urban exploration

Wir haben Urban Explorer gefragt, warum sie sich dem Tod aussetzen

Sie steigen auf Dächer und klettern in Tunnel. Was sie tun, ist illegal und gefährlich. Wieso sie es trotzdem machen.
Swissmill Tower in Zürich Spot für Urban Exploring und Roofing
Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Freeclimb Zürich

Wollen diese Jungs sterben? Das fragt man sich, wenn man sich die Fotos von Joshua und Adam anschaut. Die beiden klettern in ihrer Freizeit auf Dinge hinauf, und in Dinge hinein, wo anderen schon alleine beim Gedanken daran kotzübel wird.

Urban Exploring sieht auf Instagram immer grossartig aus: Junge Menschen, die über den Dächern der Stadt stehen und für die Kamera posieren. Scheinbar völlig unberührt vom Fakt, dass ein falscher Schritt den Tod bedeuten kann.

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Auch Joshua und Adam, die Namen haben wir geändert, wagen sich regelmässig an Orte, die man eigentlich nicht betreten darf. Vor kurzem erkundeten sie die ERZ-Tunnel, die Fernwärme-Stollen von Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ). Die Fotos ihrer Aktionen stellen die beiden jeweils auf ihren Instagram-Account. "Wir wollen die Stadt zeigen, wie wir sie sehen. Wir wollen dorthin gehen, wo Normalsterbliche gar nicht hinkommen." In dem Sinne ist das, was die beiden machen, weniger Flirten mit dem Tod oder rücksichtsloses Verhalten, sondern vielmehr eine Rückeroberung der Stadt.

Wir haben Joshua und Adam gefragt, warum sie sich nicht nur der Gefahr, sondern auch dem Gesetz, trotzdem immer wieder aussetzen.


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VICE: Ihr klettert seit drei Jahren auf Dächer und Kräne und geht da hin, wo man eigentlich nicht hingehen sollte. Es scheint euch noch nie etwas passiert zu sein. Was macht ihr richtig?
Joshua: Was wir machen, basiert auf Erfahrung und Können. Man muss die Situationen richtig einschätzen können.
Adam: Es ist auf alle Fälle wichtig, seine Grenzen zu kennen. Ich war auch schon mit Leuten unterwegs, mit denen ich nichts mehr mache, weil sie mir zu krass sind.

Ab wann empfindet ihr etwas als zu krass?
Adam: Wenn man sich zum Beispiel von einem Kran hängen lässt oder darauf balanciert.
Joshua: Das sind einfach unnötige Risiken.

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Swisscom Tower in Zürich Spot für Urban Exploring und Roofing

Wie die Könige der Stadt: Auf dem Swisscom Tower in Zürich

Das Risiko, sich zu verletzen, bleibt dennoch – und legal ist es auch nicht. Wieso macht ihr es trotzdem?
Adam: Mich treibt hauptsächlich die Fotografie an. Und es macht mir extrem Spass, einen Weg zu finden, wie man auf ein Gebäude kommt. Bei den meisten Aktionen besteht eigentlich gar nicht so ein grosses Risiko. Vor allem, weil wir wissen, was wir machen.
Joshua: Das Erlebnis ist es wert. Auch die Gruppe ist super. Es macht Spass, Zeit miteinander zu verbringen. Und ein Ausbruch aus dem Alltag ist es auch.

Geht es auch ums Adrenalin?
Adam: Einen richtigen Kick habe ich mittlerweile gar nicht mehr. Das ist alles recht normal geworden.
Joshua: Für mich war der Adrenalinkick zu Beginn auch stärker als heute.

Leutschentower in Zürich Spot für Urban Exploring und Roofing

Kein richtiger Hang: Bei einem "Hang" lässt man sich auf dem Ausleger runterhängen und muss sich mit eigener Körperkraft wieder hochziehen

Wie seid ihr zum Urban Exploring gekommen?
Adam: Ich bin über Parkour drauf gekommen und habe mich dann auf Instagram und YouTube darüber informiert.
Joshua: Ich bin früher schon auf Kräne geklettert. Dann habe ich einen Zeitungsartikel über Roofing [Anm. d. Red.: auf Dächer klettern] gelesen. Irgendwann bin ich über Instagram auf Adam und die Szene gestossen.

