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Popkultur

Der Versuch eines ugandischen Filmemachers, die Welt mit der besten Low-Budget-Action zu erobern

Isaac Nabwanas Studio RFP hat bereits mehr als 20 Filme produziert—trotz winziger Budgets und mangelhafter Stromversorgung. Wird er den Planeten für sie begeistern können?

Foto oben: Einwohner von Kampala, Uganda scharen sich um das Filmset, wo die Protagonisten des Filmemachers Isaac Nabwana—Kannibalen, Kommandos, Karatekämpfer und Medizinmänner—vor dem selbstgemachten Greenscreen posieren. Fotos von Frédéric Noy

Ende 2011 saß Alan Hofmanis in einer Bar in Manhattan einem alten Freund gegenüber und versuchte, sein Leben auf die Reihe zu kriegen. Zwei Tage zuvor hatte ihn seine Freundin verlassen, nachdem er ihr einen Verlobungsring gekauft hatte. Davor hatte der 41-Jährige mehr als die Hälfte seines Lebens im Filmgeschäft gearbeitet, war aber keinem geraden Pfad gefolgt. Mit 17 hauste er in einer U-Bahn-Station in Queens, um ein Praktikum als persönlicher Assistent bei einer Fernsehsendung zu machen. In seinen Zwanzigern schlief er einen Monat lang in seinem Auto, um am Lake Placid Film Festival teilzunehmen. Irgendwann widmete er sich selbst dem Organisieren von Filmfestivals. Nun, da er langsam das mittlere Alter erreichte, hatte er kein festes Karriereziel, wenig praktische Erfahrung mit digitaler Filmtechnik und keine Freundin.

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In der Hoffnung, Hofmanis aufzumuntern, holte sein Freund, der als NGO-Mitarbeiter Zeit in Uganda verbracht hatte, sein Smartphone heraus und zeigte ihm den Trailer von Who Killed Captain Alex. Der Film stammt von Isaac Nabwana, dem Gründer von Ugandas erster Actionfilmfirma Ramon Film Productions (RFP), und kostete in der Produktion 200 Dollar. Captain Alex ist ein herrlich schräger Film, in dem sich Kommandos mit Martial Arts und schwerem Geschütz eine skrupellose Bande von Drogendealern namens Tiger Mafia vorknöpfen. Werden Figuren von Kugeln getroffen, spritzen die CGI-Blutwolken wie in einem Videospiel. Hofmanis musste an Buster Keaton denken, nur in Afrika.

„Wenn man einen Film analysiert, dann gibt es zwei Dinge, die man sich fragt", sagte Hofmanis. „Was versuchen sie zu erreichen und wie? Oft sieht etwas total gekonnt aus, ist aber nicht wirklich interessant. Anders herum ist es viel spannender."

Nachdem er 50 Sekunden des Trailers gesehen hatte, beschloss er, nach Uganda zu gehen. Er hatte 16.000 Dollar für Hochzeit und Flitterwochen gespart, doppelt soviel als Kredit zur Verfügung und er hatte in seinem Programmgestaltungsjob Vielfliegermeilen und Urlaubstage angehäuft. An jenem Abend kaufte er für 1.450 Dollar ein Ticket nach Kampala, der Hauptstadt von Uganda.

An seinem ersten Tag in Kampala—einer überfüllten Stadt von 1,2 Millionen Einwohnern—lief Hofmanis über den Owino-Markt, einen riesigen, von Sonnenschirmen beschatteten Basar. Sein Plan war es, Nabwana zu finden, doch bevor er das tat, musste er sich erst einmal orientieren. Weder hatte er eine Ahnung, wo dieser wohnte, noch war er sicher, was er sich überhaupt von einem Treffen erhoffte.

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Inmitten der Menschentrauben bemerkte er plötzlich in einiger Entfernung einen DVD-Verkäufer, der ein Shirt mit der Aufschrift RFP trug—dem Namen von Nabwanas Produktionsfirma.

Er jagte durch die schmalen Gassen zwischen den Marktbuden, um den geheimnisvollen Fremden zu erreichen. Dieser jedoch dachte sich, dass ein auf ihn zustürmender mzungu (das Bantu-Wort für westliche Weiße) nur Schlechtes verheißen konnte—und sprintete in die entgegengesetzte Richtung.

