FYI.

This story is over 5 years old.

Abschiebung

Brandenburg schreibt Geschichte: Das Bundesland schiebt Opfer rechtsextremer Gewalt nicht mehr ab

Das heißt: Rechtsextreme Täter helfen ab jetzt ihren Opfern, in Deutschland zu bleiben.
Foto: imago | Christian Mang

Neonazis und Rechtspopulisten müssen jetzt das tun, was ihnen am schwersten fällt: nachdenken. Zumindest in Brandenburg könnte die Strategie, Angst und Schrecken durch Gewalttaten zu verbreiten, demnächst nach hinten losgehen.

Das Bundesland hat schon im Dezember einen Erlass veröffentlicht, nach dem Opfer von rechtsextremer Gewalt nicht mehr abgeschoben werden. Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, bekommen vorübergehend ein längeres Bleiberecht und werden gegebenenfalls weiterhin geduldet. Das ist laut Gesetz zwar jetzt schon möglich, wird aber durch den Erlass festgeschrieben. Die neue Regelung trifft nicht nur auf Opfer rechtsextremer Gewalt zu, sondern auch auf mögliche Zeugen. Dabei geht es aber nicht nur um Ermittlungen und den anschließenden Prozess. Menschen, die Opfer geworden sind, dürfen bleiben und werden nicht abgeschoben. Der Erlass formuliert das so: "Das Opfer einer rechtsmotivierten Gewaltstraftat soll eine Wiedergutmachung erfahren." Der Erlass geht auf einen Antrag der Grünen zurück, den die Partei im April letzten Jahres eingereicht hatte. Ursula Nonnemacher sitzt für die Partei im Innenausschuss und erklärt die Beweggründe: "Wir brauchen die betroffenen Opfer als Zeugen und wir müssen den Verfolgungsdruck auf die Täter erhöhen. Die Opfer sollen aber auch Kompensation für erlebtes Unrecht erhalten."

Allerdings gibt es Ausnahmen: Wenn das Opfer vorbestraft ist, gilt das Bleiberecht nicht, genauso wenig darf das Verhalten des Opfers "gewaltursächlich" sein. Was das genau in der Praxis bedeutet, stellt sich vermutlich erst in den nächsten Monaten heraus.

Die Zahlen über rechtsextreme Gewalt zeigen, dass dieser Schritt überfällig war: Schon 2015 gab es in Brandenburg so viele rechtsextreme Straftaten wie seit 1993 nicht mehr. Im letzten Jahr waren es 129 und damit 56 mehr als 2014: Angriffe, brennende Häuser, Gewalt. 129 Menschen (ohne Dunkelziffer), die um ihr Leben fürchten mussten, weil Neonazis Hass und Angst verbreiten wollen. 2016 erhöhten sich die Zahlen dann nochmal um 20%. Nicht zuletzt ist das auch der immer krasseren Rhetorik geschuldet, mit der von Pegida und AfD gegen Flüchtlinge und andere Minderheiten gehetzt wird. Und auch die Zahl der Neonazis steigt immer weiter an, sicherlich auch im Zusammenhang mit immer stärkerer Mobilisierung von rechten Gruppen und der Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach rechts. Das Innenministerium geht davon aus, dass es seit 1990 nicht mehr so viele gewaltbereite Neonazis in dem Bundesland gegeben hat. Der Verfassungsschutzbericht 2015 zählt 1.230 Personen. Ursula Nonnemacher erklärt diesen Anstieg so: "Wir haben es in Brandenburg zunehmend mit Ersttätern zu tun. Das bedeutet, dass das Klima des Hasses sich in der Mitte der Gesellschaft ausgebreitet hat und dass sich mehr Menschen Menschen dazu verleiten lassen, solche Straftaten zu begehen."

Der Erlass ist ein bewusstes Statement gegen Rechtsextremismus und eine Art pädagogische Maßnahme gegen die brandenburgischen "Wir sind das Volk!"-Schreier. Wenn Menschen wegen ihrer Herkunft oder ihres "nichtdeutschen" Aussehens zusammengetreten, bedroht werden oder Rechtsextreme ihre Wohnungen anzünden, werden sie ab jetzt hoffentlich nicht mehr allein gelassen oder danach auch noch abgeschoben. Das ist ein Schlag ins Gesicht der rechtsextremen Täter. Der Erlass formuliert das so: "[…] Das Land Brandenburg [hat] aber auch ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den mutmaßlichen Tätern der Gewalttat zu verdeutlichen, dass ihrem Opfer durch eine Verfestigung des Aufenthalts Gerechtigkeit widerfährt und das Gegenteil dessen erreicht wird, was die Täter beabsichtigten." Nonnemacher sieht das als klares Signal an die Tätergruppen: "Diese Menschen, die ihr verhöhnt und verletzt, bleiben trotzdem hier. Ihr erreicht damit nicht, was ihr wollt."

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.