Frau weint vorm Spiegel
Illustration: Sarah Schmitt

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Popkultur

Leute erzählen, wie sie ein Friseurbesuch traumatisiert hat

"Es blieben nur zentimetergroße Haarpalmen."

Besonders Frauen durchleiden ihre größten Alpträume, wenn sich jemand mit einer Schere ihren Haaren nähert. Anders lässt sich nicht erklären, warum bei der Umstyling-Folge von Germany's Next Topmodel reihenweise Kandidatinnen mit Heulkrämpfen zusammenbrechen. Aber auch beim Friseur um die Ecke ist dieses Szenario möglich. Einige reagieren mit tiefer Trauer über den Verlust ihrer bisherigen Frisur, andere werden wütend. So auch eine Frau aus München, die ihrer Friseurin sagte sie wolle aussehen wie die Bloggerin Xenia Overdose, aber am Ende mit "dottergelben" Haaren den Laden verließ. Sie verklagte die Friseurin auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aber verlor vor Gericht.

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Wir haben das zum Anlass genommen, Leute zu fragen, wie sie beim Friseur traumatisiert wurden.

Magdalena, 28: "Es blieben nur zentimetergroße Haarpalmen"

Eigentlich bin ich eine Frau mit stolzer Kurzhaarfrisur. Ich hatte mir vorgenommen, bevor ich 30 Jahre alt werde, noch einmal lange Haare zu haben und irgendwie nochmal Mädchen zu sein. Ich ließ sie wachsen, was ein gesundes Selbstbewusstsein erfordert. Die kleinen Haare kriechen dir im Nacken den Hals hinab, Fransen hängen platt auf der Stirn. Dann stand der 60. Geburtstag meiner Mutter in der niedersächsischen Provinz an. Dort würden sehr, sehr viele Fotos gemacht werden. Mein Haar wuchs, aber mein Selbstbewusstsein schrumpfte, mit dieser Frisur dort aufzutauchen.

Einen Tag vor dem Geburtstag kapitulierte ich und ging zum einzigen Friseur im Ort, der Samstag noch geöffnet hatte. Die Frau auf dem Poster am Eingang hatte blonde Blocksträhnen, die Friseurtische waren mit Birkenfurnier beklebt und ich hätte skeptisch werden sollen. Aber hey, ich sah mittlerweile aus als säße mir ein kackbraunes Wollknäuel auf dem Kopf und das musste weg. Für meinen Spontanbesuch wurde mir eine storchenbeinige Mittfünfzigerin zugewiesen, die mein Haar nicht wusch, sondern nur mit Wasser besprühte. Sie ging forsch ans Werk, zwirbelte meine Strähnen und schnitt sie einfach ab. Ich wollte schreien, aber entschloss mich dazu, ihr ein altes Foto von mir zu zeigen und freundlich zu sagen: "So hätte ich es gern." So ähnlich würde es werden, fertigte sie mich ab.

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Auf meinem Kopf befanden sich aber zum Ende nur unzählige zentimetergroße Haarpalmen … Ich konnte keinen Zopf machen oder es anders kaschieren. Also heulte ich drei Minuten, trug Lippenstift auf und ging zu der Feier.

Julia, 19: "Sie vertauschte die Farben"

Meine Haare sind straßenköterblond, das mochte ich nie. Aber meine Eltern haben mir gesagt, vom Färben könnte ich Krebs bekommen. Das habe ich lange geglaubt, aber mich vor drei Jahren dazu entschieden, sie zu färben. Ich wollte brünett werden und das lieber beim Friseur machen lassen als mit einer Billigfärbung aus der Drogerie. In meinem Ort gab es nur zwei Friseurläden, bei einem war ich schon zehn Jahre Stammkundin. Dort hatte nur die neue Azubine Zeit, wir suchten eine Farbe aus und sie legte los. Als ich unter der Haube saß, war ich noch sehr aufgeregt. Nach dem Auswaschen legte sich die Euphorie und gipfelte darin, dass ich nach dem Trockenföhnen losheulen musste. Ich hatte knallorangene Haare und durch meine kurzen Locken sah ich aus wie Pumuckl. Die Azubine ließ mich heulen und verschwand einfach hinten im Laden. Es dauerte drei Taschentücher voller Tränen, bis sie wiederkam und emotionslos sagte: "Oh da habe ich wohl die Farben vertauscht… aber sieht doch trotzdem toll aus. Mal was Neues, so frech!" Die Trauer schlug in Wut um, ich wollte, dass sie sofort neu färbt aber sie hatte Feierabend und meinte ich solle mich nicht so anstellen. Ich gab auf und dachte ich übertreibe.

Ein paar Tage später traf ich die Ladenbesitzerin beim Einkaufen, die aufschrie, als sie mich sah: "Oh Gott, wer war das denn?" Ich klärte sie über ihre Auszubildende auf. Sie zwang mich, noch abends in ihren Laden zu kommen, zum Überfärben. Es sei geschäftsschädigend für sie wenn ich so herumlaufen würde. "Rote Haare haben nur Inzest-Kinder", sagte sie und ich fühlte mich als frisch gebackene Rothaarige so minderwertig wie noch nie. Sie färbte meine Haare brünett. Am nächsten Morgen hatten meine Haare zwar keinen Rotstich mehr, aber dafür mein Gesicht. Ich hatte eine allergische Reaktion auf das Färben. Heute bekomme ich beim Anblick von Färbemitteln direkt einen Juckreiz und werde das nie wieder machen.

