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Gefährliche Männlichkeit

Sich nicht umbringen: Eine Anleitung für Männer in 10 Schritten

Männer sind in Österreich dreimal so suizidgefährdet wie Frauen. Wir erklären dir, wie du als Mann vermeiden kannst, einer davon zu werden.

Beginnen wir mit etwas Erfreulichem: Die Selbstmordrate in Österreich sinkt seit 1986 stetig. Allerdings: Der Rückgang war mit rund 48 Prozent bei den Frauen deutlich stärker als bei den Männern, wo er nur bei 34,5 Prozent liegt. Die Zahlen aus der Suizidforschung in Österreich erzählen eine Geschichte. Einerseits die von vielen Einzelschicksalen. Andererseits auch davon, wie wir uns das Leben vorstellen und wo wir damit scheitern. Wir haben ExpertInnen befragt, woran das liegt—und was man dagegen tun kann.

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Dinge, die einem bei Spielstart keiner sagt: Das Leben hält für dich garantiert Tiefschläge bereit. Menschen, die du liebst, werden sterben. Jobs werden sich vertschüssen, das Geld auch, Beziehungen werden zerbröseln und eine Depression könnte dir irgendwann mal das Leben schwermachen.

Da hilft dann nur eins: Darüber reden. Sich helfen lassen. Ratet mal, wem da sein überholtes Rollenbild am meisten im Weg steht. Männern oder Frauen? Wie sagt Dr. Claudius Stein, Leiter des Kriseninterventionszentrums: "Es wäre wichtig, dass es gesellschaftliches Thema ist, wie Männer glauben, sich verhalten zu müssen".

Wenn Männer glauben, sie müssen mit ihren Problemen alleine fertig werden, klappe das—wenig überraschend—nämlich nicht wirklich. Die Genderforscherin Dr.in Elisabeth Ponocny-Seliger erklärt es so: "Bei vielen Frauen bleibt es beim Versuch—einfach, weil die sozialen Netze so eng sind, dass Frauen eher aufgefangen werden. Sie haben auch mehr soziale Kontakte und ein anderes Selbstverständnis, über Dinge zu reden und Hilfe zu suchen." Hier also 10-Punke-Programm, damit unsere Vorstellung von Männlichkeit nicht wortwörtlich tödlich endet.

1. Macho sein ist ungesund

Clint Eastwood und Jason Statham sind nur im Kino deine Freunde. Der wortkarge, starke Held, der seine Gefühle im Griff hat und notfalls die Situation mit Gewalt rettet, kommt erstens im echten Leben als völliges Arschloch rüber und hat's zweitens auch medizinisch nicht leicht: Er ist ab zirka 35 voll verspannt, hat Rückenschmerzen, Herz-Kreislaufprobleme, hohen Blutdruck und stirbt dann ein paar Jahre früher als alle anderen—auch wegen seines Sucht- und Risikoverhaltens. Gewalt bedeutet nämlich auch für den Täter permanenten Stresszustand.

2. Die Depression lügt

"Du hast voll versagt", "Niemand mag dich", "Du schaffst das nie". Die eigene Stimme aus dem Off, ihr kennt das. Würden Menschen, die du magst, so mit dir reden, wie dein Über-Ich, hättest du ihnen schon längst die Freundschaft gekündigt. Was also tun mit dem inneren Arschloch, zumal, wenn es sich im Kopf anfühlt wie in einem Schraubstock? Bei Suizid spielt die gefühlte Krise eine größere Rolle als die echte. Was uns zum nächsten Punkt bringt.

3. Rede darüber

Gib es zu: Du hast auch über Fight Club gesprochen. Also sprich darüber, wie's dir geht. Rede mit dem Gemüsehändler, rede mit der Arbeitskollegin, rede mit Freunden, rede mit der Familie, rede mit deinem Haustier, rede mit Profis. Such dir Rat und eine andere Meinung. Heul dich aus. Und wenn dir Leute erklären, ein Mann, der über seine Gefühle spricht, ist ein Weichei, such dir auch gleich neue Freunde. Und dann rede mit denen.

4. Geh verdammt nochmal zu einer Fachperson

Um es mit Dr.in Elisabeth Ponocny-Seliger zu sagen: "Wenn du dir beim Schifahren ein Bein brichst, sagst du auch nicht, das wird schon wieder." Du merkst, dass dein inneres Auge nur mehr dunkelgrau bis schwarz sieht? Klar, du willst das selber lösen. Aber schneidest du dir auch selber die Haare, wenn du weißt, du kannst das nicht? Sicher nicht. Also—ab zu den Profis. Links findest du unten.

