Wie scheiße ist die Uni Wien?
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Campus, Sex und Ravioli

Wie scheiße ist die Uni Wien?

Warum gibt sich die Hauptuni mit Ranking-Platzierungen jenseits der 150 zufrieden? Und warum ist die "beste Universität Österreichs" für viele ihrer Studierenden trotzdem "einfach nur enttäuschend"?

Zumindest eines habe ich in meinem sozialwissenschaftlichen Studium auf der Hauptuniversität gelernt: Wie man repräsentative qualitative und quantitative Studien anlegt. Wenn ich mir im Vergleich dazu dann die renommierten Universitätsstudien ansehe, hege ich deshalb starke Zweifel an deren Aussagekraft.

Die wichtigsten dieser Studien beziehen sich für ihre Bewertung zum Großteil auf Kriterien wie den internationalen Ruf, die Häufigkeit englischsprachiger Publikationen oder die Anzahl von Nobelpreisen. Nur bei zwei Studien wird beim Punkt "Lehre" die Perspektive der Studierenden miteinbezogen.

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Im September 2017 erklärt die Universität Wien selbstbewusst in einer Pressemeldung: Die "beste heimische Hochschule" ist im "Times Higher Education World University Ranking" (THE) "nur gering" vom Platz 161 auf den Platz 165 zurückgefallen. Das Rektorat spricht von einer merklichen Qualitätsverbesserung in allen Bereichen – insbesondere in der internationalen Berufungspolitik. Was sagen die Studierenden dazu?

"Es gibt eine Kluft zwischen dem Ruf und der tatsächlichen Performance"

Das Rektorat pflegt gegenüber diesen "Universitätsrankings" in Wirklichkeit selbst eine Art "bipolare Haltung". Die meisten Lehrenden und anderen Vertreter der Wiener Hauptuni halten laut dem Bildungswissenschaftler Friedrich Florian zumindest im Geheimen nicht viel von den Studien. Offiziell und bei Statements in Medien nutzt man die spärlichen Erfolge in einzelnen Punkten jedoch gerne für Eigenwerbung. Friedrich meint weiter: "Die Vorstellung wird bezweifelt, dass die Qualität einer so komplexen Institution wie der Uni mit einer einzelnen Zahl oder Kategorie erfasst werden könnte – pseudowissenschaftlich durch Auftragen auf einer Skala. Generell sieht niemand Rankings als besonders hochwertiges Werkzeug, sondern als mediales Spiel, das sich gut publizieren lässt."

Baty, der Autor der THE-Studie, erzählt in einem Interview mit der Presse: "Die Motivation hinter der weltweiten Uni-Vergleichs-Studie besteht für mich darin aufzuzeigen, welche Universitäten die Fähigkeit besitzen Forschung zu betreiben, die Innovation befeuert." Marke und Image sind für ihn dabei auch sehr wichtig, aber machen mittlerweile "nur" mehr ein Drittel der Bewertung aus. Der Grund dafür, dass die Uni Wien in früheren Studien auf Plätzen zwischen 90 und 100 gelandet ist, erklärt der Experte damit, dass in diesen Studien in erster Linie der Ruf ausschlaggebend war.

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Es gibt nach wie vor eine starke Kluft zwischen dem, was die akademische Community wahrnimmt, und dem, was objektive Kriterien zeigen. Baty gesteht: "Die Uni Wien hat nach wie vor eine unglaublich gute Reputation, jeder kennt sie. Aber es gibt eine Kluft zwischen dem Ruf und der tatsächlichen Performance."

"Der Stoff wär ja eigentlich interessant, aber … Was tun damit?"

Viele mit Zahlen schwerer zu erfassende, aber oft umso ausschlaggebendere Kriterien scheinen in den Studien gar nicht auf. Es kann zumindest in quantitativen Studien nicht festgehalten werden, wie erfolgreich Lehrende einer Uni darin sind, in den Studierenden kreative Ideen und Interesse zu entfachen. Zudem fließt in die Studien nicht ein, ob es eine Uni schafft, die Zukunftschancen der Absolventen und Absolventinnen zu verbessern.

Auch Faktoren zum Wohlbefinden an der Uni, ob und wie dieses durch die Institution gestärkt wird, sind in den Studien nicht erfasst. Deswegen haben wir die Studierenden selbst nach ihren Erfahrungen gefragt.

Dabei beginnen gleich mehrere der von uns eingeholten Meinungen mit Sätzen wie "Der Stoff wäre ja eigentlich sehr interessant, aber …" und enden mit Aussagen wie "deswegen habe ich das Studium abgebrochen – weil ich keinen Nutzen für mein zukünftiges Leben darin sah".

