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Syrische Kinder malen, um ihre Kriegstraumata zu verarbeiten

In Beirut wird mit syrischen Flüchtlingskindern eine Kunsttherapie durchgeführt, um ihnen bei der Verarbeitung ihrer schrecklichen Erlebnisse zu helfen.

In einem besseren Viertel von Beiruts Innenstadt rappen zwei Jungs auf Arabisch als Teil einer Ausstellung, die Werke syrischer Flüchtlingskinder zeigt. Ramzi, 12 Jahre alt und ursprünglich aus Daraa in Syrien, beatboxt, während sein Freund Ayham, ebenfalls aus Daraa, die Rhymes abliefert. Die Gäste schauen beeindruckt zu, während die beiden Jungs künstlerisch ihre Kindheit, aus einer Zeit bevor der Bürgerkrieg Zerstörung und Unheil über ihr Land brachte, rekapitulieren.
 
Die Performance gehört zum Programm einer Ausstellung mit dem Namen „Light Against Darkness“, dem Resultat eines dreimonatigen Kunstprojekts, das den Kindern helfen soll, ihre Kriegstraumata durch kreativen Ausdruck zu verarbeiten. 43 Kinder schufen 166 Bilder und Tonarbeiten, von denen viele farbenfrohe Abbildungen von Schulen, spielenden Kindern und liebevollen Familien darstellten.
 
Andere wiederum sind nicht so fröhlich. Suha Wanous, ein junges Mädchen aus Latakia, malte ein Mädchen, das die Hand ihrer Mutter hält, der jemand eine Pistole auf den Kopf richtet. Im Hintergrund des Bildes sieht man Regen und einen Hubschrauber, der ein Haus beschießt. Zwei kleine Kinder liegen blutend auf dem Boden—wahrscheinlich tot. Die Organisatoren der Ausstellung erzählen, wie Suha täglich auf ihrem Weg zur Schule in Syrien einen Checkpoint der Armee durchqueren musste. Und jedes Mal grüßte sie die Soldaten mit assalamu alaykum (arabisch für „der Friede sei mit dir“).
 
Die Kunsttherapie wurde als Reaktion auf Bilder wie das von Suha ins Leben gerufen, sagt Ali Elskiekh Haidar. Ali ist Sprecher von Najda Now, einer syrischen NGO, die in Zusammenarbeit mit der norwegischen Botschaft in Beirut diese Workshops organisierte. „Wir wollten alle sehen lassen, dass Kinder diesen Krieg verarbeiten können… Wenn sie auch nicht die Worte haben, so haben sie doch die Farben, um allen zu zeigen, was sie gesehen haben,“ sagte er.

Für manche Kinder war es keine einfache Aufgabe, ihre Erfahrungen zu Papier zu bringen und das war der Punkt, an dem das Najda Now Center in Shatila ins Spiel kam. Das palästinensische Flüchtlingslager in den südlichen Vororten von Beirut wird zur Heimat für immer mehr syrische Kriegsflüchtlinge. Als wir uns dort trafen, zeigte mir Ali dutzende von Zeichnungen, die in Panik von den Kindern wieder übermalt worden waren. „Zu Beginn waren sie extrem gestresst. Sie waren noch in einem Schockzustanden wegen dem, was sie in Syrien erlebt und gesehen hatten. Sie dachten, dass sie nie wieder etwas buntes oder fröhliches zu Gesicht bekommen werden,“ sagte er.
 
Mit dem Beginn der Therapiesitzungen schien sich die Laune der Kinder jedoch stetig zu verbessern. Die Kinder überschwärzen ihre Arbeiten nicht mehr und die meisten malen nun farbenfrohe Bilder—manche von ihnen zeigen Syriens grüne und schroffe Landschaften. „Es hat uns geholfen, zu vergessen, was wir in Syrien gesehen hatten,“ sagt eine Mädchen, das an dem Workshop teilgenommen hatte.
 
Ali merkt an, dass die Kinder manchmal noch Szenen des Krieges nachspielen—vor allem wenn sie schlechte Nachrichten aus Syrien mitbekommen. Wie Yasser Moalla, der Psychotherapeut von Najda Now, jedoch erklärt, „ist der Sinn dabei nicht, die Kriegstraumata zu vergessen, sondern sie zu überwinden.“ Viele Zeichnungen, die Kämpfe, Tod oder Zerstörung darstellen, kann man noch an den Wänden des Centers in Shatila hängen sehen.
 
