Bundeskanzler Sebastian Kurz bei "Licht ins Dunkel"
Foto von "Licht ins Dunkel 2017": Nicolas Rainer | Bundesheer

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Licht ins Dunkel

Warum Sebastian Kurz nichts bei "Licht ins Dunkel" verloren hat

Sebastian Kurz hat das ganze Jahr auf Anliegen von Menschen mit Behinderungen geschissen. Nun wirbt er darum, diese Menschen mit Spenden zu unterstützen. So viel Heuchelei ist schwer zu ertragen.

Es war schon immer absurd, dass Politiker bei "Licht ins Dunkel" auftreten. Immerhin sind die Geschichten von Betroffenen, denen die weihnachtliche ORF-Charity helfen soll, oft Geschichten politischen Versagens. Um aus diesjährigen Projekten zu zitieren: Müssen Menschen mit Behinderungen wirklich betteln, damit sie einen barrierefreien Bus bekommen? Soll der erste Kinderhospiz-Verein Wiens, der todkranke Kinder und ihre Angehörigen betreut, wirklich auf den Goodwill der Spender angewiesen sein?

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Wäre es nicht besser, diese Probleme politisch zu lösen, indem man diesen Menschen einen Rechtsanspruch auf Leistungen ermöglicht? "Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler, jetzt, wo sie doch schon hier sitzen, was machen sie eigentlich politisch für diese Menschen?" – auf diese Frage warte ich seit Jahren vergebens beim "Licht ins Dunkel"-Interview.

Werner Faymann (SPÖ), Josef Pröll (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) kehren zügig zu ihren Plätzen zurück, als sie die herannahende Kamera entdecken und beweisen, dass bei "Licht ins Dunkel" schon lange inszeniert wurde. Die neue Qualität der Behindertenpolitik der Regierung Kurz macht die Heuchelei allerdings unerträglich.

Was die Regierung für Menschen mit Behinderungen macht

Die aktuelle Bundesregierung tut nichts für diese Menschen. Im Gegenteil: Sie verschlechtert die Lage von Menschen mit Behinderungen sogar. Und das hat direkt mit Kurz zu tun. Das fängt schon beim Personal an: Auf seiner Liste für den Nationalrat 2017 tauchte der langjähriger ÖVP-Behindertensprecher Franz-Josef Huainigg nicht mehr auf. Huainigg wurde Respekt aus allen Parteien entgegengebracht. Seine politischen Errungenschaften – hier eine persönliche Bilanz über seine Zeit im Parlament – machen ihn wohl zum wichtigsten Behindertenpolitiker Österreichs.

Sebastian Kurz machte Kira Grünberg, eine ehemalige Stabhochspringerin, zur neuen Behindertensprecherin. Nach einem Jahr in dieser Funktion muss man sagen: Sie hatte anfangs keine Sachkenntnis zum Thema – das hätte sie aber nachholen können – und bislang keine Idee in der Behindertenpolitik, die breit diskutiert wurde. Sie ist stattdessen mit anderen Dingen aufgefallen. So hat sie sich – bereits in ihrer Zeit als Abgeordnete – ein Auto schenken lassen, um in einer Presseaussendung über den Hersteller zu schwärmen. Außerdem wirbt sie für eine private Versicherung.

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Die mangelnde Sachpolitik dürfte aber nicht nur an ihr, sondern auch an der Message-Control-ÖVP liegen, wie ein Text von Steffen Arora im Standard ("Der neue türkise Stil der Behindertenpolitik") nahelegt: Grünberg ließ sich auf einer ihrer ersten Pressekonferenzen hinreißen, dass sie für die Abschaffung von Sonderschulen sei. "Umgehend beendete das ÖVP-Presseteam die allgemeine Fragerunde", schreibt Arora, der Grünberg – dank des ÖVP-Teams – keine weiteren Fragen stellen durfte. 20 Minuten später hatte er ein Mail der ÖVP-Pressestelle auf seinem Handy, indem Grünberg ordentlich zurückrudert. Im Regierungsprogramm steht übrigens: "Erhalt und Stärkung des Sonderschulwesens" – jene Maßnahme, die Behindertenvertreter mitunter am heftigsten kritisieren.

