Hört auf zu glauben, dass nur Recht, Wirtschaft und Naturwissenschaften richtige Studiengänge sind

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Studium

Hört auf zu glauben, dass nur Recht, Wirtschaft und Naturwissenschaften richtige Studiengänge sind

Mit Politikwissenschaft, Soziologie und ähnlichem bist du besser für das Arbeitsleben gewappnet als du denkst.

Foto: The Global Panorama| flickr| by CC 2.0

Ich habe leidenschaftlich gerne Soziologie studiert. Das kann ich wirklich felsenfest behaupten, da ich einen Vergleichswert und es davor mit einem BWL-Studium probiert habe. Also, gefühlte zwei Vorlesungen lang. Die Soziologie gehört zu den Sozialwissenschaften – eigentlich genauso wie die Rechtswissenschaft oder die Betriebswissenschaft. Zu den Sozialwissenschaften gehört nämlich jedes Fach, das sich mit dem gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen auseinandersetzt.

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Als ich – effektiv zwei Vorlesungen und auf dem Papier drei Semester lang – Wirtschaft studiert habe, wurde mir anbiedernder Applaus aus meiner Umgebung zuteil. Kennt ihr das Bild vom Anfang von König der Löwen, als Rafiki der Affe stolz Simba hochhebt und der tierischen Gesellschaft zeigt? So haben das meine Eltern eine Zeit lang trotz keiner einzigen absolvierte Prüfung mit mir gemacht.

Ich war klug. Aus mir würde endlich etwas werden. Immerhin ist BWL, VWL oder auch IBWL ein "kluges" Studium, dass nicht nur total viel bringt, sondern auch besonders hart ist. Die besten Voraussetzungen also, um bei guten Christen dafür Lob zu bekommen. Die meisten Menschen sehen BWL auch nicht bei den Sozialwissenschaften, weil immerhin extrem viel gerechnet wird. Sozial- oder Geisteswissenschaften sind in den Augen vieler Menschen die Studienrichtungen, mit denen man später bekiffter Taxi-Fahrer wird. Und das auch nur im besten Fall, sollte man überhaupt jemals fertig werden.

Den unreflektierten Zuspruch und die bewunderungsvollen Augen bekommen Studenten der Medizin, der Rechtswissenschaften, der Wirtschaft, der technischen und naturwissenschaftlichen Fächer und vielleicht noch ein paar Boku-Studiengänge.

Wenn man erzählt, dass man Soziologie studiert, lachen ein paar Leute; ein paar Leute antworten mit "Ah, eh" und ein paar andere ignorieren die Aussage komplett, als würde man sie gerade um Geld anschnorren. Nachdem ich also mein EC (man muss nicht wissen was das ist) in Jus absolviert und auch wirklich viel mit Menschen aus anderen Fächern zu tun hatte – danke Tinder – möchte ich hier mit den dümmsten Vorurteilen aufräumen, mit denen man mich regelmäßig als Sozialwissenschaftlerin konfrontiert hat.

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"Das ist etwas für Leute, die nicht wissen, was sie sonst studieren sollen"

Nein. Die grandiose Idee, nach der Matura Jus, Wirtschaft, irgendwas Naturwissenschaftliches, das man in der Schule ganz gern hatte, oder Medizin zu studieren, hatte einfach wirklich jeder an einem Punkt seiner verlorenen und unreflektierten Jugend. Wer einfach das Erstbeste studiert, der weiß in der Regel nicht, was er sonst studieren soll – und will sich so komplizierte Fragen auch gar nicht erst stellen.

Klar, es gibt auch die Die-Hards: Die Pferdemädchen, die tatsächlich Veterinärmedizin machen und im Zuge des Studiums draufkommen, dass Polly das Pferd nicht so entzückt ist, wenn man ihr die Hand in den Arsch schieben muss.

Oder die Söhnchen die de facto keine Wahl haben, weil ihr CEO-Papa oder ihre Vorstands-Mama nun mal auf Wirtschaft oder Jus pochen. Alles andere wären nicht nur keine "richtigen Studiengänge", sondern auch ein Enterbungs-Grund. Diese Leuten haben tatsächlich ihre Studiumsberufung schon mit 12 gefunden und sich offenbar seither persönlich oder ideell nicht weiterentwickelt. Aber der weitaus größere Teil der grauen Masse an orientierungslosen Studenten ist einfach nur arm und verloren am Uni-Markt.

Viele meiner Kollegen haben mit einem der "goldenen", gesellschaftlich anerkannten Fächer begonnen – nur um dann draufzukommen, dass man sich den trockenen, einseitigen, uninteressanten Scheiß nicht geben will.

