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Ich war wegen Schwarzfahrens acht Wochen im Gefängnis

900 Euro Strafe oder 60 Tage Knast. Unser Autor hat sich für Letzteres entschieden und das Berliner Justizvollzugssystem von innen kennengelernt.
Foto: Imago | Schöning

2013 haben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG, ehemals Berliner Verkehrs-AG) 480 Anzeigen wegen Schwarzfahrens gestellt. 2014 waren es dann 33.733. Für 2015 rechnet die BVG mit einer ähnlichen Zahl. Schwarzfahren, das „Erschleichen von Leistungen", ist eine Straftat und nicht nur eine Ordnungswidrigkeit. Wenn jemand dreimal erwischt wird, gibt es eine Anzeige und damit auch ein Verfahren. Kann die Geldbuße nicht gezahlt werden, gibt es auch die Möglichkeit, das Ganze im Gefängnis abzusitzen. Das wiederum kostet den Steuerzahler 133 Euro am Tag. Bis zu einem Drittel der Insassen der Berliner JVA Plötzensee sitzt genau deswegen ein. Unser Autor ist vor einigen Wochen sang- und klanglos verschwunden und nach einiger Zeit stellte sich raus, dass er, genauso wie viele andere, wegen Schwarzfahrens in Plötzensee saß. Mittlerweile ist er wieder in Freiheit und hat für uns aufgeschrieben, wie er seine zwei Monate hinter Gittern verbracht hat.

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Eigentlich ist nur mein Rad in der BVG dreimal schwarzgefahren, aber das änderte nichts daran, dass ich zu einer Geldstrafe von 900 Euro oder 60 Tagen Haft verurteilt wurde. Gut, ich habe mich gefügt. Da ich mich in einer Umschulung befinde, ist ein Gefängnisaufenthalt nicht besonders passend, demzufolge beantragte ich bei der Staatsanwaltschaft in der Abteilung für Vollstreckung einen Antrag auf Ratenzahlung. Ich hörte eine ganze Weile nichts zurück und schickte erneut einen Antrag, diesmal als Einschreiben mit Rückschein, und wartete wieder. So etwas geht ja alles leider nur schriftlich, da man telefonisch keine Auskünfte bekommt, falls überhaupt jemand einmal aus Versehen den Hörer abnimmt. Oder salopp ausgedrückt: Man erreicht eher den Papst telefonisch als die Vollstreckungsabteilung der Staatsanwaltschaft.

Diesmal, ein knappes Jahr war vergangen, kam allerdings eine Reaktion, nämlich in Form von zwei Polizeibeamten mit einem Haftbefehl. Ich war ehrlich überrascht, aufklären ließ sich da leider auch nichts mehr, sie erreichten nämlich ebenfalls keinen bei der Staatsanwaltschaft. Und da ich als Umschüler auch nicht 900 Euro in der Küchenschublade herumliegen habe, nahm man mich mit.

Dazu muss gesagt werden, dass die sehr freundlichen Beamte mir Zeit ließen, ein paar Sachen zu packen, die wichtigsten Telefonate zu führen, und zum Bankautomaten fuhren sie mich auch noch, damit ich mich mit etwas Geld versorgen konnte. Ich hatte auch die Möglichkeit, noch ein bisschen Tabak zu kaufen. Das hätten sie nicht tun müssen, haben sie aber, danke dafür.

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Zuerst ging es zur Gefangenensammelstelle nach Tempelhof. Dort saß ich dann mit 5-Minuten-Terrine versorgt neben Schwarzarbeitern, Dieben und so ziemlich allen, die in die Hände der Justiz geraten waren, in einer Sammelzelle. Man nahm mir die Schnürsenkel ab, durchsuchte meine Körperöffnungen und bot mir an, mir meinen Nasenring mit einem Seitenschneider zu entfernen, da ich mich weigerte, ihn heraus zu nehmen. Ein älterer Beamter bremste dann den angehenden Justizvollzugsbeamten, da ich ja „nur ein Geldstrafer" sei.

Nach etwa drei Stunden Wartezeit ging es weiter zur JVA Plötzensee. Dort angekommen wurde erst einmal überprüft, ob ich alkohol- und drogenaffin bin. Da dies nicht der Fall ist, wurde ich dem „Offenen Vollzug" in Haus G zugewiesen. Das „offen" sollte man nicht falsch verstehen, man kann nicht so einfach raus, man hat keine Gitter vor den Fenstern, mit Glück eine Einzelzelle und man bewegt sich im Gebäude frei herum. Eingeschlossen wird keiner, man kommt nur nicht raus.

Ich war zunächst in einer Doppelzelle untergebracht, einen Spindschlüssel gab es nicht und nur einen Zimmerschlüssel für zwei Personen. Da ich schnell einen Job hatte, aber meine Wertsachen nicht adäquat absichern konnte, kam ich in eine Einzelzelle.

Einen Fernseher gibt man auch problemlos, es sind genug innerhalb des Gebäudes im Umlauf. Der normale Preis liegt bei 25 Euro, inklusive DVB-T-Receiver und Antenne.

