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So verliert die SVP

Die Chefs stellen die Weichen für die nächste Abstimmung und die Basis flüchtet sich in Radikalität.

Alle Fotos von VICE Media

Wieder einmal mache ich mich auf den Weg an eine SVP-Veranstaltung. Voriges Jahr scheiterte ich kolossal daran, den SVPlern im Jassen paroli zu bieten und den Abstimmungstag zur Masseneinwanderungsinitiative habe ich mit den direktdemokratischen Chefs der Schweiz verbracht. Heute, am Tag der DSI, bin ich ehrlich gesagt nicht ganz so lustig drauf wie damals. Deswegen hat der Fotograf auch etwas Gras dabei. Falls es nicht mehr ohne geht, falls wir den SVP-Grössen spontan etwas aus unserer Lebenswelt zeigen wollen.

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Als wir in den Versammlungssaal kommen, folgt schon der Druckabfall. SVPler auf dem Weg zum Klo lassen verlauten: „Wird hart heute." Roger Köppel spricht währenddessen über Asylpolitik. Eines von etwa fünf Referaten zum Thema, man macht sich bereit für die nächste Schlacht. Nach den ersten Resultaten—ein paar Aargauer Dörfern und Sils in Graubünden—glaubt inoffiziell schon niemand mehr an die DSI, obwohl es noch zwei Stunden dauern wird, bis man es zugibt.

Als Herr Köppel geschlossen hat, frage ich den unterbeschäftigten Andreas Glarner (bekannt von Kampagnen wie „Baden statt Bagdad"), wie es sich anfühlt, wenn Orte wie Strengelbach AG die DSI ablehnen. „Es berührt schon." bleibt die Erstreaktion. Um etwas Dynamik in den Dialog zu bekommen, erzähle ich von unserem Joint-Vorhaben. Andreas Glarner darauf: „Ich will weniger über Kiffer sprechen und mehr über Vergewaltigungsopfer." Christian Imark kommt dazu, ein junger SVP-Nationalrat aus dem Kanton Solothurn: „57.000 Opfer pro Jahr!" Es beginnt ein längeres Dreiergespräch. Ein Einblick:

Imark: Welche harmlose Straftat soll das sein, die im Initiativtext vorkommt?
Ich: Zum Beispiel einfache Drohung.
Glarner: Gegen Beamte! Hallo! Das kann ja nicht sein, dass Ausländer Polizisten bedrohen. Da hätte man schon viel früher etwas machen sollen.
Imark: Das ist doch keine Bagatelle. Haben Sie das schon mal gemacht?
Ich: Ich kann das für mich nicht sicher sagen, jedenfalls nicht definitiv ausschliessen. Wie ist es mit Steuerpolitik, weshalb sind diese Straftaten nicht im Katalog?
Glarner: Man kann ja Leute nicht ausschaffen, weil sie vergessen, eine Quittung anzumelden.
Ich: Aber Sozialhilfemissbrauch ist ja auch drin.
Imark: Das sind die harten Fälle. Das ist Betrug.
Ich: Und bei Steuern ist es kein Betrug?

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Wie so oft an diesem Tag verläuft sich das Gespräch irgendwann. Die älteren Frauen, die an meinem Tisch sitzen, haben im Zwei-Minuten-Takt Angst, dass sie aus Versehen ins Sichtfeld einer SRF-Kamera kommen und maulen deshalb wahllos Journalisten an. Niemand jasst. Alle sind ein wenig fahrig, denn es gibt keinen Grund zur Freude und die Dauer-Statements zu Asylpolitik dienen der Ablenkung.

Der Hausmusiker, ein älterer Herr mit buschigen Augenbrauen, geht schon früh. Eigentlich sei er Kirchenorganist, aber die zwei Stunden Pause habe er sich genommen, um die Partei zu unterstützen. Jetzt gehe es weiter zum nächsten Termin. Ungefragt erzählt er mir auch von seinen ukrainischen und italienischen Wurzeln, von den vielen Ausländern in seinem Freundeskreis.

