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Fragen, die ich den SVPlern am 28. Februar stellen möchte

SVP-Basismitglieder sind Online-Kommentarschreibern nicht unähnlich. Auch SVPler wissen nicht, was sie tun. Auch SVPler gehen davon aus, dass sie anonym bleiben.

Alle Fotos von Evan Ruetsch

Führungspersonen und andere Amtsträger der SVP sprechen verhältnismässig kontrolliert—heisst: Wenn Blocher am Albisgüetli erzählt, dass wir in einer Diktatur leben, können wir davon ausgehen, dass er weiss, was er sagt. Wenn mir ein SVP-Basismitglied an einer SVP-Veranstaltung sagt „Blocher hat hintergründig schon als Diktator gewirkt. Nur merkt er nicht, dass seine Zeit vorbei ist.", können wir nicht davon ausgehen, dass die betreffende Person, weiss, was ihre Aussage bedeutet (so geschehen am 9. Februar 2014, am Abstimmungs-Brunch zur Masseneinwanderungsinitiative, wo ich mich auch als linker Schreiber zu erkennen gab).

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Gründe, weshalb sich Basis-SVPler wohl gerne in sowas versteigen: Abstimmungsaufregung, Naivität, Siegesgewissheit, vielleicht auch etwas Narzissmus. Narzissmus, da man ja eigentlich überzeugt ist, man habe etwas zu sagen und wenn 40 Journalisten mit Mikros und Kameras durch den Raum hecheln, aber immer nur wissen wollen, was Toni Brunner vermeldet oder eventuell noch Luzi Stamm, dann will man doch auch mal zum Zug kommen. Man ist ja Bürger. Man hat ja eine Meinung. Man ist der Souverän, die höchste Macht im Land (auch eine Aussage vom 9. Februar 2014: „Ab heute werden die Chefs im Land wieder bestimmen. Und wer ist der Chef? Der Bürger. Ich kann nicht alle Bürger aufzählen, es sind etwa 90 [hier].")

Es folgen: Visuelle Eindrücke vom SVP-Abstimmungs-Brunch, den Benjamin am 9. Februar 2014 besuchte

Auch den Abstimmungssonntag vom 28. Februar 2016 werde ich jassend mit der SVP verbringen. Ich freu mich auf den Brunch. er ist besser als jeder Brunch in einem Bio-Bistro. Und ich gehe auch nicht nur dahin, weil ich unbedarften Menschen miese Zitate entlocken will, sondern weil mich—unabhängig von der beschriebenen Unbedarftheit—die Lebenswelt dieser Menschen interessiert. Schaffen sie es wieder, dem Land ihren Willen aufzudrücken, liegt das nicht alleine an Dummheit, Propaganda und unterschwelligem Rassismus, sondern auch daran, dass diese Menschen tatsächlich in einem anderen Land leben als ich, zumindest in einer anderen Lebenswelt.

Sie verstehen—das habe ich wirklich in Gesprächen erfahren—Städte und ihre Bewohner nicht. Sie verstehen nicht, was Städte zusammenhält, was Menschen in Städten für Träume haben, für Vorstellungen von Gemeinschaft, für Ziele. Es tut mir, dessen Alltag von 15 Minuten Velofahrt zwischen Kreis 4 und Kreis 1 sowie vom Intercity Zürich–Basel gerahmt wird, gut, in Kontakt mit Menschen zu treten, deren Vorstellung von Urban Life ihren Höhepunkt in einem Ausflug ins Maxx Kino Emmenbrücke mit Vorprogramm im Einkaufszentrum findet.

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Da ich mich aber nicht nur für meine mangelnden Jasskenntnisse entschuldigen und mein beschränktes Wissen zum Skidamen-Weltcup preisgeben will, habe ich mir frühzeitig überlegt, was es denn so zu besprechen gibt, im Inner-Schweizer Clash of Cultures:

Wisst ihr, wer Hermann Göring war?

Die erste Frage, die ich stellen möchte. Endlich im Thema, in medias res, darum geht es doch bei der Durchsetzungsinitiative. Äääh, bitte?!

Roger Köppel verband in der Neujahrsausgabe der Weltwoche eine Würdigung von Reichsmarschall Hermann Göring (Zitat: „tollkühner Fliegerheld des Ersten Weltkriegs, charismatisches Netzwerkgenie in besten Kreisen, Nummer zwei im Dritten Reich, ganz am Schluss vom ‚Führer' noch als angeblicher Verräter abserviert") mit einem Aufruf, die Durchsetzungsinitiative zu unterstützen.

