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Wir sind alle gefickt

Trump ist das nächste Brexit. Trump ist der nächste Heath-Ledger-Joker. Trump ist der nächste Präsident der Vereinigten Staaten.

Foto: Michael Vadon | Wikimedia Commons

Trump ist der nächste Brexit. Trump ist der nächste Heath-Ledger-Joker. Trump ist der nächste Präsident der Vereinigten Staaten. Und wir sind alles ignorante Idioten.

Als ich am Dienstagabend nach dem Justin-Bieber-Konzert in der Wiener Stadthalle ins Bett ging (ich hatte die Karten geschenkt bekommen), tat ich das mit "Sorry" im Ohr und der Gewissheit im Hintergrund, dass Hillary Clinton am Mittwoch als die nächste Präsidentin der USA feststehen würde. Die Textstelle "Is it too late now to say I'm sorry?" ist immer noch mein Ohrwurm—nicht nur wegen Biebs, sondern aus einer Mischung aus Beileidsbekundung und Entschuldigung im Namen der Medien.

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Renommierte Journalisten-Stars wie Jeff Jarvis nehmen sich selbst an der Nase und fragen, ob die Medien bei der Aufklärung über den "Faschisten" Trump versagt haben. Ich glaube, das ist noch zu kurz gegriffen, aber auch nur logisch, wenn man die viel düsterere Alternative bedenkt: Nämlich, dass nicht die Berichterstattung der Medien versagt hat (es gab wirklich keinen Mangel an aufklärerischen Artikeln über und Endorsements gegen Donald Trump); sondern dass die Berichterstattung der Medien überhaupt erst zu der Trotzreaktion der Wähler geführt hat.

"Wenn ihr uns sagt, was wir nicht tun sollen, tun wir es erst recht" lautet der Tenor. Das ist viel schlimmer als falsche Berichterstattung. Hätten die Medien die Gefahr, die von Trump ausgeht, einfach unterschätzt, könnten sie beim nächsten Mal genauer hinschauen. Aber wenn die Menschen bei dieser Wahl Wissen und Logik und Berichterstattung generell abgestraft haben, was für ein Ausweg bleibt uns dann noch übrig?

Ein Sieg für Trump ist eine Niederlage für alle Berufspolitiker. Mehr noch: Es ist eine Kampfansage an alle, die ihr Handwerk verstehen und ihre Sache professionell machen. Experten und Profis waren uns immer schon suspekt, haben uns ausgeschlossen, sind sich besser als der Rest vorgekommen. Trump hingegen sagt, was er denkt. Das muss nicht immer Sinn ergeben, weil er mit dem Reden selten wartet, bis er etwas fertiggedacht hat. Aber solche Details spielen längst keine Rolle mehr.

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Lieber lässt sich Amerika ungefragt an die kollektive Muschi greifen, als vier Jahre professionelle Phrasendrescherei und politische Wohlfühl-Konsens, wie Slavoj Žižek es nennt, hinzunehmen. Die Wähler wollen keine Packelei mehr. Kein Washington hinter verschlossenen Türen.

Die Amerikaner suchen in ihrem Präsidenten nach einem schillernden Charakter, der das alte System aufbricht; nach dem ultimativen Hollywood-Underdog, der sich gegen die Übermacht der Neinsager durchsetzt. Das ist nicht neu. Auch Barack Obama musste in seinem Wahlkampf den Typen geben, der die Ärmel nach oben krempelt und Washington von außen aufmischt; und das, obwohl er als Senator zirka so sehr System war, wie man nur sein konnte.

Ein Mann, der sich selbst goldene Türme baut, bringt keine Revolution. Das Letzte, wogegen Trump jemals ankämpfen würde, ist die Wall Street.

Trump hat es geschafft, sich mit seiner unberechenbaren Art als genau das zu inszenieren. Auf den ersten Blick ist er post-Empire: Ein neuer Schlag an Aufrührern, die auf das Althergebrachte scheißen und dem Land Disruption bringen. Aber Disruption ist nicht umsonst längst ein Begriff aus dem Bullshit-Bingo diverser Marketer geworden. Auch das Ende der Zivilisation wäre Veränderung. Und das ist unter Trump wahrscheinlicher als jede konstruktive Erneuerung des Systems.

Ein Mann, der sich selbst goldene Türme baut, bringt keine Revolution. Wer völlig rücksichtslos von einem Konkurs zum nächsten schreitet und sich dabei bereichert, ist kein Feind des Corporate America. Das Letzte, wogegen Trump jemals ankämpfen würde, ist die Wall Street.

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Aber das spielt für Menschen, die ihre Fakten mit dem Bauch überprüfen, ohnehin keine Rolle. Da ist es auch kein Wunder, dass in der Wahlnacht von Hillary-Befürwortern mit denselben postfaktischen Mitteln gearbeitet wird, die ja anscheinend schon bei Trump ganz gut funktioniert haben: Ein Troll postete auf Twitter, dass er bei einer Trump-Veranstaltung rassistische Sprechchöre gehört hätte und auch das angebliche Trump-Zitat aus dem People Magazine von 1998 tauchte wieder auf, wo Trump angeblich über Republikaner und ihre dummen Wähler hergezogen haben soll. Wer kann es ihnen verübeln?