Hofmanis holte den Mann ein, und nach gegenseitigen Versicherungen (dass der Verkäufer keine Raubkopien verhökerte und Hofmanis kein Interpol-Agent war) meinte der Händler tatsächlich, Nabwanas Adresse zu kennen. Die zwei machten sich auf einem boda-boda, einem Motorradtaxi, auf den Weg durch den zähflüssigen Verkehr von Kampala. Bei Nabwanas Haus angekommen, rief Hofmanis ihm durch die offene Tür den knappen Satz zu, den er noch während der qualvollen Motorradfahrt geübt hatte: „Hi, ich bin Alan aus New York City und ich möchte mich gern mit dir unterhalten." Nabwana, ein warmherziger 38-Jähriger mit sanfter Stimme, begrüßte ihn mit ungezwungenem Händedruck, ganz so, als ob mzungus jeden Tag bei ihm aufkreuzten.

Tatsächlich stellte sich heraus, dass kurz zuvor zwei französische Dokumentarfilmer eingetroffen waren (sie arbeiteten an einem Film über afrikanisches Kino). Die vier Männer machten im Studio ein wenig unbeholfenen Smalltalk. Es stieß Hofmanis unangenehm auf, dass die Franzosen Nabwanas Arbeit mit den Worten „indigener Film" beschrieben, als sei Captain Alex nur als anthropologische Fußnote interessant, nicht als Kino.

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Als die Männer fort waren, redeten Hofmanis und Nabwana über Film. Hofmanis bombardierte ihn mit Fragen über Ausrüstung, Vertrieb, Ästhetik und Einflüsse. Zu seiner Überraschung erfuhr er, dass Nabwana mit seiner Produktionsfirma außer Who Killed Captain Alex bereits über 20 andere Filme gedreht hatte (da Nabwana nicht die nötige Software hatte, um seine Filme zu archivieren, hatte er schon vor langer Zeit den Überblick über die eigene Filmografie verloren). Hofmanis wurde klar, dass RFP, das Unternehmen hinter Captain Alex, ein richtiges Studio war.

Seit der Firmengründung 2005 haben Hunderttausende afrikanische Zuschauer Nabwanas Filme gesehen. Obwohl der Film außerhalb Ugandas nicht erhältlich ist, hat der YouTube-Trailer für Who Killed Captain Alex mehr als zwei Millionen Klicks. Die winzigen Budgets, mit denen Nabwana dreht, haben ihn dazu gezwungen, einige innovative Techniken zu entwickeln. In seinen ersten zehn Actionstreifen wurde Rinderblut für Spezialeffekte eingesetzt. Er ging erst zu Lebensmittelfarbe über, als Schauspieler begannen, über Bauchschmerzen zu klagen. Einer bekam Brucellose, eine fiese zoonotische Bakterieninfektion, und lag eine Woche im Fieberwahn im Krankenhaus. Für einen weiteren Film, Bad Black, plünderten Nabwana und seine Crew eine örtliche Klinik und staffierten das Set mit blutigem Mull und gebrauchten Spritzen aus.

Dabei erzählte Nabwana Hofmanis von seinen Plänen für ein zukünftiges Werk, in dem Präsident Obama bei einem Ugandabesuch von Kannibalen entführt wird. Er würde echte Hubschrauber benötigen, obwohl eine Stunde Flugzeit mehr kostete als das gesamte Budget eines RFP-Films. „Weißt du", sagte Hofmanis, „Coppola hatte bei Apocalypse Now Probleme mit den Hubschraubern." Nabwana fragte: „Wer ist Coppola?"

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Letzten November besuchte ich Nabwana in Uganda. Wakaliga, das Viertel in dem er lebt und arbeitet, wird von der Sir Albert Cook Road geteilt, einer Hauptader, durch die sich Minivans, Laster und boda-bodas drängen. Eine kleine, namenlose Straße führt zu RFP.

Sein Grundstück liegt in einem der am niedrigsten und für Fluten anfälligsten Teile Wakaligas. Nabwana hat das Haupthaus aus eigenhändig gebackenen Ziegeln gebaut. Nabwana und seine Frau Harriet teilen sich das Schlafzimmer mit ihren drei kleinen Kindern, in den übrigen Zimmern wohnen Verwandte von Harriet und Mieter. Alle zwölf Bewohner des Grundstücks teilen sich ein Klohäuschen. Fließendes Wasser gibt es nicht.

Auf einem kleinen Stück Land hinter dem Haus befinden sich ein Proberaum, ein Aufnahmestudio, vier Hinterzimmer für Mieter und eine kleine Hütte, wo Metallschrott verkauft wird. Gegenüber davon ist die Halde—eine Lagerstätte für tote Tiere, schmutzige Windeln und medizinischen Abfall—wo Maniokblätter ein klein wenig Grün in den ansonsten hauptsächlich roten und braunen Slum bringen. Dahinter, in weiter Ferne, thront Mutundwe Hill, ein wohlhabendes Viertel, in dem Gerüchten zufolge ein ugandischer Prinz wohnt. Auf diesem Hügel gibt es durchgehend Strom, während er in Wakaliga ständig ausfällt—eine Konstellation wie aus dem Kino.

