Sex Pistols, The Clash und Fuck-You-Attitüde: Diese Bilder zeigen die Geburtsstunde des Punk
Alle Fotos: John Ingham

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Popkultur

Sex Pistols, The Clash und Fuck-You-Attitüde: Diese Bilder zeigen die Geburtsstunde des Punk

Das neue Fotobuch 'Spirit of 76: London Punk Eyewitness' bietet einen bemerkenswerten Einblick in Anfangstage der britischen Punk-Bewegung.

In den 70er Jahren wurde John Ingham als einer der wichtigsten Musikjournalisten Englands gefeiert. Als erster Mensch, der die Sex Pistols interviewen durfte, machte Ingham 1976 eine aufkommende Szene mit nur einer Handvoll Bands und wenigen Konzertbesuchern in ganz Großbritannien bekannt. Sein neues Fotobuch mit dem Titel Spirit of 76: London Punk Eyewitness ist eine aufregende Momentaufnahme der Punk-Hochphase in London – inklusive Bildern von Bands und Gruppierungen wie The Damned, The Clash oder Bromley Contigent.

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Im Vorwort weist der Punk-Historiker Jon Savage darauf hin, dass die meisten Fotos in einem Zeitraum von nur zehn Tagen entstanden sind. Im November 1976 wirkte die wilde Punk-Musik und -Kultur für die britische Jugend mit ihren düsteren Zukunftsaussichten wie ein dringend gebrauchter Wachmacher. Durch Mundpropaganda und alles verändernde Konzerte – zum Beispiel der legendäre Sex-Pistols-Gig in Manchester – entwickelte sich die Szene in schnellen Schritten zu dem musikalischen Initiationsritus, den sie für viele Jugendliche heutzutage darstellt. Und genau diesen Sprung fangen Inghams Bilder auf wunderschöne Art und Weise ein.

Anlässlich der Veröffentlichung des Buches haben wir uns mit Ingham über die Anfangstage der Londoner Punk-Szene, über Punk als Propagandawerkzeug und über die Hoffnungslosigkeit mit Mitte 20 unterhalten.

VICE: Wie sahen deinen Lebensumstände aus, als du angefangen hast, die Fotos aus deinem neuen Buch zu schießen?
John Ingham: 1976 war ich 25 und schon mehrere Jahre Musikjournalist. Ich wurde immer frustrierter, weil die großen Bands nicht gut waren und keine neuen Alben rausbrachten. Und die neuen Bands sprachen mich nicht an. Dann las ich eine Review von den Sex Pistols und das war der beste Bandname, der mir seit Langem untergekommen war.

War das Konzert der Sex Pistols dein Einstieg in die Szene? Wie kam es dazu, dass du die Band als erster Mensch überhaupt interviewt hast?
Zum ersten Mal live sah ich die Sex Pistols Anfang April 1976 in einem Londoner Stripclub. Obwohl die Band am Anfang stand, merkte man, dass sich da etwas zusammenbraute. Johnny Rotten besaß schon damals unglaublich viel Charisma. Ich kam mit Malcolm McLaren, dem Manager, in Kontakt. Er bezeichnete das Ganze zwar nicht als Punk, aber er betete trotzdem ein "Wir müssen uns von den 60ern lösen"-Manifest herunter. Damit rannte er bei mir offene Türen ein und ich war schnell überzeugt. Schließlich verkündete er mir feierlich, dass ich die Band interviewen dürfe. So kam es zwei Wochen später auch – das erste Interview der Sex Pistols überhaupt.

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Warum hat sich die englische Jugend damals so schnell mit der Frustration und der allgemeinen Stimmung der Punk-Bewegung identifizieren können?
Dem Land ging es wirtschaftlich schlecht. Die Jobaussichten für junge Menschen waren mehr als düster. Dazu kamen die Bombenanschläge der IRA – oft in Form von Briefbomben. Es fühlte sich fast an wie ein Bürgerkrieg. The Clash singen in "Career Opportunities" ja "I won't open letter bombs for you". Das war damals nämlich der Job von Mick Jones, also verdächtige Briefe zu öffnen. Die jungen Leute hatten die Schnauze voll.