5. Such dir echte Freunde

Such dir Freunde und Freundinnen. Ruf Menschen, die du magst, auch mal wieder an. Such dir dabei allerdings Leute, denen du nicht nur ihren Facebook-Status neidisch bist, sondern welche, mit denen du tatsächlich über alles reden kannst. Und nein, saufen oder sporteln gehen allein reicht nicht.

6. Zieh in die Stadt—oder such dir ein anderes Weltbild

Im Gegensatz zur weitläufigen Meinung ist das Landleben ganz schön ungesund. Dort ist die Suizidrate nämlich deutlich höher. Die höchsten Raten verzeichnen die Steiermark und Kärnten, im Burgenland, in Wien und Vorarlberg sind die Suizidraten am niedrigsten. Das hat einerseits mit Arbeitsfaktoren zu tun, andererseits damit, dass es in der Stadt bessere psychosoziale Versorgung gibt, und es auch akzeptierter ist, dass man sich Hilfe sucht, was am Land oft noch mit einem Stigma behaftet ist.

7. Überleg dir, was du in der Pension tun wirst

Ganz im Ernst: Pro Tag sterben ein bis zwei Menschen über 65 an Suizid. "Verwitwete ältere Männer haben ein 2,5-faches Risiko, im Jahr nach dem Tod der Partnerin an Suizid zu versterben" steht im Suizidbericht 2015. Und: "Männer über 85 haben eine fast fünfmal so hohe Suizidrate wie die Gesamtheit der österreichischen Männer".

Weil das mit den sozialen Anschlüssen bisher die Frauen erledigt haben, und wenn die irgendwann nicht mehr da sind, ist da das große Loch. Also: Such dir neben deiner Beziehung andere Freundschaften. Engagier dich. Irgendwo. Spiel Pingpong im Verein, kämpfe gegen den Walfang. Umgib dich mit Menschen, die dir taugen. Und zwar bis du ins Grab fällst.

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8. Kümmer dich selbst um deine Kinder

Geh in Karenz. Bring sie in den Kindergarten. Koch für sie. Spiel mit ihnen. Nicht nur am Wochenende. Halbe, halbe. Erstens because it's 2016. Zweitens weil sie super sind. Drittens weil es super für dich ist—übrigens unabhängig davon, ob mit Mann, Frau oder im Patchwork. Viertens weil du laut derzeitigem Stand der Dinge (Statistik 2015) zu 41,6 Prozent geschieden werden wirst.

Und wir wollen nicht, dass du einsam stirbst (siehe oben), weil deine Kinder nichts mit dir anfangen können. Sieh zu, dass deine Partnerin oder dein Partner nicht dein einziger menschlicher Kontakt ist. Wegen der 41,6 Prozent. Und überleg dir vorm Kinderkriegen, welche Form der Beziehung dich glücklich macht. Davon gibt's nämlich mehr als du glaubst. Bussi.

9. Sei realistisch

Verlass dich drauf, dass es im Leben auch gschissen laufen wird. Das wappnet dich vor kommenden Tiefschlägen. "Resilienz entwickeln" nennen das die Profis. Eine realistische Einstellung zur Realität haben, sich selbst zutrauen, eine Lösung zu finden und—Überraschung!—die Fähigkeit, Gefühle zu kommunizieren. Hab große Pläne, sonst wird's fad, aber hab auch Plan B bis D in petto. Die Gefahr, dass du der nächste Held auf der Bühne oder an der Börse bist, ist nämlich relativ gering. Also such dir noch ein, zwei oder viele andere Dinge, die dich notfalls genauso happy machen.

10. Keine Macht den Drogen

Es tut uns eh leid. Aber einer muss es dir ja sagen: Suchtkranke haben ein siebenfach erhöhtes Suizidrisiko. Auch, weil "nicht wenige Suchterkrankungen damit zusammenhängen, dass es Selbstheilungsversuche von anderen psychischen Erkrankungen sind", wie der Leiter des Kriseninterventionszentrums Dr. Claudius Stein sagt. Vor allem Männer neigen dazu. Da wird dann also wegen der Depression gesoffen, dann gehen wegen dem Alkohol Beziehung und Job verloren, und man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie's weitergeht. Also: Drogen nur zum Vergnügen, nicht zur Selbstmedikation.

HIER WIRD DIR GEHOLFEN (und wenn du mit niemandem reden magst, auch anonym per E-Mail)

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Kriseninterventionszentrum (auch Email-Beratung)

Rat auf Draht | Telefon: 147

Ö3 Kummernummer: 116 123, tägl. von 16.00 bis 24.00 Uhr:

Telefonseelsorge (auch Online-Beratung) | Telefon: 142

Psychosozialer Notdienst Wien

Österreichischer Suchthilfekompass

Folder: Suizidprävention im Alter