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Warum ich als Türke in Wien zum Schein in einer eingetragenen Partnerschaft lebe

"Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich wurde depressiv, nahm Drogen und lebte in ständiger Angst vor den Behörden"
Foto: Blavou – Wedding Photography

Sein Kind zum Studium ins Ausland zu schicken, zeugt in der Türkei von Wohlstand und gehobenem Intellekt. Als sich 2009 gesellschaftliche Spannungen unter der AKP-Regierung abzeichneten, entschieden auch meine Eltern, dass ich in Europa studieren sollte. Auf Empfehlung eines Bekannten, inskribierte ich mich an der Universität Wien. Anfangs fiel es mir ziemlich schwer, mich in den Studienalltag zu integrieren. Hauptsächlich wegen meiner mangelnden Deutschkenntnisse. Nach drei Semestern entschied ich mich deshalb für ein Auslandssemester in Holland. Ich fand neue Freunde und konnte gut mithalten, da die Universitätssprache Englisch war.

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Als ich nach Wien zurückkam, erwartete mich ein Einschreiben vom Magistrat, das dort seit vier Wochen auf mich wartete. Ich stellte ein bisschen überrascht fest, dass meine Mitbewohnerin das Schreiben einfach angenommen und mich nicht informiert hatte. Im Brief stand, dass ich geforderte Dokumente nicht fristgerecht eingereicht hatte und mein Visumsantrag abgelehnt worden war. Das Wort "abgelehnt" war groß und fett unterstrichen. Nach der unbeschwerten Zeit in Holland war das ein riesiger Schock. Am Amt teilte mir die zuständige Beamtin freundlich aber bestimmt mit, dass ich in die Türkei zurück und beim dortigen Amt einen neuen Antrag stellen müsse.

Die folgenden zwei Jahre waren die schlimmsten meines Lebens. Ich entschied mich, nicht zurück in die Türkei zu gehen und lebte von nun an ohne Aufenthaltsgenehmigung in Österreich. Aus Scham ließ ich meine Familie in dem Glauben, dass ich einen normalen Studentenalltag führte. Persönlich ging es mir allerdings immer schlechter. Ich lebte in ständiger Unsicherheit über meine Zukunft. Ich bekam Depressionen und versuchte, sie mit Drogen zu betäuben. Im zweiten Jahr wurde es so schlimm, dass ich nicht mehr zur Uni gehen konnte. Ich hatte keine Arbeitserlaubnis und lebte ausschließlich vom Geld meiner Eltern. Partys, Abstürze und harte Drogen bestimmten mein Leben.

Einen Ausweg fand ich im Basketball. In der Türkei war ich ein gefeierter Nachwuchsspieler gewesen—in Österreich war mir das Interesse aufgrund meiner Probleme verloren gegangen. Ich fing an, wieder regelmäßig zu spielen und schaffte es, Drogen- und Alkoholeskapaden mit einer sinnvollen Beschäftigung zu ersetzen. Durch das regelmäßige Spielen lernte ich Jonas* und Malte* kennen, beides Studenten. Wir freundeten uns an und wurden bald unzertrennlich. Sie integrierten mich in ihren Freundeskreis und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass ich wahre Freunde in Wien gefunden hatte. Ich verschwieg ihnen meine Situation und gab vor, einen normalen Studentenalltag zu führen.

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Der Tag, vor dem ich mich die letzten Jahre gefürchtet hatte, schien jetzt einzutreten: Ich sollte abgeschoben werden.

Ich erzählte, dass ich an der Wirtschaftsuniversität eingeschrieben sei und erfand Geschichten über Lehrpläne und Lernstoff. Der Schwindel flog auf, als eine Freundin, die tatsächlich an der WU studierte, mich entlarvte. Die befürchteten negativen Reaktionen im Freundeskreis blieben aus—im Gegenteil, mir wurde Unterstützung versichert.

Zirka zu diesem Zeitpunkt schlug Jonas zum ersten Mal die Idee einer eingetragenen Partnerschaft vor. Ich verneinte, da ich ihn als Freund nicht um einen so großen Gefallen bitten wollte. Es vergingen ein paar Monate, in denen ich die Situation vor mir herschob. Dann erhielt ich eine Vorladung von der Polizei. Der Tag, vor dem ich mich die letzten Jahre gefürchtet hatte, schien jetzt einzutreten: Ich sollte abgeschoben werden.

