Kann man als Mann Feminist sein?

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Kann man als Mann Feminist sein?

Aus der Sicht des Autors ist der feministische Gedanke alternativlos.

Foto: Liz Lemon | flickr | by CC 2.0

Dieser Text erschien zuerst auf Silvanos Blog.

Kann ich als Mann Feminist sein? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Brian Klocke von der amerikanischen Organisation NOMAS (National Organization For Men Against Sexism) sagt in seinem Essay zu diesem Thema: Nein, eigentlich nicht. Für den feministischen Gedanken einsetzen könne ich mich aber dennoch.

Klocke argumentiert, dass ein Mann sich in einem patriarchalischen System nicht aus seiner Position als von der Gesellschaft bevorzugtes Mitglied des privilegierten Geschlechts lösen könne. Genauso wie ich als weißer Europäer kein Mitglied des amerikanischen schwarzen Nationalismus werden kann. Für beides, so erläutert er, müsse man Mitglied der jeweiligen Minderheit sein. Er sagt aber auch:

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"It is crucial for men to be a part of feminist agency. If feminism is to attain its goal of liberating women, men must be a part of the struggle. Indeed, men probably bear more of the responsibility for ending oppression of women since patriarchal men have been the main perpetrators of that very oppression."

Man(n) hat also nichtsdestotrotz die Möglichkeit, sich als feminismusfreundlich oder als anti-rassistisch zu positionieren. Es gibt Spielraum.

Eine Erhebung der Statistik Austria zeigt, dass der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern in Österreich 2014 noch immer 22,2 Prozent betragen hat. Diese Differenz ist in den vorangehenden acht Jahren zwar um 2,3 Prozent geschrumpft, lässt Österreich aber auch heute noch auf dem viertletzten Platz aller EU-Mitgliedsstaaten sitzen.

In Österreich leben 135.000 mehr Frauen als Männer. Dennoch ist der österreichische Nationalrat lediglich zu 31 Prozent mit Frauen besetzt. Aus mehr als der Hälfte der Bevölkerung wird im politischen Diskurs also etwas weniger als ein Drittel – diese Tatsache nimmt Mitgliedern eines Geschlechts faktisch die repräsentative Mehrheit auf der Politikbühne. Natürlich ist diese Mehrheit nicht automatisch mit einer politischen Ideologie verknüpft; Mitglied einer Gruppierung zu sein (sei dies rein ideologisch, geschlechter- oder kulturspezifisch) geht dennoch meist mit zumindest teilweise überlappenden Interessen einher.

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Es ist bemerkenswert, dass dennoch eine solch eindeutige Differenz zwischen Realität und einzelnen Einschätzungen im öffentlichen Diskurs zu beobachten ist. Es wird zuweilen behauptet, dass Gleichstellung bereits erreicht sei. Angesichts einer solchen Einschätzung stimmt es nachdenklich, wenn gemäß einer aktuellen Umfrage 32 Prozent der Österreicher Vergewaltigung unter gewissen Umständen billigen.

Als hellhäutiger, männlicher, universitär ausgebildeter Schweizer aus der Mittelschicht habe ich den fiktiven Lotto-Jackpot geknackt. Ich wüsste nicht, zu welcher benachteiligten Minderheit ich mich zählen sollte – mir stehen alle Türen offen. Und die Tatsache, dass dies allem voran an Merkmalen festzumachen ist, die ich nicht durch Eigenleistung erreicht habe, scheint absurd.

Ich kann nichts für mein Geschlecht und ich bin überzeugt, dass ich kein schlechtes Gewissen haben muss, als Mann geboren worden zu sein. Ich glaube aber auch, dass es auch für Männer notwendig ist, über den Status Quo nachzudenken und für sich selbst herauszufinden, ob man damit einverstanden ist.

  • Bin ich damit einverstanden, dass Frauen für dieselbe Leistung weniger verdienen als ich? 
  • Bin ich damit einverstanden, dass Frauen medial oftmals auf ihr Äußeres reduziert werden, während bei Männern Errungenschaften und Erfolge im Zentrum stehen?
  • Bin ich damit einverstanden, dass beim Thema sexueller Ausbeutung zuweilen eine Verhaltensänderung bei der Frau im Zentrum des Diskurses steht und nicht die Erziehung potenzieller männlicher Straftäter?

