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Kokain, Plagiate und Bullshit-Brainstorms – So läuft es in der Werbebranche wirklich ab

"Nein, nein, wir frisieren unsere Erfolgsquoten nicht nur, wir denken sie uns komplett aus."
Titelbild: Screenshot via AMC

Sie wollen viel Geld verdienen, kreativ sein und gleichzeitig die Welt verändern. Deswegen geht für viele junge Menschen ein Traum in Erfüllung, wenn sie einen hart umkämpften Job in einem führenden Werbeunternehmen an Land ziehen. Sie haben sich durch drei Bewerbungsrunden gekämpft, mussten mehrere Interviews, Tests und Präsentationen durchlaufen und dürfen nun alle Vorzüge und die Arbeit mit großen Kunden auskosten. Außerdem fordert der neue Arbeitgeber Eigeninitiative und gehört zu den mitarbeiterfreundlichsten Unternehmen Großbritanniens.

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Leider sieht die Realität dann anders aus.

Vor einem Jahr war ich noch einer dieser jungen Menschen. Ich bewunderte die Tatsache, dass es an meinem neuen Arbeitsplatz kostenlose Cola Light gibt. Dann musste ich einsehen, dass ich in einer Welt voller hohlköpfiger Kreativer, Drogen, Plagiate und Planlosigkeit gelandet war. Natürlich hatte ich damit gerechnet, dass die Werbebranche einige Eigenarten besitzt, aber so viel Bullshit? No way.

Folgendes habe ich während meiner Odyssee über meinen damaligen Arbeitgeber gelernt:

Wenn es gut klingt, muss es auch gut sein

Ideen bilden eigentlich das Fundament der Werbebranche. Ideen sind flüchtig, lassen sich kaum erzwingen, besitzen keine Standardform und brauchen freies Denken. Doch das ist egal, weil die Branche komplett ideenlos ist.

Alles begann mit kleinen Dingen. Mir fiel zum Beispiel auf, wie einer der höchsten Strategen des Unternehmens sich seine Notizen auf eine Serviette schrieb – obwohl er einen Block dabeihatte. Wir bekamen Rundmails mit inspirierenden Zitaten des berühmten Boxers "Mohamed Alli". Wir hielten Präsentationen ab, in denen die "viralen Inhalte" einer Marke mit "viralen Krankheiten" verglichen wurden. Und die Leute "infizierten" sich während der "sich ausbreitenden Epidemie" mit diesen Inhalten.


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Ich ging immer häufiger zu offenen Brainstorm-Runden, die sowieso schon Bullshit sind. Meine Erwartungen waren dementsprechend niedrig: Ich rechnete mit zwei oder drei guten Ideen pro Stunde. Vielleicht vier, wenn alle gut drauf sind.

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Es kamen genau null gute Ideen. Stattdessen so etwas:

- "Die U-Bahn ist von Natur aus sehr versteckt."
- "Ohne Authentizität fühlt sich Werbung falsch an."
- "Durch synergetische Promotion können wir die Bekanntheit steigern."

Das wäre ja alles schön und gut gewesen, wenn einige dieser offensichtlichen Tatsachen später nicht die Grundlage für ziemlich teure Werbekampagnen gebildet hätten.

Behalte deine komplexen Gedanken für dich

In meiner ersten Arbeitswoche lernte ich direkt einen der Grundsätze des Unternehmens kennen: komplexe Strategien ausschließlich als Präsentationen vortragen. Je mehr Bilder, desto besser. Und

- niemals
- mehr
- als
- fünf
- Aufzählungspunkte!

Als ich den Fehler machte, eine detaillierte Wettbewerberanalyse in einem Word-Dokument niederzuschreiben, wies mich mein Vorgesetzter an, meine Ergebnisse zu "visualisieren". Außerdem gab er mir den Tipp, dass ausgeklügelte Programme wie etwa "PowerPoint" im Unternehmen großen Anklang fänden.

Wenn du den Markennamen änderst, ist es kein Plagiat

Während der Brainstorm-Meetings ermutigten uns leitende Angestellte dazu, uns von den Ideen anderer Werbeunternehmen inspirieren zu lassen. Das sah dann fast immer so aus: Wir schauten uns die Werbung eines Konkurrenzunternehmens an und veränderten die Schlüsselaussagen Wort für Wort so, dass sie für unsere Marke relevant wurden.

Ein Beispiel: Wir sollten einem relativ unbeliebten Produkt eines großen Keksherstellers ein neues Image verpassen. Um eine gut laufende Kampagne auf die Beine zu stellen, versammelten uns die führenden Kreativen in einem Raum und zeigten uns dort eine Oreo-Werbung auf Dauerschleife. Das ging so lange, bis unser Endprodukt so aussah, als hätten wir den Oreo-Clip einfach nur durch ein Synonym-Wörterbuch gejagt.

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Ein weiteres Beispiel: Als wir am Pitch für einen großen Autohersteller arbeiteten, holten wir uns unsere "Inspiration" komplett von der "Build Your Own Car On Instagram"-Kampagne von Mercedes-Benz. Ein ganzes Meeting lang ging es nur darum, wie man alle möglichen Autozusammenstellungen erreicht. Das Ergebnis wandten wir schließlich auf die Marke an, für die wir arbeiten wollten. Den Auftrag haben wir übrigens erhalten.