Während Najda Nows Workshop einigen Flüchtlingskindern geholfen hat, mit den Kriegstraumata umzugehen, fordern die Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, dass noch viel mehr für die Kinder Syriens getant werden muss. Am 15. März, dem dritten Jahrestag des syrischen Aufstandes, wurde während einer gemeinsamen Pressekonferenz einiger der größten Hilfsorganisationen—Mercy Corps, UNHCR, UNICEF, Save the Children und World Vision International—deutlich gesagt, dass durch den Konflikt eine ganze Generation von Kindern Gefahr läuft, „für immer verloren zu sein.“
 
Sie wiesen darauf hin, dass Syrien in Trümmern liegt. Nach konservativen Schätzungen starben mindestens 10.000 Kinder durch den Krieg, und für die, die in den umliegenden Ländern Zuflucht finden konnten, sind die Lebensbedingungen mehr als trostlos. Libanon, ein Land mit 4.4 Millionen Einwohnern, hat 1 Million Flüchtlinge aufgenommen. 435.000 davon sind Kinder im Schulalter—mehr als alle libanesischen Schulkinder zusammen—und fast 300.000 davon, ungefähr 70 Prozent, haben schon lange keinen Klassenraum mehr von innen gesehen.
 
Die Hilfsorganisationen haben in der Zwischenzeit alle Mühen, sich dem Konflikt in seiner ganzen Tragweite anzunehmen. Finanzierungsfragen sind dabei ein großes Problem; von den Plänen der UNICEF für 2014, zum Beispiel, sind nur 8 Prozent mit dem Budget abgedeckt. Und sogar in den wenigen Fällen, in denen es keine finanziellen Probleme gibt, treffen die Bildungsprogramme und die psychosoziale Unterstützung auf andere Hindernisse. Im Libanon, zum Beispiel, genügen viele syrische Kinder nicht den Anforderungen für die öffentlichen Schulen, da substanzielle Unterschiede in den Lehrplänen der beiden Länder existieren—vor allem was die sprachliche Bildung angeht. „Wir bemühen uns darum, dass viele von ihnen weiterhin die Schule besuchen können, indem wir ein besonderes Englischprogramm anbieten,“ sagt Ali. „Es ist eine wirklich schwierige Situation.“
 
Andrea Koppel, die Vizepräsidentin für weltweites Engagement und Strategien von Mercy Corps, sagte auf der Pressekonferenz am 15. März: „Wenn wir uns um die Bedürfnisse der Kinder hier im Libanon, in Jordanien, in Irak und in der Türkei, geschweige den Kindern in Syrien selber, kümmern wollen, brauchen wir auch die entsprechenden Mittel.“ Mercy Corps schaffte es in drei Wochen so viel Geld für die Opfer des Taifuns Haiyan auf den Philippinen zu sammeln, wie in drei Jahren für die Opfer des syrischen Bürgerkriegs.
 
Während wir zusammen ein Bier in Beirut trinken waren, brachte ein amerikanischer Journalist es treffend auf den Punkt: „Wir bringen nicht mehr viele Artikel über die Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs. Das Thema ist ausgelutscht. Die Menschen sind immer mehr abgestumpft, was diesen Krieg angeht.“ Und das, wie er korrekt anmerkt, während der Konflikt sich immer weiter verschlimmert. Die Anzahl syrischer Kriegsflüchtlinge im Libanon wird nach unterschiedlichen Einschätzungen bis zum Ende diesen Jahres die Zahl von 1.5 Millionen übersteigen. Das sind fast 35 Prozent der Landesbevölkerung vor dem Krieg.
 
Für Menschen wie Ali, die sich direkt vor Ort um humanitäre Hilfe kümmern, geht es bei der Sache nicht um Finanzierung oder Aufmerksamkeit—es geht um grundlegende Menschenrechte. In seinen Worten: „Wir wollen keine Almosen. Wir wollen ein Recht auf Bildung, ein Recht zu Leben und ein Recht auf Kindheit. Viele in der internationalen Gemeinschaft haben das vergessen.“