Jan und David, die Bombenbauer von Rudolstadt
Alle Fotos: Grey Hutton
Wirres Deutschland

Was passiert, wenn ein Linker und ein Rechter zusammen Bomben bauen

Zwei ungleiche Freunde entfachen in Thüringen eine völlig verrückte Debatte über vermeintlich linksextremen Terror – und zerstören ihre Freundschaft.

Am 13. März 2018 fand die Thüringer Polizei bei der Durchsuchung von vier Objekten im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt Chemikalien, aus denen man insgesamt 100 Kilo Sprengstoff hätte herstellen können. Weil einer der beiden Tatverdächtigen in einem linken Bündnis aktiv war, löste der Fund in kürzester Zeit eine heftige Debatte um linksextremen Terror aus. Das hier ist die Geschichte, die dahintersteckt.

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I. Rudolstadt, 13. März 2018, 6 Uhr morgens

Es wummert an der Tür. Die Omis machen wohl wieder Radau, denkt Jan, und bleibt erstmal liegen. Jan, Rollstuhlfahrer, lebt in einem barrierefreien Haus, ringsherum Senioren mit Gehhilfen, da kommt es schonmal vor, dass um sechs Uhr morgens Krach auf dem Gang ist.

Weil er nun aber eh schon wach ist, macht Jan Musik an, mit seinem Tablet geht das vom Bett aus. Und so kommt es, dass "Ich werd' jetzt Polizist" von StaatsPunkrott aus den Boxen dröhnt, als Jan sich in seinen Rollstuhl zieht, aus dem Schlafzimmer rollt und durch die Glastür das halbe Dutzend Polizisten vor seiner Wohnung sieht.

Ich werd' jetzt Polizist
weil das so super ist
Die nehmen einfach jeden
jeden dummen Vollidiot
der's zu nichts bringt in seinem Leben

"Scheiße", denkt Jan, "hoffentlich finden sie das Weed nicht."

Ein paar Straßen weiter klingelt es auch an der Tür von David G. Er weiß, dass Weed seine geringste Sorge ist. Das Problem sind die anderen Substanzen, die die Beamten kurz darauf aus seiner Wohnung und dem Keller seines Vaters tragen: kiloweise Stickstoffdünger; Magnesiumpulver; Schwefelpulver; Calciumcarbid; Azeton; Wasserstoffperoxid; vier Kartons mit selbstgebauten Böllern; einen Koffer, vollgestopft mit Chemikalien und Reagenzgläsern; und 2,3 Gramm des hochexplosiven Sprengstoffs ETN, die David in einem Kaffeefilter offen neben dem Bett liegen hatte. Auch in Jans Wohnung finden die Beamten nicht nur das Weed, sondern zusätzlich zum Weed dutzende selbstgebaute Böller.

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Ein Panorama von Rudolstadt, gesehen von Schloss Heidecksburg

Rudolstadt

Die Saalfelder Kriminalpolizeiinspektion wird später sagen, dass man aus diesen Stoffen rund 100 Kilo Sprengstoff hätte herstellen können. Die Frucht eines gefährlichen Hobbys, das Jan und David verband, obwohl ihre politischen Einstellungen kaum unterschiedlicher sein könnten. Das erste Mal haben die beiden sich auf einer NPD-Demo gesehen – Jan demonstrierte in seinem Rollstuhl sitzend dagegen, David lief bei den Neonazis mit. Trotzdem wurden sie Freunde, entdeckten ihre gemeinsame Liebe zum Sprengstoff-Mischen und wurden darin schließlich so gut, dass es ihnen irgendwann selbst unheimlich wurde. Am Ende lösten sie aber eine Explosion ganz anderer Art aus: einen politischen Hurrikan, entfesselt von CDU, AfD und Rechtsextremen, der monatelang auf die linke Landesregierung von Thüringen einprasselt.

Aber was haben Jan und David sich dabei gedacht? Eigentlich gar nichts, sagen sie.

II. Jan und David

Rudolstadt ist eine ehemalige Residenzstadt im Saaletal, mit einem massigen Barockschloss, das über der perfekt erhaltenen Altstadt thront. Es ist aber auch klein: Die Auswahl an Spielgefährten ist begrenzt. Dass Jan und David Freunde wurden, ist auf den ersten Blick aber trotzdem völlig meschugge.

