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Aufwachsen in Kärnten

Meine Jugend in Kärnten war geprägt von schlechten Cocktails und Zeltfesten.
Foto: Dominik Geiger via VICE Media

Letztens wurde ich auf einer Party gefragt, ob meine Eltern Nationalsozialisten wären. Für mein Gegenüber war das anscheinend die einzig logische Schlussfolgerung aus der Kombination meiner Herkunft und meines Vornamens. Ein Kärntner namens Franz? Nazi.

Das war tatsächlich das erste Mal, dass ich diese Assoziation selbst zu hören bekommen habe, es ist aber bei weitem nicht das einzige Vorurteil, das einem als Kärntner außerhalb der eigenen Landesgrenzen entgegengebracht wird. Und irgendwie sind die allesamt genau das, womit man eben nicht gerne assoziiert werden möchte: Haider, Hypo, HCB.

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Und eigentlich ist Kärnten all das, aber auch so viel mehr. Wenn man wie ich in einem 300-Seelen-Dorf zwischen Kameradschaftsbund, Trachtenverein und Landjugend aufgewachsen ist, lernt man schnell, sich an seine Umgebung und vor allem die vorhandenen Optionen anzupassen. Die sind nicht gerade umfangreich, aber man lernt damit zu leben.

Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung gab es abgesehen von Kino keine, und selbst das war verbunden mit einer 30-minütigen Autofahrt nach Klagenfurt. Das konnte zwar Spaß machen, verging mir aber ab dem Zeitpunkt, als ich zum ersten Mal „Klagifornia" als Ortsangabe bei einem Facebook-Post lesen musste.

Klagifornia

In Klagenfurt war trotzdem alles immer ein bisschen cooler, alles ein bisschen fetziger als am Land. Hier gibt es mit Frau Wutte sogar eine Art moderne Schutzpatronin mit Promi-Status, die ihre Lebensaufgabe darin gefunden hat, Passanten nach einem Euro zu fragen. Ein Tag in Klagenfurt war kein Tag in Klagenfurt, wenn man nicht mindestens einmal mit einem fordernden „Hom's vielleicht an Euro fia mi?" von hinten angerempelt wurde. Als "1-Euro-Frau" ist sie heute bis über die Grenzen hinaus bekannt und so was wie eine lebende Legende. Ich erinnere mich noch gut, als Frau Wutte einmal mit dem Satz „Avete un Euro?" auf mich zukam, und ich nicht nur ihre Aussprache, sondern auch ihr wirtschaftliches Gespür für Mehrsprachigkeit bewunderte.

Frau Wutte, zufrieden aus einem Sessellift winkend. Foto: Wolfgang | Flickr | CC by 2.0

Villach war eine Ausnahme-Destination, aber meistens eher nicht, weil zu weit weg („Wie kumma donn wieda ham?"). Abgesehen davon habe ich vor Kurzem erst erfahren, dass der Ausdruck „Chillach" dort unter Jugendlichen wohl ziemlich etabliert sein soll. Ich bereue also nichts.

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St. Fight

Nein, meine Hood war St. Veit an der Glan. Hier hätte es mir nicht viel egaler sein können, irgendwo „St. Fight" lesen zu müssen, wahrscheinlich hab ich es sogar selbst verwendet. Außerdem war es nur 10 Minuten entfernt. Ihr seht, Entfernung war ohne anständige Öffi-Verbindung (der letzte Bus ging um 19:00 Uhr) durchaus ein Faktor von massiver Bedeutung.

Während meiner Schulzeit begann ich eine innige Beziehung zu St. Veit zu pflegen, die bis heute andauert. Ich bin immer wieder verblüfft über die lustigen Brauchtümer, die den Einwohnern wohl irgendwann mal eingefallen sind. Am Ostersamstag marschiert ein Pfarrer mit einer Entourage aus 30 Trommlern über den Hauptplatz, als wär's die Halftime Show beim Super Bowl. Es ist ziemlich super.

Als ich angefangen habe, fortzugehen, gab es an die fünf Absteigen in St. Veit, in denen man bis zur Sperrstunde um 2:00 Uhr genug getrunken haben musste, um anschließend im einzigen Lokal der Stadt, das sich noch annähernd „Disko" nennen durfte, die ärgsten Hardstyle-Exzesse über sich ergehen zu lassen. Wem das dann doch noch zu viel des Guten war—und das war es meistens, immer—, der konnte sich beim Senior-Thekenchef namens Hermann einen Hermann Spezial bestellen.

