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the Earth Died Screaming Issue

Ein Tal zwischen Milch und Zement

Auf den Spuren eines unsichtbaren Gifts in Kärnten.
Fotos von Hanno Mayregger

Dass Kärnten Probleme hat, ist keine neue Geschichte—und auch nichts, was lediglich von einer gewissen Gattung an Menschen behauptet wird, die sich Chemtrails nicht mehr aus dem Himmel denken können. Diese Geschichte ist so alt wie eine faulende Banane und inzwischen leider synonym mit dem Ruf des Lands selbst. Man könnte jetzt sagen, dass nicht nur die Finanzen in Kärnten auf Eis gelegt sind, sondern die Probleme auch anders zutage getreten ist—und immer noch zutage treten. Für meine Generation begann alles mit Debatten über Finanzen und erreichte sein vorläufiges Ende mit dem HCB-Umweltskandal zu Ende des vergangenen Jahres.

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Im November 2014 hat die Öffentlichkeit von Überschreitungen der HCB-Werte in Lebensmitteln aus dem Görtschitztal in Kärnten erfahren. Diese Überschreitung der HCB-Werte wurde allerdings schon im März des gleichen Jahres von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit erhoben. HCB ist die Abkürzung der Chemikalie Hexachlorbenzol und gilt laut EU-Gefahrenstoffkennzeichnung als giftig und umweltgefährlich. Laut Greenpeace zählt sie außerdem zu den zwölf gefährlichsten Industriechemikalien. Bis in die 90er-Jahre wurde es als Fungizid und Pestizid eingesetzt, seit 1992 gilt ein Totalverbot. HCB wurde allerdings auch für Feuerwerkskörper eingesetzt, damit diese einen höheren Farbeffekt erzielen konnten. Diese sind in Österreich nicht mehr erhältlich.

Alle Fotos von Hanno Mayregger

Die Chemikalie kann unter anderem die Leber sowie das Nerven-, Immun- und Hormonsystem beeinflussen, aber auch krebsfördernd sein. Dadurch, dass sie schwer abbaubar—oder persistent—ist, gilt sie als besonders gefährlich. Eine einmalig hohe Aufnahme kann unproblematischer sein, als eine Aufnahme kleinerer Mengen über längere Dauer. Durch die Verbrennung von Blaukalk der Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke ist die gefährliche Chemikalie aber in den Boden gelangt. So wurde unter anderem das Futtergras von Kühen vergiftet und hat zu Sperren betroffener Molkereien geführt. HCB wird hauptsächlich über fetthaltige Nahrung wie Milchprodukte aufgenommen—aber auch über die Atemwege, Luft oder Wasser. Eine akute Gesundheitsgefährdung kann man im Görtschitztal laut Dr. Albert Kreiner— auf den ich nach Anfrage bei Umweltlandesrat Rolf Holub verwiesen wurde—allerdings ausschließen.

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Dass man ein halbes Jahr gewartet hat, um mit dem Problem an die Öffentlichkeit zu gehen, ist für Mütter wie Maria G. besonders unverständlich. Immerhin war die Chemikalie auch in der Schulmilch der Kinder. Und obwohl es sich um Kinder handelt, war es laut Maria G. nicht einfach, diese auf HCB testen zu lassen: „Wir haben darum kämpfen müssen, dass wir Bluttests bekommen. Das war von Anfang an nicht selbstverständlich, dafür musste man sich einsetzen. Bevor die Blutabnahme passierte, haben sich verschiedene Ärzte ein Beratungsgespräch gegeben—schon da musste man sich auf die Hinterbeine stellen und wirklich sagen, dass man darauf besteht, sich und sein Kind testen zu lassen. Sonst ist man sofort mit dem Argument ,Was bringt Ihnen das, wenn Sie wissen, dass ihr Kind belastet ist? Man kann ja nichts dagegen tun.' abgewimmelt worden." Obwohl man den Leuten sagte, dass die Ergebnisse der Bluttests in zwei Wochen fertig sein würden, mussten sie fast drei Monate darauf warten. Die Vermutung: „Zu den Gemeinderatswahlen wollten sie das dann doch nicht bekannt geben. Es ist uns gesagt worden, dass es eine Panne im Labor gab." Auch ihr Sohn weise starke Belastungen auf—und das, obwohl sie keinen Bauernhof hätten.