Nabwana empfing mich vor seinem Haus, das dieselbe rostbraune Farbe hat wie die Erde ringsherum. Nach ein paar Minuten war klar, dass er ein Mann mit einem unerschöpflichen Selbstvertrauen ist. Sogar seine Kleidung zeichnet ihn als unermüdlichen Selbstvermarkter aus. Während meines Besuchs trug er jeden Morgen ein frisches, blau-weißes RFP-Polohemd. Der Slogan des Studios—„The Best of the Best Movies!"—spiegelt diese fröhliche Selbstsicherheit perfekt wieder.

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Wir gingen ins Haus, um der gleißenden Äquatorsonne zu entkommen. Es gab seit Tagen keinen Strom. Nabwana schien dem Stromausfall mit Fröhlichkeit trotzen zu wollen.

„Zumindest ist die Stromversorgung heutzutage zuverlässiger. Manchmal hält sie eine Woche!" erzählte er mir.

Das Durcheinander in seinem Studio überraschte mich. Mehrere verschlissene Sofas standen vor Schreibtischen, die sich bogen unter Computerteilen, Büchern, Festplatten, Kleidung, defekter Ausrüstung und einem Sammelsurium an Gegenständen, die für Requisiten bestimmt waren. Es schien gerade noch genug Platz für seinen Acer-Computer zu geben. Die Fenster des Hauses waren auf der Innenseite vergittert, und er schlief immer mit seiner Videokamera unter dem Bett. „Tagsüber gibt es keine Probleme. Die bekommen wir nachts."

Auf einem Stapel Blätter neben dem Computer bemerkte ich ein Spielzeugsturmgewehr, das noch in der Plastikverpackung steckte, mit der Aufschrift Rapid Gun. Ein Fremder hatte es vorbeigebracht; es gibt oft Leute, die Spielzeugwaffen spenden, die dann in den Filmen verwendet werden. Das Studio hat eine Truhe voll unechter Waffen, die nach dem jahrelangen Einsatz bei Actionszenen angeschlagen, rissig und ein wenig bemitleidenswert aussehen.

„Wenn wir sie schwerer machen, haben die Schauspieler weniger Schwierigkeiten, sie echt wirken zu lassen", sagte Nabwana über seine Vorliebe für Metallwaffen als Requisiten. „Wenn sie zu leicht sind, merkt man das. Deswegen nehmen wir die aus Plastik heute nicht mehr. Wir kaufen sie, um die Modelle zu haben. Dann kopieren und modifizieren wir sie." Das Studio gewinnt aus Billigspielzeug Gussformen und baut sich damit seine eigenen metallischen Waffenrepliken. Nabwana imitierte den Rückstoß einer schweren Waffenattrappe. Schauspieler diese Bewegung mit minderwertigen Geschützen spielen zu lassen, sei nur unnötige Arbeit.

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Nabwana wuchs während des brutalen Regimes von Idi Amin auf, unter dessen Präsidentschaft von 1971 bis 1979 Hunderttausende Ugander ermordet wurden. Nabwana, dessen Großvater als Bauer das Land bestellte, auf dem heute RFP arbeitet, blieb durch reines Glück das meiste der Gewalt erspart.

Nabwanas erste Einblicke in die Kriegsführung kamen stattdessen aus dem amerikanischen Fernsehen. Während seiner Jugend in der Umgebung von Wakaliga saß er nachts, außerhalb der Stoßzeiten, wenn der Strom zuverlässiger war, vor dem Familienapparat und sah gebannt Hawaii Fünf-Null und Flucht ins 23. Jahrhundert. Als Jugendlicher zeichnete er Chuck Norris—einen Schauspieler, den er nur von einem Wandgemälde auf der Straße kannte—im Kampf Seite an Seite mit berühmten Ugandern. Der erste Film, der seine Fantasie beflügelte, war die Wildgänse kommen, ein britisches Action-Abenteuer über alternde Söldner in Zentralafrika. Doch hatte er den Film nie gesehen, erklärte Nabwana, sondern nur immer wieder gehört, wie seine Brüder die Handlung voller Leidenschaft nacherzählten. Es war Kino als mündliche Überlieferung.

Nach Amins Amtsenthebung 1979 stellten die TV-Sender das Spätprogramm ein und beendeten den Tag stattdessen mit einer Rede von Milton Obote, den Amin acht Jahre zuvor gestürzt hatte. Obotes zweite Amtszeit war gezeichnet von dem brutalen Bürgerkrieg, den Yoweri Museveni gegen ihn führte. Er stürzte Obote 1986 und regiert Uganda seitdem als Präsident. Auch diesmal blieb Nabwanas Familie direkte Gewalt erspart, aber man warf seinem Großvater vor, die Rebellen zu unterstützen, und die Familie ging fast bankrott. In diesen mageren Jahren sah er den Soldaten der Regierung dabei zu, wie sie bei ihren Patrouillen durch Kampala freudig um die Wette posierten und dabei mit echten Waffen Arnold Schwarzenegger nacheiferten.

