach „Bam Oida" ist nicht mehr viel übrig von Jugendkultur. In Wahrheit waren die Krocha jedoch nie wirklich weg.

Screenshot via YouTube

Obama, Lady Gaga, Twilight. 2008 war echt heftig, und obwohl (oder gerade weil) das alles noch keine 10 Jahre her ist, sind die Ereignisse von damals noch nicht wirklich alt genug, um schon als Nostalgie durchzugehen, gleichzeitig aber auch zu lange her, um sie noch irgendwie als Teil der Gegenwart zu sehen. Bis zum Dekaden-Jubiläum 2018, wenn wir uns an 10 Jahre Schnuffel erinnern, muss 2008 also noch im Limbus der Verdrängung ausharren.

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Außer natürlich wir stochern verfrüht drin rum und buddeln einfach jetzt schon den wohl schaurigsten Teil österreichischer Jugendkultur der vergangenen Jahre aus seiner 2008er-Ruhestätte aus. Auf seinem Grabstein ist ein Ed Hardy-Print eingemeißelt, ein sanft darüber gebettetes Pali-Tuch weht einsam im Wind, während man in der Ferne noch das Intro von „Infinity 2008" dudeln hört: Hier liegt der Krocha.

Krocha waren ein stark polarisierendes Jugendkultur-Phänomen, das bis heute vergeblich seinesgleichen sucht. Und es war wohl auch das einzige, das seinen Ursprung in Österreich hatte. Der Krocha wurde in und um Wien in all seiner würstelfarbenen Soli-Bräune geboren—und infolge landesweiter medialer Häme auch wieder abgetötet. So schnell der Krocha-Stern aufging, so schnell war er—ähnlich wie die Haut seiner Anhänger—auch wieder verglüht.

Die Bewegung war in erster Linie durch sprachliche, aber auch modische und musikalische Codes deutlich erkennbar: Neon-Caps, Ed Hardy, Van Dutch, Palästinenserschals, Schlüsselbänder über den Röhrenjeans und die Frisuren-Version eines Arschgeweihs: Vokuhila mit rasierten Mustern an den Seiten. Wenn sie nicht gerade in der Nachtschicht schranzten, dröhnte ihr Hardstyle an jeder Bushaltestelle der Stadt über Handy-Lautsprecher.

Das wahre Vermächtnis der Krocha jedoch ist ihre Sprache—sie ist es, die bis heute weiterlebt und wahrscheinlich sogar noch immer das erste, das deiner Mama einfällt, wenn sie was fetzig Jugendliches sagen möchte. „Bam Oida" erfreut sich sogar hier und da (vor allem in der Weihnachtszeit) noch ein paar ironischer Postings, ebenso wie „Fix Oida" zwar nicht mehr, „Fix" und „Oida" dafür aber immer noch einwandfrei funktionieren. Viele schreiben auch den Gebrauch von „so fesch" den Krochan zu—und scheinen dabei Gretchen Wieners völlig zu vergessen.

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Dem geschriebenen Krocha-Wort hingegen trauert wirklich niemand hinterher. Süße wird zu SüZze, Schnucki zu SchnuQQi, Bussi zu Buccä, Schatz zu SaCc und lieb zu lüPp. Das liest sich leider beängstigend vertraut—waren die Kinder meiner Hauptschulklasse etwa alle Krocha? Oder wurde der Einfluss der Szene an dieser Stelle einfach so groß, dass er auf Außenstehende überschwappte?

Irgendwann geriet der Trend sogar so dermaßen außer Kontrolle, dass eine Art Krocha-Messe abgehalten wurde—und welche Location würde sich dafür besser eignen, als die heiligen Hallen der Lugner City? Zeremonienmeister Mörtel jedenfalls hatte sich extra einen Pferdeschwanz stehen lassen und führte seinen feinsten Jumpstyle vor.

Acht Jahre nach dem blitzartigen Aufstieg und noch blitzartigeren Fall der Krocha fragen wir uns, was wohl aus ihnen geworden ist. Haben die jetzt Familien und Jobs? Leben sie ein normales Leben? Existieren sie vielleicht sogar noch in ihrer ursprünglichen Form, irgendwo da draußen? Verstecken sie sich im Kühllager der Nachtschicht und warten auf ihr Revival?

Tatsächlich gibt es solche Revivals mittlerweile schon. Krocha-Partys werden in österreichischen Großraumdiskos zelebriert als wäre es ein 90er-Themenabend. Braq Oida. Eigentlich nicht mal schlecht für einen Hype, der sich weniger als ein Jahr halten konnte. Und wer weiß, vielleicht kann ein bisschen Hüpftanz ja sogar ganz unironisch Spaß machen. Spielen die Clubs von früher eigentlich noch so Hands-up?

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Ungefähr simultan zu den Krochan schaffte es auch New Rave zu uns, aus dessen Asche sich später ein Zebra-Neon-Leoparden-Movement erhob, angeführt von LMFAO in Shirts mit „I'm in Miami Bitch"-Aufdruck und „Disco Pogo"-Atzen in Kanye West-Shutter Shades. In den Trackshittaz fand man auch schnell ein österreichisches Pendant dazu—mit Krochan hatten die zwar nicht mehr viel zu tun, die große gemeinsame Nenner jedoch nannte sich Party. Direkte Erben dessen gibt es zwar nicht, am ehesten kam aber wohl noch die Abteilung Saturday Night Fever ran. Heute sehen wir diese Trends mehr als Gimmick.

Trotzdem fällt es gegenwärtig schwer, eine Jugendkultur-Strömung auszumachen, die in Sachen Popularität mit den Krocha- oder Emo-Bewegungen der späten Nuller gleichzusetzen ist. Laut Bernhard Heinzlmaier vom Institut für Jugendkulturforschung fehlt es heute an einer starken Leitkultur: „Die alten Kulturen sterben durch die mediale Konservierung nicht mehr, sie werden immer neu aufgearbeitet und neue Hybride entstehen." Daraus ergebe sich schließlich eine unüberschaubare Vielfalt, die sich aus bereits Bekanntem zusammensetzt.

Jugendkultur ist heute also mehr wie ein Bumerang. Ist damit ein Krocha-Comeback nicht irgendwie auch unumgänglich? „Alles ist möglich", so Heinzlmaier. „In Wirklichkeit rennen die ja noch immer auf der Straße herum." Vor allem an den Frisuren—Oben lang und hochgestellt, Seiten kurz—wäre das noch recht gut erkennbar.

Die Krocha haben also ihre Spuren hinterlassen—und eigentlich waren sie ja auch nie wirklich verschwunden. Sie lauern immer noch unter uns, viele von ihnen unwissend, dass sie überhaupt welche sind. Es könnte jeder von uns sein. Und ihre Zeit wird kommen. Schicht war, ist und wird nun mal für immer Pflicht bleiben.

Franz, Oida: @FranzLicht