Eigentlich wollte ich vor Beginn dieser Geschichte vor allem wissen, wie es der Bevölkerung und den betroffenen Landwirten seit November ergangen ist. Drei Tage, bevor ich nach Kärnten gefahren bin, um Antworten auf diese Frage zu suchen, hat sich ein neues Problem aufgetan. Ein paar wenige Kilometer entfernt von Wietersdorf, wo das Zementwerk steht, befindet sich die Deponie der Donau Chemie. Dort lagerte man rund 250.000 Tonnen Blaukalk des Werkes, das zum Teil mit HCB belastet ist. Durch die hohen Temperaturen in der zweiten Juni-Woche sind infolge dessen HCBD-Werte in die Luft getreten. HCB und HCBD haben den gleichen Effekt. Sie sind nicht unmittelbar akut gesundheitsge- fährdend, sondern haben äußerst negative Langzeitwirkungen.

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Hier seht ihr das Werk, in dem dieser Skandal seinen Anfang genommen hat.

Darüber hinaus ist HCB außerdem fettlöslich, weshalb es sich besonders in fettreichen Produkten und in Pflanzen, die ätherische Öle beinhalten—wie Thymian— ansammeln kann. HCBD hingegen ist wasserlöslich und wird über die Luft ausgestreut. Das ist der Hauptunterschied. Die Deponie befand sich in Sanierungsarbeiten, in welche sie selbst—laut Armin Pufitsch, Kommunikationsleiter der Donau Chemie—viele Millionen Euro investiert haben. Die Arbeiten wurden bei Bekanntgabe der HCB-Werte unterbrochen.

„Wir waren und sind uns der Dringlichkeit der Deponie-Sanierung immer bewusst", so Pufitsch. „Deswegen haben wir auch schon vor Jahren die Sanierung der Altlast K20 in engster Abstimmung mit den Bundes- und Landesbehörden aktiv und korrekt in Angriff genommen." Die Bewohner sind sich dieser Korrektheit so nicht bewusst. Sie befürchten, dass sich die Situation noch zuspitzen wird—und die Donau Chemie das eigentliche Problem ist. Auf diese Anschuldigung angesprochen meint Herr Pufitsch, dass er nicht oft genug sagen könne, wie betroffen es ihn mache, wenn durch das Versagen eines Verwerters, der für die fehlerhafte Handhabung des Materials auch noch Geld bezahlt bekam, derart viele Sorgen in der Bevölkerung verursacht worden wären. Dass ein richtiger und umweltgerechter Sanierungsweg nicht fortgesetzt werden könne, wäre katastrophal. In den kommenden Monaten soll entschieden werden, wie es mit der Deponie weitergeht. Nur, so Maria G., sei jeder Tag, der vergeht, ein Tag zu viel: „Die Lage ist wirklich sehr ernst."

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Das gilt auch für die Lage von Griseldis Felsberger. Sie ist Landwirtin und hat seit dem Umweltskandal bis zum heutigen Tag keinen Liter Milch mehr verkauft. Sie hat keinerlei Einkommen, da noch immer HCB in ihrer Milch nachweisbar wäre. Dass der Wert die nachweisbare Höhe untersteigt, ist für Felsberger in den nächsten zwei bis drei Jahren zu erwarten. Was bleibt, ist nicht viel—ein bisschen Hoffnung, aber auch die Frage, wozu man sich überhaupt für einen Bio-Hof entschieden hat.

„Es ist hart, mit anzusehen, dass ich die Arbeit umsonst mache. Ich weiß auch nicht, was mit den kleinen Kitzen passiert. Ich behalte sie aber in der Hoffnung, dass das HCB irgendwann verschwindet." Ihr tun die Tiere leid. Wenn man dieser Art Schicksalsschlag ausgesetzt ist, stelle ich es mir fast schwerer vor, weiterzumachen, als einfach aufzugeben. Nur, wenn aufgeben keine Alternative ist, tut man das, was Frau Felsberger tut. Jeden Morgen steht sie um 5:00 Uhr früh auf, macht den Stall, melkt die Tiere, füttert sie, macht sie sauber. Sie weckt ihre Kinder und macht sie für die Schule fertig. Und all das, wie sie sagt, umsonst. Vielen gehe es ähnlich, aber: „Viele trauen sich nichts zu sagen. Oder sie wollen nicht."

Anwohner des Zementwerks wünschen sich mehr Menschlichkeit und neue Perspektiven.

