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Eine Anleitung, wie du einen Bestseller schreibst!

Dein Leben ist das reinste Elend? Du hast keine Freunde, kein Geld, keine Verehrer? Mit diesen goldenen Regeln sprengst du jede Buchmesse.

Foto: Drew Coffmann | Flickr | CC BY 2.0

Nachts, von Samstag auf Sonntag, nachdem du mit der einzig interessanten Person in der Bar endlich ins Gespräch gekommen bist, antwortest du auf die Frage deines Gegenübers, was du eigentlich so machst, mit: „Ich bin Schriftsteller.“ „Ich bin Schriftsteller“ klingt schon irgendwie tiefsinniger als „Ich bin Sachbearbeiter im mittleren Verwaltungsdienst“ oder „Ich bin im Marketing und Sales tätig“. Dann fährst du dir nicht über die ungekämmte Löwenmähne—das wäre zu viel des Guten—, nimmst aber den letzten Schluck aus deinem Whisky-Tumbler, Glendronach 18 Jahre alt, drückst die Zigarette aus, wartest kurz und fragst: „Und du?“

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Ab dem Moment hast du gewonnen; ihr trinkt noch ein paar Drinks, du gehst zu ihm oder ihr, und der Rest ist—wie man so schön sagt—Geschichte.

Es ist auch deshalb Geschichte, weil die Realität ganz anders aussieht: Die Bar, in der du keinen 18 Jahre alten Scotch, sondern ein Krombacher 0,3 trinkst, ist in Wirklichkeit das Beisl am Rand deines Dorfes, und ins Gespräch kommst du mit niemanden, weil du geschlagen aussiehst mit deinem gebrochenen Haar und gebrochenen Wesen.

Foto: Mitmensch0812 | Flickr | CC BY-SA 2.0

Doch kein Grund, sich restlos aufzugeben. Der Ausweg aus dem Elend ist ganz einfach: Schreib einen Bestseller! Geld und Ruhm heilen alle Wunden. Und glücklicherweise leben wir in einer Zeit, in der du nicht einmal literarisches Geschick brauchst, um in Massen Bücher zu verkaufen. Solltest du also völlig talentfrei sein, willst aber dennoch authentisch mit der Autor-Masche in Großstadtbars auffahren, halte dich an diese Regeln:

Nicht Was, sondern Wer zählt!

Bücher werden oftmals nicht nach ihrem Inhalt, sondern auf Grund ihres Autors gekauft. Guido Maria Kretschmer zum Beispiel, dieses freche und authentische Multitalent von VOX, RTL & Co., wird gerade dermaßen als heißer Scheiß gehandelt, dass er selbigen einfach nur zwischen Papier pressen und binden lassen könnte und trotzdem mehr Exemplare verkaufen würde als jeder ernstzunehmende Schreiberling. Das weiß Guido auch. Sein Meisterwerk Anziehungskraft—Stil kennt keine Größe kletterte bis auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste (Sachbuch).

An dieser Stelle höre ich natürlich deinen Einwand, lieber Leser: „Was ist, wenn ich nicht Guido Maria, Oliver Kahn oder Hillary Clinton bin? Was ist, wenn ,fame’ ein Fremdwort für mich ist?“

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Werde zur Kunstfigur

Foto Dali: Roger Higgins | Wikimedia commons; Foto Wurst: Ailura | Wikimedia commons | CC BY-SA 3.0 AT

Trage High-Heels und male dir einen Bart auf; lauf in ausgefallenen Roben, iss nur Sachen, die mit dem Buchstaben ,E‘ anfangen und nimm Worte wie ,indeed’, ,très chic’ oder ,pittoresk’ in deinen Wortschatz auf. Und lass dich nie, nie, nie ohne Zigarillo in der Hand blicken! Was für andere Künstler gilt, muss auch zu deinem Credo werden: Nicht nur dein Werk, auch du musst interessant sein!

Das Aussehen ist nur der erste Schritt auf dem Weg zu deiner Transformation. Dein gesamtes Wesen muss speziell werden. Wenn dich zum Beispiel jemand fragt, wie du etwas findest, dann ist es entweder ,kongenial!‘ oder ,ganz und gar fürchterlich!‘. Schattierung dazwischen gibt es fortan für dich nicht.

Exzentrik wird ein Muss! Lege dir am besten ein paar fesche Marotten zu. In dieser Disziplin bleibt Oscar Wilde an Originalität wohl unübertroffen: So pflegte er in den Straßen des damaligen Londons ausgiebig Gassi zu gehen—mit seinem Hummer.