Jan vor seiner Wohnung

Jan

Es dauert eine ganze Weile, bis ich zu Jan Kontakt bekomme, eigentlich will er überhaupt nicht mehr mit der Presse reden. Im März in Rudolstadt lädt er mich dennoch in seine sehr aufgeräumte Wohnung in der Altstadt ein. Jan war 12, als ein Tumor aus seinem Hirn entfernt werden musste. Seitdem ist seine rechte Körperseite unvollständig gelähmt. Trotzdem lebt er so unabhängig, wie es eben geht. Er arbeitet als Lagerist, lebt alleine und versucht, in seiner Freizeit Kontakt zu so vielen Menschen wie möglich zu haben.

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Alle, mit denen ich über Jan spreche, beschreiben ihn als fast schon übertrieben hilfsbereit. Einen Kumpel, der seine Wohnung verloren hatte, quartierte er bei sich ein, bis er ihm eine neue Bleibe fand. Als die Flüchtlinge 2015 nach Rudolstadt kamen, war es für Jan selbstverständlich, sich für sie einzusetzen.

Durch seine freiwillige Mitarbeit im Bündnis "Zivilcourage und Menschenrechte im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt", kurz "Zumsaru", lernte Jan Katharina König-Preuss, eine linke Landtagsabgeordnete, kennen. "Jan war immer sehr engagiert, ein richtig sympathischer Mensch", sagt sie.

Im Dezember 2016 nahm Jan als einer von acht Sprechern für das Bündnis einen Anerkennungspreis entgegen, sozusagen die kleinste Kategorie des Thüringer Demokratiepreises, der "Arbeit für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit" auszeichnet.

David im Wald außerhalb von Rudolstadt

David

David wiederum ist ein Eigenbrötler. Weil er keine E-Mail-Adresse, kein Facebook und seit der Razzia auch kein Handy mehr hat, muss ich bei ihm klingeln und ihn überreden, mich reinzulassen. David, der seinen Namen Deh-vid ausspricht, ist dünn und sportlich, mit rötlichen Locken und hellen Augen. Er wirkt wach, aber vor allem resigniert. "Ich habe echt allen schon hundertmal erzählt, wie das wirklich war", sagt er mir. "Aber es glaubt mir keiner."

In seinem kleinen Wohnzimmer, das von einem riesigen Fernseher ausgefüllt wird, erzählt er mir, dass er bei den Rechten nicht so richtig Anschluss fand. Die erste NPD-Demo fand er noch cool, "weil man mal das rausschreien konnte, was einem halt nicht passt an der Politik". Aber beim zweiten Mal war der Zauber schon verflogen: "Das war dann so ne Gehirnwäsche", sagt er. Also ging er nicht mehr hin. Vielleicht verflog sein Interesse auch, weil David ungern Bier trinkt.

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Im August 2017 stürzte David vom Rad, verletzte sich und verlor daraufhin seine Arbeit als Anlagenfahrer. Nun hatte er plötzlich Zeit. Also dachte er sich Herausforderungen aus: Eine Woche mit einem Zelt ohne Essen im Wald leben, zum Beispiel, einfach um zu sehen, ob es geht.

III. Rudolstadt, 13. März 2018, mittags

Nachdem sie ihre Wohnungen durchsucht haben, nehmen die Polizisten sowohl Jan als auch David mit auf die Wache. Der Vorwurf: Vorbereitung eines Explosionsverbrechens. Die Beamten haben den Verdacht, dass David und Jan für eine ganze Reihe unaufgeklärter Explosionen in der Gegend verantwortlich sein könnten: Sprengungen von Zigaretten- und Fahrkartenautomaten, Briefkästen, Altglascontainern – und einmal sogar einer ganzen Bushaltestelle. Überreste dieser Bomben, finden die Ermittler, sehen denen von David und Jan ziemlich ähnlich.

Die Bomben von Rudolstadt

Eine der Bomben, die David (r.) und Jan zusammen gebaut haben

Bei den Vernehmungen geben David und Jan sofort zu, die Chemikalien gemeinsam bestellt, gemischt und zu Böllern verarbeitet zu haben. Beide leugnen jedoch, mit den aufgezählten Sachbeschädigungen irgendetwas zu tun zu haben. Jan wird noch am selben Abend wieder freigelassen, David kann am nächsten Tag wieder nach Hause gehen.

Für gesprengte Zigaretten-Automaten interessiert sich schon wenig später sowieso niemand mehr.