Das Besondere am Hermann Spezial war, dass der gute alte Hermann—so glaube ich mich zu erinnern—einfach immer alles rein gekippt hat, was ihm gerade in die Hände fiel. So schmeckte der Hermann Spezial zwar jedes mal irgendwie neu, aber dann eigentlich doch nur nach einem viel zu starken Cuba Libre. Wenn man Glück hatte, bekam man noch schwer definierbare, fruchtfleischähnliche Brocken dazu, bei deren Anblick im Glas man sofort wusste, dass man sich später noch übergeben wird. So ging das ungefähr jedes Wochenende. Glücklicherweise hatte das zur Folge, dass der DJ ( „DJ") schnell wusste, wer man ist, und es somit auch immer klar ging, wenn man sich mal „Kimnotyze" von DJ Tomekk und Lil' Kim wünschen musste.

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Selbige Disko hat mir auch meine erste Anzeige eingebracht. Ich war 16, es war Freitag und gerade halb 1, als ich auf dem Weg dorthin war. Freitags durfte man mit 16 laut damaligem Kärntner Jugendschutzgesetz nur bis 12 unterwegs sein. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, mein Glück am Türsteher zu versuchen, was schon mal ungewöhnlich war, denn hier gab's eigentlich nie so was wie einen Türsteher. Er kontrollierte also meinen (echten!) Ausweis und ließ mich mit einem dumpfen „Aber um 12 bist draußen" durch. Nun war es aber halt schon halb 1, also dachte ich mir „ja, geil". Dummerweise klopfte mir keine 10 Minuten später ein Polizist auf die Schulter und ich musste meinen angetrunkenen Hermann Spezial stehen lassen.

In St. Veit gibt es übrigens ein Lokal, das in den letzten fünf Jahren gefühlte 20 Mal Besitzer und Namen gewechselt hat. Bei jedem meiner Heimatbesuche—und die passieren ungefähr alle zwei Monate—heißt es plötzlich wieder anders und sieht dazu auch noch völlig anders aus. Ich gehe nicht mehr hin, sehne mich nach Beständigkeit.

Zeltfeste

Foto: Franz Lichtenegger

Ansonsten gab es in meiner Gegend eine absurd hohe Dichte an Zeltfesten und eine noch viel absurdere, noch viel höhere Anzahl an Menschen, die diese Zeltfeste feierten, als wäre es das Geilste der Welt, und damit musste ich umgehen. Spiel hier einmal das Fliegerlied und alle zucken komplett aus.

So ein Zeltfest ist übrigens auch die ideale Möglichkeit, um angestaute Emotionen abzubauen, und die hat so mancher Kärntner im Überfluss. Im besten Fall schmust man am Schluss, meistens kommt es aber doch wieder zu einer Schlägerei und mindestens ein Mädchen weint.

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Aber zurück zu Haider, Hypo und HCB. Wenn man darüber nachdenkt, sind fast alle Kärnten-Assoziationen vorwiegend negativ behaftet und das hat Kärnten in Wahrheit nicht verdient. Was sind die positiven Dinge, mit denen man in Kärnten aufwächst? Was bleibt, wenn man von all den unschönen Geschichten absieht? Seen?

Seen

Foto: Dominik Geiger via VICE Media

Kärntens Seen sind das Beste. Wirklich. Zumal es genügend davon gibt. Und alles geschieht um sie herum. Zwar gibt es da durchgehend lauter leidige Elite-Events, von Fête Blanche über die Beachvolleyball-EM bis GTI-Treffen—ok, Elite-Events trifft's vielleicht nicht ganz. Aber so ein Sommer in Kärnten kann einiges, weil eben immer irgendwo ein See in der Nähe ist. Egal wo du bist. Du musst auch gar nicht hin—es reicht alleine, zu wissen, dass man könnte, wenn man wollte.

Eigentlich ist Kärnten gar nicht so übel, wie viele vielleicht vermuten, und dort aufzuwachsen verschafft einem neben dem sexy Dialekt auch eine Idee davon, wie man sich eben manchmal nicht verhalten sollte. Zum Beispiel ein Shirt mit dem Aufdruck „Heimat bist du großer Söhne" in altdeutscher Schrift auf einem Zeltfest tragen. Und wenn der geografisch nächste Typ auf Grindr nicht erst in Slowenien wäre, wäre ich bestimmt auch noch viel öfter dort.

Franz twittert manchmal auch aus Kärnten: @FranzLicht

Titelfoto: Dominik Geiger via VICE Media