Gibt es einen Code in der Szene?
Joshua: Nichts kaputt zu machen. Wir gehen rein, machen Fotos und schauen uns um. Aber wir fassen nichts an und klauen nichts.
Adam: Wir versuchen, es so aussehen zu lassen, als wäre nie jemand da gewesen. Damit wir mal wieder denselben Spot besuchen können oder andere Spass daran haben.

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Swissmill in Zürich Spot für Urban Exploring und Roofing

Joshua und Adam geht es um das ganze Erlebnis: einen Weg finden, Fotos machen, Ausblick geniessen und wieder abhauen

Wie kommt ihr denn durch Türen, ohne was kaputt zu machen?
Joshua: Das ist eben die Kunst!
Adam: Es ist auch schon vorgekommen, dass wir durch pures Glück den Pin einer Tür erraten haben.
Joshua: Da ist dann schon viel Glück dabei. Aber es ist schon nicht ganz wahllos, wie wir vorgehen. Wir haben schon unsere Techniken.

Die ihr aber nicht verratet?
Adam: Unsere genauen Techniken verraten wir nicht. Eine bekanntere Methode, die wir verwenden, ist Lockpicking. Die kann man aber vor allem in der Schweiz nur selten einsetzen, da die Schlösser viel komplexer aufgebaut sind als beispielsweise die in Deutschland.

Ihr kommt aus Zürich, das ist nicht unbedingt für seine Hochhäuser bekannt. Wie sieht die Szene in Zürich aus?
Adam: Hier ist Roofing nicht so ausgeprägt. Es gibt vielleicht zehn bis zwanzig Leute, die ich kenne, die regelmässig auf Dächer in Zürich klettern.
Joshua: Ja, ok, vielleicht wenn man die komischen Leute mitzählt.

Komische Leute?
Joshua: Ich meine damit Nachahmer. Wir wollen nicht dazu anregen, dass man das nachmacht, sondern unseren Blickwinkel auf die Stadt präsentieren.

Haute Restaurant in Zürich Spot für Urban Exploring und Roofing

Die beiden Jungs wollen mit den Fotos ihre Sicht auf Zürich zeigen

Hört sich an, als würdet ihr verantwortungsvoll mit eurem Hobby umgehen.
Joshua: Auf jeden Fall.

Das, was ihr macht, ist aber eher verantwortungslos.
Adam: Ich muss sagen: ich möchte nicht sterben (beide lachen). Wenn man das mal erlebt hat, merkt man, dass das gar nicht so verantwortungslos ist. Ja, es ist illegal. Aber das ist der einzige Aspekt, den ich nicht cool finde.

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Was ist euer Highlight in Zürich?
Joshua und Adam: Swissmill. [Anm. d. Red.: Eine über hundert Meter hohe Getreidemühle in Zürich.]

Wie seid ihr da hochgekommen?
Adam: Das ist ein komplexer Weg. Details verraten wir sicher nicht.

Swissmill bei Nacht als Hotspot für Urban Explorer

Joshua auf dem 118 Meter hohen Swissmill Gebäude in Zürich

Wie seid ihr die Idee gekommen, in den ERZ-Tunnel zu steigen?
Adam: Vor ein paar Jahren hat mir ein Lehrer erzählt, dass es diesen Tunnel gibt. Ich brauchte etwa acht Versuche, bis ich den Eingang gefunden habe. Durch diesen Eingang haben wir dann alle anderen Eingänge gefunden.

