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Popkultur

Ein Besuch auf dem GTI-Treffen

"Früher war das GTI-Treffen wirklich ein Treffen für Kenner und Liebhaber des VW Golf. Heute ist alles maximal kommerzialisiert – es geht nur noch ums Kohlemachen."
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Ein fixer Bestandteil der sommerlichen Großereignisse in Kärnten ist neben dem Beachvolleyballgrandslam und den "Tagen der Deutschsprachigen Literatur" das GTI-Treffen in Reifnitz: Seit 1982 treffen sich in dem sonst völlig verschlafenen Fischerdorf am Wörthersee passionierte VW-Fahrer, denen das federleichte Allerweltsauto mit dem PS-starken Motor eines Sportwagens ein Herzensanliegen ist.

1987 setzte man ins Ortszentrum von Reifnitz dem GTI ein Denkmal: ein 1:1 Modell des Golf-GTI, aus einem Wolfsburger Granit-Block herausgeschlagen. Das Marketingdenkmal spendete Volkswagen der Gemeinde, nachdem der deutsche Automobilkonzern Mitte der 80er unternehmerisch mit einstieg.

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Das GTI-Treffen in Reifnitz ist aber vor allem ein pan-eurotischer Raum: nahezu alles ist sexuell-aufgeladen, außer vielleicht die Dixie-Toiletten am Rande der Hauptstraße. Die aufheulenden Motoren künden von der enormen Potenz der Männer hinterm Steuer, dazu werden mehr oder weniger gestählte Oberkörper mit Tribal-Tatoos entblößt, und im Hauptzelt heizen leicht bekleidete Damen die Trinkfreudigkeit an. Wer sich zu den Animierdamen hinauf auf die Bühne traut, erlebt Zuckerbrot und Peitsche – zuerst bekommen die "Prüflinge" von den Tänzerinnen diverse Wohlfühlzonen ins Gesicht gedrückt, später müssen sie auf allen vieren kriechend Packesel spielen, wobei sie von ihren "Gebieterinnen" mit einem Ledergürtel sporadisch eins auf den Hintern bekommen.

Ein schon etwas angeheiterter Bursche macht mich mit rheinländischem Akzent darauf aufmerksam, dass die "Tittenbar" jetzt aufmache – er meint es offensichtlich gut mit mir, und streckt mir zum Abschied die Ghettofaust entgegen, bevor er im Séparée des Hauptzeltes verschwindet, in dem man für zehn Euro Eintritt noch mehr nackte Haut zu sehen bekommt. Im Hauptzelt treffe ich auch eine Studienkollegin aus Deutschland, die schon seit einigen Jahren als Kellnerin aushilft. Ich frage sie, ob die Arbeit hier nicht stressig sei. Sie verneint. "Nur gibt's hier am GTI-Treffen nicht so viel Trinkgeld wie beim Harley-Treffen am Faakersee, wo sich vor allem betuchte Familienväter treffen. Die Typen hier müssen das ganze Jahr sparen, damit sie einmal richtig die Sau rauslassen können."

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Das Geld will hier tatsächlich gut eingeteilt sein, denn neben "Wein, Weib und Gesang" soll auch etwas für ein paar neue Felgen bleiben, die an den mannigfaltigen Verkaufsständen zu erwerben sind. Und wenn schon keine neuen Felgen, dann doch wenigstens ein neuer kecker Schriftzug für die Rückscheibe – zu den all-time-favourites gehören Sinnsprüche wie "Schluck, du Luder", "Wolfsburger Waffenschmiede" oder "Im Namen des Herren".

Mitten im Getümmel, zwischen Verkaufsanbahnung, einer Technoversion von ACDCs "Highway to Hell" und konzentrierten Ausdünstungen von geschrotteter Kupplung, Jägermeister und Red Bull komme ich mit Rainer aus Bochum ins Gespräch. "Früher war das GTI-Treffen wirklich ein Treffen für Kenner und Liebhaber des VW Golf; man kannte sich persönlich innerhalb der Community. Heute ist alles maximal kommerzialisiert – es geht nur noch ums Kohlemachen." Deshalb, so Rainer, gäbe es das GTI-Vortreffen – und im September das Nachtreffen – wo sich die echten GTI-Afficionados ein Stelldichein geben.

Vortreffen, Haupttreffen und Nachtreffen bringen manche Anrainer zum Stöhnen."Wie lang soll das noch ausgedehnt werden? Mir kommt das vor wie Weihnachten, das für die Geschäfte schon im September anfängt", sagt ein Familienvater aus Keutschach, zwei Kilometer von Reifnitz entfernt. "Der ganze sinnlose Lärm – Gummi Gummi und Konsortin, sowie das Auspuffknallen; ein Graus! Und dann die ganzen Staus auf dem Heimweg." Die Infrastruktur hier sei einfach hoffnungslos überfordert mit dem Ansturm, zwei einspurige Bundesstraßen in Klagenfurt Land, das sei einfach zu wenig für über 100.000 Besucher.

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"Eine Austragung des GTI-Treffens außerhalb wäre für die Region eine Katastrophe", sagt hingegen der Reifnitzer Bürgermeister Markus Perdacher. In den drei Wochen zwischen Vortreffen und Haupttreffen setze die regionale Wirtschaft 15 bis 20 Millionen Euro um. Hinzu komme der Werbeeffekt: "Die Leute sehen unseren Ort im Fernsehen und sagen sich: Dort mach ich meinen Sommerurlaub!" Außerdem, so Perdacher, würde die Kassen auch direkt über die Kommunalsteuer Gelder einnehmen, die wiederum in die Infrastruktur des Ortes investiert würden.

Allerdings: Nicht nur die Gewinne werden höher, auch die Personalreserven bei der Polizei müssen während des GTI-Treffens aufgestockt werden. 30 Beamte aus anderen Bundesländern müssen zwischen Vor- und Haupttreffen zusätzlich mobilisiert werden. Zusätzlich stellt die Gemeinde privates Security-Personal auf. Insgesamt gab es mit dem Großaufgebot an Disziplanarmacht dieses Jahr eines der vorfallsfreisten GTI-Treffen seit langem (OK, ein 25-Jähriger schoss mit seiner Pistole aus einem Auto).

Laut Abschlussbilanz der LPD Kärnten gab es kein einzigen Fall von Körperverletzung und insgesamt lediglich drei Verstöße gegen das Strafgesetzbuch; 2014 waren es noch 34. Und somit ist das GTI-Treffen auf dem besten Wege, von Gemeinde, Polizei und Security von einem störrischen Rindvieh zu einer friktionsfreien, allseits beliebten Cashcow getrimmt zu werden.

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