Der Zusammenhang? Trotz aller Qualitäten habe Hermann Göring an der Spitze eines kriminellen Staates gestanden. Daraus schliesst Bürger Köppel: „Der Mensch bleibt sich selbst das grösste Rätsel, und niemand kann sicher sein, dass nicht auch er mit den vermeintlich besten Absichten in der grössten Katastrophe endet. Bescheidenheit bleibt das ewige Gebot der Stunde. Die politische Aktualität erreicht mich in Gestalt der Durchsetzungsinitiative."

Wer denkt, dass sich Köppel an dieser Stelle auf seine Vor-Demagogen-Zeiten beruft und für die Durchsetzungsinitiative entschuldigt, irrt: „Ihre Gegner [der Durchsetzungsinitiative] schwurbeln den Untergang der Zivilisation herbei. Das ist grober Unfug."

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Keine Entschuldigung für das Anliegen, dass die Gleichheit vor dem Gesetz aushebeln will und zur Folge hat, dass zwei Millionen Einwohner—Ausländerinnen und Secondos—künftig Schiss vor Mini-Vorstrafen haben müssen.

Köppel in kurz: Hermann Göring schafft Besinnung, mit Besinnung für die Durchsetzungsinitiative.

Eignet sich Hermann Göring als Werbeträger?

Ich hoffe, dass mir jeder mit „Nein" darauf antwortet. Aber die Göring-Hommage vom bestgewählten Nationalrat aller Zeiten werde ich den Menschen da einfach nochmals um die Ohren schlagen müssen.

Leben wir in einer Diktatur?

Christoph Blocher sagt: Ja. Seine diesjährige Albisgüetli-Rede trug den Titel „Die Schweiz auf dem Weg in eine Diktatur". Sneakpeak: „Ein stiller zwar, aber dennoch ein Staatsstreich" und „Wir müssen uns nicht nur vor den fremden, sondern auch vor den eigenen Richtern hüten". Mein Bachelor of Arts macht mich also schon automatisch zu einem Helfershelfer der bösen Macht, einem Diktator niedriger Ordnung. Denn als Geisteswissenschaftler bin ich nach Blocher „kein Wissenschaftler mehr", sondern einer der „pseudowissenschaftliche[n] Diktatoren".

Ich nehm's zurück, liebe SVP-Basis! Ihr seid nicht naiv, narzisstisch und aufgeregt. Bitte, bitte, bitte, ihr lieben KMU-Unternehmer, Landfrauen und andere Geschöpfe, die am 28. Februar den SVP-Saal füllen werdet. Zeigt mir, dass ihr vernünftiger seid als eure Parteiführung.

Lebte Hermann Göring in einer Diktatur?

Jaja, ich komme davon nicht los …

Was habt ihr gegen Richter?

Der Juraprofessor unter den SVPlern, Hans-Ueli Vogt, erklärte Anfang Jahr in der Schweiz am Sonntag, dass die Durchsetzungsinitiative einen Unterschied mache zwischen Secondos und Ausländerinnen, die erst seit kurzem in der Schweiz leben. Die offizielle SVP verneint.

Mein naiv-„pseudowissenschaftliches" Phil.1-Denken sagt: Hans-Ueli Vogt müsste von Beruf her wissen, dass es keine juristische Zwischenstufe zwischen „Bürgern" und „Ausländern mit C-Ausweis" gibt. Wahrscheinlich hat also SVP-Nationalrat Heinz Brand vor allem die beruflichen Kompetenzen vom dekorierten Jurist Hans-Ueli Vogt im Blick, wenn er die Initiative als Lösung für die überforderten Richter preist: „Der Richter muss künftig im Hinblick auf die Wegweisung allein die Tat beurteilen, nicht wie heute die Umstände des Täters. Mit der Initiative wird der gerichtliche Weg vereinfacht."

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Habt ihr wegen Hermann Göring etwas gegen Richter? … Remember 1946 …

Göring hat ja in Nürnberg auch seine Erfahrungen gemacht … aber ich weiss, dass ich das Thema ungesund überstrapaziere. Ist ja gut, ist ja gut—ich höre schon auf.

Fehlen da nicht ein paar Straftaten im Deliktkatalog des Initiativtextes?