Was habt ihr im Tunnel gesehen und erlebt?
Adam: Der Tunnel liegt 60 bis 80 Meter unter der Erde. Er ist etwa 6 Kilometer lang, mit Schienen und wenigen Abzweigungen. Wir sind nicht den ganzen Tunnel abgegangen. Aber wir haben schon mindestens die Hälfte davon gesehen.
Joshua: Es gibt viele Wege, um nach unten zu gelangen. Wenn man einen neuen findet, entfacht das die Entdeckungslust. Das alleine ist schon ein Erlebnis.

Wie viele Anläufe habt ihr gebraucht, um den Tunnel zu finden?
Adam: Insgesamt haben wir über zwei Jahre gebraucht.
Joshua: Diese Arbeit ist durch den Artikel, den der Blick dann darüber geschrieben hat, kaputt gegangen. Sowas ist dann schon beschissen.

Ein Einblick in die verborgenen ERZ-Tunnels

Ein Einblick in die verborgenen ERZ-Tunnels

Hattet ihr schon mal Probleme mit der Polizei?
Adam: Ja, im Ausland des Öfteren. In der Schweiz noch nie. Es kam schon einige Male vor, dass die Polizei oder Sicherheitsmitarbeiter unten standen. Meistens kommt man trotzdem davon – manchmal nicht.

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Musstet ihr schonmal eine Aktion abbrechen?
Adam: In Frankfurt hatte ich schon mal die Situation, dass mir etwas zu gefährlich geworden ist. Wo ich mir dann sagen musste: Nein, das mach ich nicht.
Joshua: Bei mir ist das einmal in Bangkok vorgekommen: Ich war grad auf dem Dach unseres Hotels und sah dort eine Baustelle. Da aber der Wind stark ging und ich mich nicht auskannte, war mir das zu unangenehm, die zu betreten.

Auf dem Swissmill Turm: Das Gesicht auf den Fotos unkenntlich zu machen, ist für die beiden wichtig

Auf dem Swissmill Tower: Das Gesicht auf den Fotos unkenntlich zu machen, ist für die beiden wichtig

Wie kommt ihr auf die Spots?
Adam: Entweder per Zufall, oder man hat schon länger etwas geplant.
Joshua: Früher haben wir viel Zeit in die Planungen investiert: Wie kommen wir hoch? Wann gehen die letzten Leute? Wann patrouillieren die Sicherheitsmitarbeiter? Mittlerweile haben wir in Zürich aber fast alles gemacht. Wenn wir jetzt irgendwohin wollen, machen wir’s einfach.

Was packt ihr ein?
Adam: Ich habe natürlich meine Kamera dabei, sowie Handschuhe und Werkzeug. Dann kommt es immer auch darauf an, was der Spot braucht.

Wissen eure Familien und Freunde über euer Hobby Bescheid?
Joshua: In meinem Freundeskreis wissen es alle, aber in meiner Familie hat es mal ein kleines Drama gegeben, weil ein Bekannter von einer meiner Aktionen gehört hat. Danach machte ich ein Jahr Pause. Das war schwierig für mich, weil ich es so stark vermisst habe. Ich habe dann mit meinen Eltern darüber geredet. Jetzt wollen sie es mir zwar nicht direkt erlauben, aber sie möchten mir auch nicht im Weg stehen.
Adam: Meine Freunde schon. Meine Familie weiss es auch, aber die kennt nicht alle Details.

Hochhaus Schanze Spot für Urban Exploring

Adam auf dem Hochhaus Schanze: Was in der Szene nicht erwünscht ist, sind Nachahmer

Wie reagieren Leute, die euch neu kennenlernen, auf euer Hobby?
Joshua: Die meisten finden es cool und einige fragen dann, ob ich sie mal mitnehmen kann. Aber das geht natürlich nicht. Dann gibt es noch diejenigen, die dich auf die Gefahr hinweisen. Das ist zwar gut gemeint, aber die haben davon ja keine Ahnung (lacht).

Viele Leute bewundern euch, ihr habt Fans. Wollt ihr denen noch was sagen?
Joshua: Ja. Macht das nicht auf eigene Faust nach. Folge VICE auf Facebook , Twitter und Instagram.