Inzwischen würden die Leute nur noch wollen, dass das Tal zur Ruhe kommt. Das denkt auch die Chefin eines örtlichen Gasthauses, unweit von Wietersdorf. Mehr zufällig sind auch wir in ihrem Gasthaus gelandet. Davor sind wir durch das Tal gefahren—durch eine fast schon aufdringlich kitschige Idylle. Abgesehen vom Zementwerk—dem industriellen Bruch in der Landschaft—ist dort alles grün. Ich war das erste Mal vor Ort. Hätte ich nicht gewusst, was hier in der Luft liegt, hätte ich nichts von einem Skandal gemerkt. Dass niemand auf der Straße war, schiebe ich jetzt einfach mal auf die hohen Temperaturen. Die Wirtin meinte, dass es gut wäre, wenn endlich mal jemand etwas Positives schreiben würde. Auf meine Frage, wie das aussehen sollte, antwortete sie, dass man auch an die Leute denken müsse—die Menschen, die weiterhin hier leben, arbeiten und nicht einfach wegziehen können. Bei ihr selbst sind die HCB-Werte mittlerweile wieder in Ordnung; das Problem sei ja jetzt in Brückl, wo die Deponie steht. Was allerdings auch sie spürt, sind die Verluste im Tourismus.

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Verluste spürt auch ein Betrieb, der vielen in Österreich in Begriff ist, seinen Sitz aber nicht im Görtschitztal hat und dessen Lieferanten auch wieder grünes Licht haben: das Unternehmen Kärntner Milch. Der Geschäftsführer von Kärntner Milch, Helmut Petschar, konnte trotz der Turbulenzen des letzten Jahres einen Rekordumsatz erzielen. Aber seit dem Bekanntwerden des Umweltskandals hatten sie sowohl im November und Dezember des vergangenen, als auch in den ersten Monaten des laufenden Jahres Umsatzeinbußen zu verzeichnen. Der Grund dafür läge vor allem in einem anhaltenden Imageschaden—und das, obwohl Kärntner Milch als einzige Molkerei umweltzertifiziert ist. Der Imageschaden ist laut Direktor Petschar vor allem dadurch entstanden, dass der Betrieb in seinem Markennamen „Kärnten" trägt und sehr viele Konsumenten außerhalb Kärntens automatisch dachten, dass sie die Hauptbetroffenen wären.

Die Imageschäden werden für das Tal wohl noch länger eine Rolle spielen. Auch der ausbleibende Tourismus wird wohl vorerst eine Realität bleiben. Im Vordergrund steht laut Kreiner die gesundheitliche Vorsorge der Bevölkerung—hier wird auch eng mit der Medizinischen Universität Wien zusammengearbeitet. Wissenschaftler raten immer noch davon ab, das Gemüse aus umliegenden Hausgärten zu essen, weil es hierzu noch keine Untersuchungsergebnisse gibt.

Die Deponie der Donau Chemie.

Als ich mit den Bewohnern sprach, sind oft zwei konträre Gefühlslagen im gleichen Atemzug genannt worden: Angst und Hoffnung. Sie wissen zwar nicht, wie es weitergeht—viele Kinder sind noch ungetestet—, aber gleichzeitig hat jeder Einzelne die Hoffnung, dass es irgendwann wieder bergauf geht.

Wer genau die Schuldigen sind, interessiert hier niemanden, mit dem ich gesprochen habe. „Ich würde mir aber wünschen, dass die Menschen endlich spüren, dass nicht der Profit im Vordergrund steht", sagt Maria G. „Stattdessen sollte man sich einfach eingestehen, was hier passiert ist—und versprechen, keinen weiteren Giftmüll und keine weitere Blaukalkverbrennung mehr zulassen. Weil ihnen die Leute wichtiger sind als das Geld. Die Schuldigen finden eh andere. Aber ein Zeichen von Menschlichkeit würden wir uns wünschen."

Auf Menschlichkeit zu hoffen ist ein guter, aber auch etwas naiver Gedanke. Als gelernte Kärntnerin traue ich mich zu sagen, dass dieser Appell nur einer von vielen (durchaus unterschiedlichen) und am Ende vor allem ungehört bleiben wird. Wenn Wirtschaft und Politik ihre Hände im Spiel haben, kann auch Dreck entstehen—und im Fall des Görtschitztals eben auch an die Oberfläche treten. Und er ist hartnäckiger, als gedacht.