Österreich hat sich verpflichtet, die Inhalte der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit zehn Jahren in Kraft ist, umzusetzen. Das zentrale Anliegen der Konvention lautet: Inklusion. Menschen mit Behinderungen fordern in die Gesellschaft eingegliedert zu werden – nämlich so, dass es für Menschen mit Behinderungen im Vergleich zu Menschen ohne Behinderungen keine Benachteiligungen mehr gibt. Der Gedanke dahinter ist, dass Menschen mit Behinderungen nicht nur von biologischen Faktoren eingeschränkt sind, sondern auch von gesellschaftlichen Verhältnissen.

Die Sonderschule, in der Kinder mit Lernschwierigkeiten vom Regelunterricht separiert werden, ist so eine Einschränkung. Diese Kinder werden von klein auf von der "normalen" Gesellschaft separiert. Volksanwalt Günther Kräuter sagt dazu: "Der Ausbau von Sonderschulen hat mit Inklusion gar nichts zu tun. Das Ziel müsse der Rückbau sein. Hier ist die Regierung falsch abgebogen." Inklusiv wäre Schulbildung etwa, wenn alle Kinder in einer Schule sitzen und zusätzliches Personal sich um die besonderen Bedürfnissen von einigen Kindern kümmert.

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Das Regierungsprogramm versucht vorrangig, Menschen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Wörtlich heißt es im Regierungsprogramm: "Auf Mitarbeiter des AMS hinwirken, dass Menschen mit Behinderungen verstärkt in den Arbeitsprozess integriert werden können". Bei arbeitsferneren Themen wie barrierefreier Zugang zu Kultur plant die Regierung nichts. Auch die UN-Forderung, "für die Allgemeinheit bestimmte Informationen" barrierefrei in leichter Sprache zur Verfügung zu stellen, wird wohl nicht umgesetzt werden. Nicht einmal das Regierungsprogramm erfüllt diese Vorgabe, was besonders perfide ist, weil einige Menschen mit Behinderung so nicht einmal lesen können, wie sie diskriminiert werden.

"Stillstand und Rückschritt, verpackt in schöne Worte"

Behindertenvertreter üben noch ganz andere Kritik. "Das soziale Klima unter der Regierung Kurz hat sich verschärft", sagt etwa Albert Brandstätter von der "Lebenshilfe Österreich". Martin Ladstätter von BIZEPS, einer Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen, meint: "Das erste Jahr der ÖVP-FPÖ-Regierung war geprägt von massiver Verunsicherung. Wir werden im wahrsten Sinne des Wortes verarscht."

"Stillstand und Rückschritt, verpackt in schöne Worte", sagt Bernadette Feuerstein von der Interessensvertretung "Selbsbestimmt Leben Österreich" (SLIÖ) zum Regierungsprogramm. Sowohl Lebenshilfe als auch SLIÖ kritisieren, dass Menschen mit Behinderungen nicht mehr ausreichend eingebunden, nicht mehr gehört werden.

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Sebastian Kurz weiß, dass er in vielen Bereichen radikal sein darf, ohne dass es ihm seine Wähler übel nehmen. Aber – anders als sein Vorgänger Wolfgang Schüssel – weiß er, dass er nicht sozial kalt wirken darf. Deshalb versucht er, sich immer wieder von der menschlichen Seite zu zeigen. Eine Charity zu Weihnachten passt da gut. Im "Licht ins Dunkel"-Interview hat er nicht nur die Möglichkeit, sich von seiner persönlichen Seite zu zeigen ("Wie verbringen Sie Weihnachten? Worauf freuen Sie sich am meisten? Haben Sie schon alle Geschenke?"), sondern wird auch – wie letztes Jahr – die Gelegenheit nutzen, um seine Unterstützung für Menschen mit Behinderungen auszudrücken.

Diese Empathie ist nicht ehrlich. Sie ist kalkuliert, gespielt und zynisch, wenn man die wirkliche Behindertenpolitik von Sebastian Kurz kennt. Sein weihnachtliches, christlich-soziales Engagement passt nicht zu seinem politischen Handeln. "Einen Christen erkennt man nicht daran, dass er Weihnachten feiert", hat mein Religionslehrer oft gesagt, "man erkennt ihn auch nicht an seinen Reden oder guten Taten zur Weihnachtszeit. Man erkennt ihn an den Taten, für die er sich täglich entscheidet".

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