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Nabwana hatte sich selbst immer als Künstler gesehen, und sein Einstieg in den Film war dementsprechend organisch. Die materielle Entbehrung seiner Jugendjahre hatte ihn mit einer kämpferischen Selbstständigkeit ausgestattet und es fiel ihm leicht, Handwerke wie Schweißen und Maurerei zu meistern. Nach seiner Heirat und dem ersten Kind fing er an, Film als künstlerische sowie finanzielle Chance zu sehen. Erstens hatte er das Zeug dazu, Regie zu führen, und zweitens gab es einen unerschlossenen Markt für unkonventionelles ugandisches Kino, speziell im Bereich Action und Horror.

„Ich sage dir", sagte Nabwana, „jeder Ugander will in einem Actionfilm mitspielen."

Mit 33 schrieb er sich in einen halbjährigen Computerkurs ein. Da er wusste, dass er sich nur einen Monat leisten konnte, besuchte er zusätzlich andere Kurse als Gasthörer. Nachdem sein Monat vorbei war, machte er auf eigene Faust weiter und durchforstete das Internet nach Video-Tutorials. Er kaufte Platinen, Prozessoren und Netzteile und lernte, PCs zusammenzubauen sowie einen Greenscreen zu verwenden.

Nabwana verbrachte seine Mittdreißiger damit, bei der Produktion und beim Dreh von Musikvideos zu helfen. 2009 entschied er, nicht länger zu warten, und seinen ersten eigenen Actionfilm zu drehen. Er trommelte per Mundpropaganda Schauspieler zusammen und die Nachricht über seine Produktion verbreitete sich wie ein Lauffeuer nicht nur durch Kampala, sondern auch über die umliegenden Dörfer und Städte und über Stammesgrenzen hinweg.

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Für Who Killed Captain Alex steuerten die Schauspieler ihre eigenen Kostüme bei, die sie stückweise von Märkten zusammenkauften. Nabwanas Haltung war die immerwährende Improvisation, er benutzte Wandfarbe für alkoholische Drinks und einen modifizierten Wagenheber als Stativ für seine Videokamera. Wenn er für eine Szene nicht genug Leute hatte, setzte er einem der Schauspieler eine Maske auf und verwendete dieselbe Person in einer weiteren Einstellung. Die Drehs mit Spielzeugwaffen machten Passanten verständlicherweise nervös und so lernte er, am Drehort schnell vorzugehen. Der gesamte Film wurde im Januar 2010 gedreht und geschnitten.

Die Waffengewalt in Captain Alex (und den anderen Nabwana-Filmen) ist komödiantisch—wie jedem westlichen Zuschauer nach wenigen Filmminuten klar sein müsste. Obwohl er sich gelegentlich auf die militärischen Szenen bezieht, die er als Teenager erlebte, stammen seine Einflüsse aus dem Kino: westliche Action- und asiatische Martial-Arts-Filme.

Anspielungen auf die Obote-Ära würden nur wenige der heimischen Zuschauer verstehen. Das Durchschnittsalter in Uganda ist 15,5 Jahre und Nabwana adressiert bewußt ein junges Publikum. Die meisten Ugander (inklusive fast aller RFP-Schauspieler) wuchsen lange nach der Gewalt Idi Amins und des Bürgerkriegs auf. Der Grund, warum sich vor Captain Alex niemand in Uganda an Actionfilme gewagt hatte, lag in den Kosten begründet, nicht in der Angst, alte Wunden aufzureißen.

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Zur Zeit meines Besuchs waren Nabwana und Hofmanis dabei, eine überarbeitete, englischsprachige Version von Who Killed Captain Alex fertigzustellen. Sie hatten vor, rechtzeitig zum Beginn einer Kickstarter-Kampagne fertig zu sein, von der sie hofften, dass sie ihnen dringend benötigtes Kapital einbringen würde. Die Kampagne würde um 160 Dollar bitten, gerade genug für Nabwanas nächstes großes Projekt, Tebaatusasula: Ebola. Doch der absichtlich bescheidene Betrag war sowohl ein gerissener Publicity-Schachzug als auch ein Sprungbrett für eine beträchtlich größere Summe (265.000 Dollar würden dem Studio ermöglichen, ohne Unterbrechungen zu arbeiten). Nabwana strebte an, RFP von einem relativ kleinen Betrieb in eine globale Größe zu verwandeln, mit Hofmanis als seinem „Botschafter in Amerika".

