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Ich war elf Tage im Terminal des Moskauer Flughafens gefangen

Vitaliy Raskalov wollte in Moskau eigentlich nur umsteigen, als er plötzlich verhaftet wurde. Uns hat er erzählt, was er in den elf Tagen mit den anderen Gefangenen erlebt hat.

Vitaliy (rechts) mit einer Bekanntschaft aus dem Terminal. Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung.

Wahrscheinlich kennt jeder dieses mulmige Gefühl, das man bei Passkontrollen am Flughafen ganz automatisch bekommt. Du musst kein international gesuchter Kartell-Henker sein, um jedes Mal nervös zu werden, wenn ein gelangweilter Uniformierter missmutig in deinem Pass rumblättert. Jeder kennt irgendjemanden, dessen Einreise in die USA sich völlig unverhofft in einen stundenlangen Albtraum verwandelt hat.

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Aber gut, die USA schicken dich dann eben wieder nach Hause. In Russland kann das schon anders aussehen—wie uns unser russisch-ukrainischer Freund Vitaliy Raskalov erzählte, der so was wie die russische Version des Films Terminal erlebt hat, als er bei beim Versuch, am Moskauer Scheremetjewo-Flughafen von Hongkong nach Kiew umzusteigen, für elf Tage im Flughafen festgehalten wurde.

Vitaliy bei seiner Lieblingsbeschäftigung: an hohe Orte klettern.

Das muss besonders hart für Vitaliy sein, da er normalerweise nicht gerne stillsitzt. Zusammen mit seinem Kumpel Vadim Machorov ist er ein sogenannter „Rooftopper“—das heißt, er klettert gerne auf sehr hohe Gebäude, wenn gerade keiner hinkuckt. Spätestens seitdem die beiden das zweithöchste Gebäude der Welt, den Shanghai Tower, bestiegen haben, gehören sie zu den berühmtesten Rooftoppern der Welt.

Um herauszufinden, wieso die russischen Behörden diesen liebenswerten Freigeist einfach so festsetzen, habe ich Vitaliy angerufen.

VICE: Wo bist du gerade, Vitaliy?
Vitaliy Raskalov: Am Moskauer Flughafen.

Schon wieder?
Ja, ich warte gerade auf mein Flugzeug nach Kiew. Ich bin in der Transitzone.

Ich dachte, du darfst nicht in Russland einreisen?
Jetzt darf ich wieder. Ich habe eine Connection in der Regierung gefunden, und so ein Typ hat mich von der Schwarzen Liste gestrichen. Ich musste eine Strafe zahlen, aber es ist keine offizielle Strafe.

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Also eine Art Bestechung?
Genau. Ich habe einfach einem guten Typen mit guten Verbindugen Geld gegeben. Ich musste ihm 10.000 Dollar geben.

Wow.
Das ist gar nicht so schlimm. Manche Leute zahlen 15.000. Manche zahlen gar nichts.

Weißt du mittlerweile, warum du damals Einreiseverbot in Russland hattest?
Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ich habe versucht, es rauszufinden, aber niemand hat mir erklärt, was passiert ist. Sie haben mir einfach gesagt: „Du bist jetzt drei Jahre gesperrt.“

Russland und die Ukraine haben im Moment eine etwas komplizierte Beziehung, das könnte das Problem sein. Nicht nur ich war gesperrt, ein paar ukrainische Freunde von mir auch. Ich weiß nicht, warum.

Du warst damals auch nach Kiew unterwegs, oder?
Ja, ich war auf dem Weg von Hongkong nach Kiew, aber ich musste in Moskau umsteigen. Es war leider kein Anschlussflug, also musste ich das Terminal wechseln. Wenn mein Flug nur in einem Terminal gewesen wäre, hätte ich kein Problem gehabt.

Was ist dann passiert?
Na ja, ich musste durch die Passkontrolle. Ich habe versucht, der Polizei zu erklären, dass ich nur weiterfliegen will, aber das war unmöglich. Die Polizei hat mich gegriffen und für elf Tage in eine Art Gefängnis im Flughafen gesteckt.

Das ist verrückt.
Ja, ich musste elf Tage warten, während die Polizei und eine andere Behörde irgendwelche Checks machten, ob ich ein Terrorist oder so was bin. Danach schickten sie mich nach Kiew. Aber die Regierung hat elf Tage gebraucht.

