Menschen

So retten polnische Migranten das Partyleben in der Provinz

Tagsüber schuften sie auf den Obstplantagen, nachts lassen sie es im niederländischen "Shuffle" krachen. Wir waren einen Abend lang dabei.
Lisa Lotens
Amsterdam, NL
Polnische Arbeitsmigranten feiern in einem niederländischen Club
Alle Fotos: Roos Pierson

Er ist wie ein Fels in der Partybrandung: Seit zwei Jahren legt Mateusz jedes Wochenende im Club "The Shuffle" in Horst, einer Kleinstadt in den Niederlanden, auf. Hunderte Arbeitsimmigranten aus Osteuropa treffen sich hier regelmäßig, um richtig Gas zu geben. Unter der Woche arbeiten rund 30.000 von ihnen auf den Obstplantagen, in den Gewächshäusern und in den Lagerhallen im Norden Limburgs sowie im Ruhrpott. Am Wochenende geht es dann zum Feiern ab ins niederländische Hinterland.

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Immer weniger Niederländerinnen und Niederländer wollen jedes Wochenende im selben Club feiern. Sie bleiben lieber zu Hause und schauen Netflix, veranstalten Dinner-Partys oder gehen auf Festivals. Deswegen mussten sich die kleinen Dorfdiscos neu erfinden. Vor allem in Brabant und Limburg, zwei der südlichen Provinzen der Niederlande, locken Clubs deshalb die polnische Community an, indem sie einmal pro Woche eine Party speziell für sie veranstalten. Zusammen mit dem Fotografen Roos Pierson mache ich mich an einem Samstagabend auf ins Shuffle. Wie hart feiern die jungen Polinnen und Polen hier?

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Von links nach rechts: Ola, Magda, Mateusz, die Autorin und Aron

Der Abend beginnt in der Wohnung von Aron in Hegelsom, einer Kleinstadt in der Nähe von Horst. Er wird heute Abend auflegen und glüht mit seinem DJ-Kumpel Mateusz und seinen Freundinnen Magda, Ola und Ela vor. Ela hat selbstgemachten Wodka und einen traditionellen Schokokuchen mitgebracht.

Aron macht einen Song von Akcent an, einem der größten polnischen Popstars. Mateusz erzählt, dass im Club normalerweise "Disco Polo" laufe, quasi die polnische Version von EDM. Manchmal legen er und Mateusz aber auch niederländische Dance-Tracks auf, weil der es wichtig finde, die beiden Kulturen zusammenzubringen.


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Mateusz ist in einem Dorf nahe Lublin im Osten Polens aufgewachsen. Dort legte er regelmäßig in einem Club auf und arbeitete unter der Woche als LKW-Fahrer. Vor zwei Jahren zog er nach Hegelsom. Aber warum hat er sich gerade für diese langweilige Kleinstadt entschieden? "Ich bin des Geldes wegen hier", sagt er.

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Die Autorin und ihre neuen polnischen Trinkkumpanen

Die Arbeitsimmigranten kämen meistens aus den ländlichen Gegenden im Südosten Polens, sagt Aron, und reicht ein paar Flaschen Bier herum. "Dort verdienen sie im Monat durchschnittlich 400 bis 500 Euro. Oft haben sie zwei Jobs, um überhaupt über die Runden zu kommen." Hier in den Niederlanden verdienten sie mit der gleichen Arbeit in Lagerhäusern oder auf Farmen plötzlich 1.000 Euro – für sie ein Vermögen.

Ich frage Mateusz, was wir vom Rest des Abends erwarten könnten. Stolz erklärt er uns, dass Polen und Polinnen schon um 22 Uhr auf die Tanzfläche stürmten. Außerdem stünden sie auf typische Gesellschaftstänze, weil sie damit aufgewachsen sind. Fistpumps seien dennoch immer mit dabei. Und Drogen? "Nein", antwortet Aron. "OK, vielleicht ein bisschen Koks."

Der größte Unterschied zu den Einheimischen bestehe darin, dass die zuerst nur mit einem Bier in der Hand an der Seite rumstehen. "Die polnischen Gäste sind normalerweise schon betrunken, wenn sie in den Club kommen, und lassen es deshalb sofort richtig krachen."

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Das Shuffle in Horst

Gegen 21 Uhr setzen wir uns ins Auto und fahren zum Club. Ein Poster mit einer attraktiven Frau und den Namen der heutigen DJs bewirbt direkt neben dem Eingang die "Polska Dyskotheka". Drinnen erinnert die Location an den Gemeinschaftsraum eines Schullandheims aus den 90er Jahren – dort, wo man damals seinen ersten Kuss hatte, während "Summer Jam" im Hintergrund lief. Allerdings hängen hier polnische und niederländische Landkarten, die Wände sind mit Flaggen der Länder bemalt, selbst die Plastikstühle im abgetrennten Raucherbereich sind in den Landesfarben Rot, Weiß und Blau gehalten.