Meine Freunde schlugen mir daraufhin erneut eine eingetragene Partnerschaft vor. Nach langem Nachdenken willigte ich ein. Da Jonas zu dieser Zeit in einer WG wohnte und Malte sich gerade auf Wohnungssuche befand, entschieden wir, dass ich mit ihm die Lebensgemeinschaft eingehen sollte und wir eine gemeinsame Wohnung beziehen würden.

Wir gingen ohne Vorbereitung zum Magistrat und beantragten eine eingetragene Partnerschaft. Die Bearbeitung der Unterlagen nahm eine Menge Zeit in Anspruch. Am Ende konnte ich durch die Partnerschaft aber auf ein fünfjähriges Visum hoffen. Und das, obwohl im Normalfall nur ein einjähriges Visum genehmigt wird. Ich vermute, der Grund ist die Ausgrenzung und Diskriminierung von Homosexuellen in der türkischen Gesellschaft. Der Prozess würde fünf Monate dauern, wurde mir gesagt.

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Malte und ich bezogen eine Zweizimmerwohnung. Ich schlief auf der Wohnzimmercouch und er hatte ein eigenes Zimmer. Kurz darauf war Malte allerdings verschwunden. Von einem auf den anderen Tag tauchte er ab und kam in den nächsten Monaten nur phasenweise zurück. Die Monatsmieten blieb er mir ebenso schuldig, wodurch ich schnell einen Berg von Schulden anhäufte.

Zweimal kam in diesen Monaten die Polizei vorbei. Sie stellte mir eine Menge Fragen, inspizierte die Wohnung und verlangte nach Bildern, die unsere Beziehung dokumentierten. Ich versuchte, kooperativ zu wirken, aber innerlich waren diese Momente eine Zerreißprobe. Da Malte kaum zuhause war, musste ich bei Kontrollen ständig argumentieren, dass er geschäftlich viel auf Reisen sei.

Ich lebte in ständiger Unsicherheit über meine Zukunft. Ich bekam Depressionen und versuchte, sie mit Drogen zu betäuben.

Der ständige Stress, bei einer erneuten Behördenkontrolle aufzufliegen, machte mich fertig. Ich fing wieder an, Drogen zu konsumieren und zog mich zurück. Ich bekam Panikattacken und fühlte mich ständig verfolgt und beobachtet. War der Postbote, der mir die Post brachte, ein verdeckter Ermittler? Als ich kurzzeitig Maltes Zimmer untervermieten wollte, bekam ich E-Mails, in denen der Bewerber mehr an Informationen über mein persönliches Umfeld als an Details über die Wohnung interessiert war. Auch hier glaubte ich an eine Falle der Behörden.

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Rückblickend kann ich nur schwer eine Linie zwischen Einbildung und berechtigten Bedenken ziehen. Ich kann nur sagen, dass ich durch die ständigen Verfolgungsängste kaum noch Handy oder Internet benutzte. Beim Gespräch mit einer Freundin realisierte ich endlich, dass hinter der Paranoia und dem Verfolgungswahn nicht ständige Überwachung der Behörden, sondern tiefgreifende psychische Probleme steckten, ausgelöst durch die andauernden Strapazen. Ich stoppte meinen Drogenkonsum, begab mich in psychiatrische Behandlung und war auf Schwarzarbeit angewiesen, da ich bereits hoch verschuldet war.

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Als der positive Visabescheid nach fünf Monaten endlich eintraf, rechnete ich kaum noch damit. Nach all der Zeit und mittlerweile sieben Jahren in Wien, hatte ich eine Aufenthaltsgenehmigung über fünf Jahre bekommen und konnte es kaum fassen.

Dieser ganze Prozess hat mich kaputt gemacht. Schlaftabletten und Antidepressiva sind meine täglichen Begleiter geworden, um die Panikattacken, die ich noch gelegentlich habe, zu unterdrücken. Trotzdem schaue ich positiv in die Zukunft. Ich lebe jetzt in einem sozialen Umfeld, das mich unterstützt und mir aktiv bei der Bewältigung meiner Probleme hilft. Ich habe mein Studium wieder aufgenommen und eine geregelte Arbeit gefunden, um meine Schulden abzubezahlen. Ich wohne heute immer noch in Wien, aus der Wohnung bin ich allerdings ausgezogen und lebe jetzt in einer WG mit Freunden. Zu Malte habe ich derzeit keinen Kontakt. Die eingetragene Partnerschaft besteht allerdings immer noch.

*Namen geändert


Titelbild: Thanks to Blavou, a London Wedding Photographer for providing the image to support this article.