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The Fashion Issue 2014

Gefesselte Männer

In dem Musikvideo „Brain Freeze“ von Gran strippt ein Typ und reibt sich dann mit Glitzer ein. Verstörte Reaktionen folgten und der Clip wurde sogar als „phallischstes aller phallischen Musikvideos“ bezeichnet. Warum ist male Bondage immer noch schwul?

Letztes Jahr arbeitete ich an einem Video zu „Brain Freeze“—einer poppigen, tanzbaren Synthwave-Nummer mit Ohrwurmqualität des Musikers Gran. Ziemlich schnell wurde mir klar, dass der Titel nach Farben verlangt. Poppigen, grellen Farben, sehr viel Glitter und einer Person, die inmitten des ganzen bunten Wahnsinns dazu tanzt. Die Reaktionen auf das meiner Meinung nach fröhliche poppige Video waren allerdings überraschend bis verwunderlich. Das Video sei verstörend, man sollte es lieber nicht vor alten Leuten ansehen und dann wurde es auch noch auf einem Blog als „NSFW“ gekennzeichnet.

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Die wahrscheinlich interessanteste aller Rezensionen erkor mein Video sogar zum „phallischsten aller phallischen Musikvideos“. Okay? Eigentlich ja ein ganz cooles Prädikat, das man mit Stolz tragen kann (ich sage nur
CD-Aufkleber). Allerdings schlich sich bei mir gleichzeitig das seltsame Gefühl ein, ich würde hier als einziger Mensch etwas NICHT sehen, das allen anderen wie blinkende Neonschilder vor der Netzhaut herumtanzte. Was genau passiert in diesem Video nun? Neben Eiscreme, Wackelpudding und blauen Drinks sieht man auch einen nackten Männerhintern. Den Hintern sieht man allerdings nur seitlich. Keine gespreizten Beine. Keine freiliegenden Körperöffnungen, die schockieren könnten. Dann sieht man noch einen anderen Mann durch das Video tanzen. Einen großen, langhaarigen, über den ganzen Rücken tätowierten Mann.

Und ich meine einen Mann, keinen Jungen in seinen frühen 20ern. Einen Erwachsenen mit dazu passendem männlichem Körperbau. Ohne übertriebenes Six Pack und aufgeblasene Arme.

Er trägt Shorts und ein Hemd, welches er sich im Laufe des Videos vom Leib reißt. Ach ja, und dazu führt er an den Füßen 10 Zentimeter hohe Fetischboots vor. Außerdem rollt er gegen Ende des Videos lasziv über den Boden und reibt seinen Körper mit Glitzer ein. Du siehst in den ganzen 3 Minuten keinen einzigen Penis, keine sexuellen Handlungen, keinerlei Schweinereien—und trotzdem finden es manche so phallisch, dass man es ihrer Meinung nach mit NSFW kennzeichnen müsste.

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Auf Seite 2 erfahrt ihr, warum Männer immer noch nicht gefesselt werden dürfen und es eigentlich keine Dominas gibt.

Aber warum? Ist allein die Tatsache, dass hier ein Mann in passiver Art sexualisiert wird, schon schockierend? Stören sich die Blogger daran, dass sich hier ein Mann die Kleider vom Leib reißt und nicht eine Frau? Dass wir einen Mann sehen, der sich begehren lässt und der begehrt werden will? Und ist alleine das Anschauen eines derart inszenierten Körpers wirklich schlimm genug, dass wir es vor unseren Arbeitskollegen aus Angst vor einer falschen Einschätzung oder einem falschen Verdacht verheimlichen müssen? Und wenn ja—warum ist das so, wenn gleichzeitig der weibliche Körper in jedem zweiten Video auf dieselbe Art dargestellt wird und man hier beim Betrachten nicht automatisch in Verdacht gerät, sich daran aufgeilen zu wollen?

Denn machen wir uns nichts vor, Frauen werden nach wie vor als willige, passive, sexualisierte Geschöpfe akzeptiert. Auch von anderen Frauen und völlig unabhängig von der sexuellen Ausrichtung. Überall, wo du hinsiehst oder wo du bist—früher oder später springen dir irgendwo Brüste oder Ärsche entgegen und stumpfen dich nach und nach ab. Natürlich gibt es in solchen Diskussionen immer wieder ein paar Leute, die gerne erwähnen, dass es ja auch den Coke Light-Mann gäbe. Wer jedoch einen einzelnen Werbeträger mit dem weitverbreiteten Durchschnitt verwechselt, ist genauso weit von der Wirklichkeit entfernt wie der Coke Light-Mann selbst.

