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Musik

Eine filmwissenschaftliche Analyse von Three Beat Slide’s „Summertime is Great“

Summertime is great. Wussten wir schon immer. Aber mit diesem Video ist Summertime wirklich noch viel greater, sowasvongreat, Mann!

Der 6. Februar 2013 wird auf ewig einer der wichtigsten Tage meiner Karriere, wenn nicht gar meines Lebens bleiben. An diesem Tag entdeckte ich den Thüringer Sängerknaben Fritz—und sein fantastisches Video zum Song „Thüringer Klöße“. Warum diese für mich persönlich bedeutende Entdeckung für euch relevant sein soll? Nun, seitdem bin ich immer auf der Suche nach neuen Stars des viralen Zeitalters. Und heute bin ich fündig geworden.

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In den vergangenen 13 Monaten habe ich gemerkt: Man muss sehr vorsichtig sein mit solchen Prognosen. Während die meisten schon „HYPE“ schreien und unfassbar berührt sind, hinterfrage ich—ganz der skeptische Wissenschaftler—lieber: Küssen sich diese Menschen wirklich freiwillig? Oder: hat diese Poetry-Slammerin wirklich eine Aussage, die mich berühren sollte? (Antwort: Nein und echt nicht.)

Wenn jemand wirklich gut, echt und in vollkommener Ehrlichkeit von sich überzeugt ist (so wie eben der kleine Fritz aus Suhl), dann spürst du das. Es ist wie ein Blitz, der deinen Körper durchfährt, ein Blitz der Authentizität, der Unverstelltheit. Heute traf mich dieser Blitz, als ich das erste Video der, ääh, Band namens Three Beat Slide sah: „Summertime is Great“.

Kurz zum Hintergrund: Ich habe keine Ahnung, wer diese drei Menschen sind. Meine Vermutung ist, dass es sich um einen alleinstehenden Vater und seine zwei Kinder handelt. Ich vermute ebenfalls (bin mir dabei aber nicht so sicher), dass es sich bei den Kindern um einen Jungen und ein Mädchen handelt. Warum die Mutter in dem Video nicht auftaucht, dürfte einigermaßen selbsterklärend sein—wenn sie nicht vollkommen gestört ist, wird sie längst das Weite gesucht haben.

Kommen wir nun zum eigentlichen Thema dieses Artikels: dem Video. Beginnen wir also mit unserer filmwissenschaftlichen Analyse zu „Summertime is Great“.

Intro: Wolken am Himmel

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Wir kommen nicht umhin, hier direkt den Vergleich zu Fritz' „Thüringer Klöße“-Video zu ziehen. Auch das begann mit Wolken. Bei „Summertime Is Great“ hatten die Macher allerdings eine grandiose, ja, eine Weltidee: aus Wolken formt sich auf einem perfekten blauen Himmel, das Motto und der Titel des Songs. Stundenlang müssen die Experten an den Special Effects geschraubt haben, aber der Aufwand hat sich gelohnt. Im Subtext wird außerdem klar gemacht, dass bei einem amerikanischen Video andere Maßstäbe gelten als in Thüringen. Hier wurden Special Effects erfunden, hier wurde Kinogeschichte geschrieben. Also: Summertime is Great, Hollywood is Great, Summertime is Hollywood!

Erste Szene: Radfahren im Sommer

Sanft schwenkt die Kamera aus dem blauen Himmel hinunter zum Boden und—das hätten wir nicht erwartet—es wird noch schöner. Ein junger Mann—nennen wir ihn Kyle—mit moderner Fönfrisur, einer perfekt abgestimmten dunkelblauen Polohemd-Shorts-Kombination und weißen Sneakern radelt sportlich direkt auf die Kamera zu. Was für eine Einstellung. Wir sind sofort mitten im Geschehen und sehen einen Protagonisten, der nicht nur Sympathien im Sturm erobert, sondern auch perfekt als Identifikationsfigur funktioniert. Dazu die Musik: „Summer vacation is here, gonna run my bike, gonna go somewhere.“ Große Kunst kann so einfach sein.

Zweite Szene: Im Freibad mit Peggy

Die zweite Protagonistin—nennen wir sie Peggy—schwebt elfengleich ins Bild. Wie es sich für die Summertime gehört, befindet sich Peggy im Freibad. Allerdings nicht, wie man erwarten könnte, in einem aufreizenden, knappen Bikini, sondern modisch bewusst in einem eleganten Einteiler. Ja, Peggy hat Stil und sie kann singen. Wir fragen uns zu diesem Zeitpunkt: Wird „Summertime“ eine Liebesgeschichte? Sind Peggy und Kyle füreinander gemacht? Oder sind es—und die Optik spricht deutlich dafür—vielleicht doch Geschwister?

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Dritte Szene: Plansch!

Auch bei dieser Einstellung fühlt sich der geübte Filmwissenschaftler gleich an ein deutschsprachiges Musikvideo erinnert—allerdings versagt die Bilderbuch ästhetisch auf ganzer Linie, wenn man die Bauchplatscher-Orgie mit dieser gekonnt platzierten angewinkelten Kerze vergleicht. Wieder wird uns im alten Europa deutlich gemacht, dass wir filmisch mit den USA kaum mithalten können. Musikalisch selbstverständlich auch nicht.

Vierte Szene: Im Auto

Unsere Ahnung bestätigt sich—offensichtlich handelt es sich bei den inzwischen drei Protagonisten aus dem Musikvideo um eine kleine Familie. Schaut, wie fröhlich sie sind! Kein Wunder, es ist ja auch Summertime, wie great! Kyle und Peggy sind geradezu berauscht, es ist aber auch schön, zu dritt auf der Rückbank eines viel zu engen Elektroautos zu sitzen und durch den Sommer zu fahren. Der Papa—nennen wir ihn mal Steve—scheint hinter der fröhlichen Fassade dagegen etwas in Sorge. Und zwar zu Recht, denn nicht nur er fragt sich, wer zur Hölle die Karre überhaupt lenkt!?