Doch nach einer Woche gab es immer noch keinen Strom. Nabwana hatte beim Schnitt von Captain Alex keine Fortschritte gemacht. Sintflutartiger Regen hatte die Wege zum RFP-Gelände mit großen braunen Teichen gefüllt, die vom Jauchegraben neben der Straße nicht zu unterscheiden waren. „Wenn wir Strom haben, fühlen wir uns unschlagbar", erklärte mir Hofmanis, als ich mich mit ihm in seinem Quartier traf, einem der Lagerräume mit Blechdach hinter dem Haus der Nabwanas. Das Zimmer lag ohne Strom im Dunkeln und roch wie die Zelle von jemandem, der schon lange keine Möglichkeit mehr hatte, zu baden.

Hofmanis hat seit seiner drei Jahre zurückliegenden ersten Ugandareise 18 Kilogramm abgenommen. Mit seinen wirren Haaren und zerknitterten Klamotten sieht er aus wie ein Schiffbrüchiger. Er hat schon vor langer Zeit seinen Kreditrahmen ausgereizt und seine Ersparnisse restlos aufgebraucht. Zur Zeit meines Besuches hatte er nicht einmal genug Bargeld, um sich eine Flasche Cola zu kaufen.

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Nachdem er in einem nahegelegenen Friseursalon seinen Laptop aufgeladen hatte, zeigte er mir, woran er in den letzten paar Wochen gearbeitet hatte: Er war dabei, der englischsprachigen Version von Who Killed Captain Alex einen sogenannten VJ-Track hinzuzufügen. Jegliche Zweifel, die ich noch bezüglich der humoristischen Absichten des Films gehabt haben mochte, wurden von der VJ-Spur restlos ausgeräumt. In Uganda steht VJ für Video Joker, ein Konzept, dass aus den ugandischen cinema halls stammt, also den kleinen Hütten, in denen Zuschauer sich versammeln, um Filme und Fußball auf bescheidenen Fernsehgeräten zu sehen. Viele halls haben einen Video Joker, der über westliche Filme redet, mit einem Mikrofon, das die Hauptaudiospur stummschalten kann. Der VJ ist Dolmetscher, MC, Promoter und Reiseführer in einem. Hofmanis vergleicht VJ-Tracks mit den Zwischentiteln in Stummfilmkomödien vor hundert Jahren.

Der Video Joker für Captain Alex ist Emmie Bbatte. Seine Bemerkungen warnen, verspotten und beschwören sowohl die Filmfiguren als auch die Zuschauer. In ruhigen Szenen platzt Bbatte heraus: „Gleich gibt's Action, versprochen!", „Ein Wahnsinnsfilm!", „Jetzt macht euch auf das Unfassbare gefasst." Wenn die Action losgeht, heult er triumphierend: „Krieger!", „Kommando!", „Jetzt läuft der Film!" und „Film! Film! Film!" Es ist wie Mystery Science Theater 3000 mit einem Moderator auf Badesalz.

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Fünf Minuten sind vergangen und Bbatte kommentiert die inneren Monologe verschiedener Figuren. Zu einer Szene, in der eine Reporterin einen Polizisten anbaggern will, sagt Bbatte in seiner besten Polizistenstimme: „Nee, ich steh' mehr auf Männer." Hofmanis überlegte, den Witz rauszuschneiden. Zur Zeit meines Besuchs wurden Ugandas brutale Anti-Homosexuellen-Gesetze diskutiert. Ein neuer Entwurf wollte jede Befürwortung „unnatürlicher" sexueller Praktiken unter Strafe stellen. Würde man Bbattes Witz als Befürwortung von Homosexualität auffassen?

Es gab auch das umgekehrte Risiko. Außerhalb Ugandas könnte der Witz als homophob angesehen werden. Zu Hofmanis Überaschung war Captain Alex von mehreren amerikanischen Filmfestivals abgelehnt worden. Rückblickend kam er zu dem Schluss, das Studio müsse die heftige internationale Reaktion auf die homosexuellenfeindliche politische Kultur Ugandas miteinberechnen. Außerdem könnte der Film als Gewalt in Ostafrika verherrlichend interpretiert werden, und er bediente keines der Klischees des „afrikanischen Armutsfilms".