IV. Baut die Antifa jetzt Bomben?

Am 15. März, zwei Tage nach den Wohnungsdurchsuchungen, erscheint der erste Bericht in der Ostthüringer Zeitung. Darin steht, dass einer der beiden Tatverdächtigen Mitglied des Bündnisses "Zumsaru" ist und sogar zeitweise deren Sprecher war. Dieses Detail wird zur Nachricht, die sich noch am selben Tag verbreitet wie ein Magnesiumbrand.

Zuerst sind es die ganz Rechten, die die Nachricht vom linken Bombenbauer aufgeregt verbreiten: AfDler, Leute von der mit dem rechten AfD-Flügel eng verbundenen Initiative "Ein Prozent", die Neonazis vom "III. Weg". Die Achse des Guten nennt die zwei "Terroristen".

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Kurz darauf schaltet sich aber auch die Thüringer CDU ein, die seit 2014 in der Opposition gegen die rot-rot-grüne Regierung unter dem Linken Bodo Ramelow sitzt. Der Abgeordnete Wolfgang Fiedler veröffentlicht eine Pressemitteilung mit dem Titel "Antifa-Aktivist und Demokratiepreisträger als Bombenbauer?". Am nächsten Tag folgt ein Katalog mit Forderungen an die linke Regierung Thüringens, in dessen Titel die CDU die Ereignisse in Rudolstadt als "linksmotivierte terroristische Aktivität" bezeichnet und der sich liest, als käme er direkt von der AfD: Es solle ein Lagebild zu und eine Präventionsstrategie gegen Linksextremismus eingerichtet werden, eine "Verbunddatei Linksextremismus", Förderprogramme zur Erforschung von Linksextremismus, alles bundesweit. Außerdem soll die Regierung eine Extremismusklausel für Vereine einführen und die Linksextremismus-Abteilung des Verfassungsschutzes aufstocken.

Dabei gibt es bis dahin gar keine Hinweise darauf, dass die Tat politisch motiviert ist – ganz im Gegenteil. Das Thüringer Landeskriminalamt erklärt, dass es sich nicht in die Ermittlungen einschalten wird, weil es "keine Anzeichen für einen politischen Hintergrund" gebe. Das Bündnis "Zumsaru" veröffentlicht eine Stellungnahme, in der man sich "entsetzt" über die Funde zeigt und sich "aufs Schärfste" davon distanziert.

Der CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring fragt jetzt öffentlich, ob die Regierung politischen Druck ausübe, um die Ermittlungen kleinzuhalten. In dieselbe Kerbe hatte schon CDU-Innenpolitiker Wolfgang Fiedler mit seiner Pressemitteilung geschlagen: "Wenn mitten in Thüringen eine Bombenbauerwerkstatt ausgehoben wird und einer der Tatverdächtigen auch noch ein von der Landesregierung ausgezeichneter Demokratiepreisträger ist, wirft das Fragen auf", ließ er sich zitieren. Fiedler findet diese Fragen so spannend, dass er sie in den nächsten Monaten immer und immer wieder stellen wird – auch nachdem sie längst beantwortet wurden.

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V. Der Linke, der Rechte und der Flüchtling

Dass der engagierte Linke Jan und der Gelegenheits-Rechte David Freunde wurden, verdanken sie vor allem zwei Faktoren: ihrer gemeinsamen Liebe zum Cannabis und einem afghanischen Flüchtling, den ich hier Mortaza nenne.

Als 2015 ein paar hundert Flüchtlinge nach Rudolstadt kamen, veranstaltete die NPD mehrere Fackelmärsche vor deren Unterkunft. Vor einem dieser Märsche hatte Jan sich mit anderen Linken zum Schutz vor der Unterkunft postiert. Weil die Rechten ein bisschen spät dran waren, blieb noch Zeit, mit den Flüchtlingen zu reden – so lernte er Mortaza kennen.

"Das ist ein ganz Ordentlicher, ohne Scheiß", sagt David über Mortaza. Er hat den Flüchtling bei einem Grasdealer kennengelernt, der Mortaza nichts verkaufen wollte. David gab ihm etwas von seinem Gras ab, lud ihn später zu sich nach Hause ein. So wurden sie Freunde.

Irgendeine alte Halle vor Rudolstadt

Irgendwann schleppte Mortaza David dann auf eine Party, auf der auch Jan war. Mortaza stellte die beiden vor. "Der Mortaza hat mich vorgewarnt, dass der ein bisschen ein Rassist ist", sagt Jan über David. "Ich fand den aber eigentlich OK."