Egal, wo du herkommst, wie alt du bist oder was du drauf hast, auch du kannst es in der Werbebranche schaffen

Trotz mancher unkreativer Methoden hatte sich das Unternehmen ein paar kluge und analytische Köpfe für die Client-Director-Positionen angeln können – also die Mitarbeiter, die sich nicht nur um Accounts und die kreative Seite, sondern auch um Budgets und den Datenverkehr kümmern. Meine Begegnungen mit diesen Client Directors waren ernüchternd. Einmal musste ich einem erklären, dass ein jährliches Umsatzwachstum von -1 Prozent besser ist als ein Umsatzwachstum von -3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die gleichen Directors bedienten sich auch regelmäßig bei den Ideen der Brainstorm-Runden und verwendeten diese Ideen für millionenschwere Werbekampagnen – und zwar in Rohfassung und ohne weitere Besprechung. Was ich damit sagen will: Mit genügend Dreistigkeit und Anspruchsdenken kann es jeder in der Werbebranche zu etwas bringen. Die intellektuelle Eintrittsschwelle liegt nämlich außerordentlich niedrig.

Wenn niemand das Gegenteil beweisen kann, ist es keine Lüge

Während meiner Zeit dort erklärten mir die Chefs jeder Abteilung, was ihre Mitarbeiter zu einem Pitch beitragen. Natürlich nannten sie dabei wertvolle Skills und Stärken, aber wirklich jeder brachte auch folgenden Satz über die Lippen: "Nein, nein, wir frisieren unsere Erfolgsquoten nicht nur, wir denken sie uns komplett aus." Unsere Abteilung war besonders stolz auf ein von uns entwickeltes Tool, das das Zielpublikum bei TV-Werbungen vergrößern konnte. Der einzige Haken? Dieses Tool gab es gar nicht. Leitende Angestellte gaben allerdings nur zu gern damit an, wie sehr die Kunden das mit Photoshop erstellte Interface des Tools sowie die damit erzielten, unglaublichen Ergebnisse liebten. Da wir mit dieser Strategie so viele Aufträge reinholten, hielt es mein Arbeitgeber für OK zu lügen.

Tu so, als wärst du in den 60er Jahren, und alles wird gut

Als ich meine neue Anstellung in der Tasche hatte, freute ich mich besonders auf die Unternehmenskultur. Die Agentur wurde jedes Jahr für die hohe Zufriedenheit der Angestellten ausgezeichnet und war dafür bekannt, die besten Zusatzleistungen zu bieten.

Die Realität sah dann anders aus. Der Gesprächsstoff zwischen den Angestellten ließ sich in drei Themen einteilen: was beim letzten Bürobesäufnis passiert ist, mit welchen Medieninhaber beim Mittagessen zuletzt gekokst wurde und wie die aktuellsten sexuellen Eskapaden abliefen. Bei mehreren internen Präsentationen wurden Witze in Form von Bildern eingebaut, die leitende Angestellte im Stripclub zeigten. Meine Kolleginnen lästerten regelmäßig darüber, wie Kollegen weibliche Prominente per Twitter recht vulgär zum Geschlechtsverkehr aufforderten. Und wenn sie damit durch waren, begann eine hitzige Debatte darüber, welche Nationalität sich beim Babysitten und Putzen am besten anstellt. Scheinbar machen Italiener Polen "richtig nass".

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Wenn du damit davonkommst, dann mach es

In den letzten Jahren hat es immer wieder Werbekampagnen gegeben, die für einen öffentlichen Aufschrei gesorgt haben. Es ist also ziemlich offensichtlich, dass "Political Correctness" in der Werbebranche eher ein Fremdwort ist. Dieser Umstand wurde besonders deutlich, als die Einladung zur Weihnachtsfeier auf meinem Tisch landete.

Als Grundlage für das Motto diente eine Fernsehsendung, die den Alltag von Sozialhilfeempfängern dokumentiert. Veranschaulicht wurde das Ganze mit Bildern von Vicky Pollard sowie der Aufforderung, unserer Fantasie freien Lauf zu lassen.

Ich merkte an, dass dieses Motto nicht gerade die klügste Wahl sei, denn zu unseren Kunden gehörten auch Non-Profit-Organisationen, die im Auftrag der Regierung arbeiten. Die Reaktion: Hohn und Spott. Die Diskussion begann mit "Wie soll das überhaupt nach draußen gelangen?", ging dann zum typischen "Political Correctness macht alles kaputt"-Gerede über und endete schließlich mit der Frage, ob Blackfacing überhaupt so schlimm sei. Ja, Blackfacing ist schlimm – genauso wie bei der Weihnachtsfeier ganz ironisch in Burberry-Klamotten aufzutauchen und eine Champagnerflasche mit einem Goldring zu köpfen.

Würde ich also einen Einstieg in die Werbebranche empfehlen? Einerseits nein, andererseits … nein, immer noch nicht. Wenn man kopfüber eintaucht, sich ständig mit den eben beschriebenen Menschen herumschlagen muss, oftmals gegen eine kreativlose Wand anrennt und immer wieder die gleiche Werbung produziert, dann wird einem klar: Genau deswegen wird in dieser Branche so viel gebumst und gekokst. Anders kann man das ja nicht ertragen.

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