Ich tat mich während meines gesamten Aufenthalts schwer, Hofmanis' genaue Rolle bei RFP auszumachen. Wie Nabwana übt er viele Funktionen aus. Manchmal ist er die Brücke zum Westen; zu anderen Zeiten einfach Nabwanas Schützling. Seine beständigste Rolle ist die des Fans, von Nabwanas Arbeit gleichermaßen amüsiert wie fasziniert. Hofmanis ist in den letzten zwei Jahren sechs Mal zwischen New York und Kampala gependelt. Bei einem seiner Aufenthalte in den Staaten kam er in einem Café mit einer jungen Studentin der Columbia University ins Gespräch, die ein Buch über afrikanische Geschichte las. „Willst du ein Stück afrikanische Geschichte sehen?", fragte Hofmanis und zeigte ihr den Trailer für Captain Alex auf seinem Laptop. Die Studentin sah sich den Clip an und fragte: „Wie kannst du nachts nur schlafen?"

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Sie wollte natürlich sagen, der Trailer verherrliche Gewalt in Afrika. Doch während alle fünf seiner Nachbarstaaten ihr Maß an Gräueltaten, Terrorismus und Krieg erlebt haben—darunter zwei Völkermorde in zwei Jahrzehnten—ist das urbane Uganda seit 1986 eine stabile, funktionierende Gesellschaft. Sogar Joseph Kony und seine Kindersoldaten wüteten nur in den Städten und dem Hinterland des Nordens. So gut wie alle von Nabwanas Schauspielern sind in einer sicheren Zivilisation aufgewachsen, deren tägliche Kämpfe wirtschaftlicher und nicht gewalttätiger Natur sind. Vielleicht ist das auch der Grund, warum RFP-Filme so beliebt sind: Das Land ist bereit, über Gewalt zu lachen, weil ihm zum ersten Mal in seiner jüngeren Geschichte Gewalt fremd und fern ist.

Irgendwann gab es wieder Strom, doch niemand schien zu glauben, dass er von Dauer sein würde. Ich saß auf der Veranda vor dem Haus und sprach mit Harriet, Nabwanas Frau, über den Vertrieb. Während ihr Mann eine erschöpfte, aber eiserne Entschlossenheit an den Tag legt—scheint Harriet unbeeindruckt von den Herausforderungen des Lebens in Wakaliga. Jedes Mal, wenn ich sie sah, war sie elegant gekleidet und großzügig mit ihrem Gelächter, wann immer sie etwas als Witz (oder Fauxpas) auffasste. Nicht nur zieht Harriet drei Kinder groß und übernimmt so viel Schnittarbeit wie sie kann, sie kümmert sich auch um die gesamte Buchhaltung.

Wie fast alle Aspekte von Nabwanas Filmproduktion ist der Vertrieb bei RFP hausgemacht und überaus originell. Die Filme wurden noch nie in einem Kino gezeigt. Stattdessen bestreiten die Schauspieler den gesamten Vertrieb selbst, indem sie DVDs auf der Straße verkaufen und den Gewinn mit dem Studio teilen. Jeder Film kostet zwischen 2.000 und 3.000 Schilling (zwischen 60 und 90 Cent), je nachdem, wo und an wen er verkauft wird. Der Bruttogewinn pro DVD beträgt etwa 13 Cent.

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Wenn ein Film 10.000 Exemplare verkauft, macht das Studio einen Gesamtumsatz von 1.300 Euro. Rescue Team, der 2011 erschien, verkaufte im ersten Monat 8.000 Exemplare und Who Killed Captain Alex hat sich bisher 10.000 Mal verkauft (und noch zehnmal mehr inklusive Piraterie). Doch diese Erträge müssen auch die Verluste abdecken, wenn zu viele DVDs produziert wurden, und natürlich auch die Produktionskosten. Nabwana schwebt vor, jedem Verkäufer tragbare DVD-Player mitzugeben, um potentiellen Kunden einen Vorgeschmack bieten zu können, aber das Geld ist einfach noch nicht da.

Das Studio bezahlt auch die Reisekosten für Verkäufer, die upcountry reisen, also nach Westen oder Osten (nicht nach Norden, wo Swahili gesprochen wird, denn Nabwanas Schauspieler sprechen Luganda). Auswärtige Verkäufer sind für gewöhnlich etwa eine Woche unterwegs und verkaufen „von Mann zu Mann" (so Nabwanas Ausdruck), wobei sie RFPs Anteil mit Mobile Money, einem Handy-Dienst für elektronische Zahlung, zurückschicken. Harriet behält die Bestände im Blick und brennt bei Bedarf mehr DVDs.