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22 Uhr, die erste Welle der Partywütigen hat sich über die Tanzfläche ergossen. Sie tanzen Foxtrott zu Hardwell, dann Walzer zu stampfenden EDM-Remixen. Die jüngsten Gäste sind um die 18 Jahre alt, die ältesten kratzen an der 60. Auf dem DJ-Pult geben Aron und Mateusz alles.

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DJ Aron

Hans ist der Besitzer des Shuffles und steht auch mit 61 Jahren immer noch hinter der Kasse, an der man den Eintritt bezahlt und Getränkemarken kauft. "1995 haben wir mit den Partys für junge Leute angefangen", sagt er. "Das kam super an, an manchen Abenden hatten wir bis zu tausend Gäste hier drin. Ab 2005 war diese Art der Party aber immer weniger angesagt, es kamen immer weniger Leute." Also musste sich Hans etwas Neues einfallen lassen. Zum Glück wusste er, dass die polnische Community einen Großteil der Arbeiterschaft mit Migrationshintergrund ausmacht und gerne feiert. "Polen gehört seit 2004 zur EU, seit 2007 dürfen polnische Staatsbürger und -bürgerinnen hier arbeiten. Also habe ich Partys extra für sie organisiert – inklusive polnischen Angestellten. Das lief super." Heute stammt der Großteil seiner Belegschaft aus Polen. Hans zufolge bestehe der größte Unterschied zwischen den Polen und Niederländern darin, dass es den Osteuropäern egal ist, jedes Wochenende in dieselbe Disco zu gehen.

Die Horsterinnen und Horster sind allerdings weniger begeistert von den neuen Partygästen, es gab schon einige Beschwerden. "Ist mir egal, was Horst denkt", sagt Hans. "In Limburg gibt es nicht genügend Menschen. Jeder fünften Firma fehlt es an Angestellten. In Süd- und Osteuropa finden viele Leute hingegen keine Arbeit und kommen deswegen hierher. Samstagabend ist im Shuffle immer super Stimmung. Menschen verlieben sich hier, heiraten irgendwann und haben Spaß."

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Einige von Mateusz' polnischen Freunden sind heute Abend sogar extra aus Deutschland nach Horst gekommen, um ihn auflegen zu sehen. Eine von ihnen ist Ewa. Sie sagt, dass das Arbeiten in Polen sehr stressig sei, weil man dort quasi nichts Anderes mache. "Die Niederländer sind ruhiger", sagt sie. "Sie verdienen ja auch genug Geld, um nicht ständig arbeiten zu müssen." Isa, Leiterin einer Kindertagesstätte, stimmt dem zu: "Die Leute in Polen sind gestresst, weil sie kein Geld haben. In den Niederlanden denkt man an die Zukunft, in Polen nur an die Gegenwart." Ich frage Ewa, wie ich mir eine Party in Polen vorzustellen habe – vor allem im Vergleich zur niederländischen Version. "In Polen gibt es ganz viel Wodka", antwortet sie lachend. "Hier in dieser Disco geht es viel ruhiger zu."

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Wenn man bedenkt, dass sich hier gerade 300 Menschen unter dem Einfluss von rauen Schnapsmengen auf der Tanzfläche verausgaben, müssen Partys in Polen wirklich ziemlich verrückt sein.

Im Raucherbereich finde ich allerdings zwei Polen, denen die Partys hier besser gefallen als zu Hause: "Hier ist es besser, weil ich gerne kiffe", antwortet derjenige von beiden, der noch ganze Sätze rausbringt.

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Später in der Nacht verirren sich noch ein paar Niederländer ins Shuffle. Wie sich herausstellt, haben sie früher mal in dem Club gearbeitet und feiern jetzt ein kleines Wiedersehen. Einer von ihnen erzählt, dass es in den Anfangsjahren manchmal noch zu Schlägereien kam – vor allem dann, wenn türkische Gäste auf polnische Frauen aus waren. "Das hat die polnischen Typen rasend gemacht. Die Security-Mitarbeiter haben dann Tränengas eingesetzt, um sie raus auf die Straße zu bekommen." Solche Aggressionen scheinen jedoch der Vergangenheit anzugehören.

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Gegen 2 Uhr torkeln die letzten Gäste sternhagelvoll über die nassen Fliesen der Tanzfläche. Den DJs ist das offensichtlich egal, sie ballern weiter ein Lied nach dem anderen.

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Im Shuffle wird auch klassisch getanzt

"Moment, ein Lied muss ich noch spielen!", ruft Aron, als ich versuche, mich zu verabschieden. Magda und Ola springen immer noch wie wild durch den Club. Elas Schicht hinter der Bar ist fast vorbei. Ich gehe nach draußen und beobachte zwei Betrunkene dabei, wie sie einen dritten nach Hause tragen.

Den polnischen Migranten ist egal, dass sich das Shuffle seit den 90er Jahren kein Stück verändert hat. Mit dem Extrageld, das sie in den Niederlanden verdienen, können sie Samstagabend richtig ausrasten und Sonntags dann ganz wehleidig ihren Kater auskurieren. Das ist weder typisch polnisch noch typisch niederländisch. Das ist einfach etwas, das jedem jungen Menschen möglich sein sollte.

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