Anzeige
Ruud Jongedijk: Wir sehen oft einen Emotionsstau. Flüchtlinge haben oft in ihren Heimatländern und auf dem Weg hierher furchtbare Dinge durchgemacht. Zum Beispiel habe ich im Zentrum eine Mutter kennengelernt, die ihr Kind auf der Reise verloren hat. All diese traumatischen Erlebnisse türmen sich auf. Anfangs kommen die Leute noch klar—sie müssen sich um sehr vieles kümmern und kriegen viel Aufmerksamkeit von Helfern und Freiwilligen. Wir nennen das die „Flitterwochenphase"—alles ist gut. Aber die schlechten Erinnerungen kommen bald wieder hoch und können große Rückschläge auslösen.
Anzeige
Es kann großartig sein, mit ihnen Fußball zu spielen oder ihnen mit etwas Praktischem zu helfen. Die beste Art, PTBS zu vermeiden, ist, auf soziale Art Unterstützung zu bieten. Du solltest diese Leute nicht die ganze Zeit alleine in ihrem Zimmer lassen, sonst grübeln sie durchgehend über das nach, was sie durchgemacht haben. Du musst sie zu einem Teil deines sozialen Umfelds machen. Biete ihnen Beschäftigung. Doch es ist sehr wichtig, das zu betreiben, was wir „beobachtendes Warten" nennen. Du bist präsent, aber du zwingst deine Gesellschaft niemandem auf—stattdessen behältst du sie im Auge, um sicherzugehen, dass es ihnen gut geht.
Anzeige
Ich würde niemanden unter Druck setzen, Dinge zu tun, auf die er keine Lust hat. Es ist besser, alles als Einladung zu formulieren und nicht als Aussage. Es sollte heißen „Würdest du gerne mit uns zu Abend essen?" oder „Wollen wir ein bisschen Fußball spielen?", anstatt „Wir essen heute Abend zusammen und dann spielen wir Fußball." Du kannst ihnen auch im Umgang mit Behörden und Organisationen helfen. Indem du ihnen so etwas anbietest, kannst du dein Engagement und deine Unterstützung zeigen.Wenn sie anfangen, über Dinge zu reden, die sie durchgemacht haben, dann solltest du sichergehen, dass die Unterhaltung nicht zu lange andauert. Lass sie nicht ins Detail gehen und frage auch nicht danach. Zeige Anteilnahme: Lass sie wissen, dass du dich dafür interessierst, was sie zu sagen haben, aber hab auch den Mut, die Unterhaltung zu beenden, wenn es zu viel wird. Es kann für die Person zu belastend werden. Indem sie die Erinnerung erneut durchleben, können sich neue Ängste bilden.Aber sollte ich das Thema selbst ansprechen?
Manche wollen viel über ihre Erfahrungen sprechen, andere gar nicht. Es gibt Menschen, die sich solche Sorgen um die Situation zu Hause machen, dass sie nur noch vor dem Fernseher hängen, um die Nachrichten zu verfolgen, während andere rein gar nichts davon wissen wollen.Aber es ist auch unnatürlich, gar nicht über die Vergangenheit zu sprechen. Du kannst etwas sagen wie: „Mann, du musst ja echt viel durchgemacht haben." Interesse zeigen ist gut, solange du nicht zu tief gräbst. Es ist unheimlich schlecht, tief in traumatische Erfahrungen vorzustoßen. Wenn sie anfangen, sich in der Geschichte zu verlieren, dann solltest du sie ins Hier und Jetzt zurückholen, indem du eine andere Aktivität vorschlägst. Versuche nicht, ihnen selbst therapeutische Maßnahmen zu bieten. Es ist besser, sie auf soziale Art zu unterstützen.Und wenn ich bemerke, dass jemand professionelle Hilfe braucht?
Die größte Gefahr ist, dass wir die Flüchtlinge aus dem Blick verlieren. Wenn du bei dir zu Hause Zuflucht bietest, dann kannst du eine essentielle Brücke zwischen dem Flüchtling und der professionellen Hilfe bieten. Du bist vielleicht nicht psychotherapeutisch ausgebildet, aber du kannst die frühen Warnzeichen eines psychischen Problems erkennen. Wenn jemand sich zurückzieht, nicht schläft, viel trinkt, schnell wütend wird, und so weiter, dann ist es Zeit, Hilfe zu suchen. Der örtliche Flüchtlingsrat oder deine Hausarztpraxis können da helfen.Glaubst du, dass die Menschen unterschätzen, auf was sie sich da einlassen, wenn sie einen Flüchtling aufnehmen?
Vielleicht. Es ist eine sehr schöne und idealistische Vorstellung, aber du weißt nicht, wen du bekommst. Weißt du, was diese Person durchgemacht hat? Du solltest die praktischen Aspekte auch nicht unterschätzen. Für eine Woche deine Privatsphäre aufzugeben, ist vielleicht machbar, aber es ist etwas völlig anderes, das mehrere Monate zu machen. Kulturelle Unterschiede können auch ein Thema sein. Es ist wichtig, vorher zu recherchieren und sicher zu sein, dass du für eine solche Verpflichtung wirklich bereit bist.Sich richtig vorzubereiten, ist also das Wichtigste?
Ja, sei vorbereitet. Triff keine voreilige Entscheidung und stelle sicher, dass du eine professionelle Organisation im Rücken hast. Entscheide vorher, womit du dich wohlfühlst und womit nicht. Ist es OK für dich, wenn drei junge Männer bei dir wohnen, eine Familie mit kleinen Kindern oder ein kinderloses Paar? Auch solltest du ein festes Enddatum setzen. Du musst wissen, wie lange du bereit bist, das hier zu machen. Wenn du sagst: „Lass sie einfach kommen und dann sehen wir weiter", dann hast du vielleicht länger Gäste, als dir lieb ist. Das ist für niemanden gut.