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Wieso hast du dich als etablierter Journalist so auf die Punk-Bewegung gestürzt?
Das war einfach eine neue Generation, anfangs nur 50 oder 60 Leute zwischen 18 und 22. Aber man wusste direkt, dass sich das in etwas Großes verwandeln würde. Als dann The Clash um die Ecke kamen, wurde mir klar, dass auch ich zu dieser Bewegung beitragen wollte. Ich redete mit Mick Jones über diesen Wunsch und er sagte, dass jeder das mache, was er oder sie kann: Manche organisieren Shows, manche spielen in Bands, manche nähen Kleidung und manche schreiben darüber. Also entschied ich mich bewusst dazu, so über die Punk-Bewegung zu berichten, dass sich jeder Teenager denkt: "Das ist die aufregendste Sache aller Zeiten, das muss ich mir selbst ansehen."

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Wann hast du dann angefangen, die Szene fotografisch festzuhalten?
The Clash lieferten von Anfang an überzeugende Auftritte ab. Dabei sahen ihre Outfits immer so aus, als hätte Jackson Pollock sie mit Farbe bespritzt. Deswegen nahm ich meine Kamera mit und schoss Farbfotos. Alle professionellen Fotografen arbeiteten damals ausschließlich mit Schwarz-Weiß-Filmen, weil sonst niemand die Bilder abgedruckt und veröffentlich hätte. Ich fotografierte also nur für mein eigenes Archiv. Letztens sagte mir jemand beim Durchblättern des Buches: "Ich habe schon alle Clash-Fotoreihen gesehen und deine ist tatsächlich die einzige in Farbe."

Wie muss man sich die ersten Punk-Shows vorstellen? Hatte es den Anschein, als ob alle an einem Strang ziehen?
Ich hatte das Gefühl, dass alles ins Rollen kam, als ich nach Manchester fuhr, um dort die Sex Pistols zu sehen. Das Konzert fand an einem Veranstaltungsort statt, wo ungefähr 300 Leute Platz hatten. Der Raum war gut zur Hälfte gefüllt und im Publikum waren auch spätere Mitglieder von Joy Division oder The Smiths. Die Sex Pistols spielten dann zum ersten Mal "Anarchy in the UK" und alle sind komplett ausgerastet. Und genau diese große Bewegung war das, wovon mir der Manager vorher erzählt hatte.

Wir hingen immer bereits beim Soundcheck vor der Bühne herum und kurze Zeit später sagte der Besitzer des Konzertsaals: "Heute werden gut 300 Leute auftauchen." Wir glaubten ihm kein Wort, aber er meinte nur, dass man ihn seit drei Tagen ständig wegen der Show anspreche. Ich ging davon aus, dass sich diese Entwicklung über das ganze Jahr 1977 hinziehen würde. Aber nein, quasi über Nacht war Punk im kollektiven Bewusstsein angekommen.

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Ich finde es super, dass dein Buch mit einem Foto endet, auf dem die Sex Pistols vor einem riesigen Publikum spielen. Das zeigt perfekt den Unterschied zwischen den Anfängen und dem Status der Szene Ende 1976.
Das Faszinierende an diesem Konzert war die Tatsache, dass nur geladene Gäste da waren, weil das fürs Fernsehen aufgezeichnet wurde. Und viele der Anwesenden hatte ich noch nie zuvor gesehen und sah ich danach auch nie wieder. Sie tauchten wie aus dem Nichts auf, weil Punk so angesagt war. Einige Leute, die von Anfang an dabei waren, meinten deswegen: "Wer glauben die eigentlich, wer sie sind? Die haben alles kaputtgemacht!" Es hat mich irgendwie schockiert, dass schon 20- oder 21-Jährige so pessimistisch und zynisch sein konnten. Warum redet man in einem so frühen Alter schon vom Ende der Welt?

Spirit of 76: London Punk Eyewitness ist hier erhältlich.

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