"Ich und eine andere Studienkollegin haben nebenher eine Ausbildung begonnen. In den geisteswissenschaftlichen Studien auf der Uni haben die Professoren kaum darüber geredet, wie wir das theoretische Wissen im Berufsalltag einbringen können", meint Anja. Dabei wünschen sich einige der Befragten mehr Vorlesungen, die den Aktualitätsbezug der vorgestellten Theorien in den Fokus nehmen und greifbare Anwendungsmöglichkeiten des Wissens präsentieren.

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Anja ist überzeugt: "In Seminaren oder Übungen könnte man lernen, wie man auch sozial- und geisteswissenschaftliches Wissen praktisch anwenden kann." Maria, die Anthropologie studiert hat, meint: "Ich hab nach dem Studium auf der Uni Wien im Ausland noch einen Master gemacht. Erst dann hab ich verstanden, wie sinnlos das Studium an der Uni Wien war und wie wenig es einen auf das eigentliche Berufsleben vorbereitet."


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Aber auch in eigentlich anwendungsbezogenen Fächern wie Lehramtsstudien oder Publizistik beschweren sich besonders viele Studierende darüber, wie praxisfern das Studium aufgebaut ist. Thomas meint über die Lehramtsstudien romanischer Sprachen: "Das Pädagogikstudium besteht aus verschiedenen Modulen, in denen immer wieder das Gleiche gelehrt wird. Vorbereitung auf den Schulalltag ist durch diese Ausbildung keine gegeben. Unter den Studierenden herrscht quasi einstimmig die Meinung, dass diese Ausbildung lächerlich ist."

Alex wünscht sich auch für die Psychologie mehr Wahlmöglichkeiten und Lehrende, die Einsatzmöglichkeiten und Karrierewege abseits von Lehre und Forschung aufzeigen. "Interessant wären Initiativen, Gruppen und Workshops abseits der theorielastigen Vorlesungen, die sich mit alternativen Möglichkeiten für einen Berufseinstieg auseinandersetzen."

"Man muss halt wissen, was man will – freie Bildung oder hervorragende Bildung."

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Die meisten befragten Personen stehen für einen offenen Hochschulzugang. Jedoch scheiden sich die Geister, wenn es um die Erwartungshaltung geht, die Studierende in Anbetracht freier Bildung einnehmen:

So meinen die einen, man müsse sich dann eben auch mit der Masse an Studierenden abfinden und sich mit einer entsprechend schlechteren Qualität zufrieden geben. "Man muss halt wissen, was man will – freie Bildung oder hervorragende Bildung", meint Mary empört über negative Äußerungen zur Qualität der Lehre. Auch der Rektor sagt in einem Interview mit dem Kurier: "In Anbetracht der Dichte an Studierenden und der derzeitigen hochschulpolitischen Lage muss man mit der Lehrqualität zufrieden sein."

Doch ist mit dem vorhandenen Budget tatsächlich nicht mehr als eine durchschnittliche Qualität möglich? Die österreichischen Universitäten haben in der Periode von 2016 bis 2018 um 615 Millionen Euro mehr erhalten als in der Periode zuvor. Trotzdem konnte mit dem erhöhten Budget auch auf der Uni Wien nur der Status Quo gehalten werden. Cornelia Blum, Pressesprecherin der Universität Wien, sagt im Interview mit VICE: "Die Personalkapazitäten wurden erhöht, gleichzeitig stiegen jedoch auch die Studierendenzahlen. Das Professoren-Studierenden-Verhältnis konnte nur in ein paar Bereichen verbessert werden. Dafür wären mehr Mittel notwendig gewesen."

Dem Rektorat der Universität Wien ist derzeit vor allem die hohe Abbruchrate ein Dorn im Auge. Frau Blum erzählt: "In unserem System wird wenig darauf geachtet, dass Studierende zu einem Abschluss hinbegleitet werden. Die hohe Abbruchrate fordert einen hohen Ressourcen-Aufwand und lässt uns international oftmals schlecht dastehen." Für die nächste dreijährige Periode will sich die Universität deshalb auf Programme konzentrieren, die die Studienwahl erleichtern und Frustrationen verhindern.

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Es sind auch die kleinen Dinge – wie Overhead-Projektoren und die Matrikelnummer-Atmosphäre

Frustration und Enttäuschung findet man bei Studierenden aller möglichen Fächer nämlich zuhauf. Dabei steckt für viele gerade in kleinen Dingen ein großes Entwicklungspotential. Dass man uns in einer meiner ersten Vorlesungen "aktuelle Entwicklungen der Fluchtbewegungen" anhand einer Karte vorgeführt hatte, auf der sich die Sowjetunion in der Blüte ihrer Entwicklung befand und die Professorin dazu einen von Rauch gelb eingefärbten Overhead-Projektor verwendete, hatte für mich eine richtungsweisende Symbolik.