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Kurz: Bin ich damit einverstanden, dass die Hälfte der Bevölkerung noch immer systematisch benachteiligt wird?

Aus meiner Sicht ist der feministische Gedanke alternativlos. Als jemand, der sich unter anderem für die Gleichstellung von Menschen aller Hautfarben und Religionen einsetzt, habe ich natürlich keine andere Wahl, als auch diese Ungerechtigkeit zu verurteilen.

Womit wir bei einem der größten Probleme des Feminismus sind (das eigentlich kein Problem des Feminismus selbst ist, sondern wie so oft von denen, die von außen darauf blicken): seinem Image. Feministinnen seien Emanzen und Männerhasser. Dass dabei meist nur von Frauen gesprochen wird, lassen wir hierfür kurz außen vor.

Aus meiner Sicht werden solche Überzeugungen nicht nur durch mangelndes Wissen über die Thematik und Fehlinformationen genährt, sondern auch durch die einfache Tatsache, dass der Begriff  Feminismus sich auf ein Geschlecht fokussiert. Es ist ein Fakt, dass Frauen Männern gegenüber schlechter gestellt sind – der Begriff ist also schon sinnvoll gewählt.

Es kann aber argumentiert werden, dass er marketingtechnisch ungünstig ist. Geht man von der Annahme aus, dass es der Ideologie als Ganzes hilft, wenn Männer sich vermehrt damit befassen, dann wirkt die Suche nach einer Alternative auf den ersten Blick legitim. Denn der Begriff suggeriert eine Stärkung der Frau, was von vielen Männern vor allem als Schwächung ihrer eigenen Position missverstanden wird. Natürlich geht es im Feminismus nicht darum, Männern einen Begriff zu liefern, mit dem sie sich wohlfühlen. Und eine Rechtfertig soll dieser Text schon gar nicht sein.

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Wir können dasselbe beispielsweise beim Begriff des  Sozialstaats beobachten. Stigmatisierungen dieser Begriffe fallen dabei so heftig aus, weil die Angst des Einzelnen, der nicht Teil der Benachteiligten ist, darin besteht, bald dazuzugehören. Beim Sozialstaat geschieht das dahingehend, dass einzelne Menschen nicht akzeptieren können, finanziell für Benachteiligte aufkommen zu müssen.

Und auch der Begriff des Feminismus ist – sofern er fälschlicherweise als Angriff empfunden wird – vielen Männern unangenehm. Doch die Benachteiligung irgendeines Geschlechts ist bekanntermaßen nicht das Ziel des Feminismus – die Gleichstellung ist es.

Ein etablierter Vorschlag ist die Bezeichnung  Equalismus.Gegner einer Umbenennung des Feminismus argumentieren aber, dass der neue Begriff "impliziert, dass Männer angeblich genau so unter Sexismus leiden würden wie Frauen, dass es keine Geschlechterhierarchie (mit den Männern oben), kein Patriarchat, keine männlichen Privilegien oder allenfalls gleich viele und gleich wichtige männliche wie weibliche Privilegien gibt." Ein nachvollziehbares Argument, das die Kommunikationsproblematik allerdings nicht erleichtert.

Ich selbst werde mich weiterhin als Feminist bezeichnen. Nicht, weil ich Klockes Argumentation vom Anfang nicht nachvollziehen kann, sondern weil es aus meiner Sicht im gesellschaftlichen Diskurs Männer braucht, die durch Verwendung dieser bereits etablierten Bezeichnung versuchen, die öffentliche Wahrnehmung zu verändern: Feminismus ist kein reines Frauenthema.

Equality is not a concept. It's not something we should be striving for. It's a necessity. Equality is like gravity. We need it to stand on this earth as men and women, and the misogyny that is in every culture is not a true part of the human condition. It is life out of balance, and that imbalance is sucking something out of the soul of every man and woman who's confronted with it. We need equality. Kinda now. – Joss Whedon

Und deswegen braucht es mutige Männer. Ich wünsche uns den Mut, uns selbst und den gesellschaftlichen Status Quo zu hinterfragen. Und zwar ohne Angst vor der Veränderung und ohne Angst vor Statusverlust.

Denn zwei Dinge sind klar: Der Weg zur Gleichstellung der Geschlechter ist noch weit. Und die Rolle des männlichen Geschlechts in diesem Kampf ist eine zentrale, die lieber früher als später wahrgenommen werden sollte.

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