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Alles, was ihr bisher über die „RAF 4.0“ wissen müsst

40 Menschen will die neue „RAF 4.0" umbringen. Bis jetzt existieren aber nur ein paar Drohbriefe—und jede Menge Schuldzuweisungen von allen Seiten.
Jan-Carl Raspe und Andreas Baader. Foto: imago/ZUMA/Keystone

Am Wochenende meldete die Ostthüringische Zeitung, mehrere Ämter und die AfD in Gera hätten identische anonyme Drohbriefe von einer Gruppe erhalten, die sich „RAF 4.0" nannte. In den Briefen wurde angekündigt, man werde zehn Richter, zehn Staatsanwälte, zehn Polizisten und zehn Politiker ermorden, konkrete Namen wurden jedoch nicht genannt. Als Grund für die Drohung nannte das Schreiben Versagen der Behörden bei der Aufklärung der NSU-Morde.

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Mehr ist bis jetzt nicht über den Vorfall bekannt, das Landeskriminalamt ermittelt. Interessanterweise hätten die Briefe ihre Ziele fast nicht erreicht, weil der Absender die falsche Postleitzahl aufgeschrieben hatte.

Es ist also etwas schwer zu sagen, wie ernst man die Drohung nehmen muss. Wenn die Gruppe sich wirklich in der Tradition der RAF sieht, hätten die Behörden allerdings Grund zur Sorge. Im Zuge ihrer 28-jährigen Geschichte hat die Rote Armee Fraktion nicht nur insgesamt 38 Menschen ermordet und über 200 verletzt, sondern sich auch zwei Mal komplett neu gebildet. Nachdem die Anführer der ersten Generation—Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Holger Meins—im Juni 1972 verhaftet wurden, gründete sich bald eine zweite Generation (maßgeblich rekrutiert und angeleitet von den Anwälten der inhaftierten RAF-Gründer).

Die zweite Generation konzentrierte sich in ihren Aktionen dann auch hauptsächlich auf das Ziel, ihre gefangenen Helden freizupressen. Dabei setzten sie vor allem auf Entführungen, Ermordungen und Bombenanschläge. Ihren Höhepunkt fand die Terrorwelle im „Deutschen Herbst" 1977, als die RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer entführte, um die Freilassung der Gründer zu erwirken. Als die Bundesregierung sich weigerte, rief die RAF die befreundete Volksfront zur Befreiung Palästinas (PLFP) zur Hilfe, die ein komplettes Lufthansa-Flugzeug nach Mogadischu entführte. Bei der Erstürmung des Flugzeugs durch das GSG-9 kamen bis auf eine Frau alle Entführer ums Leben, die 86 Geiseln konnten alle gerettet werden. Als sie im Gefängnis die Nachricht von der misslungenen Entführung hörten, begingen Baader, Ensslin und Raspe gleichzeitig in ihren Zellen Selbstmord, Irmgard Möller überlebte mit vier Stichen ins Herz (Möller bestreitet, dass es sich um Selbstmorde gehandelt habe und beschuldigt den Staat). Am nächsten Tag erschoss die RAF den entführten Schleyer.

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Die Passagiere des Fluges nach der Befreiung durch das GSG-9 | Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F051866-0010 | Wegmann, Ludwig | CC-BY-SA 3.0

In den folgenden Jahren verübten die Mitglieder der zweiten Generation zwar noch einige Attentate, konnten dem zunehmenden Fahndungsdruck aber auf Dauer nicht entgehen. 1984 wurden ihre wichtigsten Mitglieder verhaftet und die Infrastruktur der Organisation weitgehend zerschlagen. Damit brach die Zeit der dritten und undurchsichtigsten RAF-Generation an. Die dritte Generation kümmerte sich kaum um Gefangenenbefreiung und konzentrierte sich stattdessen auf gut vorbereitete Mordanschläge aus dem Nichts. Von den 10 durch die RAF verübten Morde zwischen 1985 und 1993 ist nur bei einem der Täter bekannt, tatsächlich kennen die Behörden bis heute nur die Hälfte der Namen der mindestens 20 Mitglieder der dritten Generation, die anderen konnten nie identifiziert werden.