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Dann haben sie weitergesucht und auch etwas für sich gefunden – um sich anhören zu dürfen, dass man sowas Belangloses doch angeblich nur studiert, weil man nicht wusste, was man sonst studieren sollte.

Tatsächlich ist es aber eher so: Wir wussten ganz schnell, was wir nicht studieren wollen. Wir wissen auch, dass ein Studium eine wissenschaftliche Ausbildung und keine Berufsausbildung sein soll. Wir wissen, dass Interesse und Leidenschaft das Benzin in unsrem (Think)Tank sein sollte – und nicht Qual, gesellschaftliche Anerkennung oder eine naive Vorstellung vom späteren Beruf.

"Damit bekommt man nachher doch keinen Job"

Bevor ich diesen Job hier hatte – mit 23 wohlgemerkt –, hatte ich diverse andere Jobs während des Studiums. Gut, manche davon waren Aushilfsjobs, aber es waren einige dabei, die ich durchaus in meinen Lebenslauf schreiben würde. Ich kann mich auch definitiv aufgrund meiner Joberfahrung überall sonst in den Medien bewerben – und sogar in andere Bereiche einsteigen. Soziologie erlaubt mir das. Vielleicht braucht es ein oder zwei Zusatzkurse – aber so geht es dem gemeinen BWLer am Arbeitsmarkt auch.

Die Quote der Juristen, die das Studium tatsächlich schaffen, wird mahnend von den Professoren in den Vorlesungen weitergegeben. Ich weiß nicht mehr, wie niedrig sie genau ist, aber sie ist ziemlich niedrig. Medizin hat ein ähnliches Problem. Auch ein BWL-Abschluss macht dich weder zum Investmentbanker, noch zur Marketing-Chefin. Wir müssen als Studierende der Wahrheit ins Gesicht schauen: Es ist scheißegal, was du studierst. Das Studium an einer Universität ist nie eine Berufsausbildung und du bist nach deinem Abschluss immer ein ziemlicher Niemand am Markt.

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Es ist wie damals mit der Matura – nur dass du diesmal für alle Stellen überqualifiziert bist. Ausnahmen sind tatsächlich nur die Mediziner und Naturwissenschaftler – weil sie oft ein Monopol an ihrem Wissen haben und nur wenige Menschen das jeweilige Studium auch abschließen.

Sich einzubilden, dass es die BWLer besser als die Soziologen haben, ist aber naiv. Und Naivität hat am Arbeitsmarkt nichts verloren. Eventuell schwanken die Einstiegsgehälter etwas, aber die sind ohnehin grundsätzlich niedriger als erwartet – Raufarbeiten, Selbständigkeit oder im Lotto gewinnen hat nichts mit deiner Studienwahl zu tun.

"Die Studenten kiffen doch nur"

Alle Studenten kiffen. Punkt. Nicht wirklich, aber so fühlt es sich an, wenn man bereits mehr als null Mal in einem Studentenheim, auf einer Studentenparty oder an einer Studenteneinrichtung – gemeinhin auch bekannt als "Universität" – war.

Es gibt keinen Studiengang, der THC-frei bleibt. Die gängigen Sozialwissenschaftler interessieren sich halt nicht wirklich für mögliche Konsequenzen oder ihr Außenbild – deshalb kiffen sie eventuell sichtbarer. Dass Jus- oder auch BWL-Studenten schon beim Thema "Vor der Uni kiffen" mit paranoiden Schüben in Kontakt kommen, ist wahrscheinlich die einzige Ausbildung, die sie auf ihr übriges Leben vorbereitet.

Ansonsten ist der Kiffer-Anteil an einem Soziologie-Institut sicher nicht höher als an einer Medizin, einer TU-Studienrichtung oder auch sonstigen Fächern. Sie machen es vielleicht nicht so offensichtlich, weil sie das Konzept der Außenwirkung noch ernst nehmen. Den klassischen Sozial- und Geisteswissenschaftler kümmern solche egozentrischen Konzepte nicht.

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"Es sind die einfachsten Studiengänge"

Das ist eine gottverdammte Lüge und sie wird einfach weitergetragen, ohne dass sie jemand als solche entlarvt. Sogar meine eigenen Kommilitonen sagen nichts dagegen, obwohl sie gebrochen aus der zig-sten Statistik-Prüfung kommen, oder gerade einen 29-seitige Arbeit über Marx und die heutige Welt geschrieben haben.

