LGBTQ

Meine Homosexualität ist keine Phase

"Hast du es schon einmal mit einer Frau versucht?" Ich kann diese Frage nicht mehr hören. Hier beantworte ich sie zum allerletzten Mal.
Ein schwules Paar umarmt sich
Symbolfoto: imago | Westend61 | bearbeitet

Ein verregneter Sonntag. Ich gehe mit meiner Freundin Franzi spazieren. Sie erzählt von einem Date, dem neuen Typen und davon, wie der Sex ist. Dann bin ich dran: "Und bei dir? Gibt's da gerade jemanden?" Nein, es gibt niemanden, sage ich. Und dann: "Wie ist das eigentlich, schwul zu sein? Hast du es schon einmal mit einer Frau probiert?"

Ich höre diese Frage ständig: Hast du es schon mal mit einer Frau versucht? Ich antworte hier jetzt ein letztes Mal. Für meine Freunde, meine Verwandten, für die Welt: Über ein paar Küsse, betrunken, als Teenager ging es nie hinaus.

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Ich dachte, ich müsse es versuchen: so wie die anderen Jungs sein und bei Mädchen landen. Ich mühte mir einen ab, aber ob nun mein geringes Interesse oder meine mangelnde Motivation der Grund waren, was auf dasselbe hinausläuft, ich hatte wenig Erfolg. Mit 15 gestand ich mir endlich ein, dass ich schwul bin. Frauen interessierten mich nicht, Männer umso mehr. Das Coming-out folgte direkt auf die Erkenntnis. Erst bei Freunden, dann bei den Eltern. Lief alles mehr oder weniger gut. Aber bis heute vergeht selten ein Tag, und ich bin mittlerweile 25 Jahre alt, an dem ich mich nicht immer und immer wieder outen muss.


Aus dem VICE-Netzwerk: Summer of Love: BBZ


Egal ob Kollegen oder Sportfreunde oder Interviewpartner. Egal wer, egal wann. Das heteronormative Gedankengut schlägt mir ständig entgegen. Als sei das die Lösung für das vermeintliche Problem, das sich "Homosexualität" nennt: es mal mit einer Frau versuchen. Ich möchte den anderen, den Normies, gar keine Homofeindlichkeit unterstellen. Ich glaube jedoch, dass sie so sehr in ihrer Hetero-Bubble gefangen sind, dass sie sich gar nicht vorstellen können, dass es auch andere Nuancen von Sexualität gibt. Homosexualität ist für sie oft etwas "Besonderes", einige kennen es nur vom Hörensagen.

Ihr werdet nicht darüber definiert, wen ihr liebt – ich schon

Vor knapp 25 Jahren war Homosexualität aber noch mehr, homosexuell zu sein war eine Straftat. Nach Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuches, wurden sexuelle Handlungen zwischen Männern mit Gefängnis bestraft. 1994 wurde der Paragraph zwar abgeschafft, allerdings heißt das nicht, dass Homosexualität seither per se akzeptiert wird.

In den USA und auch in Deutschland und Österreich zum Beispiel gibt es sogenannte "Schwulenheiler" und "Umerziehungscamps". Sie versprechen Homosexuellen eine vermeintliche Heilung ihrer sogenannten "Krankheit", teils mit drastischen Methoden, wie der Film Der verlorene Sohn aktuell im Kino zeigt. Jegliches sexuelle Verlangen wird mit Scham und Schmerz quittiert.

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Gesundheitsminister Jens Spahn möchte die von vermeintlichen "Heilern" angebotenen sogenannten Konversionstherapien jetzt verbieten. Ein liberales Zeichen eines CDU-Politikers, möchte man meinen. Auf der anderen Seite steht jedoch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die die Homoehe mit Inzucht vergleicht und über das dritte Geschlecht witzelt. Da ist der homosexuelle Spahn auf der einen Seite, der nicht möchte, dass seine Sexualität als abnormal behandelt wird, und auf der anderen steht AKK, die genau das tut. Ein Sinnbild dafür, in welchem Zwiespalt sich unsere Gesellschaft befindet, wenn es um das Thema Homosexualität geht. Geht es dabei nur um Unwissenheit?

"Hast du es schon mal mit einer Frau versucht?", fragt meine Freundin. Wie soll ich darauf reagieren? "Nee, du?"