Neu ist, dass die Wähler sich mit dieser Forderung an einen Quereinsteiger wenden. Noch nie zuvor hatten die USA einen Präsidenten, der nicht in irgendeiner Form zuerst Berufspolitiker war. Selbst Ronald Reagan, der Schauspieler, war zuerst Gouverneur von Kalifornien, bevor er ins Weiße Haus einzog.

Auch, wenn das hier viel Text ist, fehlen mir eigentlich die Worte. Also habe ich das getan, was man immer tut, wenn man nicht weiter weiß: Ich habe bei den alten Griechen nachgesehen. In der antiken Rhetorik gibt es den Grundsatz von der Kunst des angemesssenen Redens. Diesen hab ich mir zu Herzen genommen und sage deshalb: Wir sind gefickt. Wir, die Medien; wir, die Wähler; wir, die Kulturoptimisten, die bis gestern dachten, dass Vernunft immer noch etwas zählt und Menschen bei Wahlen im Jahr 2016 nicht einfach in großen Zahlen einem proto-faschistischen Demagogen ins Netz gehen, der sein Gespür für Sager bei The Apprentice gelernt hat und dem sein Wahlkampfteam gegen Ende sogar den Zugang zu Twitter sperren musste, um Gröberes zu verhindern.

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Wo Obama war, sitzt bald ein sexistischer "7-Jähriger mit Demenz" (Abel Ferrara) und Peniskomplex am Roten Knopf. Wo es einen Churchill bräuchte, um dagegenzuhalten, gibt es nur Theresa May. Wo ein Kräftegleichgewicht zwischen den Supermächten herrschen sollte, gibt es jetzt eine Busenfreundschaft zwischen Trump und Putin. Und wo eine Kultur des Brückenbauens nötig wäre, um die Kluft zwischen Demokraten und Republikanern abzubauen, wird als nächstes wohl über den Bau einer Mauer zu Mexiko debattiert werden; einfach nur, weil es gut klingt und Quote bringt.

Das nächste Brexit ist da, der nächste Joker, der die Welt brennen sehen will, steht vor der Türe, der nächste US-Präsident wurde gewählt. Hofer hat jetzt einen Buddy in Übersee. Einen Kandidaten, der sich abwechselnd als Opfer und Underdog inszeniert, mit Wahlanfechtung droht und mit Angstmache und Fremdenfeindlichkeit Stimmen holt. Bisher haben sich die österreichischen Präsidentschaftskandidaten aus gutem Grund mit Unterstützungserklärungen für ihre US-Kollegen zurückgehalten. Man darf davon ausgehen, dass diese Zeit jetzt vorbei ist—und es wird nicht Van der Bellen sein, der Trumps Sieg härter feiert.

Auch wenn Hofer bisher noch schweigt, hat sein Clubobmann Heinz-Christian Strache bereits in einem angriffigen Facebook-Statement gratuliert: "Die politische Linke und das abgehobene sowie verfilzte Establishment wird Zug um Zug vom Wähler abgestraft und aus diversen Entscheidungsfunktionen heraus gewählt", heißt es auf der Strache-Page. Alexander Van der Bellen gratuliert dem designierten Präsidenten etwas verhaltener und sagt: "Amerika stehen wirtschaftlich harte und unsichere Zeiten bevor, wie der heutige Einbruch der Börsen zeigt. Die schwierige weltpolitische Lage verlangt eine Politik mit Augenmaß."Trump-Euphorie kommt hingegen von Reinhold Lopatka, der auf Twitter schreibt:

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'Make America great again.'
Mit dieser Ansage und dem Versprechen einer rigiden Zuwanderungspolitik gewinnt Trump battleground states!

— Reinhold Lopatka (@ReinholdLopatka)November 9, 2016

Vor ein paar Jahren habe ich zur österreichischen Nationalratswahl einen Text mit dem Titel "Wahlkampf ist wie Wrestling" geschrieben. Ich hätte nie gedacht, wie wortwörtlich dieser Vergleich einmal auf eine US-Präsidentschaftswahl zutreffen würde. Donald Trumps lange Geschichte mit der Welt des Wrestling, von 1988 bis 2013, gibt tiefe Einblicke, wie der nächste US-Präsident gesehen werden will.

Aber nicht nur das. Auch die Haltung des Publikums ist erstaunlich ähnlich. Die Performance-Theoretikerin Sharon Mazer beschreibt das Verhältnis der Fans zu ihrem Lieblingssport in ihrem Buch Professional Wrestling. Sport and Spectacle so: Fans genießen gleichzeitig das Spektakel und suchen nach dem Echten im Fake—dem einen Moment, an den sie bedingungslos glauben können.

Genau diese Haltung scheinen auch die Wähler gegenüber Trump einzunehmen: Trump ist Show und verspricht gleichzeitig den einen Moment, an den man glauben kann: die große Revolution, die den Leuten endlich mehr Mitbestimmung bringt und ein neues Cowboy-Zeitalter einleitet. Dass man sich die Revolution ausgerechnet von einem reichen, weißen Vertreter der Oberschicht erhofft, der Frauen sexuell belästigt, ist wahrscheinlich ironisch. Aber vor allem ist es ein Warnschuss. Wer weiß, wie viele wir noch kriegen.

Markus auf Twitter: @wurstzombie