Foto Wilde: Napoleon Sarony | Wikimedia commons; Foto Hummer: darly_mitchell | Flickr | CC BY-SA 2.0

Eine gesunde Portion Größenwahn kann übrigens auch nicht schaden. Das fördert die Exzentrik und gibt jedem Menschen das gewisse Etwas. Henry James zum Beispiel hat seine Sterbebriefe mit „Napoleone“ unterzeichnet, Nietzsche signierte häufig mit „Nietzsche Cäsar“. Selbiger hat auch zwei Kapitel seiner Biographie wie folgt betitelt: „Warum ich so klug bin“ und „Warum ich so gute Bücher schreibe“. In diesem Sinne: Go for it! Bescheidenheit ist das Laster kleiner Leute. Apropos ,Kleine Leute’!

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Werde zum Misanthrop

Für einen Künstler ziemt es sich nicht, seine Anwesenheit mit der Durchschnittsware Mensch zu teilen. „Man möchte zuweilen ein Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen“, schrieb Cioran. Und wenn du dich doch mit Menschen umgeben solltest, dann nur mit denen, die tief im Leben gesunken bzw. noch nie aufgestiegen sind, oder mit jenen ganz dort oben. Dazwischen sind sie alle gleich und tragen nichts zu deiner Besonderheit bei.

Man erzählt sich, Baudelaire waren Menschen derart zuwider, dass er selbst auf die wenigen Annehmlichkeiten zu verzichten wusste, die sonst alle für ausgemacht halten—Sex: „Ficken, das heißt danach streben, in einen anderen einzudringen; der Künstler hingegen geht niemals aus sich selbst heraus.“ Sartre ließ sich darauf zu folgendem Kommentar hinreißen: „Die Wollust, die Baudelaire verspürt hat, hat kein äußeres Ereignis ausgelöst, er hat nichts gegeben, er hat einen Eisblock gevögelt.“

Ghostwriter

Foto: Soumyadeep Pau | Flickr | CC BY 2.0

Natürlich hilft all das ganze Gehabe um dein Buch herum nur wenig, wenn du noch überhaupt kein Buch geschrieben hast. Die einfachste Lösung hierfür ist der Ghostwriter. Das sind meistens Typen so um die 40, die nach 35 Semestern schließlich ihren Magister in Russischer Philologie, Theoretischer Physik, Philosophie und Empirischen Kulturwissenschaften abgeschlossen haben, und dir für ‘nen Zehner eine Bachelorarbeit in Medienwissenschaft, für ‘nen Tausender eine Doktorarbeit in Komparatistik und für zweitausend einen vollwertigen Roman schreiben. Und wenn du ihnen die Erstausgabe von Bulgakows Der Meister und Margarita noch oben drauflegst, ist dir der Georg-Bücher-Preis nicht mehr zu nehmen.

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Nun kann es aber sein, dass du tatsächlich zu den wenigen Menschen gehörst, die über ein Gewissen verfügen und demnach aus eigener Kraft ein Buch, ja am besten einen ganzen Roman, schreiben wollen. In diesem Fall können wir auch dir mit ein paar Ratschlägen dienen:

Bombastisches Cover & Buchtitel

Viele Leser wissen häufig gar nicht, was sie lesen wollen. Stattdessen gehen sie in Buchhandlungen, lassen sich beraten oder stöbern auf eigene Faust durch die Büchertische. Hier musst du zuschlagen! Dein Buchcover muss sich aus der Masse hervorheben. Verwende Signalfarben, nackte Körperteile, große und leserliche Druckbuchstaben und fahre mit einem originellen Titel auf. Mit Schatten der Nacht, Das weiße Sterben oder Schicksal als Chance kannst du nicht mal eine 90-jährige Rentnerin von ihrem Rollator hevorlocken. Hier noch zwei kongeniale Vorschläge, wie es richtig geht:

Der erste Satz / Die erste Seite

Beim Stöbern und dem sogenannten ,Reinlesen‘ schauen ausnahmslos alle in die erste Seite eines Buches rein. Auch hier musst du die Leute packen! Glänze auf den ersten paar Seiten—sie entscheiden, ob der Leser dein Buch kauft oder nicht. Ab Seite fünf ist es dann scheißegal, was du schreibst. Das fällt—wenn überhaupt—erst zu Hause auf, und dann ist es zu spät.

Wichtig also ist, dass du bereits mit den ersten Sätzen eine Szenerie erschaffen kannst, in die sich der Leser sofort reinfühlen kann. Ein Meister solcher Verdichtung war Bukowski. Lies einige seiner Gedicht—jedes vierte gäbe einen ebenso perfekten Einstiegssatz für Romane oder Kurzgeschichten ab. Ein Beispiel ist Wie ein Kirschkern im Hals:

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Skalpiert vom grellen
Flutlicht
stürzt das Pferd
Nr.4 und schleudert
seinen Jockey, die
ganzen 51 Kilo,
zwischen die Hufe
vor 35 000 Augen.

Gute Nacht, du
schnuckeliger kleiner
Motherfucker.