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Auch Küchen sind vorhanden, mit Kühlschränken und separaten Kühlfächern für jeden Haftraum. Blöderweise werden die Fächer regelmäßig geplündert, da einige Schlüssel in alle Fächer passen, die Fensterbank ist also der bessere Aufbewahrungsort für Nahrungsmittel.

Herde gibt es (theoretisch) auch, leider war nur noch einer vorhanden und dort funktionierten auch nur noch zwei Platten. Pfannen und Töpfe muss man sich selber organisieren oder beim Besuch—alle 14 Tage für je eine halbe Stunde möglich—mitbringen lassen.

Die Telefone sind sündhaft teuer, weshalb viele Häftlinge Smartphones besitzen. Die sind natürlich verboten, aber man kann sie sehr leicht reinschmuggeln. Möchte man bei einem Joint entspannen? Auch das ist kein Problem.

Warum die Beamten das nicht unterbinden? Weil es nicht wirklich interessiert. Die Maxime lautet „Ein ruhiger Insasse, ist ein guter Insasse". Verhält man sich still, hat man seine Ruhe. Die Wachen sieht man eher selten, sie sitzen in ihrem Dienstraum herum, manche spielen sich ein wenig auf, als ob sie zu viele US-amerikanische Knastserien gesehen haben und man sich nur mit absoluter Härte behaupten kann. Andere wollen einfach ihre Ruhe, aber im Grunde ist alles sehr entspannt. Denn viele Insassen waren Schwarzfahrer, und alle waren „Geldstrafen".

Ich verbrachte dann recht schnell meine Zeit mit Malarbeiten. Als Kollegen (Mithäftlinge) hatte ich einen locker 70-jährigen Pfarrer (Geldwäsche) mit beginnender Demenz und einen 55-Jährigen mit einer fortgeschrittenen Lungenerkrankung (Schwarzfahren), nette Jungs, aber ich hatte immer die Befürchtung, sie sterben gleich.

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Wahrscheinlich hatte man mich, als angehenden Altenpfleger, deshalb auch in diese Arbeit gesteckt, vom Malern hatte ich nämlich so gar keine Ahnung. Der Pfarrer (er war WIRKLICH Pfarrer) und die meisten meiner Kollegen ebenso wenig. Wir haben in einer Schule die Wände gestrichen. Warum auch mittelständischen Betrieben Aufträge erteilen, wenn das Knackis für die Hälfte machen können?

Auch innerhalb der JVA Plötzensee wird kräftig Geld verdient, in der Wäscherei zum Beispiel. Man wäscht nicht nur die Wäsche der Insassen, auch Hotels und sogar Pflegeheime zählen zur Kundschaft. Man kann gute Preise anbieten, da Gefangene billige Arbeitskräfte sind. In der höchsten Lohnstufe gibt es etwa 19 Euro für sechs Stunden, aber die meisten pendeln sich bei ungefähr zehn Euro ein.

Insgesamt hatte ich das Gefühl, es wird weggesperrt, was geht, ohne Rücksicht auf Job und alles andere. Klar, Strafen müssen vollstreckt werden, aber bei einigen hatte ich das Gefühl, dass dort die Relation bei Weitem nicht mehr stimmte. Was nutzt es, jemanden wegzusperren, wenn er durch die Haft seinen Job verliert und danach zum Hartz-IV-Empfänger wird?

Ein Mithäftling hatte eine Sportkneipe und zeigte EIN Bundesligaspiel über die Sky-Karte seine Frau, leider war ein Kontrolleur vor Ort. Das Ergebnis waren 14.000 Euro Geldstrafe oder 100 Tage Haft, er wird die 100 Tage absitzen und dann zum Jobcenter gehen. Ich wollte das auch nicht glauben, musste es aber, als er mir sein Urteil zu lesen gab.

Ein anderer war Monteur, hatte es aber vernachlässigt, mit der Staatsanwaltschaft Kontakt aufzunehmen. Er hatte vorher noch nie gesessen, es war seine erste Geldstrafe (Schwarzfahren, natürlich) und seinen Job hat er auch verloren. Auch er wird nach 70 Tagen beim Jobcenter stehen.

Ich jedenfalls war nach relativ kurzer Zeit wieder in Freiheit, hatte Glück, dass mein Ausbildungsbetrieb zu mir stand, und mache dort weiter, wo ich aufgehört hatte. In der Zwischenzeit hat sich auch aufgeklärt, warum es überhaupt zum Haftbefehl gekommen war: Die Staatsanwaltschaft hatte mir schon geantwortet, nur leider hatte sie die Antwortbriefe an meine alte Adresse geschickt. Da meine Post allerdings nicht weitergeleitet, sondern mit der neuen Wohnanschrift zurück gesendet wird, haben sie mich nicht erreicht. Also ging die Staatsanwaltschaft wohl davon aus, ich wolle mich „drücken", und setzte einen Haftbefehl in Kraft.


Titelfoto: Imago/Schöning