Es geht mir bei dieser Frage nicht um Spott. Ich möchte die SVPler wirklich darauf aufmerksam machen. Denn selbst wenn man möchte, dass Menschen nach gewissen Straftaten automatisch ausgeschafft werden, muss man sich fragen, ob man einer solchen Initiative zustimmen will. Einer Initiative, die die Freiheit der Richter einschränkt, zu entscheiden, wer ausgeschafft gehört und wer nicht, wenn man nach all diesen Strafen nicht ausgeschafft wird:

  • Genitalverstümmelung
  • Verleitung zum Selbstmord
  • Zwangsheirat
  • Gefährdung durch Radioaktivität
  • Trinkwasserverunreinigung
  • Vorbereitung von Mord, vorsätzlicher Tötung
  • Verbreiten von Krankheiten

Bitte, ihr um Sicherheit besorgten Rechten, da hat es echt schlimme Sachen dabei (so schlimme, dass ich mich für meinen flapsigen Zynismus im Ausdruck „echt schlimme Sachen" schäme). Ausserdem auch solche Straftaten, die Urängste bedienen. Radioaktivität. Trinkwasser. Epidemien. Puuh. Angst—das ist doch euer Metier?

Schämt ihr euch nicht?

Wirklich die dümmste, allerdümmste Frage, auch wenn ich sie immer wieder stellen will. Nein, sie schämen sich nicht! Und jedes Mal, wenn wir ihnen diese Frage stellen, schämen sie sich weniger. Weil die Frage das ist, was das Zusammengehörigkeitsgefühl in der SVP erst schafft. Wir gegen alle. Oder wie es Blocher am Albisgüetli 2016 gesagt hat: „Wenn die Minderheit beginnt, Recht über die Mehrheit zu setzen, haben wir die Diktatur."

In diesem Bild steht die SVP für die Minderheit und wenn ich als Vertreter der hochschulgebildeten, städtischen, unpraktischen, verweichlichten, zivildienstleistenden Kulturbürger, die Moralkeule schwinge, hilft das niemandem. Es hilft nicht dabei, zu den Menschen durchzudringen. Und es hilft nicht dabei, den Graben zu überwinden, der dafür sorgt, dass ich in einer Blase lebe, in der niemand für die Durchsetzungsinitiative ist. Dass ich in einer Blase lebe, in der ich gar keinen Zugang habe, jemanden zu überzeugen. Mobilisieren, mobilisieren, soweit geht die politische Debatte, aber darüber hinaus geht sie nicht.

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Ich hasse die Politik und einzelne Politiker der SVP. Ich hasse, dass die Schweiz seit der EWR-Abstimmung 1992 nach rechts rückt. Dass immer wieder neu herausgefunden und ausgebeinelt wird, was man sagen darf, was man fordern darf, wie sehr man diskriminieren darf. Es wird immer nur etwas heisser. Etwas schmerzhafter. Etwas unangenehmer. Etwas rechter. Etwas roher. Etwas vorgestriger. Immer nur etwas, nie ganz. Und wir baden's aus.

Denn genauso hasse ich, dass es nicht gelingt, Fronten aufzubrechen. Dass wir uns als Linke so lange wie mein Leben bislang dauert, in einem Rückwärtskampf befinden. Dass wir immer die Position der Vernünftigen, der Abwiegelnden, der Im-Zusammenhang-Denkenden einnehmen müssen. Dass wir deshalb so verflucht bodenständig sind.

Beim Wiederlesen meines Artikels zur Masseneinwanderungsinitiative habe ich mich auch daran erinnert, dass ich den SVPlern am 9. Februar 2014 vollmundig versprochen habe, dass ich nach der Annahme auswandern würde. Seither hat sich mein Horizont, meine Schweiz noch verengt, die Auseinandersetzung mit dem Land und seinem politischen System. Mein Gott, ich bin sogar wieder ins Landesinnere gezogen. Wir sind so verflucht bodenständig.

Beim SVP-Jasscup verlor Benjamin und es war ihm egal. Am 28. Februar wäre Zweiteres anders

Darum, bitte, liebe Menschen, wenn ihr den Arsch hochbekommt, dann habe ich einen gemütlichen Jass-Tag am 28. Februar 2016. Ich kann mich am Touriausflug in die SVP-Lebenswelt freuen und werde zusammengeschissen, da ich ein schlechter Jasser bin. Aber bitte, kein Montag mit „We are the other 49,7%".. Ich muss es nicht aussprechen. Jeder weiss, wovon es abhängt. Uns. Dir. Mir.

Benjamin ist auch auf Twitter: @biofrontsau