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The Holy Cow Issue

Auf zwei Sake und einen Laib Challa mit Chloe Wise

2014 dominierte eine ihrer Skulpturen kurzfristig sämtliche Modeseiten und ließ Couture-Jäger nach etwas lechzen, was wie eine Chanel-Tasche in der Form eines übergroßen Bagels aussah. Nur dass das Ding weder Brot noch Tasche war.

Foto: Elizabeth Renstrom

Aus der The Holy Cow Issue

Die Fans von Chloe Wise sprechen von ihr, als wäre sie ein Produkt. "Probier sie, du wirst sie mögen, ich verspreche es", schrieb vor kurzem jemand unter einem ihrer Instagram-Posts. Manche Künstler würden solche Empfehlungsschreiben, die klingen als wären sie für eine Gesichtscreme geschrieben worden, ein bisschen irritierend finden, aber die 25-jährige Wise ist gleichermaßen Kritikerin des und Teilnehmerin im Konsumerismus. Sie ist extravagant, hat eine ganze Liste an Luxuslastern, ohne die sie nicht leben kann, inklusive den dekadentesten Mahlzeiten und so regelmäßigem Bräunen, dass sie überzeugt ist, im Alter zu einer Rosine zu mutieren.

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Genau diese Fähigkeit, Konsumbedürfnisse satirisch aufzuzeigen und ihnen zu entsprechen, hat sie zu einer Internet-Sensation gemacht. 2014 dominierte eine ihrer Skulpturen kurzfristig sämtliche Modeseiten und ließ Couture-Jäger nach etwas lechzen, was wie eine Chanel-Tasche in der Form eines übergroßen Bagels aussah. Nur dass das Ding weder Brot noch Tasche war, sondern eins der Stücke ihrer Reihe "Brot-Taschen", die aus ölbemaltem Urethan bestanden. Um den Fake perfekt zu machen, hing die Tasche an der Schulter des Models India Menuez, einer Freundin von Wise, die das Teil bei einer Chanel-Party in Manhattan auftrug.

Die Veröffentlichung dieses eigentlich privaten Gags schafft eine Konvergenz von Kunst- und Modewelt, an die Wise auch abseits dieser Aktion glaubt. Genau wie die Louis-Vuitton-Pygmäen-Baguette-Taschen aus ihren frühen Jahren, in denen "nur dein Nokia und deinen Lipgloss Platz haben", wie sie sagt, sind auch ihre Brot-Taschen im Wesentlichen "funktionslos" und "ornamental". Bei einem Abendessen erklärte sie uns, wie die Beliebtheit ihrer "Taschen" auf die Absurdität so vieler Luxusgüter hindeutet. "Ihre Rückseite ist komplett unfertig", sagte sie wie ein Vater, der über Stilettos lästert. "Sie sind flach und man kann nichts darin verstauen. Außerdem hat die Ölfarbe auf Indias Kleid abgefärbt."

Wir trafen uns im Shalom Japan, einem japanisch-jüdischen Hybridrestaurant in der Nähe ihres Apartments in Williamsburg. Wenige Tage später begleitete ich ihren Umzug in ein größeres Studio, das sie für ihre 28.000 Instragram-Follower dokumentierte—mit einem Grinsen und der Forderung nach einem High-Five.

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Alles an der Situation war wie dafür gemacht, um über den zweifelhaften Segen von plötzlichem Ruhm zu diskutieren. Williamsburg, häufig das Objekt von Hipster-Witzen, wirkt oft wie eine Reallife-Version des Internets: Hier ist alles Neue innerhalb weniger Monate wieder alt, so auch die Boutiquen und Eateries mit ihren widersprüchlichen und verlockenden Themen, die alle sehr gut zu Chloe passen.

"Eine Kunstausstellung ist dasselbe wie ein verdammtes Einkaufszentrum."