Fünfte Szene: Free to be just what I wanna be

Ja, auch das ist Amerika, das Land der unendlichen Freiheiten: Free to be, ist hier ein Lebensmotto. Und wenn du nun mal Lust hast, dich mit einem roten Handtuch vor einem Springbrunnen in der perfekten Vorstadt-Parkanlage einfach nur im Kreis zu drehen, wird dich niemand daran hindern. Dreh dich, Peggy, dreh! You Are FREE!

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Sechste Szene: Ja, auch du Kyle bist frei

Kyle will sich auch im Kreis drehen, denn das macht Spaß, haha, das ist sooo lustig und nachher ist dir sooo komisch, haha, ist das nicht toll, wie viel Spaß man haben kann, wenn man einfach so ist, wie man ist? Ganz ohne Internet, Smartphone und PS4. Das ist das echte Leben.

Siebte Szene: Am Strand

Moment, was ist das denn? Sehe ich da etwa einen Hauch von Melancholie in Kyles zusammengekniffenen Augen? Summertime Sadness, oder was? Ziemlich geil an dieser ansonsten eher unspektakulären Einstellung: die subtile Nachricht auf der stylische Cap: „Why Not?“ Ja eben, why not?

Achte Szene: Papa Steve grillt

Summertime, die Zeit des toten Tiers auf den Grills dieser Welt. Steve sieht definitiv aus wie jemand, der den Grill beherrscht. Leicht gerötete Bäckchen, teils von der Hitze, teils von der Aufregung—endlich Fleisch! Der Grill, das ist auf den ersten Blick erkennbar, ist ein Profigerät. Daran zu grillen, ist kein Spaß, sondern Arbeit, Männerarbeit. Und Steve ist ein Mann. Ebenfalls sehr männlich: wie er die Hose trägt.

Neunte Szene: Am Strand, Pt. 2

Auch Peggy bekommt ihre Strandszene und auch bei ihr macht sich ein Hauch von Summertime Sadness breit, was aber vor allem dem trüben Licht und den blassen Farben geschuldet ist—Peggy selbst gibt Gas. Sie ist einfach eins dieser Talente, die einen Film durch ihre bloße Präsenz am Leben halten kann. Beeindruckend.

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Zehnte Szene: Peggy und Kyle im Minigolf-Wonderpark

Die Dunkelheit der Nacht legt sich über den Sommer, Peggy und Kyle befinden sich inzwischen in einem Abenteuer-Minigolf-Park. Der eigentliche Clou an dieser Szene ist aber die animierte Kugel, die plötzlich in Peggys Händen auftaucht und dann ganz langsam auf der Balustrade vor den beiden entlangkullert. Animierter Wahnsinn. Absolutes Hollywood-Niveau. Ich rechne damit, dass die Kugel plötzlich Kurs auf die Kamera nimmt und dann in 3D auf mich zugeschossen kommt. Aber der erwartete Effekt bleibt aus.

Elfte Szene: Die Maschine

Keine Ahnung, in was für einer Art Maschine die beiden Schönheiten hier blicken—kann sie die Wahrheit vorraussagen? Soll sie uns vielleicht die Wahrheit über dieses Musikvideo, diese Familie, dieses Land verraten? Wir wissen es wirklich nicht.

Zwölfte Szene: Die Eiskrem-Szene

Was wäre ein Summertime-Video ohne an einem leckeren Eis geschlabbert zu haben? Nichts, eben. Trotzdem scheinen die Macher dieses fantastischen Videos die Szene bei den ursprünglichen Dreharbeiten vergessen zu haben. Zum Glück ist das heute alles kein Problem mehr, die entscheidende Szene wurde einfach im Green Screen nachgedreht. Vermutlich sieht ein gewöhnlicher Fernsehfreund das gar nicht, aber durch meine langjährige Ausbildung als Filmwissenschaftler kann ich deutlich erkennen, dass der Hintergrund nicht exakt zu den beiden sich im Zentrum des Bilds befindlichen Figuren passt. Ja, es ist wirklich schwer zu erkennen. Hier waren offenkundig Profis am Werk.

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Dreizehnte Szene: Die Motorrad-Gäng

Knallhart cruisen Vater und Sohn durch die Weiten des Westens, aus diesem Stoff sind die Klassiker der Filmgeschichte gemacht. Natürlich benötigen die beiden keine Helme, Helme sind für Pussys, sie aber sind Männer. Mit der Szene wird gegen Ende des Videos das Tempo nochmal massiv angezogen, wir sitzen gebannt vor dem Rechner. Wer wird das Rennen gewinnen, der alternde Häuptling oder doch sein junger Nachfolger?

Letzte Szene: Im Auto, Pt. 2

Wir kommen zum Ende. Eine ganz ähnliche Szene hatten wir schon. Aber es lohnt sich trotzdem ein genauer Blick. Hier ist nämlich die Antwort auf die oben gestellte Frage, wer die Karre fährt. Ist das etwa die Mutter der sympathischen Kleinfamilie? Soll das etwa bedeuten, dass sie noch nicht Reißaus genommen hat? Oder—wahrscheinlichere Variante—ist es die vom Amt gestellte Betreuerin?

Letzte Einstellung: Ride into the Sunset

Zum Abschluss greift der Regisseur noch mal in die Trick-Kiste und arbeitet Bandnamen und Songtitel so geschickt ins Bild, dass wir glauben, die Schrift befände sich tatsächlich auf dem Auto Gefährt.

PS: SWAG

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