Zurück zu Franzi: Hast du es schon mal mit einer Frau versucht? Wie soll ich darauf reagieren? Ich drehe den Spieß um und frage Franzi: "Nee, du?" Sie schaut etwas verdutzt, bevor sie lacht. "Nee, noch nicht. Ich weiß aber, was du meinst."

Die meisten Heterosexuellen mussten ihre Sexualität nie in Frage stellen, da der Großteil der Gesellschaft nun mal heterosexuell ist. Homosexuellen geht es anders. Unsere Sexualität wird immer wieder in Frage gestellt, wir werden dafür angefeindet. Als schwuler Mann wird meine Sexualität instrumentalisiert und gegen mich verwendet. Kein Wunder also, dass ich teils sehr sensibel reagiere, wenn mir unsensible Fragen zu dem Thema gestellt werden. Meine heterosexuellen Freunde verstehen ihre Sexualität als kleinen Teil ihrer Identität – ich werde über sie definiert. Die Art und Weise, wie ich liebe, wird von der Welt zum prägnantesten Teil meiner Existenz erkoren. Meine Mitmenschen definieren mich über sie, auch wenn ich das nicht immer möchte.

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Homosexualität soll genetisch bedingt sein? Dann habe ich keine Wahl.

In der Zeit erschien 2013 einen Artikel über den vermeintlichen Grund von Homosexualität. So sei in beiden Geschlechtern "etwa acht Prozent der Menschen nicht eindeutig heterosexuell orientiert, und mindestens einer von fünfzig ist strikt schwul oder lesbisch". Dafür verantwortlich ist die genetische Steuerung der Eltern, die dafür sorgt, dass Söhne, wie die Mütter, Männer anziehend finden und Töchter, so wie die Väter, auf Frauen stehen. Soweit eine von vielen Theorien, die logisch klingt, aber nicht unbedingt gut belegt ist.

Homosexualität sei also genetisch bedingt. Man hat keine Wahl. Daran kann auch keine Vagina, kein Umerziehungscamp und kein Homoheiler dieser Welt etwas ändern. Schwul bleibt schwul – und das ist gut so. Ich bin zwar kein Wissenschaftler und die genaue Herkunft meiner Sexualität wurde noch nicht genau erforscht, ich kann jedoch sagen, wie es sich anfühlt. Und dieses Gefühl sagt mir: Ich habe keine Wahl. Ich habe mir meine Sexualität nicht ausgesucht und ich muss sie akzeptieren.

Homosexualität ist wohl genetisch bedingt. Man hat keine Wahl. Daran kann auch keine Vagina, kein Umerziehungscamp und kein Homoheiler dieser Welt etwas ändern: Schwul bleibt schwul.

Nichts weniger als das wünsche ich mir von euch. Denn so, wie der amerikanische Psychologe und Autor Alan Downs es schreibt, bedingt als homosexueller Mensch in einer heterosexuellen Gesellschaft aufzuwachsen automatisch, dass man annimmt, etwas stimme nicht mit einem. Daraus resultieren Scham und Selbsthass als Zeichen tiefster Verunsicherung. Gefühle, mit denen keiner von uns leben will, oder müssen sollte. Dass es allerdings vermeintliche Homoheiler gibt, stützen diese These. Wo es ein Angebot gibt, muss auch Nachfrage herrschen.

Die Frage, ob "Mann" es schon mal mit einer Frau versucht hat, impliziert, dass da etwas nicht richtig ist, man sich anpassen müsse, es nur noch mal versuchen müsse. Das ist aber falsch. Die Richtigkeit von Heterosexualität wurde noch nie in Frage gestellt, Homosexualität hingegen viel zu lang. Ich verstehe gar nicht, wo eigentlich das Problem ist. Wieso ist es so schwer, einfach zu akzeptieren? Das Interesse an meiner Sexualität ist ja nicht das Problem. Frag mich ruhig, wenn dich etwas interessiert. Frag mich, mit wem ich zusammen bin, frag mich, ob der Sex gut oder schlecht ist. Aber es muss aufhören, dass angenommen wird, dass man sich dazu entscheidet, homosexuell zu sein. Das habe ich nicht getan und das tut auch kein anderer Homosexueller. Ich bin schwul, weil ich es bin.

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