Von da an hingen der Rechte, der Linke und der Flüchtling miteinander ab, vor allem bei Jan zu Hause, kifften und redeten über alles Mögliche. "Wir hatten aber auch oft tierisch Langeweile", sagt David. Als es Dezember wurde und die ersten Böllerwerbungen auftauchten, kam er auf die Idee, sich einfach selbst ein paar Böller zu basteln. Mortaza wollte damit absolut nichts zu tun haben, Jan war anfangs auch skeptisch. "Aber dann dachte ich mir: Komm, das ist ein Kindheitstraum von dir, und du hattest keine Kindheit. Scheiß drauf, jetzt machste's."

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VI. Björn Höcke: "Narrenfreiheit für Linksextremisten"

In den Tagen nach dem Bekanntwerden der Sprengstofffunde steigt der Druck auf die Thüringer Regierung immer weiter. Björn Höcke, AfD-Fraktionsvorsitzender in Thüringen, wirft ihr "ideologische Voreingenommenheit" vor, die auf eine "Narrenfreiheit für Linksextremisten" hinauslaufe. Mike Mohring von der CDU kritisiert das "dröhnende Schweigen" der Regierung. Mittlerweile wird bundesweit über den Fall berichtet, sowohl Welt als auch Spiegel Online titeln, die Spur führe ins "Antifa-Milieu".

Schließlich erklärt der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD), dass man die Sache sehr ernst nehme – und dass das LKA die Sache nun doch übernehmen werde. Das LKA stellt eine Arbeitsgruppe "Labor" zusammen, erfahrene Ermittler werden aus anderen Vorgängen dafür abgezogen.

Am 17. Mai erzählt David der Thüringer Allgemeinen, dass er eigentlich AfD-Wähler sei. Die AfD ignoriert das, stattdessen veröffentlicht sie am selben Tag eine Presseerklärung, in der sie sich fragt, ob Thüringen "unter Rot-Rot-Grün zum Eldorado für Bombenbastler" werde. Wolfgang Fiedler von der CDU erzählt dem MDR, in Thüringen herrsche nach den ganzen linksradikalen Anschlägen bald "offene Anarchie".

VII. Die erste (und letzte) Bombe

Es ist Januar 2018, David schiebt Jan sechs Kilometer aus der Stadt, bis sie auf einem einsamen Feld ankommen. Er will ihm seine neue Bastelei zeigen: eine Ammonal-Bombe. David postiert Jan in sicherem Abstand, stellt die Bombe auf einen freistehenden Gullideckel, zündet die Zündschnur an und rennt zurück zu Jan.

Die Explosion ist so heftig, dass es ihnen den Brustkorb zusammenpresst. Wenig später erzählt ihnen ein Freund, dass er den Knall noch im Stadtzentrum gehört hat. "Das war was ganz anderes als die Böller", erinnert sich David, immer noch voller Ehrfurcht.

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David blickt auf Rudolstadt

Der Blick vom Feld auf Rudolstadt

Den ganzen Dezember lang hatten Jan und David in Jans Wohnung Böller gebaut. "Das ist eigentlich fast wie Kuchenbacken", sagt Jan. Die Anleitungen fanden sie auf YouTube und diversen Webseiten, die nötigen Stoffe, Hülsen und Lunten sind alle legal online erhältlich. Mortaza warnte seine beiden deutschen Freunde, sie würden sich damit nur Ärger einhandeln. An Silvester kamen die Leute in Scharen, um ihnen Böller abzukaufen. "Aber wir haben die nicht verkauft, wir wollten nicht die Verantwortung haben, wenn sich einer besoffen was antut", sagt David.

Und danach? "Ich habe von Anfang an gesagt, dass nach Silvester Schluss für mich ist", sagt Jan. Aber David hatte noch nicht genug. "Irgendwann haben die Böller halt nicht mehr so richtig gekickt", sagt er. "Und da kam ich auf die Scheißidee, Sprengstoff herzustellen." David weiß, wie bekloppt das wirkt. "Aber das ist ja kein schlimmes Hobby, wenn man's mal genau nimmt!", verteidigt er sich. "Feuerwerkerei, das machen ja auch welche als Beruf."