Als Roger Köppel für einmal nicht belagert wird, halte ich ihm mein Aufnahmegerät hin und frage, wie er das eben gemeint hat: „Rechtsstaat heisst, dass man sich an die Gesetze hält." Er stellt sofort meine Kompetenz in Frage, erst solle ich mich einlesen: „Zaccaria Giacometti, Rektoratsrede 1954 an der Uni Zürich. Das ist ziemlich genau meine Position. Ich habe den Verdacht, dass sie meine Texte nicht gelesen haben, sonst würden Sie mich das nicht fragen. Sie können sich aber gerne mal melden, wenn es Sie wirklich interessiert. Interessiert es Sie?"

Köppel wiederholt im weiteren Gesprächsverlauf, dass es mir an Vorbereitung und Kompetenz mangle, weil ich diesen oder jenen Text nicht gelesen hätte. Sein ebenfalls mehrfach ausgesprochenes Gesprächsangebot werde ich wohl nicht annehmen, da ich das Gefühl habe, dass „Vorbereitung und Kompetenz" Köppels gesprächstaktische Umschreibung für eine abweichende Meinung sind.

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Es folgt die nächste Rede über Asylpolitik. Diesmal vom Schwyzer Sicherheitsdirektor André Rüegsegger. Neu ist nur die Begrüssungsformel: „Wir SVPler gehören zu denen, die mit Niederlagen umgehen können." Um 13:00 Uhr erzählt der künftige Parteipräsident Albert Rösti dann, was Abstimmungsverlierer eben erzählen: „Man gewinnt lieber, wir hätten gerne gewonnen heute, aber man muss vor allem nach vorne schauen."

Auch er redet dann vor allem über Asylrecht. Unerwartet mündet seine Rede in einem Statement für mehr Hilfsgelder für die Flüchtlinge im Libanon, den kurdischen Gebieten Syriens und wo sonst eben noch Flüchtlinge sind. Auch eine unerwartete Reaktion auf die Worte eines zukünftigen Parteipräsidentens: Kaum ist diese Botschaft bei den Zuhörern im Saal angekommen, ertönt lautes Pfeifen, das bis zum Ende seiner Rede andauert. Rösti lässt sich davon aber nicht verunsichern.

In einer Rauchpause spreche ich mit den JSVPlern Adrian Spahr—der bei JOIZ) schon erzählt hat, dass die SVP am meisten ausländische Mitglieder habe—und Nils Fiechter. Im Wissen über Spahrs Pro-Ausländerposition frage ich, ob sie wie SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt der Meinung seien, Secondos seien von der Initiative ausgenommen. Nils Fiechter: „Das ist die Einzelmeinung eines SVP-Nationalrats. Schweizer Bürger sind die, die den Schweizer Pass haben. Ich bin selbst Doppelbürger und habe einen kanadischen Pass. Wenn ich den Schweizer Pass nicht hätte, würde ich mich klar als Ausländer bezeichnen." Dass sich Secondos und andere Ausländer wegen der DSI unter Generalverdacht fühlen könnten, schieben die zwei auf die „Negativbeispiele der Gegenkampagne".

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Mich interessiert speziell, wie es den jungen SVPler an diesem Tag geht. Sie sehen alle aus, als würden sie frisch aus der Rekrutenschule kommen und haben während ihres ganzen politischen Engagements wohl nur gewonnene Initiativen erlebt.

Einen besonders engagierten Eindruck macht Aaron Reichlin. SVP-Generalsekretärin Silvia Bär sitzt neben ihm, will ihn scheinbar vor mir schützen.Sie achtet darauf, dass ich die Formalitäten einhalte. Aber Reichlin ist hochmotiviert, er will seine Ansichten teilen. Zum Beispiel zur Zwei-Klassen-Gesellschaft: „Man will hier arbeiten, man will hier leben, man will Teil der Schweizer Gemeinschaft sein. Dann lass dich doch einbürgern! Ich sehe das Problem gar nicht. Sonst darf man nicht jammern, man werde zweitklassig behandelt. Natürlich ist ein Pole benachteiligt, wenn er in die Schweiz kommt. Sonst könnte man ja direkt jedem an der Grenze den Schweizer Pass geben. Es ist eben eine Zwei-Klassen-Gesellschaft! Erst wenn du jedem Ausländer einen Pass gibst oder den Schweizern den Pass wegnimmst, hast du die klassenlose Gesellschaft!"