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Lisa, 29: "Am Ende war es eine Tine-Wittler-Frisur"

Ich wurde mit zehn Jahren beim Friseur traumatisiert, eine Woche vor meinem ersten Schultag am Gymnasium. Denn Gabi, meine Friseurin mit solariumgebräunten Wurstfingern, hatte all meine Chancen zerstört, ungemobbt durch die Schulzeit zu kommen. Ich wollte dort endlich zu den "Beliebten" gehören und in meiner neuen Umgebung die Chance nutzen, mich als Person neu zu erfinden. Es gab genau eine Sache an meinem Aussehen, die ich nicht hasste: meine langen braunen dunklen Locken.

Meine Mutter schickte mich zum Friseur, weil sie fand, ich müsse unbedingt meine Spitzen schneiden lassen. Gabi fand, ich solle doch gleich alles "durchstufen" und begann damit, während sie mit meiner Mutter über gemeinsame Bekannte lachte. Niemand sprach mit mir und das Schnippeln der Schere schien kein Ende zu nehmen. Ich fühlte mich wie der einsamste Mensch der Welt, hilflos, ausgeliefert. Und das zu Recht. Gabi hatte meine Haare nicht "durchgestuft", sondern mir einen kurzen Bob geschnitten, der mein sowieso schon rundes Gesicht auf die Form eines Kürbisses verbreiterte und mich aussehen ließ wie ein Abklatsch von Tine Wittler. Auf dem Weg nach Hause konnte ich nicht aufhören zu heulen und ich weigerte mich jahrelang, wieder einen Friseurladen zu betreten. Auch heute muss ich die Augen schließen und mich zwingen, an etwas anderes zu denken, wenn jemand meine Haare schneidet. Danke für nichts, Gabi.

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Sophia, 24: "Meine Haare wurden grün"

Ich habe mir viele Jahre lang die Haare blondiert und wollte dann dunklere Strähnen haben, um zu meiner Naturhaarfarbe zurückzufinden. Meine Friseurin meinte, das sei kein Problem und machte Strähnen. Leider wurden diese dunkelgrau und geföhnt sah ich plötzlich aus, als wäre ich dreißig Jahre gealtert. Vor Ort habe ich nichts gesagt, gezwungen gelächelt und bezahlt. Zu Hause habe ich stundenlang geweint und bin zu einem anderen Friseur. Die wollten das in Ordnung bringen und verpassten mir noch eine Blondierung. Weil die Friseurin so beschäftigt war, vergaß sie mich und die Chemie auf meinem Kopf… Irgendwann fing meine Kopfhaut schon an zu brennen und ich sagte Bescheid. Sie tat als sei nichts und wusch alles aus.

Beim Durchkämmen meiner nassen Haare merkte ich, dass sie aussahen wie klebriges Kaugummi und entdeckte abgebrochene Spitzen auf meinen Schultern. Weil mich alles nervte, föhnte ich meine Haare selbst. Und als ich irgendwann richtig in den Spiegel blickte, fiel mir der Föhn aus der Hand: Meine Haare waren grün! Erst dachte ich, das sei nur das Licht, aber mein Kopf sah aus als würde er langsam anfangen zu schimmeln. Ich heulte direkt los, aber es interessierte sich niemand dafür. "Was erwartest du, wenn du mehrfach in einer Woche blondierst?", fragte meine Friseurin von oben herab und sah auf die Uhr. Ich war fassungslos und hätte mir gern wie Britney Spears in völliger Verzweiflung den Kopf kahl rasiert. Stattdessen legte ich einen filmreifen Abgang hin (natürlich ohne für diese Vollkatastrophe zu bezahlen) und schnitt zu Hause mein kaputtes grünes Haar so kurz, wie es mir gerade noch gefiel. Aber beim Friseur saß ich seitdem nie wieder.

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Roxana, 27: "Er sagte: Mit dieser Frisur findest du nie einen Mann"

Ich habe sehr widerspenstiges Haar und ein geringes Selbstbewusstsein. Wenn meine Haare nicht liegen, fühle ich mich hässlich und meide es sogar, in den Spiegel zu gucken und das ist schwieriger als es sich anhört, wenn man überall mit gesenktem Kopf langgehen muss. Ich habe verschiedene Friseure ausprobiert und hasse es, bei jedem gemustert zu werden oder das Gefühl zu bekommen, ich würde mich nicht richtig pflegen. Weil ich meine Haare viel glätte, wird mir meist gesagt ich sei selbst Schuld, wie kaputt mein Haar sei. Den Höhepunkt dieser Erfahrung hatte ich vor drei Monaten bei einem neuen Friseur. Als ich meinen Zopf öffnete, fuhr er angewidert durch mein Haar und fragte mich statt nach meinen Wunschvorstellungen ob ich Single sei. Irritiert sagte ich "Ja". Daraufhin erwiderte er: "Na gut, mit dieser Frisur findest du nie einen Mann." Der Rest im Laden lachte. Ich wurde knallrot und wäre gern unter meinem Friseurmantel wie ein Zauberer verschwunden.

Er kämmte mein Haar mit einem viel zu kleinen Kamm und riss mir dabei diverse Haare aus. Wer schön sein will, müsse schließlich leiden. Dabei fragte er mich weiter lautstark über mein Liebesleben aus, das leider bei mir nicht existiert und auch ein Grund dafür ist, warum ich unsicher bin. Ich wollte nicht mit ihm sprechen, antwortete schüchtern und betete, dass er endlich merkt, wie unwohl ich mich fühle. Aber ihm fehlte auch auf der Gesprächsebene das Feingefühl. Als er dann den Rasierer holte und meinte, es müsse alles ab und neu wachsen damit ich "endlich hübsch genug" werden könne, fasste ich den Mut zu gehen. Ich habe nicht geweint, aber innerlich ist in mir die Hoffnung gestorben, je zum Friseur gehen zu können, ohne mich danach beschissener zu fühlen als vorher.

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