Ich war verblüfft, wie maßgeschneidert dieses Umfeld für sie zu sein schien. Als ehemaliges Model ist sie nicht nur schön, sondern hat auch die dunkle Aura eines Modigliani-Gemäldes. Unter dieser ruhigen Oberfläche liegt eine Innenwelt voller Provokationen. Wie ein Stand-up-Comedian, dem man für ein Jahr das Mikrofon weggenommen hat, wirkt Chloe als ob sie ununterbrochen unterhalten wollte. Bei unserem Dinner redete sie immer in Höchstgeschwindigkeit und wechselte mitten im Satz in kanadische und jüdische Parodien (sie ist beides) und Internetsprech („HashtagSonntagsbrunchStimmung"). Der Begriff "hektisch" kommt unweigerlich auf, wenn man sie beschreiben will. In einem frühen Interview mit dem Oyster-Magazin, das unmittelbar nach ihrer ersten Berühmtheitsphase und ihrer ersten Bagel-Tasche erschien, antwortete sie auf die Frage, wie sie ihre Art von Kunst beschreiben würde, mit ihrem typischen Mix aus inhaltlicher Missbilligung und sprachlicher Ausdehnung, indem sie sagte: "Multimedia-Kanadisch-Jüdische-Quälgeist-Comedy-Kunst? Weirder-Scheiß-Kunst? Süßer-Scheiß-Kunst? JewPop? Ichweißesverdammtnochmalnicht."

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Diese Art, Festschreibungen angesichts eines viralen Hits aus dem Weg zu gehen, ermöglicht ohne Frage eine gewisse Beweglichkeit in einer sonst eher beschränkten Branche. Chloe sieht sich selbst als einen seltenen Hybrid unter ihren Web-affinen Freunden, die dem Äther nicht entkommen wollen oder können und die Offline-Kunstwelt eher als "beherrscht von alten weißen Schweizern" sehen, wie Chloe mit einem Grinsen sagt. Durch diese beiden Szenen zu navigieren, ist für sie eine "beispiellose Herausforderung", vor allem aufgrund der fehlenden kunstgeschichtlichen Bezugspunkte, wie Chloe sagt. "In dem Feld gibt einfach kein Oh, das ist also in den 80ern passiert . Nein, ist es nicht."

Vorbilder hat sie trotzdem ziemlich viele, quer durch alle Bereiche. In unserem Gespräch vermittelte sie den Eindruck einer sehr pflichtbewussten Kunststudentin—mit Anspielungen auf Namen und Schulen von obskur bis offensichtlich—und einer noch leidenschaftlicheren Schülerin in Sachen Popkultur. Zu ihren Einflüssen gehören neben Karl Marx, der die Theorie des Warenfetischismus aufstellte, auch Drake, dessen Biografie sie nicht nur persönlich gut nachvollziehen kann, sondern auch als komischen Kontrast zu seinem Image als Rapper ("Er ist ein kanadisch-jüdischer Nerd. Meine Eltern würden es lieben, wenn ich ihn daten würde!"). Am meisten geprägt hat sie aber Tim and Eric Awesome Show, Great Job! , die Adult Swim-Serie von Tim Heidecker und Eric Wareheim, deren Umgang mit Absurdität ihr beigebracht hat, dass "Verwirrung der Schlüssel zum Verständnis satirischer oder kritischer Bilderwelten ist". Diese Einsicht zieht sich wie ein roter Faden durch alle ihre hyperrealistischen Werke, von ihren Brot-Taschen bis zu ihren aktuelleren Arbeiten, die voll mit Versatzstücken von Bondage-Kultur sind: zum Beispiel ein Stapel Palatschinken aus Urethan, die mit Piercings übersät sind, oder ein Teller mit Speckstreifen in der Form eines Louis-Vuitton-Logos, der über eine Kette mit einem Lederarmband verbunden ist. Die Echtheit der Skulpturen verwirrt unsere Sinne genauso wie Chloes Besessenheit mit ihnen.

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"Ich bin kein Hater", sagte sie, als wir einen Laib Challa aßen. "Ich bin ein Hedonist. Ich liebe diese Dinge. Ich esse viel, ich liebe Küsse, ich liebe Shopping, ich liebe Bräunen. Ich bin Maximalist."

Wütend wird sie nur auf selbsthassende Hedonisten und sagt, die Kunstwelt würde ihren eigenen Kommerzialismus nicht wahrhaben wollen. "Bei einer Kunstausstellung zu sein ist dasselbe wie in einem verdammten Einkaufszentrum zu sein", zitiert sie eine Folie aus einer Präsentation, die sie Studenten zeigt, wenn sie zu Vorträgen eingeladen wird: nebeneinanderstehende Bilder von einer Kunstmesse und einem Geschäft in einer Mall. Dann macht sie einen typischen Kunstverkäufer nach: "Bist du mit der Arbeit dieser Künstlerin vertraut? Sie hat das gewisse Etwas. Sie hat es, glaub mir. Das hier würde fabelhaft in deinem Haus aussehen." Alle Käufer—egal ob von Kunst, Kleidung oder Autos—würden im Grunde auf dieselben Botschaften ansprechen, sagt sie halb im Scherz: "Ich bin reich, ich bin begehrt, ich bin sexy, ich bin jung, ich habe einen Status."