Große Schwierigkeiten bereitet ihnen Piraterie. Neue RFP-Filme haben ein Verkaufsfenster von einer Woche. Danach können sich die Kunden Raubkopien für weniger holen, und die DVDs verkaufen sich nicht mehr. Manche Piraten verkaufen einfach leere DVDs in RFP-Hüllen. In letzter Zeit sind Kopien von größeren westlichen und nigerianischen Filmen aufgetaucht, für 500 Schilling (etwa 15 Cent). Das war ein Rätsel—leere DVDs kosten 800 Schilling, und da Piraten, wie alle Subsistenzhändler in Uganda, mit ihrem eigenen, spärlichen Kapital und kleinen Gewinnspannen auskommen müssen, sind sie nicht in der Lage, Großhandelsrabatte zu nutzen. Irgendwann tauchte im Studio die Theorie auf, dass ortsansässige NGOs die professionellen Raubkopien finanzierten, um ihnen kurze AIDS-Aufklärungsfilme beizufügen.

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Und manche Märkte waren eben einfach nicht zu knacken. In Tororo, einer Stadt weit im Osten des Landes, waren Swahili-Sprecher entrüstet über die Vorstellung, 60 Cent für einen Film auf Luganda zu zahlen. In einem anderen östlichen Dorf jagten aufgebrachte Einwohner die RFP-Verkäufer aus dem Ort. Sie hatten seit mehr als einem Monat keinen Strom gehabt.

In den nächsten paar Tagen machte nicht fehlender Strom, sondern stürmisches Wetter alle Dreharbeiten unmöglich. Viele der Schauspieler und Crewmitglieder hatten eine weite Anreise, die von dem Regen sehr erschwert wurde. Das war keine Katastrophe, denn Nabwana musste sich ohnehin auf den Start der Kickstarter-Kampagne konzentrieren, und die geplanten Szenen gehörten nicht zu aktuellen Projekten, sondern sollten als Werbematerial dienen. Ich saß in seinem Studio, als er angestrengt auf seinen Computerbildschirm starrte und austüftelte, wie man die Windschutzscheibe eines Autos mit CGI explodieren lässt.

Die zerschmetterte Windschutzscheibe ist ein Detail eines neuen RFP-Logos, das selbst ein kleiner Minifilm ist. In der Logosequenz fliegt ein Hubschrauber eine kleine Truppe ugandischer Kommandos in den Times Square in New York und feuert dann eine Rakete ab, die magischerweise das fünf Kilometer entfernte Restaurant Katz's Delicatessen auf der East Houston Street zerstört. Hofmanis sagte mir, dies sei eines der wenigen hochauflösenden Fotos, das er von Manhattan habe finden können, auf dem kein tatsächlich für Terroristen interessantes Ziel zu sehen war (ich vermute aber, es war außerdem ein Abschiedsgruß an sein altes Leben gleich um die Ecke in der Ludlow Street).

Die Sequenz mit dem Hubschrauber ist pure Comedy, doch die Zerstörung des Restaurants ist viel glaubhafter. Viele von Nabwanas Spezialeffekten, vor allem Explosionen, sind auch nicht schlechter als die in einer durchschnittlichen Science-Fiction-Fernsehproduktion. Schockiert darüber, dass ein ugandischer Filmemacher solche Bilder produzieren konnte, hatten Einheimische schon auf Nabwanas Handy angerufen und ihm vorgeworfen, er sei ein Hexer.

Er widmete sich wieder der Hubschraubereinstellung, als eines seiner Kinder hereinkam, jammerte und wartete, bis es Papas volle Aufmerksamkeit hatte, bevor es richtig losweinte. Nabwana ist es gewohnt, umgeben von derartigen Ablenkungen zu arbeiten. Sein Studiozimmer hat keine Tür und die Vordertür des Hauses steht tagsüber offen. Einmal kam eine Henne herein und legte ein Ei auf seinem Stuhl. Er nahm solche Unterbrechungen mit Humor. „Schneiden kann manchmal monoton sein", sagte er und lachte sanft.

Im Laufe der nächsten paar Tage arbeitete Hofmanis fieberhaft die Nächte durch, um den verschiedenen Audiospuren von Captain Alex den letzten Schliff zu verleihen. Es war der endgültige Schnitt des Films, der ihn überhaupt nach Afrika gebracht hatte, und er rang um jedes Detail. Sollte es für den VJ-Track eine Einblende geben? Waren das die richtigen Schriftarten im Intro? Hofmanis zweifelte außerdem, ob sein Name im Abspann auftauchen sollte, denn er wollte den Status des Films als ganz und gar ugandisch nicht verkomplizieren.

Die selbstgestellte Frist für die ambitionierte Kickstarter-Kampagne des Studios war erst in zwei Wochen, doch mit dem unregelmäßigen Strom sah es für diese immer unwahrscheinlicher aus. Während einer seiner Pausen sprachen wir über die vielen Herausforderungen, die auf das Studio zukamen, falls die Kickstarter-Kampagne Erfolg hatte. Wenn Nabwana jemals richtige Unterstützung bekäme, wie würde er auf Fristen, Einmischung in die kreativen Entscheidungen oder gar den Totalverlust der gestalterischen Kontrolle reagieren? Seine Filme waren auf ein ugandisches Publikum zugeschnitten, auf Menschen, denen es darum ging, ihr Leben auf einer Leinwand zu sehen, ganz gleich, auf was für einer. Wie würden diese Filme auf ausländische Zuschauer wirken?

