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Ein Plädoyer für die Einsamkeit

Ich bin Werber und vielleicht ein arrogantes Arschloch, das sich zu viel aus Bestätigungen auf Facebook macht. Aber gleichzeitig bin ich auch der Meinung, dass es OK sein muss, alleine und einsam zu sein.
Foto von VICE Media

Seit meinem letzten Geständnis ist schon eine Zeit her. Damals ging es mir darum, wie sehr wir alle von unserer Außenwahrnehmung auf Facebook beeinflusst sind, aber auch, wie wenig wir das ändern können oder wollen. Diesmal geht es um ein Thema, das auf seltsame Art mit dem ersten zusammenhängt und meiner Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit bekommt, weil sie sehr schwierig ist und an die Substanz geht.

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Ich rede von Einsamkeit. Aber nicht unbedingt so, wie ihr auf den ersten Blick vielleicht denkt (dazu später). Es klingt vielleicht pathetisch, aber für mich ist Einsamkeit wie ein Schatten , der uns die ganze Zeit begleitet—am Ende des Arbeitstages, auf der Couch, oder wenn wir den Heimweg nach der Sauftour am Wochenende antreten. Selbst, wenn ihr in diesen Momente noch von dem warmen Gefühl getragen werdet, den Tag mit sinnvollen Aktivitäten oder zumindest im Rausch mit Freunden verbracht zu haben, wartet einfach auf Sonntag Nachmittag. Spätestens dann fühlt ihr euch, als wärt ihr ein Kätzchen, das an einer Autobahnraststation inmitten von grauem Stahl und Beton ausgesetzt wurde.

Im Prinzip ist es ganz natürlich, die Einsamkeit zu fürchten. Unsere Vorfahren in der Steinzeit waren (abgesehen von Säbelzahntigern, Kälte und Nahrungsknappheit) so lange cool mit der Welt, als sie in Gesellschaft waren—aber wenn sie von ihrer Gruppe verstoßen wurden, waren sie im Arsch.

Auf der anderen Seite sind natürlich auch viele große Kunstwerke erst durch komplette Abgeschiedenheit entstanden—wie zum Beispiel Henry Thoreaus Walden, oder zahlreiche Musikalben zwischen Beethoven und heute. Ich schätze, der Mensch hat einfach beides in sich; sowohl die Veranlagung zum Alleinsein, als auch das Bedürfnis nach dem direkten Abgleich und der Interaktion mit anderen im sozialen Gefüge. Wir brauchen beides und sind gerade deshalb unzufrieden, wenn wir jeweils eins haben und das andere nicht.

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Wir leben in einer schnellen, hektischen und grellen Zeit. Alles muss gut aussehen, sich gut anfühlen, zur aktuellen Gesamtverfassung passen und natürlich ohne Ende Spaß machen. Die exakt selben Erwartungen legen wir auch auf unser Sozialleben um. Beziehungen müssen nicht nur—wie sie das wohl schon immer getan haben—eigene Unsicherheiten aufwiegen und das manchmal schwer gestörte Verhältnis zum Elternhaus geradebiegen. Beziehungen müssen auch auf spiritueller, sexueller, intellektueller und so ziemlich jeder anderen Ebene, die euch jetzt gerade einfällt, befriedigend sein. Sex ist eine Währung—für Liebe, für Zweisamkeit, für Aufmerksamkeit, oder eben im Tausch für gemeinsame Sonntage bei Pizza und Trash-TV.

Auf diese Weise entmystifizieren wir diese Währung natürlich ein bisschen, weil wir unsere Sexualität nicht mehr einfach nur genießen. Sie wird zu einem Aspekt unseres Selbstbildes—zu unserem intimen Kontostand, den wir mit uns rum schleppen und immer im Hinterkopf haben. Je nachdem, wie ausschweifend, verrückt und ausgefallen unsere Sexualität nämlich ist, desto interessanter, attraktiver oder tiefsinniger werden wir wahrgenommen. Zumindest, wenn ihr Single seid und euch noch Sex, Befriedigung, Beziehung, Bestätigung erkämpfen müsst. Daran ist an sich auch nichts auszusetzen. Das Problem beginnt erst dort, wo man das, was man gerne hätte, nicht von anderen bekommt—und nach Alternativen sucht.

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Warum ich das hier also schreibe? Ich möchte euch sagen, dass es absolut OK ist, auch einmal allein zu sein.

Die Gesellschaft akzeptiert mich—mehr oder weniger—so, wie ich bin, mit all meinen Vorlieben, Fetischen, Ängsten und Vorurteilen. Nur eines verzeiht sie mir nicht: den Wunsch, alleine zu sein. Das ist das echte Problem mit der Einsamkeit. Denn sie wird als Makel gesehen, als Zeichen dafür, dass ich zu schwach, zu wenig oder zu seltsam bin, um in der Gesellschaft unterzukommen. Einsamkeit wird mit allen negativen Eigenschaften belegt, die die Gesellschaft zu bieten hat. Vom „Forever Alone"-Troll über die Katzenfrau bis zum Internet-WOW-Perversen reime ich mir die wildesten Geschichten über die Menschen zusammen, die auch einmal ein Wochenende alleine beim Wandern, beim Lesen oder bei was auch immer sonst verbringen, das eben alleine manchmal mehr Sinn macht.

Warum ich das hier also schreibe? Ich möchte euch sagen, dass es absolut OK ist, auch einmal allein zu sein. Ja, natürlich, in einer tollen Beziehung oder Freundschaft aufzugehen und alles gemeinsam zu unternehmen ist toll und funktioniert für manche Menschen auch großartig. Aber die meisten von uns brauchen hin und wieder etwas Zeit für sich. Egal, ob für kontemplative Selbstbetrachtungen oder um über unsere Rolle in der Welt, unsere Beziehungen, Wünsche und Träume nachzudenken.

Wer sich diese Zeit nicht bewusst nimmt, verpasst einiges. Und ja, ich weiß, dass der Beitrag am Anfang so geklungen hat, als würde ich auf das Gegenteil rauswollen. Aber mein Punkt ist der: Lasst euch nicht von einsamen Sonntagen verunsichern. Oder von Feiertagen, an denen alle so verkatert sind, dass keiner mit dir rausgehen will. Oder von Abenden vor dem Fernseher oder im Lesesessel oder von Sommertagen, an denen man alleine auf der Wiese chillt. Alles ist gut.

Deine Freundschaften werden sich auf die Dauer sogar intensivieren, wenn du hin und wieder deine Probleme zunächst einmal für dich sortierst, bevor du anderen damit auf die Nerven gehst. Deine Beziehung wird sich verbessern, weil du daran arbeitest, auch als Einzelperson zu funktionieren. Und du wirst etwas Wunderbares entdecken—nämlich Zeit für dich, die du dafür nutzen kannst, einmal den komplizierten Verwirrungen deines Sozial- und Berufslebens zu entfliehen. Genieß die Einsamkeit, und du wirst mehr Zwei- oder Mehrsamkeit bekommen, als du dir je hättest wünschen können. Aber nur, wenn du gelernt hast, sie auch zu mögen.