Provoziere und klaue, was das Zeug hält!

Foto: Rama | Wikimedia commons | CC BY-SA 2.0 FR

Egal, was du zu erzählen hast, versuche zu schocken! Umso schlechter du schreibst, desto mehr musst du mit Obszönitäten um dich werfen. Das lenkt ab. Schocker kommen immer gut. Charlotte Roche hat es so auf zwei Kinoverfilmungen gebracht. Allein der Titel ihres Erstlingswerkes Feuchtgebiete. Chapeau!

Und was die kreative Eigenleistung anbetrifft: Schiller hat für seine Räuber von Shakespeares König Lear geklaut, Hunderte klauten von Schiller, Helene Hegemann hat von Airen abgeschrieben, warum sollst auch du nicht klauen? Vergiss dein Gewissen. Du hast bereits auf einen Ghostwriter verzichtet, das allein ist schon ein Triumph.

Strebe den multimedialen Overload an

Foto: Keoni Cabral | Flickr | CC BY 2.0

Bloß eine Geschichte schreiben und sie bestenfalls noch als Hörbuch rausbringen, ist 90er. Spätestens auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse wirst du sehen, wie die verunsicherten Autoren und Verlage das Medium Buch neu erfinden wollen. Apps, Handy- und Computerspiele soll es zu Romanen geben, und wem das nicht reicht, der kann es wie James Frey machen und die Interaktion mit seinen Lesern auf die Spitze treiben. Frey hat in sein neuestes Werk Endgame Hinweise versteckt, mit denen du einen tatsächlich vom Verlag vergrabenen Goldschatz im Wert von einer halben Million Doller finden kannst. Das Buch als Gewinnspiel sozusagen.

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Solltest du aber gerade mal keine halbe Million auf Tasche haben, kannst du diverse andere Dinge als Preis ausschreiben. Deinen Körper zum Beispiel, getragene Unterwäsche…, die Möglichkeiten sind nahezu grenzenlos

Drogen

Sartre hat auf Amphetamin geschrieben, Ginsberg und Burroughs haben sich zeitweise nur von Drogen ernährt und ohne den guten, alten Alkohol wäre wohl ein Drittel der Weltliteratur überhaupt nicht erst entstanden. Drogen können dich erst in eine richtige Stimmung bringen oder dir Einfälle bereiten, auf die du ohne niemals gekommen wärst. Doch Obacht: Ein schönes Korsakow-Syndrom, weil du dir dein Frontalhirn weggesoffen hast, kann deine literarischen Ambitionen durchaus etwas bremsen.

Das Finale: Werde zum Mythos!

Foto: Peter Hastie | Flickr | CC BY 2.0

Ist dein Werk erst mal veröffentlicht und werden die Leute darauf aufmerksam, mache es wie Thomas Pynchon oder J.D. Salinger und versuche, vom Erdboden zu verschwinden. Gib keine Interviews, streu stattdessen ein paar falsche Gerüchte in die Welt—zum Beispiel, dass du dich von der Literatur zurückgezogen hast, um fortan in den norwegischen Wäldern mit Wölfen zu leben, oder dass du seit einem Faustkampf mit einem französischen Matrosen am Amsterdamer Hafen an Amnesie leidest. Grund des Streits war deine Aussage, dass Voltaire bzw. François-Marie Arouet—wie du ihn nämlich zu nennen pflegst—„ganz und gar fürchterlich sei!“

Solltest du nun tatsächlich einer dieser wenigen, armen Teufel sein, die es ernst mit der Literatur meinen und die sich hier wirklich nutzvolle Tipps zum Schreiben erhofft haben, dann tut es uns wahnsinnig Leid, dich zu enttäuschen. Denn letzten Endes können wir dir nicht mehr erzählen, als du ohnehin schon weißt: Lese viel, schreibe viel. Der Rest kommt von alleine.

Außerdem hat Henry Chinaski, dieser phantastische Schwerenöter, die Essenz des Schreiben besser als jeder andere auf den Punkt gebracht:

„Wenn du's versuchen willst, geh’ bis zum Ende oder fang gar nicht erst an. Kann sein, du verlierst die Freundin, die Frau, Verwandte, Jobs—und vielleicht den Verstand. Kann sein, du isst nichts tagelang, kann sein, du frierst auf einer Parkbank. Kann sein: Gefängnis. Kann sein: Verachtung. Kann sein: Spott, Isolation. Isolation ist die Belohnung. Alles andere ist eine Belastungsprobe für deinen Willen, das durchzustehen. Und du wirst es durchstehen, trotz der Ablehnung und trotz aller Widrigkeiten. Und es wird besser sein als alles, was du dir vorstellen kannst. Nichts anderes kommt dem gleich. Du wirst allein sein mit den Göttern. Und die Nächte werden in Flammen stehen.