Wenn einem dann noch mehrere Professoren erzählen, dass sie keine Lust haben, Vorlesungen zu halten und lieber forschen würden, während an der Universitätspforte motivierte, frisch promovierte, potentielle Professoren und Professorinnen warten, sinkt das Motivationslevel um ein erhebliches Maß.

Gewisse Features würden wohl wenig finanziellen Aufwand bedeuten, hätten aber einen großen positiven Einfluss auf die Qualität der Lehre. So erzählt Anton, ein Mathematikstudent aus Edinburgh, der für ein Erasmus-Jahr die Hauptuni Wien auswählte: "In Edinburgh hatten wir immer aktuelle Skripten, die jedes Jahr überarbeitet wurden. Außerdem werden Apps verwendet, mit denen schnell und unkompliziert Studentenfragen beantwortet werden. Neue Lernmethoden werden bewusst gefördert." Allgemein hatte er das Gefühl, dass sich die Studierenden auf der Hauptuni den Launen der Lehrenden anpassen mussten. "In Edinburgh ist das eher umgekehrt."

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Auch was das Campusleben betrifft, könnte man durch das Schaffen von Raum für sozialen Austausch einige Verbesserungen erwirken. Anja findet: "Ich fühlte mich schon sehr ins kalte Wasser geworfen. Der Kontrast zum Land war ja allgemein recht hart und die Hauptuni empfängt einen mit einer besonders kühlen, anonymisierten Atmosphäre."

Patrick, ein Psychologie-Student, meint zu dieser Thematik: "Man geht in der Masse der Studierenden leicht unter und es ist sehr schwer Kontakte zu knüpfen." Und Sebastian klagt: "Für uns Philosophen gibt es nur das sagenumwobene Raucherkammerl. Wenn man dort mehr als eine Minute verbringt, frisst sich der Rauch in alle Poren und Gegenstände. Wenn man nicht gerade Kettenraucher ist, gibt es wenig Möglichkeit mit anderen in Kontakt zu kommen."

Auch der Pressesprecherin ist bewusst, das es an geeigneten Plätzen für soziale Zusammenkünfte mangelt: "Das ist eine Thematik, die wir in den letzten Jahren auf jeden Fall vernachlässigt haben." Teilweise war wohl sogar das Gegenteil der Fall: Man denke dabei nur an die Sitzbarrieren, die im NIG gerade auf den Fensterbrettern errichtet wurden, die vorher von den Studierenden gerne zum Plaudern genutzt wurden.

"Mit einigen meiner Professoren war ich damals wirklich befreundet – sogar ohne mit ihnen geschlafen zu haben!"

Oft ist es auch ein Mindestmaß an Feedback, das den Studierenden fehlt. Max meint: "Es wirkt sich sehr negativ auf die Motivation aus, wenn du dein erstes richtiges Feedback erst auf deine Bachelorarbeit bekommst – und dann nur in der Form eines Einzeilers." Vanessa meint: "Wenn du mit Studierenden in London, Athen, Warschau, Lissabon redest, glauben sie dir kein Wort. Persönlichen Kontakt zu Lehrenden gibt es erst am Ende des Studiums, davor bist du nur eine Matrikelnummer."

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Klar ist, dass der Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden wohl sehr von der Art und Größe des Studiengangs und den jeweiligen Professoren abhängt. Bei eher außergewöhnlichen Studiengängen wie der vergleichenden Literaturwissenschaft war man laut Stefanie zumindest vor einigen Jahren noch gut dran. So schwärmt sie: "Mit einigen meiner Professoren war ich damals wirklich befreundet – sogar ohne mit ihnen geschlafen zu haben!"

Numerus-Clausus-Flüchtlinge, Massenstudium und Geldmangel hin oder her – ein Feedback, das über die Eintragung einer oft nichts aussagenden Note hinausgeht, sollte man sich immer erwarten können.

Allgemein bekommt man den Eindruck, dass zwischen dem Rektorat und den Studierenden ein Kommunikationsmedium fehlt. Nicht anders ist es zu erklären, dass sich beispielsweise erst langsam ein Bewusstsein dafür entfaltet, wie wichtig eine angenehme Atmosphäre für die Studierenden ist, die ihre Integration in die Universität und den Austausch unter den Studierenden und mit Lehrenden fördert.

Die Verbesserung dieser Verhältnisse und andere, große strukturelle Veränderungen können sicher nur infolge einer besseren Finanzierung erreicht werden. Dennoch gibt es viele kleinere Aspekte, die das Studium auf unserer "Offen-für-Neues-Uni" verschönern würden.

Dazu braucht es aber auch den Willen, mit der Zeit zu gehen, die Motivation der Professorinnen und Professoren für die Lehre wieder zu entfachen und Studierende aktiv in das Universitätsgeschehen und in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Bildung muss wieder lebendig und greifbar werden – sie besteht nämlich im Gegensatz zu Uni-Rankings nicht nur aus einer Ansammlung von Zahlen.

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