Und auch zur DSI hat Reichlin eine klare Meinung: „Kannst du mir sagen, was du willst? Willst dich nicht einbürgern lassen, weil du nicht ins Militär magst, aber hast dann Angst abgeschoben zu werden, weil du kriminell wirst? Wir haben ja kein Grundrecht auf Kriminalität. Auch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Wenn ich hier eins kiffe und dann dem Polizisten sage, ich wisse nicht, dass Kiffen illegal ist, lacht der mich doch aus."

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Ich (gedanklich beim Fotografen): Findest du denn, jemand, der hier eins kifft, sollte ausgeschafft werden?
Reichlin: Du musst dich halt nicht erwischen lassen.

Er schwadroniert weiter über „kriminelle Gedanken" und mündet in der Aussage:

Reichlin: Du hättest auch bei Annahme der DSI sehr vieles machen können, bei dem du nicht ausgeschafft wirst. Dann weisst du, was du machen darfst und was nicht.

Irgendwann gratuliert ihm mein Sitznachbar zum Sieg in dieser Diskussion. Ich wechsle das Thema und frage nach Ski-Resultaten. Als ich nicht weiss, dass Beat Feuz an keinen Riesenslaloms teilnimmt, geh ich meinen Walk of Shame zur nächsten Zigarette. Die Vorträge zu Asylpolitik ermüden. Obwohl es irgendwie auch Spass macht, mit jenen Menschen verhältnismässig wutfrei zu sprechen, die schweizweit die krudesten Freund-Feind-Bilder zeichnen.

Dann hält noch der Schwyzer Ständerat Peter Föhn eine Rede, ausnahmsweise zum heutigen Thema. In Einsiedeln ist gerade allgemeiner Hochmoment, da der Kanton Schwyz Ja zur DSI gesagt hat. Es werden Schnäpse herumgereicht. „Ein Beruhigungstropfen an diesem Sonntag", so Föhn. Man gibt sich optimistisch, man habe sensibilisiert, die anderen Parteien seien in der Bringschuld und die hohe Stimmbeteiligung sei ebenso eine Eigenleistung.

Es sind jetzt schon viele Stühle leer, obwohl die Endresultate noch nicht feststehen. Eine Frau Kühne „gratuliert" mir beim Gehen zu meiner Gutgläubigkeit. Und sie bekräftigt: „Man soll sich an Gesetze halten! Aber ich meine es gut mit euch Jungen. Ich bin nicht mehr lange hier. Ihr tragt nachher die Folgen." „Wir werden damit leben", antworte ich.

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Aber ein kleiner Kloss im Hals bildet sich, denn an diesem Nachmittag habe ich mit einigen sehr radikalen, sehr jungen SVPlern gesprochen. Auch SVP-Nationalrat Christian Imark hat mir gesagt: „Es wird so weitergehen."

Wenn es stimmt, was der Tages-Anzeiger schon vor dem Abstimmungssonntag geschrieben hat, wenn es stimmt, dass die Durchsetzungsinitiative ein neues politisches Bewusstsein geschaffen hat, dann geht es jetzt darum, sich dieses über den heutigen Abstimmungsonntag hinaus zu bewahren. Es wird so weitergehen.

Die SVPler nutzten ihre Redezeit schon für das nächste Anliegen, sie haben Nachwuchs bis ins Vor-RS-Alter. Der „Aufstand für eine neue Schweiz"—wie es die WOZ formulierte—hat erst begonnen. Dafür muss sich der „Dringende Aufruf" zum „Dringlichen Bewusstsein" entwickeln und die „Operation Libero" muss die liberale Bewegung werden, die mit Liberalismus nicht (nur) Wirtschaftswachstum meint.

Die Stimmung ist gegen 16:00 Uhr so phlegmatisch, dass sich der Fotograf seinen Joint für den Heimweg spart. Ich nehme auch zwei Züge. Diesen Text schreibe ich gefühlt urteilsfähig. Ein schöner Tag geht zu Ende.

Benjamin auf Twitter: @biofrontsau

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