Unabhängig von ihrem Erfolg würde die Kickstarter-Kampagne das Risiko des gesamten Unternehmens erhöhen, denn die finanziellen Mittel des Studios würden publik. Die Gerüchteküche des ugandischen Slums würde diesem Betrag vielleicht noch ein oder zwei Nullen anhängen. Nabwana und seine Familie könnten in den Fokus krimineller Banden geraten. In ihrer jetzigen Inkarnation, mit ihren bescheidenen Mitteln, bereitet ihnen Kriminalität keine allzu großen Sorgen. Doch wenn dem Studio die Mittel zur Verfügung stünden, seine kühnsten Träume zu verwirklichen—ein kleines Grundstück außerhalb von Wakaliga zu erwerben, Gebäude zu errichten—wie sähen dann die Sicherheitsmaßnahmen aus?

Dann gibt es da Überlegungen, die noch mehr ernüchtern: Nabwana ist 42, und die durchschnittliche Lebenserwartung in Uganda liegt bei 58 Jahren. Er ist gesund, und seine eigene Großmutter (der Captain Alex gewidmet ist) ist mit Ende 90 noch immer fit. Doch in einem Land, in dem Männer mittleren Alters ihre Prostata, ihren Cholesterinspiegel und ihre Zähne nicht regelmäßig untersuchen lassen, stellt sich die Frage, ob er noch jahrzehntelang arbeiten wird. Gibt es jemanden, der RFP übernehmen könnte, wenn Nabwana langsam wird oder sich zur Ruhe setzt? Hofmanis sieht zwar eine dauerhafte Rolle für sich selbst als Kurator, ugandische Filme wird er aber niemals drehen. Selbst wenn er Luganda lernen würde, bliebe er doch immer ein mzungu, ein Außenseiter.

Hofmanis kehrte wieder zu den aktuellen Aufgaben zurück. „Das ist ein schreckliches Arbeitspensum", lachte er.

Am Sonntag war das Equipment aufgeladen, der Himmel wolkenlos, und man bat mich, eine Greenscreen-Todesszene für ein Werbevideo zu drehen. Ich wehrte mich dagegen, wie sich Leute gegen etwas wehren, auf das sie heimlich total scharf sind. Der Greenscreen war eine lange, waschbare Stoffbahn aus Filz, die seitlich an Nabwanas Haus genagelt war und unter der am Boden zwei kleine Teppiche lagen, um Stürze aufzufangen. Den Kindern des Viertels schien der Trubel nichts auszumachen. Der sechsjährige Phillo schlug ein Rad und hinterließ mehrere schlammige Fußabdrücke auf dem makellosen grünen Tuch. Als er die Flecken fünf Minuten später bemerkte, schimpfte er laut mit seinen Spielkameraden. Ich würde also sterben.

Als der Zeitpunkt gekommen war, tat ich mein Bestes, mit Stil dahinzuscheiden. Nach mehreren Takes bat man mich, selbst ein wenig zu töten. Ich kam mir vor, als habe man mich in die Falle gelockt. Aber anscheinend war ich der Einzige, der sich Sorgen machte, wie es aussehen würde, wenn ein weißer Amerikaner einen unbewaffneten Schwarzafrikaner gnadenlos niedermähte. Man reichte mir „Maria", eine gasbetriebene Minigun, die der in Predator nachempfunden war, und ich radierte meinen Freund Apollo aus (und entschuldigte mich danach unbeholfen dafür).

Sie brauchten noch einen weiteren Tod, diesmal mit einer Squib, einer kleinen Sprengkapsel, mit der Schusswunden simuliert werden. Nabwana ist Stammgast beim Roten Kreuz, wo er eine Menge Gratiskondome abholt (und man ihm für seinen Beitrag zu Safe Sex in den Slums dankt). Für Todesszenen werden diese Kondome dann mit roter Lebensmittelfarbe gefüllt, mit ein bisschen Sekundenkleber an eine Angelleine geklebt und dann den Schauspielern mit Klebeband auf der Brust befestigt.

Nabwana rief: „Action!" Der Schuss fiel, jemand zog an der Leine und mein Hemd explodierte in einem Schauer knallroter, klebriger Flüssigkeit. Alle lachten und klatschten. Vielleicht, so wurde mir geraten, sollte ich das blutgetränkte Hemd bei meiner Heimreise nicht im Gepäck haben.