David fing an, sich in die Herstellung von Ammonal einzulesen, ein Sprengstoff, der Anfang des 20. Jahrhunderts im Bergbau, aber auch im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde. Und der relativ einfach zu produzieren ist, man braucht dafür eigentlich nur Dünger und Geduld. Den Dünger kann man sich in 25-Kilo-Säcken zu 20 Euro liefern lassen. "Ich wollte einen Vorrat haben", sagt David. "Das war viel zu viel", sagt Jan. Aus Sicherheitsgründen, sagt David, fing er an, die Stoffe zu verteilen. Zwei Säcke bestellte er zu Jan, das meiste stellte er bei seinem Vater im Keller unter und erklärte ihm, er brauche es für Zaubertricks.

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Jan und David bekommen noch heute leuchtende Augen, wenn sie auf YouTube die Videos anderer Sprengteufel anklicken: BKS, ETN, TATP, 5 Gramm, 10 Gramm, 10 Kilo, 100 Kilo. "Irgendwann will man halt immer mehr", sagt David heute. Die Wucht der 500-Gramm-Ammonal-Bombe, die er im Januar zündete, jagte aber beiden einen ordentlichen Schrecken ein. David sagt, die Kraft hätten sie gar nicht einschätzen können. "Wir sind danach zitternd nach Hause gelaufen. Wir haben gesagt, das machen wir nie wieder."

David sagt, danach hätte es ihm gereicht – den Rest der Böller wollte er für die nächsten paar Silvester aufheben.

Ob David wirklich aufhören wollte, ist heute unmöglich zu sagen. Klar ist, dass er es wohl nie so einfach mit sich hatte: Die Saalfelder Polizei kannte seinen Namen schon von einer ganzen Reihe Ermittlungen, er habe "ein langes, kleinkriminelles Vorstrafenregister", schreibt die Thüringer Allgemeine, der Innenminister sagt in der Welt, David sei "kein unbeschriebenes Blatt" und wegen Gewalt-, Eigentums- und Drogendelikten in Erscheinung getreten. Mehrere Mitglieder seiner Familie erklären der Polizei gegenüber später, dass David in der Vergangenheit psychische Probleme hatte. Er selbst sagt: "Ich hab schon viel Scheiße gebaut."

Die Ammonal-Bombe sollte jedenfalls die erste und die letzte sein. Wenig später gab der Lieferdienst eine verspätete Lieferung Dünger bei einer Nachbarin von Jan ab. Als Jan ihr beim Abholen freimütig erzählte, dass sein Kumpel daraus Bomben baue, bekam die Frau es mit der Angst zu tun – und meldete es der Polizei.

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VIII. Der Fallout

Der Fernseher in Davids Wohnung

Videos von selbstgebauten Sprengsätzen gibt es zu Tausenden auf YouTube

Während die Politiker in Erfurt sich beharken, laufen die Ermittlungen der Polizei an. Gleichzeitig werden die beiden observiert – und zwar auch vom Verfassungsschutz.

Jan findet die Sache schon lange nicht mehr lustig. Er bekommt die Hauptwucht des medialen Interesses ab – und praktisch alle seine Freunde aus der linken Szene brechen den Kontakt zu ihm ab. "Mit Terror und Bombenbauern will halt keiner was zu tun haben", erklärt einer aus der Szene. Von einem Tag auf den anderen ist Jan, der sich jahrelang in der Szene engagiert hat, raus. Gleichzeitig beunruhigt Jan Davids Benehmen. Die Presse ist mittlerweile in Rudolstadt eingefallen. Als David von einem MDR-Team vor einem Supermarkt abgepasst wird, überschüttet er sie mit einem Energy-Drink und versucht, ihnen die Reifen zu zerstechen. Jan schickt eine Sprachnachricht an die Nachbarin, die die Polizei gerufen hatte, und warnt sie davor, unbegleitet das Haus zu verlassen. Er könne nicht einschätzen, was David vorhabe.

David leugnet, der Nachbarin je etwas Böses gewollt zu haben. Die Diskussion zwischen den Politikern heizt das Detail dennoch an. In den nächsten Monaten wird der Fall auf Betreiben von CDU und AfD insgesamt achtmal im Thüringer Landtag diskutiert werden, viermal davon im geheimen Innenausschuss.

Im Februar 2019, fast ein Jahr nach den Durchsuchungen, schließt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ab. Jan und David werden später wegen "Umgangs mit explosionsgefährlichen Stoffen in je zwei Fällen" zu Geldstrafen verurteilt. Das LKA hatte sich schon im August aus den Ermittlungen verabschiedet und eine "politische Tatmotivation" offiziell ausgeschlossen. Weder CDU noch AfD äußern sich in irgendeiner Form zu dem Urteil.

