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Minderheit in der Minderheit: Ich bin lesbisch, Punk, und lebe in einem 350-Seelen-Dorf

"An der Tür haben sie mir nicht geglaubt, dass ich eine Frau bin. Da habe ich mich ausgezogen. Also nackt auf der Straße. Dann durfte ich rein."

Die Frauen, die Andrea Sömmer fotografiert und interviewt, müssen nicht nur dafür kämpfen, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden—sie kämpfen auch gegen die Diskriminierung in der eigenen Szene. Mit ihrer Serie "Randgruppe" geht die Regisseurin und Fotografin der Frage nach, wie es ist, in der Minderheit eine Minderheit zu sein.

_Sie hat Frauen porträtiert, die sich am Rand der lesbischen Szene bewegen—und es deshalb häufig nicht einfach haben. In den letzten Wochen haben wir Trish vorgestellt, die als Domina arbeitet; Laila, die einen Bart hat; Flora, die es als Femme in der Szene nicht einfach hat; Julia, die mit 15 schwanger wurde und [Denise, die lesbisch, schwarz und behindert ist. ](http://www.vice.com/alps/read/minderheit-in-der-minderheit-ich-bin-schwarz-behindert-und-lesbisch)_

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Trailer zu 'Randgruppe'

Denise, 39, Altenpflegerin

VICE: Fühlst du dich als eine Randgruppe in der Randgruppe, weil du ein Punk bist?
Denise: Was ist schon Punk? Übersetzt heißt das Dreck. Und dreckig war ich noch nie so wirklich. Mir geht es um die Freiheit im Kopf. Nicht mit der Norm zu schwimmen. Ich habe mich bisher gut damit durchs Leben geschlängelt.

Du lebst in einem 350-Seelen-Dorf in der Nähe von Dresden. Nicht der einfachste Ort für einen lesbischen Punk, oder?
Ich fühle mich auf dem Dorf oft freier als in der Großstadt. Ich bin hier aufgewachsen. Hier kennen mich alle, seit ich klein bin, und sie haben sich dran gewöhnt, dass ich in verschlissenen Sachen rumlaufe. In der Stadt ist es unmöglich als Punker in eine Nobel-Disco reinzukommen.

Hier auf dem Dorf gilt: Ich bin anders, aber ich bin eine von ihnen. Wäre ich neu zugezogen, wäre es vielleicht schwieriger. Und für eine Lesbe ist es einfacher, als für einen schwulen Mann. Die Leute fühlen sich nicht bedroht und nehmen einen oft auch nicht ernst. Und, dass ich aussehe wie ein Punk, hat mir sogar bei den Eltern meiner Freundinnen geholfen.

Alle Fotos: Andrea Sömmer

Wie denn das?
Nach dem Coming-Out denken die meisten Eltern: "Oh Gott, meine Tochter ist lesbisch". Und dann sehen sie mich und können sie sich nicht entscheiden, was schlimmer ist: dass ihre Tochter mit einer Lesbe oder mit einem Punker zusammen ist. Ein doppelter Schock, sozusagen. Und wenn sie dann mitbekommen haben, dass ich trotz allem ein normaler, netter Mensch bin, waren sie einfach heilfroh.

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War es in der Großstadt einfacher, Frauen kennenzulernen als auf dem Dorf?
Nix da. Die haben mich nicht in die Disco reingelassen. An der Tür haben sie mir nicht geglaubt, dass ich eine Frau bin. Da habe ich mich ausgezogen. Stand also nackt auf der Straße. Dann durfte ich rein.

Bist du später mit der lesbischen Szene warm geworden?
Nein, scheiße war's. Ich dachte: Geil, jetzt triffst du endlich Leute, die so sind wie du, die das Gleiche fühlen. Aber das war gar nicht so. Die waren ganz anders als ich. Zuerst wollte ich alle kennenlernen. Ich habe alle gehyped. Wie schön die alle waren. Aber es war schwer, in die Gruppen reinzukommen. Und dann musste ich feststellen: Es sind auch nur Menschen. Und leider auch viele Menschen, mit denen ich gar nichts zu tun haben will. Ich bin dann lieber mit meinen schwulen Freunden weggegangen.

Und jetzt bleibst du bewusst weg von der lesbischen Szene?
Jetzt, ein paar Jahre später, ist es entspannter mit den Lesben. Ich habe meine Ansprüche, die ich früher an die Szene hatte, abgelegt. So ist es einfacher. Ich erwarte nichts mehr von ihnen, außer dass sie gute Feierkollegen sind. Zuerst habe ich noch versucht, in der Großstadt eine Freundin zu finden, aber das habe ich dann aufgegeben.

Wo hast du am Ende die Liebe gefunden?
Ein Dorf weiter! Wir hatten uns schon mit 16 in der Fahrschule kennengelernt und ich fand sie schon damals toll. Vor ein paar Jahren habe ich sie wieder getroffen und da waren die Erinnerungen an die Jugendliebe wieder da. Man braucht nicht weit zu fahren, um das zu finden, was einem wichtig ist.