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Popkultur

Können wir uns mit unserer Angst vor Spoilern endlich mal zusammenreißen?

Joffrey ist tot, Tyler Durden nicht echt und Soylent Green aus Menschenfleisch. Warum wir trotzdem noch Spaß mit Filmen und Serien haben können.

George R. R. Martin, das bärtige, sadistische Mastermind hinter Game of Thrones, hat in seinem Leben schon sehr viel geschrieben und gesagt. Vor allem über bärtige Männer und silberhaarige Königinnen, die sich lieber fernab des wahren Geschehens die Haare flechten lassen, als mit ihren Drachen endlich den eisernen Thron zurückzuerobern. Bei der US-Premiere zur fünften Staffel von Game of Thrones sagte er aber seine wohl bisher weisesten Worte und erklärte gegenüber The Verge: „Ich habe das Konzept hinter dieser ganzen Spoiler-Sache nie verstanden. Ja, es ist auf gewisse Weise befriedigend, sich beim Lesen eines Buchs oder beim Schauen einer Serie zu fragen: Was passiert als Nächstes? Wer gewinnt? Wer verliert? Aber das ist in keinster Weise der einzige Grund, einen Film oder eine Serie zu schauen. Und auch nicht der einzige Grund, ein Buch zu lesen."

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Natürlich musste er das zu diesem Anlass sagen. Schließlich haben eingeschweißte Fans aktuell noch an der Information zu knabbern, dass die TV-Show definitiv vor der Buchreihe enden wird—und ein spoilerfreier Lesegenuss somit nur möglich ist, wenn man die nächsten zwanzig Jahre in einem Erdloch lebt. Und dass George R. R. Martin sich im Allgemeinen nicht um die verletzten Gefühle von IRGENDJEMANDEM da draußen schert und ein ziemliches Arschloch sein kann, weiß jeder, der auch nur eine grobe Vorstellung von den Geschehnissen im GOT-Universum hat. ‚Valar morghulis' ist schließlich nicht nur eine lustig klingende Catchphrase, die sich ziemlich gut rülpsen lässt.

Trotzdem ertappe ich mich dabei, ernsthaft darüber nachzudenken, ob er nicht doch irgendwie ein klitzekleinesbisschen Recht hat mit dem, was er da sagt.

Sorry an alle, die ‚Titanic' noch nicht gesehen haben. Bild: Willy Stöwer | Wikimedia | Public Domain

Ich meine, ich bin selbst einer dieser Menschen, die gerne überrascht werden. Die erste Folge der zweiten House of Cards-Staffel? Ich saß aufrecht im Bett und habe fassungslos „Was?!" gerufen (wer beim Fernsehen noch nie Selbstgespräche geführt hat, werfe den ersten Stein). Den ersten BioShock-Teil spielen und dabei nicht einmal ahnen können, was am Schluss passiert? Unfassbar. Gänsehaut. Der Storytwist in Fight Club, das legendäre Ende von Soylent Green, dieses plötzliche Gefühl der Leere und der Fassungslosigkeit, das man mit den Figuren auf dem Bildschirm teilt, wenn dein Lieblingsseriencharakter plötzlich eine Kugel in den Kopf bekommt—natürlich trägt das zu großen Teilen zur Faszination und zum Spaß am Medienkonsum bei.

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Andererseits hatte ich auch verdammt viel Spaß (oder emotionale Zusammenbrüche) mit Spielen, Serien und Filmen, bei denen ich schon vorher ziemlich genau wusste, wie sie ausgehen—weil ich es irgendwann mal irgendwo gelesen hatte, dachte, ich würde diese Serie sowieso nie schauen, oder einfach ein verdammt schlechtes Namensgedächtnis habe. (Vielleicht war es deshalb auch weniger dramatisch als zuerst angenommen, als mich eine Freundin mit weit aufgerissenen Augen fragte „Ach, du guckst auch The Walking Dead? Bist du schon da, wo X und Y gestorben sind?" Außerdem wusste ich damals noch nicht, dass in dieser Serie sowieso jeder stirbt. Oder untot wird. In der Zombie-Apokalypse verschwimmen die Grenzen da ja sowieso.)

Und auch ganz ohne Spoiler gibt es viele Filme, die ihr Ende direkt selbst vorwegnehmen. Wenn uns der Hauptcharakter in American Beauty in der ersten Szene aus dem Off erklärt, dass es sich heute um den letzten Tag seines Lebens handelt, ist da irgendjemand empört im Kinosaal aufgesprungen und hat „Na vielen Dank!" gerufen? War irgendjemand überrascht, als das Schiff am Ende von Titanic gesunken ist? Und wenn wir schon dabei sind: Hitler ist '45 gestorben, Tyler Durden nicht echt und Soylent Green aus Menschenfleisch hergestellt.

Worth it. Screenshot: YouTube

Wenn wir ehrlich sind, dann können wir dieser stetigen Informationsflut aus Social Media, Gesprächen im Freundeskreis und medialer Berichterstattung doch auch gar nicht entkommen. Allem voran hat uns das Internet diesbezüglich endgültig die Unschuld genommen. Wir können all unsere Social-Media-Accounts löschen, uns Urlaub nehmen und in eine kleine Hütte in die Berge ziehen und trotzdem wird irgendjemand auf Skiern an unserem einzigen Fenster vorbeifahren und in die verschneite Landschaft frohlocken: „Hey, wisst ihr eigentlich schon, wer letzte Woche bei The Walking Dead gestorben ist?"

Wir können nicht davor weglaufen, wir können uns dem Info-Overkill nicht entziehen, uns bleiben also genau zwei Möglichkeiten: Entweder wir gehen jedem, wirklich jedem, mit unserem Spoiler-Jammerei auf den Sack und vermuten in jeder unbedachten Aussage eine potentiell den Spaß zerstörende Äußerung. Oder wir reißen uns zusammen und sehen endlich ein, dass es sich nicht vermeiden lässt, vollkommen unbeleckt an irgendeine Art von öffentlich diskutiertem Medienerzeugnis heranzutreten.

Wenn wir nicht aufhören, jede Diskussion über irgendetwas direkt mit den Worten „Bitte keine Spoiler!" abzuschneiden, dann hält uns nicht nur jeder unserer Freunde für ein prätentiöses Arschloch, sondern wir nehmen uns selbst den Spaß am Konsum. Wenn etwas wirklich gut ist, dann zeigt sich das im „Wie", nicht im „Was". Vielleicht sollten wir anfangen, uns die Frage zu stellen, ob es dann nicht der Fehler des Films, des Buchs, der TV-Show ist, wenn sie ohne den Überraschungseffekt nicht mehr funktioniert, anstatt unseren Bekannten die Freundschaft zu kündigen, wenn ihnen dann doch mal irgendein Spoiler rausrutscht.

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