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​'Red Dead Redemption' ist immer noch das beste Konsolenspiel, das je erschienen ist

Auch fünf Jahre nach seiner Veröffentlichung kommt kein anderes Game an den Cowboy-Epos ran—nicht einmal ‚GTA V'.
Screenshot: Rockstar Games

Man muss nicht seine halbe Jugend auf dem Reiterhof verbracht (wie ich) oder einen ausgeprägten Waffenfetisch haben (wie … auch ich), um sich in der Welt von Red Dead Redemption zu verlieren. Vor genau fünf Jahren erschien Rockstars Cowboy-Epos in Europa für die Playstation 3 und Xbox 360—und ist bis heute das beste Spiel, das jemals für eine Konsole erschienen ist. Ja, besser als sämtliche GTA-Teile, besser als jedes Resident Evil, besser als Halo, The Last Of Us oder BioShock. Und diese Aussage werde ich über meine Leiche hinweg verteidigen, auch wenn RDR weder ein Genre neu erfunden, noch visuelle Maßstäbe gesetzt, noch sonst irgendwelche bahnbrechenden Entwicklungen angestoßen hat.

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Die Geschichte beginnt überaus cineastisch in einem Zug und zeigt direkt zu Anfang, worum es in dem Spiel grundlegend geht. Der Wilde Westen liegt im Sterben, tut durch vom Leben gezeichnete Ex-Banditen und Cowboys wie Hauptcharakter John Marston seine letzten Atemzüge und kann sich den Annehmlichkeiten der zunehmenden Industrialisierung—Züge, Autos, gepflasterte Straßen und immer größer werdende Städte—doch nicht erwehren. Marston hat mit der Regierung einen Handel abgeschlossen: Wenn er seine ehemaligen Bandenkollegen zur Strecke bringt, wird er selbst von seinen Verbrechen freigesprochen und darf ein neues Leben als Farmer beginnen. Bis dahin allerdings wird seine Familie unter Verschluss gehalten.

Die Story ist denkbar einfach, die Geschichte als solche keine Neue und auch das Setting des lonesome Cowboy popkulturell eigentlich so überstrapaziert, dass Hufgeklapper und rauchende Colts niemanden mehr vom Hocker hauen sollten. Statt sich ganz dem sporenklirrenden Rumgeballere und dramatisch inszenierten Shootouts hinzugeben—oder das Genre des Spaghetti-Western vielleicht sogar zu parodieren—hat allerdings Rockstar etwas ganz anderes gemacht: Sie haben ein ebenso hartes wie sensibles Bild einer vergangenen Epoche gezeichnet und eine Welt geschaffen, die trotz ihrem zeitlichen Abstand zur aktuellen Generation deutlich „echter" wirkt, als es ein Grand Theft Auto je war. Egal wie realistisch und detailgetreu New York oder L.A. im erfolgreichsten Videospiele-Franchise aller Zeiten auch nachgebaut wurden.

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Die Welt von Red Dead Redemption, eine Art Hybrid aus verschiedenen Teilen des US-amerikanischen Südwestens und Mexiko, ist im Grunde genommen gar nicht so riesig. Trotzdem kommen einem die Ritte von einer Mission zur nächsten schier endlos vor. Und dieses Gefühl der Einsamkeit, diese Momente, in denen nichts außer Hufgeklapper und vereinzelten Pistolenschüssen in der Ferne die Stille unterbricht, trägt mindestens ebenso sehr zum Spielerlebnis bei wie Kartenspielen im Saloon oder Hufeisenwerfen oder hektische Schießereien in Bandenverstecken. Du, dein Pferd und die Natur—mehr gibt es über große Teile des Spiels einfach nicht. Ich glaube, an einem faulen Sonntag im Bett, irgendwo zwischen Armadillo und Escalera, habe ich zu mir selbst gefunden.