Wenig überraschend ist Chloe auch eine geborene Networkerin. So wurde ihr fake Chanel-Teil schnell zum Mittelpunkt der echten Chanel-Marke. Menuez, die den Hype damals durch ihr Tragen des Teils mit ausgelöst hat, wirkte seither in einer Reihe von Ölgemälden mit, die von Édouard Manets kontroversem Le Déjeuner sur l'herbe (Das Frühstück im Grünen ) inspiriert wurde. Die Serie von Chloe Wise mit dem Titel That's Something Else, My Sweet greift Manets Nacktheitsmantra und die Frage auf, wer eigentlich wann und wo nackt sein darf. In einem der Bilder liegt Menuez mit gespreizten Beinen auf einer Picknick-Decke und gibt den Blick auf ein Stück Orange in ihrem Schritt frei. Eine andere Arbeit zeigt Hari Nef, Model und Schauspielerin in Transparent, die Wise zu ihren Freundinnen zählt.

Wir waren beim zweiten Sake als ich postulierte, dass Chloes Arbeit eine Welt zeichnet, in der sie verdammt ist.

Eric Wareheim ist ebenfalls zu einem Freund geworden—und sein Büro eine kleine Galerie für Wise-Arbeiten. Seit die beiden im Zuge der Netflix-Premiere von Master of None gemeinsam über den roten Teppich geschritten sind (eine Show, bei der Wareheim öfter auftrat), haben Wise und Wareheim dieselbe Art von verwirrender Inszenierung rund um sich selbst geschaffen, die Wise ursprünglich für Wareheim schwärmen ließ. Eine Reihe von seltsamen Anmachfotos zeigt die beiden in einem ausgereiften Sind-sie-oder-sind-sie-nicht-Spielchen für ihre Instagram-Gefolgschaft, deren Details sie absichtlich mysteriös hält. (Obwohl sich User Mühe geben, die Frage zu klären: bei einer Google-Suche nach "Chloe Wise" ist der erste Autocomplete-Vorschlag "Eric Wareheim".)

Ölmalerei ist für sie ein weiterer Genuss, den sie mit der viszeralen Freude beim Genuss eines gegrillten Käse-Sandwichs oder Sex mit einem Schwarm vergleicht. Als Antrieb für ihre Produktivität nennt sie die Angst, das "Mädchen mit den Brot-Taschen" zu werden. In den knapp zwei Jahren seit ihrem Online-Moment hat sie in fast 20 Shows mitgewirkt—sowohl Gruppen- als auch Soloausstellungen, lokal und international, mit Skulpturen, Videos und Gemälden. Vergangenen Herbst wirkte sie bei Unrealism in Miami mit, ihrem bislang prestigeträchtigsten Ausstellungsstück. Kuratiert von den legendären Galeristen Jeffrey Deitch und Larry Gagosian vereinte die Show aufstrebende Künstler mit solchen Veteranen wie John Currin.

Sich so zu exponieren kann helfen, Zweifel abzuwehren. "Inzwischen glaube ich an mich selbst", sagte sie mir. "Aber es gab Momente, wo ich mir dachte Ich verdiene das nicht. Wieso passiert das?" Wir waren beim zweiten Sake als ich postulierte, dass Chloes Arbeit eine Welt zeichnet, in der sie verdammt ist. Sie dachte darüber nach. Ein System, das nur unser Kurzzeitgedächtnis bedient und seiner jungen Stars schnell überdrüssig wird. Einen Moment lang dachte ich, ich hätte den Gedanken lieber nicht aussprechen sollen, aber Wise schien nicht beunruhigt zu sein. "Es ist nicht so, dass ich mir denke, Oh Gott, ich muss in einem Kibbutz leben oder so ", sagte sie. "Irgendwie hat der kommerzielle Zyklus der Kunstwelt auch etwas Schönes, Glamouröses und Tragisches. Die Hochs sind extrem hoch und die Tiefs extrem tief."