Habt ihr schon mal Marx gelesen, ihn verstanden (!) und ihn auf die heutige gesellschaftspolitische Lage umgelegt? Nein? Dann habt ihr keine Ahnung von abstraktem Denken. Das war ein Schmäh, aber ihr wisst was ich meine. Das Studium bedient sich am immer gleichen Schema. Man muss Sachverhalte verstehen, eine Koffeinsucht entwickeln, oft auch auswendig lernen und sie in einer Prüfung auf die ein oder andere Art umsetzen können.

Aber der Lernmodus – oft erstmal nur stures Auswendiglernen – ist exakt derselbe. Es ist einfach saufad, BWL, Jus und ähnliche Studiengänge zu lernen. Es ist trocken und schwer zu merken, weil es abstrakt ist. Ich habe meinen STEOP-Prüfungsstoff begeistert und gerne meinen Freunden erzählt. Von Jus-Erstsemestrigen hört man: "Naja, da geht's um Sklaven und Römisches Recht."

Eine Sache ist nicht "einfacher" nur weil sie spannender ist. Das Gemerkte ist auch nicht alles – man muss es umsetzen, verknüpfen und reflektieren können. Besonders das Reflektieren scheint mir hier wichtig. Die WU hält ihre Studierenden genau einmal im Semester zur intelligenten und begründeten Reflexion an – und zwar dann, wenn die Frage im Raum steht, wie man seine Punkte in einer Minute für welche überlaufenen Kurse vergibt.

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Ich hatte ausschließlich Kurse, in denen ich dazu gezwungen war, selbst mein Hirn einzuschalten. Marx lesen hat nicht gereicht – ich musste in einem argumentativen Aufsatz in einer Prüfungssituation mittels anderen Theorien erklären, warum er nicht oder eben doch Scheiße redet.

Man kann bemängeln, dass anders geprüft wird – aber seit Bologna können wir davon ausgehen, dass 30 ECTS mehr oder weniger überall derselbe Aufwand sind (oder zumindest sein sollten). Auch Sozialwissenschaftler denken abstrakt, rechnen und weinen vor jeder Prüfungsphase. Auch sie kennen – je nach Studium mehr oder weniger – Knock-Out-Prüfungen, überfüllte Säle und unklaren Prüfungsstoff.

Wenn man sagt "Politikwissenschaft ist eines der einfachsten Studiengänge" dann sagt man, dass Powi-Studenten dümmer als der Rest sind – und das obwohl sie sich ein Studium ausgesucht haben, für dass sie persönliches Interesse hegen und dass sich nicht wie Gehirn-Folter anfühlt. In meiner Welt ist das ziemlich schlau.

"Das sind naive Weltverbesserer mit unrealistischen Idealen"

Die größten Menschenhasser gibt es an der Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft, Kultur und Sozialanthropologie, am Institut der Theater-, Film- und Medienwissenschaft und an der Publizistik. Der typische Jus-Mensch interessiert sich zwar nicht besonders für seine Umgebung, aber er verachtet sie zumindest nicht so, dass andere es auf den ersten Blick erkennen.

Die Menschen aus den oben genannten Studienfächern hassen und verachten hingegen offen. Wenn man die Gesellschaft, die politischen Prozesse, unsere Medien oder auch die menschliche Psyche studiert, stellt sich früher oder später die Frage: Wie lachhaft und verloren sind wir eigentlich als Spezies?

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Einige der typischen Sozialwissenschaft-Studenten sind politisch interessiert, weil es nun mal die Fächer mit sich bringen. Aber ihre Gefühle gegenüber Politik sind wirr und selten fühlen sie sich einer Partei so richtig zugehörig – und wenn doch, fallen sie auch dort unangenehm auf.

Ihnen wurde beigebracht, Dinge zu hinterfragen. Ideale? Eventuell. Naive Weltverbesserer? Spätestens nach dem dritten Semester nicht mehr. Wenn ich ein Klischee wählen müsste, wäre es eher: "Es sind kapitulierende Idealisten mit einem entsprechend ausgeprägten Alkoholproblem".

"Es ist ein typisches Frauen-Studium"

Wirklich niemand sucht sich sein Studium nach der Geschlechter-Verteilung aus; zumindest nicht, solange er oder sie die soziale Kompetenz eines Bonsais übersteigt. Dieses Klischee wird wenn, dann auch eher meinen männlichen Kollegen hingeworfen – die natürlich ganz schrecklich darunter leiden, die ganze Zeit unter Frauen zu sein. Come on.

Überhaupt übersteigt die Zahl der inskribierten Frauen die der Männer schon seit dem Wintersemester 2000. Ergo: Jedes Studium ist mehrheitlich ein Frauen-Studium – außerhalb der TU zumindest. Aber die kommt auch noch.

Folgt Fredi auf Twitter: @schla_wienerin