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Ich habe wirklich viele tolle Gaming-Momente erlebt. Die Auffahrt in die Himmelsstadt Columbia in BioShock Infinite, die Schönheit von Apokalypse und Tod in The Last Of Us, das erste Mal in der Jugend eine Spielekonsole anschalten, die einem ganz alleine gehört—aber nichts wird jemals den Moment übertreffen können, als John Marston in Mexiko zum ersten Mal sein Pferd besteigt, weit weg von zu Hause und verloren wie nie zuvor, und dieser gottverdammte Song einsetzt:

Man kann insbesondere dem Teil des Spiels, der primär in Mexiko stattfindet, vorwerfen, dass er die Handlung etwas zerfasert. Nicht jede Mission ist on Point, nicht jede Nebenhandlung spannend—die tatsächlichen Nebenmissionen, bei denen man auf krude Charaktere und zum Teil herzzereißende Geschichten trifft, dafür umso mehr. Tatsächlich habe ich bei Open-World-Spielen oft das Problem, dass ich entweder strikt der Haupthandlung folge und dann eben irgendwann „durch" bin, oder mich komplett in der weiten, frei begehbaren Welt verliere. Ich glaube, ich habe noch nie ein anderes Spiel gespielt, in dem sich beides, die Welt und die Missionen, so homogen ineinander verwoben haben.

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Dialoge und Charaktere sind so gut geschrieben, die komplette Umgebung fühlt sich so authentisch an (egal ob verlotterte Wüstenstadt, florierende Farm oder verschneite Berglandschaft), dass man sich wirklich im Setting verliert. Ich war irgendwann an dem Punkt, an dem ich einen Rachefeldzug sondergleichen losgetreten habe, weil ein Bandit mein treues Ross getötet hat. In Red Dead Redemption ist alles langsamer, leiser, weniger bunt und schrill als in GTA und dafür eben umso intensiver.

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Der bemerkenswerteste Moment kommt allerdings relativ am Schluss. Dann, wenn die ganz große Action vorbei scheint, John mit seiner Familie wiedervereint ist und die Geschichte eigentlich enden sollte. Wo Lucky Luke entspannt in den Sonnenuntergang geritten wäre, geht Rockstars Meisterwerk aber einfach weiter. Plötzlich erfährt man, was nach dem großen Happy End passiert, der ganz normale Alltag der Spielefigur nämlich. Und das bringt einen als Spieler in eine komplett neue Situation.

Screenshot: Rockstar Games

Fahren wir allen Ernstes einfach nur Futter holen—ohne, dass wir nach drei Metern von Dutzenden Banditen angegriffen werden und John nicht nur wild um sich schießen, sondern auch noch die Kutsche auf der Straße und seine Frau am Leben halten muss? Genau an dem Punkt, wo man glaubt, das Spielprinzip durchblickt zu haben und relativ genau zu wissen, wann man sich auf das nächste Shootout einrichten muss, ändert das Spiel sein Pacing und fühlt sich plötzlich, nach all den Stunden Gameplay, erspielten Achievements, erfolgreich beendeten Missionen, komplett anders an. Diese Weigerung, sich dem zum Finale hin stetig steigenden Spannungsbogen zu unterwerfen, der für AAA-Titel so obligatorisch scheint, ist bis heute eines der Dinge, die dieses Spiel für mich so einzigartig, unvergesslich und deswegen auch trotz der in die Jahre gekommenen Grafik auch so zeitlos machen.

Red Dead Redemption muss kein historisch akkurates Dokument seiner Zeit sein, um einen guten Eindruck dahingehend zu vermitteln, wie sich die Gesellschaft des Wilden Westens am Ende einer Ära gefühlt haben muss. Wie falsch die Hufe des Pferdes nach all dem Sand, dem Gras, der Erde sich plötzlich auf den gepflasterten Straßen von Blackriver anhören. Wie stoisch, wie bockig sich Marston gegen das stellt, was unausweichlich scheint, und sei es noch so unausgereift. Die Industrialisierung und der Fortschritt merzen Cowboys, Farmer, Leute wie John aus. Am Schluss sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Und das Spiel lässt es euch erbarmungslos miterleben. Auch nach dem zweiten großen Finale steigt ihr wieder auf euer Pferd, dieses mal noch ein bisschen einsamer und erheblich wütender, und zieht ein letztes Mal den Colt. Dann erst laufen die Credits.

Ich werde niemals vergessen, wie leer ich mich danach gefühlt habe.

Lisa ist gerne unangemessen emotional—auch auf Twitter.