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Frauenkörper werden immer mehr zu schönen Ornamenten—oder, schlimmer noch, zu billigem Ramschschmuck, den man auf dem Basar für wenige Euros angedreht bekommt. Mit ihnen kann man geschickt jede einfältige Idee dekorieren, um sie konsumenten-freundlich wirken zu lassen. Selbst, wenn man sexualisierte Männerkörper sieht, befinden sie sich doch meist in einer etwas anderen Situation als jener im Video.

Wenn du dich ein Eck weiter vorwagst, musst du scheinbar nach wie vor damit rechnen, auch ein Eck weit falsch verstanden—und ins schwule Eck gestellt—zu werden. So unbedacht und selbstverständlich wie mit weiblichen Körpern kannst du mit männlichen einfach nicht umgehen, weil dem Mann in unserer Gesellschaft immer noch das Vorrecht zusteht, als Subjekt und Ganzes gesehen zu werden, während man Frauen problemlos entmenschlichen und in ihre Körperteile oder Gebrauchsgegenstände zerlegen kann.

Was für eine Rolle spielt die Moder bei BDSM mit Männern? Die Antwort gibts auf der letzten Seite.

Die Mode hegt ja schon lange eine innige Liebesbeziehung zu leidenden und/oder unterwürfigen Frauen. Es ist nicht nötig, dass diese Bilder dann konkret in einem Bezug zu BDSM stehen. Nobuyoshi Arakis Fotografien von gefesselten Mädchen haben schon längst ihren Schock-Faktor verloren. Sogar Pop-Power-Frauen wie Björk oder Lady Gaga lassen sich von ihm gefesselt ablichten. Helmut Newton und Ellen von Unwerth machten unter anderem BDSM-Ästhetik in der Vogue salonfähig.

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Auch ohne Leder oder Peitsche schaffte es Newton, Machtverhältnisse sexualisiert in erotische Szenen zu setzen. Große Namen, die sich jedoch einer Darstellung von männlichen Körpern auf so konzentrierte Art und Weise widmen und sich dann auch noch einer BDSM-Ästhetik bedienen, sind eher rar. Und während sich in der Popwelt Frauen wie Beyoncé, Madonna und Lady Gaga in Lack und Leder über die Bühne wälzen, frage ich mich, ob und wann wohl dieser Trend jemals die männlichen Pop-Performer erreicht.

In der pornografischeren Inszenierung von BDSM sieht die Lage nicht viel anders aus. Zwar sind hier vor allem Frauen auf Herrinnen getrimmt, allerdings zeigen diese vermeintlichen Dominas—trotz Gerte oder Peitsche in der Hand—fast immer ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, während die scheinbar unterworfenen Männer selbst noch als Sklaven (eher) ihre Würde behalten dürfen.

Anhand von Internet-Memes mit dem Domina-Aspekt lässt sich meine Kritik noch einmal auf den Punkt bringen: Hauptzutat in dieser wunderlichen Kategorie von Bildern—nicht explizit pornografisch, aber doch mit sexuellem Inhalt— sind Stockfotos von Frauen, die einen sexy Blick vermitteln sollen, während der Text so etwas aussagt wie „I know I said that today was going to be the day you could cum. But I’ve changed my mind. I’m going to be the one who cums.“ Hier wird noch einmal mehr verdeutlicht, für wen diese Bilder gemacht sind.

Betrachtet man schwule Erotik, besonders im Bereich BDSM, sieht man schnell, dass ein sexualisierter Mann nicht zwangsläufig lächerlich aussehen muss—und auch nicht weniger „männlich“ (wenn man tatsächlich noch in dieser Kategorie denken will). Das Schöne an schwuler BDSM-Ästhetik ist, dass man als Frau die Möglichkeit bekommt, zur Abwechslung einmal nicht das Objekt der Begierde zu sein, sondern einfach nur zuzusehen. Außerdem wird meist viel größerer Wert auf die Kleidung gelegt. Sportsocken und weiße Unterhosen können, auch wenn ich das vor ein paar Jahren nie für möglich gehalten hätte, tatsächlich sehr erotisch in Szene gesetzt werden. Die Models und Darsteller sind sorgfältig ausgesucht, und so hat man meist Männer, die nicht nur gut gebaut sind, sondern auch noch das dazu passende Gesicht haben.

Hat man einen muskulösen, gefesselten Mann vor sich, gewinnt das Sujet doch an Spannung. Ein Zeichen von ultimativer Kraft ist die Umkehrung von klassischen Machtverhältnissen, das Ankämpfen gegen althergebrachte und abgelutschte Klischees. Eventuell hätten auch mehr Frauen Interesse daran, den dominanten Part im Bett zu übernehmen, wenn der Großteil gängiger Pornos nicht von Männern für Männer gemacht würde. Und vielleicht würden alternative Bildwelten, von Underground bis Mainstream, auch mehr Menschen einen selbstbestimmten Zugang zur eigenen Sexualität ermöglichen.