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Das scheint etwas übertrieben. Wie hast du während der elf Tage überlebt? Was hast du gegessen, wo hast du geschlafen?
Ich habe auf so einem Ding geschlafen, ich hab gerade vergessen, wie das auf Englisch heißt. Und meine Familie lebt in Russland, die haben mir Essen geschickt. Und manchmal habe ich der Einwanderungspolizei geholfen, indem ich für sie übersetzt und mit den Ausländern gesprochen habe. Dafür haben sie mich manchmal in den Duty Free begleitet, da habe ich dann Essen gekauft.

Nigerianische Studenten, die auch im Terminal festsaßen.

Was hast du denn sonst elf Tage lang gemacht?
Bücher gelesen, manchmal. Meistens habe ich mit Leuten geredet. In das Gefängnis kamen jeden Tag 10 oder 15 neue Leute, die auch gesperrt waren. Die Leite wollten immer wissen, was passiert ist, und ich habe es immer allen erklärt. Warum sie da sind, und wann sie in ihr Land zurückgehen können.

Was für Leute hast du denn da getroffen?
Hauptsächlich Leute aus zentralasiatischen Ländern wie Tadschikistan oder Usbekistan, Einwanderer.

Warum waren die im Gefängnis?
Na ja, oft ging es darum, dass Einwanderer alle drei Monate in ihr Heimatland zurückkehren müssen. Aber manche denken sich: „Kein Problem, ich bleibe ein oder zwei Jahre in Russland.“ Dann wollen sie in ihr Land zurück, aber das russische Gesetz erlaubt das nicht, sie dürfen nicht zurück. Aber die Leute versuchen es trotzdem.

Also hast du elf Tage lang da allen möglichen Leuten mit ihren Problemen geholfen. Hast du interessante Menschen getroffen?
Ja, einige Studenten aus Nigeria, und einen Typen aus Syrien, Hazim. Er war schon Monate in dem Gefängnis und wartete auf Asyl. Insgesamt blieb er vier Monate da, jetzt ist er raus.

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Am verrücktesten war die Geschichte von dem Schweizer, der auf die Krim gereist war [als sie noch Teil der Ukraine war]. In der Ukraine brauchte er als Schweizer kein Visum. Aber dann nahm Russland sich die Krim, und die Polizei erklärte ihm, dass es unmöglich sei auszureisen, weil er kein Visum für Russland habe. Das hatte ihm niemand erklärt, also saß er einen Tag hier im Gefängnis. Ziemlich lustig.

Und Hazim hat mir sogar von einem Typen erzählt, der da ein Jahr und drei Monate verbracht hatte.

Hazim

Ein Jahr und drei Monate?
Ja, der war aus Dschibuti.

Wie hat er da überlebt?
Weiß ich auch nicht. Manchmal gibt die Fluggesellschaft den Asylbewerbern Essen. Aber die Fluggesellschaft hasst Asylbewerber, weil sie dann das Essen bezahlen müssen.

Wie hast du dich die meiste Zeit da gefühlt?
Die ersten beiden Tagen waren nicht so gut, dann wurde es besser, weil ich mit Leuten und der Polizei geredet habe. Da habe ich verstanden, dass ich nach fünf oder zehn Tagen wieder rausgelassen werden würde.

Aber was machen die, die das nicht wissen?
Die meisten haben angefangen zu betteln und erzählt, sie hätten Familie in Russland. Aber die Wachen waren gnadenlos.

Was ist dein nächstes Projekt?
Wir haben gerade ein neues Video in Hongkong gedreht, was wir in ein, zwei Monaten posten werden. Danach … danach wollen wir nach Brasilien, und da ein paar interessante Sachen machen. Wir wollen versuchen, auf die Jesus-Statue in Rio de Janeiro zu klettern. Wenn wir das illegal machen können, wäre das geil. Richtig geil. Vielleicht könnt ihr ein Video davon machen.

Klingt gut. Vielleicht wirst du bald im nächsten Flughafen eingesperrt.
(Lacht) Vielleicht!

Tu, was du nicht lassen kannst, Vitaliy.