Ein Syrer auf der Großdemo gegen Schwarz-Blau
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Flüchtling

Geflüchtete auf der Großdemo gegen die Regierung erzählen, wie Schwarz-Blau ihr Leben verändert hat

"Ich bin vor drei Jahren nach Österreich geflohen und habe mich noch nie so unwohl gefühlt wie im letzten Jahr. Ich lebe in einem Land, dessen Regierung offensichtlich gegen mich ist." – Raed, 25

Klirrende Kälte, Wind und Schnee: Nicht die besten Voraussetzungen für eine Demo. Das Wetter hält rund 17.000 Menschen – laut Info der LPD Wien – aber nicht davon ab, Samstagnachmittag gegen die Regierung zu demonstrieren. Bunte Transparente mit Sprüchen wie "Kopftuch-Verbot ist Rassismus, oida" oder "Wir lassen uns die Zukunft nicht klauen!" ragen in die Luft, aus einem der Demo-Autos dröhnt laut die Antifa-Hymne "Bella Ciao". Eine Gruppe junger Demonstrierender tanzt zu Techno, andere rufen: "Anti-Basti, Anti-Strache, Anti-Kickl". Omas gegen Rechts auf der einen, #wirsindali auf der anderen Seite: Sie alle demonstrieren friedlich gegen das erste Jubiläum von Schwarz-Blau.

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Vizekanzler Heinz-Christian Strache nennt die Großdemo gegen Schwarz-Blau eine "Riesensauerei", Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon findet, ernsthafte Gründe für die Demo gäbe es nicht, und der Handelsverbandsgeschäftsführer Rainer Will spricht in einer Aussendung von einem "Amazon-Förderungsprogramm" und kritisiert den Zeitpunkt – eine Woche vor Weihnachten – der Großdemo.

Die politische Entwicklung in Österreich trifft vor allem marginalisierte Gruppen, zu denen auch geflüchtete Menschen gehören. Und die sehen das anders als Strache, Salomon oder Will. VICE hat mit fünf Geflüchteten darüber gesprochen, was sich seit Schwarz-Blau in ihrem Leben verändert hat.

Milad*, 35, aus Syrien

Mann mit Schild gegen Nazis

"Seit Schwarz-Blau hat sich die öffentliche Meinung über Geflüchtete verändert und das merkt man vor allem im Alltag. Österreicher setzen sich zum Beispiel in der U-Bahn von mir weg. Im Café schauen mich Leute böse an. Als ich vor drei Jahren nach Österreich gekommen bin, war die Stimmung anders. Natürlich gab es auch früher Rassisten, aber die haben sich nicht getraut, so offen über Migranten und Flüchtlinge zu schimpfen. Die Regierung hat Rassismus gesellschaftstauglich gemacht. Ich habe das Gefühl, dass sich viel mehr Menschen aktiv gegen Flüchtlinge aussprechen. Außerdem müssen Geflüchtete jetzt Deutsch auf B1-Level können, um die volle Mindestsicherung zu erhalten. Davon bin ich nicht betroffen, aber viele meiner Freunde. Gleichzeitig streicht die Regierung Programme, die bei der Integration helfen. Vielen Kulturvereinen wurden die Mittel gekürzt. Die Regierung erschwert uns ganz bewusst, Teil der Gesellschaft zu werden."

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Raed, 25, aus Syrien

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"Immer mehr Menschen sind gegen Geflüchtete und große Schuld daran trägt die jetzige Regierung – das ist mein Gefühl. Angefangen von dem Ausgehverbot, von dem Vizekanzler Strache am Freitag gesprochen hat, bis hin zu dem rassistischen 'Ali und Mustafa'-Video zum Thema Sozialversicherungsbetrug. Medien springen auf die Hetze an und schreiben eine Negativschlagzeile nach der anderen. Viele Freundinnen von mir, die ein Kopftuch tragen, haben Angst vor Übergriffen auf der Straße. Außerdem hat sich die Job- und Ausbildungssituation für viele verschlimmert. Ich habe das Glück, Pharmazie zu studieren und in einer Apotheke arbeiten zu können. Aber viele aus meinem Umfeld bekommen keine Chance. Ich bin vor drei Jahren nach Österreich geflohen und habe mich noch nie so unwohl gefühlt wie im letzten Jahr. Ich lebe in einem Land lebt, dessen Regierung offensichtlich gegen mich ist."

Lafid*, 22, aus Syrien

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"Ich suche seit einem Jahr einen Job. Egal wie sehr ich mich bemühe, keiner möchte mich anstellen – dabei würde ich wirklich alles machen. Das hat ganz sicher mit der politischen Stimmung im Land zu tun. Ich finde auch keine Freunde außerhalb der syrischen Community. Sobald Österreicher erfahren, dass ich Syrer bin, wollen sie nichts mit mir zu tun haben. Ich fühle mich in diesem Land nicht mehr willkommen. Das ist schon ziemlich hart. Ich habe Angst vor der Zukunft. Was, wenn ich zurück nach Syrien geschickt werde? Ich habe zwar einen positiven Asylbescheid, aber das heißt nicht, dass sich die politische Stimmung nicht verschlimmern wird."

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Alan, 23, aus Syrien

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"Ich empfinde Österreich nicht mehr als meine Heimat und mache mir große Sorgen um die politische Entwicklung. Der Schwerpunkt der Regierung liegt bei uns Flüchtlingen. Sie machen die Situation mit ihrer Angstmacherei immer schlimmer und schlimmer. Medien und Politik gehen Hand in Hand, so entsteht das Bild des "bösen Fremden", der gefährlich für Österreich ist. Ich habe zurzeit nur das A1-Level in Deutsch fertig, ich bekomme weniger finanzielle Unterstützung. Ich arbeite zwar Teilzeit, aber mein Gehalt macht weniger aus als die Mindestsicherung. Am Ende des Monats bleibt mir kaum Geld übrig und ich weiß nicht, wie das auf Dauer weitergehen soll."

Walid, 35, aus Syrien

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"Die Regierung fährt ein rassistisches Programm und hetzt ganz bewusst gegen Migranten und Geflüchtete. Ich bin vor vier Jahren aus Syrien geflohen – als ich in Österreich angekommen bin, habe ich mich sicher gefühlt. Das ist jetzt nicht mehr so. Schwarz-Blau erschwert die Integration von Geflüchteten bewusst. Sie kürzen Deutschkurse und ich frage mich: Wie sollen wir uns integrieren, wenn man uns das Erlernen der Sprache erschwert? Sie wollen Asylwerbern verbieten, dass sie eine Lehre machen. Gleichzeitig fordern sie, dass wir arbeiten gehen. Sie schüren Angst in der Gesellschaft und wundern sich dann, dass wir keinen Anschluss finden. Das alles macht keinen Sinn. Schwarz-Blau betreibt außerdem Politik für Reiche und gegen Arme. Ich mache mir große Sorgen, wie sich Österreich politisch entwickeln wird – nicht nur als Flüchtling auch als Mitglied der Gesellschaft. Und ja, ich sehe mich als Teil Österreichs, auch wenn das Schwarz-Blau anders empfindet."

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*Wir haben die Namen auf Wunsch der Gesprächspartner geändert