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Der CDU-Mann Wolfgang Fiedler sagt bis heute, dass er glaube, dass in diesem Fall etwas vertuscht werden sollte, dass die Staatsanwaltschaft Gera und die Saalfelder Polizei das "weit nach unten gehängt" hätten. "Dass am Ende rauskam, dass der eine davon das nur für sich gemacht haben soll – ich habe da nach wie vor gewisse Zweifel dran", sagt Fiedler – und dass er alles wieder genau so machen würde.

Dem widerspricht der linke Abgeordnete Rainer Kräuter. Kräuter war früher selbst Kriminalbeamter in Saalfeld und sagt, er sei sehr gut mit den Ermittlungen vertraut. "Das ist alles völlig richtig abgelaufen, nach dem Prozedere, nach dem das bei solchen Sachen immer abläuft", sagt er.

Auch das kann es wohl nur im rot-rot-grün regierten Thüringen geben: dass ein Linker die Polizei verteidigt, während ein CDU-Mann ihr alles von Schlamperei bis zu Verschwörungen vorwirft.

IX. "Ich wusste nicht, wie krass das wird"

Für die CDU und AfD war die Kampagne gegen die Regierung von Bodo Ramelow ein großer Erfolg, sagt die Linke Katharina König-Preuss. Bundesweit sei nur angekommen, dass ein Linksextremer in Rudolstadt mit Bomben hantiert habe, der Rest der Geschichte sei selbst in Thüringen kaum noch wahrgenommen worden. In Rudolstadt selbst habe die Kampagne aber großen Schaden angerichtet. "Das Bündnis Zumsaru ist darüber fast zerbrochen", sagt sie. Dabei ist Zumsaru eine der wenigen bürgerlichen Initiativen gegen Rechts in einem Landkreis, der als Hochburg gewaltbereiter Neonazis gilt.

Fast zerbrochen ist aber auch vieles im Leben von Jan und David – allem voran ihre Freundschaft. Ein paar Wochen nach der Durchsuchung erklärt Jan David, dass er ihn nicht mehr in seinem Haus besuchen soll – seine Eltern seien dagegen. Man könne sich aber natürlich noch in der Stadt begegnen. "Er hat mir dann noch seine Playstation geschenkt", sagt David. "Als Abschiedsgeschenk, so ungefähr." Die beiden haben sich seitdem nur noch selten gesehen.

Für Jan, der weiter das öffentliche Gesicht des Bombenbauer-Duos ist, ist die Lage immer noch schwierig. Einmal baute sich ein Mann vor seinem Rollstuhl auf und beschimpfte ihn auf offener Straße als "Linksterroristen". Auch seine Mutter bekommt ab und zu dumme Sprüche gedrückt. Seine Familie hält trotzdem zu ihm, auch seinen Arbeitgeber konnte er überzeugen, ihn nicht rauszuschmeißen. Aber sein Freundeskreis hat sich erheblich reduziert.

Bei David hat es länger gedauert, dafür hat die Reue ihn jetzt umso heftiger im Griff. Egoistisch und dumm sei die ganze Sache gewesen – und jetzt sei er wieder allein. "Die haben mir alle den Rücken gekehrt, der Jan und der Mortaza", sagt er – und dass er das auch verstehen kann. "Wenn man von den Leuten so mit Verachtung gestraft wird", sagt er, "fühlt sich das an wie Gefängnis". Er denkt jetzt darüber nach, ob er wegziehen muss – obwohl er seine Heimatstadt eigentlich nie verlassen wollte.

Jan und David sind nicht unschuldig, und was sie getan haben, war gefährlich. Trotzdem wirken sie immer noch wie zwei Jungs, deren Böller um einiges lauter explodiert ist, als sie je für möglich hielten.

"Muss man sich mal vorstellen", sagt Jan und schüttelt dazu den Kopf. "206 Sprengstoffdelikte in Thüringen im Jahr – und ausgerechnet meiner geht so durch die Decke, ey." David sieht das ähnlich. "Ich weiß, dass das alles meine Schuld ist", sagt er. "Aber ich wusste nicht, wie krass das wird."

Im April 2019 werden bei einem bekannten Thüringer Rechtsextremen, einem Bekannten der Neonazi-Größe Thorsten Heise, "fertiger Sprengstoff, sprengfähiges Material und Waffen" gefunden. CDU und AfD äußern sich mit keinem Wort dazu. Wolfgang Fiedler erklärt, er sei da krank gewesen, sonst hätte er vielleicht was gesagt.

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