Am 20. April 1998 kündigte die letzte RAF-Generation in einem Schreiben an Reuters aber schließlich die Auflösung der Organisation an. Seitdem hat man nur noch einmal von ihr gehört: Als zwei ehemalige Mitglieder der dritten Generation 1999 mit einer Panzerfaust und einer Maschinenpistole einen Geldtransporter in Duisburg überfielen und eine Million Mark erbeuteten, kam kurzzeitig der Verdacht auf, man habe es nun mit der 4. Neuauflage der RAF zu tun. Die beiden wurden seitdem jedoch nie mehr gesehen, und auch es hat sich auch nie mehr jemand als „RAF" bezeichnet.

Bis letzten Samstag eben. Immerhin würde das „4.0" darauf hinweisen, dass die Verfasser des Briefes die Geschichte der RAF grob kennen (und außerdem, dass sie kein Problem mit zeitgeistmäßiger IT-Sprache haben). Trotzdem scheint die Nachricht auch in der linken Szene auf keine allzu große Begeisterung zu treffen:

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Wer immer hinter dieser Drohung mit der RAF4.0 steckt - es handelt sich um jemand umfassend Verblödeten. https://t.co/tWI2i1L5oE
— ♚Elquee♚ (@Elquee) 7. November 2015

#RAF 4.0. #Baader würde denen eine Klatschen.
— Ronny Leuteritz (@Dresden2015) 9. November 2015

Die einzige linke Stimme, die der Idee einen neuen RAF gegenüber aufgeschlossen zu sein scheint, ist dieser Twitter Account „Antifa Netzwerk", der fragt „#RAF 4.0: Was haltet ihr davon? Tut sich endlich was?" und dann mit demselben Hashtag eine Diskussionsrunde am Sonntagabend ankündigt, bei der es um „Die Notwendigkeit für terroristische Gruppierungen innerhalb der Linken" gehen soll.

#RAF 4.0: Was haltet ihr davon? Tut sich endlich was?
— Antifa Netzwerk (@antifanetzwerk) 8. November 2015

Die Notwendigkeit für terroristische Gruppierungen innerhalb der Linken. Heute Diskussionsrunde in Mannheim. #Antifa #RAF #Nazis
— Antifa Netzwerk (@antifanetzwerk) 8. November 2015

Das wiederum wurde aufgegriffen von rechten Plattformen wie pi-news oder dem Blogger Mathias von Gersdorff, die die Nachricht von den Drohbriefen dann sofort mit „der Antifa" und dem Anschlag auf das Auto der AfD-Funktionärin Beatrix von Storch verbinden konnten.

Andere Stimmen glauben eher daran, dass es sich bei den (zugegebenermaßen etwas großspurigen) Drohungen um ein Manöver handelt, um die Aufmerksamkeit von dem sehr realen rechten Terror der letzten Monate abzulenken:

Diese RAF 4.0 Nummer stinkt doch nach Kommunikationsguerilla aus der Identitären Bewegung.
— metronaut (@metronaut) 7. November 2015

Toller Trick17, dann kümmert sich keiner mehr um #NSU. "40 Morde angekündigt: "RAF 4.0" bedroht Thüringer Behörden" https://t.co/MVBDhpdsvD
— Glückskind (@lainee42) 8. November 2015

Wer wirklich dahintersteckt und ob die Drohung ernst gemeint ist, werden die Ermittlungen zeigen. Vielleicht kann uns derjenige dann auch erklären, wie genau es den Opfern des NSU (oder den Opfern der aktuellen rechten Gewalt) helfen soll, wenn irgendjemand in Thüringen herumfährt und Polizisten, Richter, Staatsanwälte und Politiker umbringt.